verspottet und unterdrückt seid; wenn ihr Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen wollt, dann wird dies Evangelium euren Mut von neuem stählen und eure Hoffnung frische Blüten treiben. Die entmutigten schwachen Herzen wird es stärken, und in das Herz des Zweiflers die Macht der Ueberzeugung giessen. Auf die Stirn des Verbrechers wird es den Kuss der Verzeihung drücken und die finstern Mauern ihrer Kerker mit einem Schein der Hoffnung lichten. Der Liebe und der Freiheit Glut wird es in aller Sünder Herzen schütten. So geschehe es" 86). Von Voltaire spricht er wie Erneste Hello, der ihn einen Farceur nannte: "Die Religion muss zerstört werden, um die Menschheit zu be- freien, dies war der Grundsatz Voltaires und anderer. Lammenais und vor ihm viele christliche Reformatoren wie Karlstadt, Thomas Münzer und andere zeigten, dass alle demokratischen Ideen der Ausfluss des Christentums seien" 87). Er verschmähte nicht die Ergebnisse der Evangelienkritik, er meinte nur, es sei nicht seine Aufgabe, die Widersprüche ans Licht zu ziehen, wie David Strauss es getan habe, sondern das Wesentliche und Mögliche, worauf das Christentum beruhe, als wahr anzunehmen und daraus das Prinzip des Christentums zu ermitteln 88). Die deutschen Philosophen nannte er Nebler. "Hegel ist für mich ebenso ein Nebler. Ich darf ihn so nennen, obgleich ich nichts von ihm gelesen habe. Warum? Weil niemand mir sagen konnte, was er wollte, obgleich die ganze deutsche Nebelphilosophie von ihm ein grosses Geschrei macht". Für ihn hat in der Weltgeschichte nicht schlechthin Vernunft regiert; ihm ist sie nichts als eine "grosse Räubergeschichte", worin die ehrlichen Leute zu allen Zeiten die Geprellten waren. "Aus der Freiheit und der Harmonie der Begierden und Leidenschaften entsteht alles Gute und aus der Unter- drückung und Bekämpfung derselben zum Vorteil einiger, alles Böse" 89). "Eine vollkommene Gesellschaft hat keine Regierung, sondern eine Verwaltung, keine Gesetze,
11
verspottet und unterdrückt seid; wenn ihr Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen wollt, dann wird dies Evangelium euren Mut von neuem stählen und eure Hoffnung frische Blüten treiben. Die entmutigten schwachen Herzen wird es stärken, und in das Herz des Zweiflers die Macht der Ueberzeugung giessen. Auf die Stirn des Verbrechers wird es den Kuss der Verzeihung drücken und die finstern Mauern ihrer Kerker mit einem Schein der Hoffnung lichten. Der Liebe und der Freiheit Glut wird es in aller Sünder Herzen schütten. So geschehe es“ 86). Von Voltaire spricht er wie Erneste Hello, der ihn einen Farceur nannte: „Die Religion muss zerstört werden, um die Menschheit zu be- freien, dies war der Grundsatz Voltaires und anderer. Lammenais und vor ihm viele christliche Reformatoren wie Karlstadt, Thomas Münzer und andere zeigten, dass alle demokratischen Ideen der Ausfluss des Christentums seien“ 87). Er verschmähte nicht die Ergebnisse der Evangelienkritik, er meinte nur, es sei nicht seine Aufgabe, die Widersprüche ans Licht zu ziehen, wie David Strauss es getan habe, sondern das Wesentliche und Mögliche, worauf das Christentum beruhe, als wahr anzunehmen und daraus das Prinzip des Christentums zu ermitteln 88). Die deutschen Philosophen nannte er Nebler. „Hegel ist für mich ebenso ein Nebler. Ich darf ihn so nennen, obgleich ich nichts von ihm gelesen habe. Warum? Weil niemand mir sagen konnte, was er wollte, obgleich die ganze deutsche Nebelphilosophie von ihm ein grosses Geschrei macht“. Für ihn hat in der Weltgeschichte nicht schlechthin Vernunft regiert; ihm ist sie nichts als eine „grosse Räubergeschichte“, worin die ehrlichen Leute zu allen Zeiten die Geprellten waren. „Aus der Freiheit und der Harmonie der Begierden und Leidenschaften entsteht alles Gute und aus der Unter- drückung und Bekämpfung derselben zum Vorteil einiger, alles Böse“ 89). „Eine vollkommene Gesellschaft hat keine Regierung, sondern eine Verwaltung, keine Gesetze,
11
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0169"n="161"/>
verspottet und unterdrückt seid; wenn ihr Freiheit und<lb/>
Gerechtigkeit für <hirendition="#i">alle</hi> Menschen wollt, dann wird dies<lb/>
Evangelium euren Mut von neuem stählen und eure Hoffnung<lb/>
frische Blüten treiben. Die entmutigten schwachen Herzen<lb/>
