den. Ich aber stabiliere die souveräinete wie einen rocher von bronce". Doch schon Friedrich II. sieht sich gezwungen, mit den Junkern zu paktieren, "sintemalen des Edelmanns Söhne das Land defendieren und die Rasse davon so gut ist, dass sie auf alle Art meritieret, conservieret zu wer- den" 86). Friedrich Wilhelm I. ging ärgerlich prügelnd mit dem Stock durch Berlin, wenn er nach dem Rechten sah, und noch Friedrich II. lässt seine Journalisten ausprügeln. In deutschen Geschichtsbüchern findet man das schnurrig genug, als vergilbte Historie, aber noch 1918 erlebte man den Prozess gegen den mecklenburgischen Junker von Oertzen zu Roggow, der einen Schnitter sich entkleiden liess, ihn an einen Baum schnürte und ihm 50 Hiebe mit der Reitpeitsche auf den nackten Körper zeichnete.
Es ist wohl ohne weiteres klar, dass in dem völlig verrohten Knuten- und Schinderstaate Preussen von milderen Regungen schwerlich die Rede sein konnte. Was die viel- gerühmte Toleranz unter Friedrich II. betrifft, so hat Lessing ihr ein Denkmal gesetzt, das gerade heute wieder eine gewisse Aktualität erlangt hat. In einem Brief an Nicolai vom August 1769 schreibt er: "Sagen Sie mir von Ihrer Berlinischen Freiheit zu denken und zu schreiben ja nichts. Sie reduziert sich einzig und allein auf die Freiheit, gegen die Religion (siehe Marx und Nietzsche) so viele Sottisen zu Markt zu bringen, als man will; und dieser Freiheit muss sich der rechtliche Mann nun bald zu bedienen schämen. Lassen Sie es aber doch einmal einen in Berlin versuchen, über andere Dinge so frei zu schreiben ..., dem vornehmen Hofpöbel so die Wahrheit zu sagen ..., lassen Sie einen in Berlin auftreten, der für die Rechte der Untertanen, der gegen Aussaugung und Despotismus seine Stimme erheben wollte ... und Sie werden bald die Er- fahrung haben, welches Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land von Europa ist" 87). Man vergleiche auch die Auszüge aus den Briefen Winkelmanns, die Mehring
den. Ich aber stabiliere die souveräineté wie einen rocher von bronce“. Doch schon Friedrich II. sieht sich gezwungen, mit den Junkern zu paktieren, „sintemalen des Edelmanns Söhne das Land defendieren und die Rasse davon so gut ist, dass sie auf alle Art meritieret, conservieret zu wer- den“ 86). Friedrich Wilhelm I. ging ärgerlich prügelnd mit dem Stock durch Berlin, wenn er nach dem Rechten sah, und noch Friedrich II. lässt seine Journalisten ausprügeln. In deutschen Geschichtsbüchern findet man das schnurrig genug, als vergilbte Historie, aber noch 1918 erlebte man den Prozess gegen den mecklenburgischen Junker von Oertzen zu Roggow, der einen Schnitter sich entkleiden liess, ihn an einen Baum schnürte und ihm 50 Hiebe mit der Reitpeitsche auf den nackten Körper zeichnete.
Es ist wohl ohne weiteres klar, dass in dem völlig verrohten Knuten- und Schinderstaate Preussen von milderen Regungen schwerlich die Rede sein konnte. Was die viel- gerühmte Toleranz unter Friedrich II. betrifft, so hat Lessing ihr ein Denkmal gesetzt, das gerade heute wieder eine gewisse Aktualität erlangt hat. In einem Brief an Nicolai vom August 1769 schreibt er: „Sagen Sie mir von Ihrer Berlinischen Freiheit zu denken und zu schreiben ja nichts. Sie reduziert sich einzig und allein auf die Freiheit, gegen die Religion (siehe Marx und Nietzsche) so viele Sottisen zu Markt zu bringen, als man will; und dieser Freiheit muss sich der rechtliche Mann nun bald zu bedienen schämen. Lassen Sie es aber doch einmal einen in Berlin versuchen, über andere Dinge so frei zu schreiben ..., dem vornehmen Hofpöbel so die Wahrheit zu sagen ..., lassen Sie einen in Berlin auftreten, der für die Rechte der Untertanen, der gegen Aussaugung und Despotismus seine Stimme erheben wollte ... und Sie werden bald die Er- fahrung haben, welches Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land von Europa ist“ 87). Man vergleiche auch die Auszüge aus den Briefen Winkelmanns, die Mehring
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den. Ich aber stabiliere die souveräineté wie einen rocher
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mit den Junkern zu paktieren, „sintemalen des Edelmanns
Söhne das Land defendieren und die Rasse davon so gut
ist, dass sie auf alle Art meritieret, conservieret zu wer-
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. Friedrich Wilhelm I. ging ärgerlich prügelnd mit
dem Stock durch Berlin, wenn er nach dem Rechten sah,
und noch Friedrich II. lässt seine Journalisten ausprügeln.
In deutschen Geschichtsbüchern findet man das schnurrig
genug, als vergilbte Historie, aber noch 1918 erlebte man
den Prozess gegen den mecklenburgischen Junker von
Oertzen zu Roggow, der einen Schnitter sich entkleiden
liess, ihn an einen Baum schnürte und ihm 50 Hiebe mit
der Reitpeitsche auf den nackten Körper zeichnete.
Es ist wohl ohne weiteres klar, dass in dem völlig
verrohten Knuten- und Schinderstaate Preussen von milderen
Regungen schwerlich die Rede sein konnte. Was die viel-
gerühmte Toleranz unter Friedrich II. betrifft, so hat Lessing
ihr ein Denkmal gesetzt, das gerade heute wieder eine
gewisse Aktualität erlangt hat. In einem Brief an Nicolai
vom August 1769 schreibt er: „Sagen Sie mir von Ihrer
Berlinischen Freiheit zu denken und zu schreiben ja nichts.
Sie reduziert sich einzig und allein auf die Freiheit, gegen
die Religion (siehe Marx und Nietzsche) so viele Sottisen
zu Markt zu bringen, als man will; und dieser Freiheit
muss sich der rechtliche Mann nun bald zu bedienen
schämen. Lassen Sie es aber doch einmal einen in Berlin
versuchen, über andere Dinge so frei zu schreiben ...,
dem vornehmen Hofpöbel so die Wahrheit zu sagen ...,
lassen Sie einen in Berlin auftreten, der für die Rechte der
Untertanen, der gegen Aussaugung und Despotismus seine
Stimme erheben wollte ... und Sie werden bald die Er-
fahrung haben, welches Land bis auf den heutigen Tag
das sklavischste Land von Europa ist“
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. Man vergleiche
auch die Auszüge aus den Briefen Winkelmanns, die Mehring
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/216>, abgerufen am 25.11.2024.
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