Zwei- und Vieldeutigkeiten. Nicht nur die Obrigkeit hat er bestätigt -- "wenn die Obrigkeit sagt, zwei und fünf sind acht, so musst Du's glauben wider dein Wissen und Fühlen" 19) --, auch den Krieg sanktionierte er. In einer Untersuchung "ob Kriegsleute auch im seligen Stande sein können?" finden sich die schlimmen Sätze: "Dass man viel darüber schreibt und sagt, welch eine grosse Plage der Krieg sei, das ist alles wahr... So muss man auch das Kriegs- und Schwertamt, wenn es so würgt und greulich tut, mit männlichen Augen ansehen. Dann wird es von selbst beweisen, dass es ein an sich göttliches Amt ist, der Welt so nötig und nützlich wie Essen und Trinken oder sonst ein andres Werk" 20).
5.
Die eigentliche Tat Luthers war eine mönchische Busslehrenrevolte. Nietzsche hat ihn den "unmöglichen Mönch" genannt. Luthers jähes und heissblütiges Naturell geriet im Verzweiflungskampf gegen die fleischlichen und geistigen Anfechtungen des Teufels auf den Ausweg, die Notwendigkeit einer unerfüllbaren Klosterdisziplin prinzipiell in Zweifel zu ziehen. Vergebliches Wüten gegen sein Temperament und die Ordensregel brachten ihn dazu, die Mönchskutte abzuwerfen und auf die Heilaussichten einer vollendeten Kasteiung zu verzichten. Er brach das Ordens- gelübde und vertrat von nun an die Anschauung, man brauche nicht Mönch oder Nonne zu sein, um selig zu werden. Die Zelle war ein Gefängnis für ihn, die Busslehre eine Tortur.
Als er aus der Kutte sprang, unternahm er mit Ungestüm den Versuch, eine Rechtfertigung seiner Handlungsweise zu finden und fand sie, wie er glaubte, im Glauben, dass der Glaube rechtfertige. Die Bibel allein ist Gottes Gebot. Vom Mönchswesen enthielt sie kein Wort. Christus am Kreuz
Zwei- und Vieldeutigkeiten. Nicht nur die Obrigkeit hat er bestätigt — „wenn die Obrigkeit sagt, zwei und fünf sind acht, so musst Du's glauben wider dein Wissen und Fühlen“ 19) —, auch den Krieg sanktionierte er. In einer Untersuchung „ob Kriegsleute auch im seligen Stande sein können?“ finden sich die schlimmen Sätze: „Dass man viel darüber schreibt und sagt, welch eine grosse Plage der Krieg sei, das ist alles wahr... So muss man auch das Kriegs- und Schwertamt, wenn es so würgt und greulich tut, mit männlichen Augen ansehen. Dann wird es von selbst beweisen, dass es ein an sich göttliches Amt ist, der Welt so nötig und nützlich wie Essen und Trinken oder sonst ein andres Werk“ 20).
5.
Die eigentliche Tat Luthers war eine mönchische Busslehrenrevolte. Nietzsche hat ihn den „unmöglichen Mönch“ genannt. Luthers jähes und heissblütiges Naturell geriet im Verzweiflungskampf gegen die fleischlichen und geistigen Anfechtungen des Teufels auf den Ausweg, die Notwendigkeit einer unerfüllbaren Klosterdisziplin prinzipiell in Zweifel zu ziehen. Vergebliches Wüten gegen sein Temperament und die Ordensregel brachten ihn dazu, die Mönchskutte abzuwerfen und auf die Heilaussichten einer vollendeten Kasteiung zu verzichten. Er brach das Ordens- gelübde und vertrat von nun an die Anschauung, man brauche nicht Mönch oder Nonne zu sein, um selig zu werden. Die Zelle war ein Gefängnis für ihn, die Busslehre eine Tortur.
Als er aus der Kutte sprang, unternahm er mit Ungestüm den Versuch, eine Rechtfertigung seiner Handlungsweise zu finden und fand sie, wie er glaubte, im Glauben, dass der Glaube rechtfertige. Die Bibel allein ist Gottes Gebot. Vom Mönchswesen enthielt sie kein Wort. Christus am Kreuz
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Zwei- und Vieldeutigkeiten. Nicht nur die Obrigkeit hat
er bestätigt — „wenn die Obrigkeit sagt, zwei und fünf sind
acht, so musst Du's glauben wider dein Wissen und
Fühlen“
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—, auch den Krieg sanktionierte er. In einer
Untersuchung „ob Kriegsleute auch im seligen Stande sein
können?“ finden sich die schlimmen Sätze: „Dass man
viel darüber schreibt und sagt, welch eine grosse Plage
der Krieg sei, das ist alles wahr... So muss man auch
das Kriegs- und Schwertamt, wenn es so würgt und greulich
tut, mit männlichen Augen ansehen. Dann wird es von selbst
beweisen, dass es ein an sich göttliches Amt ist, der Welt
so nötig und nützlich wie Essen und Trinken oder sonst
ein andres Werk“
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Die eigentliche Tat Luthers war eine mönchische
Busslehrenrevolte. Nietzsche hat ihn den „unmöglichen
Mönch“ genannt. Luthers jähes und heissblütiges Naturell
geriet im Verzweiflungskampf gegen die fleischlichen und
geistigen Anfechtungen des Teufels auf den Ausweg, die
Notwendigkeit einer unerfüllbaren Klosterdisziplin prinzipiell
in Zweifel zu ziehen. Vergebliches Wüten gegen sein
Temperament und die Ordensregel brachten ihn dazu, die
Mönchskutte abzuwerfen und auf die Heilaussichten einer
vollendeten Kasteiung zu verzichten. Er brach das Ordens-
gelübde und vertrat von nun an die Anschauung, man
brauche nicht Mönch oder Nonne zu sein, um selig zu
werden. Die Zelle war ein Gefängnis für ihn, die Busslehre
eine Tortur.
Als er aus der Kutte sprang, unternahm er mit Ungestüm
den Versuch, eine Rechtfertigung seiner Handlungsweise
zu finden und fand sie, wie er glaubte, im Glauben, dass
der Glaube rechtfertige. Die Bibel allein ist Gottes Gebot.
Vom Mönchswesen enthielt sie kein Wort. Christus am Kreuz
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/33>, abgerufen am 23.11.2024.
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