wird es stärken, und in das Herz des Zweiflers die Macht<lb/>
der Ueberzeugung giessen. Auf die Stirn des Verbrechers<lb/>
wird es den Kuss der Verzeihung drücken und die finstern<lb/>
Mauern ihrer Kerker mit einem Schein der Hoffnung lichten.<lb/>
Der Liebe und der Freiheit Glut wird es in aller Sünder<lb/>
Herzen schütten. So geschehe es“<notexml:id="id86c"next="id86c86c"place="end"n="86)"/>. Von Voltaire spricht<lb/>
er wie Erneste Hello, der ihn einen Farceur nannte: „Die<lb/>
Religion muss zerstört werden, um die Menschheit zu be-<lb/>
freien, dies war der Grundsatz Voltaires und anderer.<lb/>
Lammenais und vor ihm viele christliche Reformatoren wie<lb/>
Karlstadt, Thomas Münzer und andere zeigten, dass alle<lb/>
demokratischen Ideen der Ausfluss des Christentums seien“<notexml:id="id87c"next="id87c87c"place="end"n="87)"/>.<lb/>
Er verschmähte nicht die Ergebnisse der Evangelienkritik,<lb/>
er meinte nur, es sei nicht seine Aufgabe, die Widersprüche<lb/>
ans Licht zu ziehen, wie David Strauss es getan habe, sondern<lb/>
das Wesentliche und Mögliche, worauf das Christentum<lb/>
beruhe, als wahr anzunehmen und daraus das Prinzip des<lb/>
Christentums zu ermitteln <notexml:id="id88c"next="id88c88c"place="end"n="88)"/>. Die deutschen Philosophen<lb/>
nannte er Nebler. „Hegel ist für mich ebenso ein Nebler.<lb/>
Ich darf ihn so nennen, obgleich ich nichts von ihm gelesen<lb/>
habe. Warum? Weil niemand mir sagen konnte, was<lb/>
er wollte, obgleich die ganze deutsche Nebelphilosophie<lb/>
von ihm ein grosses Geschrei macht“. Für ihn hat in<lb/>
der Weltgeschichte nicht schlechthin Vernunft regiert; ihm<lb/>
ist sie nichts als eine „grosse Räubergeschichte“, worin<lb/>
die ehrlichen Leute zu allen Zeiten die Geprellten waren.<lb/>„Aus der Freiheit und der Harmonie der Begierden und<lb/>
Leidenschaften entsteht alles Gute und aus der Unter-<lb/>
drückung und Bekämpfung derselben zum Vorteil einiger,<lb/>
alles Böse“<notexml:id="id89c"next="id89c89c"place="end"n="89)"/>. „Eine vollkommene Gesellschaft hat<lb/>
keine Regierung, sondern eine Verwaltung, keine Gesetze,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">11</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[161/0169]
verspottet und unterdrückt seid; wenn ihr Freiheit und
Gerechtigkeit für alle Menschen wollt, dann wird dies
Evangelium euren Mut von neuem stählen und eure Hoffnung
frische Blüten treiben. Die entmutigten schwachen Herzen
wird es stärken, und in das Herz des Zweiflers die Macht
der Ueberzeugung giessen. Auf die Stirn des Verbrechers
wird es den Kuss der Verzeihung drücken und die finstern
Mauern ihrer Kerker mit einem Schein der Hoffnung lichten.
Der Liebe und der Freiheit Glut wird es in aller Sünder
Herzen schütten. So geschehe es“
⁸⁶⁾
. Von Voltaire spricht
er wie Erneste Hello, der ihn einen Farceur nannte: „Die
Religion muss zerstört werden, um die Menschheit zu be-
freien, dies war der Grundsatz Voltaires und anderer.
Lammenais und vor ihm viele christliche Reformatoren wie
Karlstadt, Thomas Münzer und andere zeigten, dass alle
demokratischen Ideen der Ausfluss des Christentums seien“
⁸⁷⁾
.
Er verschmähte nicht die Ergebnisse der Evangelienkritik,
er meinte nur, es sei nicht seine Aufgabe, die Widersprüche
ans Licht zu ziehen, wie David Strauss es getan habe, sondern
das Wesentliche und Mögliche, worauf das Christentum
beruhe, als wahr anzunehmen und daraus das Prinzip des
Christentums zu ermitteln
⁸⁸⁾
. Die deutschen Philosophen
nannte er Nebler. „Hegel ist für mich ebenso ein Nebler.
Ich darf ihn so nennen, obgleich ich nichts von ihm gelesen
habe. Warum? Weil niemand mir sagen konnte, was
er wollte, obgleich die ganze deutsche Nebelphilosophie
von ihm ein grosses Geschrei macht“. Für ihn hat in
der Weltgeschichte nicht schlechthin Vernunft regiert; ihm
ist sie nichts als eine „grosse Räubergeschichte“, worin
die ehrlichen Leute zu allen Zeiten die Geprellten waren.
„Aus der Freiheit und der Harmonie der Begierden und
Leidenschaften entsteht alles Gute und aus der Unter-
drückung und Bekämpfung derselben zum Vorteil einiger,
alles Böse“
⁸⁹⁾
. „Eine vollkommene Gesellschaft hat
keine Regierung, sondern eine Verwaltung, keine Gesetze,
11
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/169>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.