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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Die neue Demokratie, an die wir glauben, und um
deren Prinzipien heute die Welt kämpft, ist nicht in der
Ansicht beschlossen, dass die "Freiheit in Gott" gleichzeitig
bestehen kann mit der Unfreiheit im Gesetz, der Vergewal-
tigung im Staat und der Tyrannei im Absolutismus; nicht
darin beschlossen, dass ein parlamentarisches System in
Deutschland nach dem Muster der westlichen Demokratien
die Lösung aller Konflikte bringt, die Deutschland heute
trennen von der Welt. Es ist schlimmste deutsche Tradi-
tion, auf die politische Freiheit zu verzichten unter Hinweis
auf die berühmte intelligible "Freiheit in Gott", und die
Revolution von 1793 zu verwerfen, weil sie zur Zeit ihres
Ausbruchs "die Religion abschaffte". Aber ebenso unsinnig
wäre es, den heutigen deutschen Regierungs-Satanismus
ohne die Freiheit in Gott bekämpfen zu wollen mit den
demokratisch-liberalistischen Tendenzen, die in England,
Frankreich, Amerika und Italien politische Errungenschaft
geworden sind. Das kaiserliche Deutschland repräsentiert
heute die ungeheuerlichste Akkumulation der reaktionären
Methoden dreier Kaiserreiche und des Papsttums, und die
Bekämpfung dieses antichristlichen Bollwerks, dessen Zen-
trale Berlin ist, führt notwendigerweise zu einer Prüfung
gerade der revolutionärsten Gedanken des vorigen Jahr-
hunderts auf ihren Freiheitsgehalt. So nur bieten sich Hebel,
die es ermöglichen, jene satanische Residenz aus den Angeln
zu heben.

Frankreich hat den Gedanken des Kommunismus
wiedergefunden, der seit den Tagen der Taboriten und
Thomas Münzers verloren war. Babeuf hiess sein Entdecker,
und auf dem Wege der Konspirationen Buonarottis kam
er zu Weitling, der in der Schweiz ihn zum erstenmal
offen wieder verkündigte. Brissot sprach bereits 1780 da-
von, dass Eigentum Diebstahl sei. In der erhabenen
Gestalt Proudhons führte ein ebenso kühner wie weiser
Idealismus zur Kritik des Eigentums und zur Anarchie,

Die neue Demokratie, an die wir glauben, und um
deren Prinzipien heute die Welt kämpft, ist nicht in der
Ansicht beschlossen, dass die „Freiheit in Gott“ gleichzeitig
bestehen kann mit der Unfreiheit im Gesetz, der Vergewal-
tigung im Staat und der Tyrannei im Absolutismus; nicht
darin beschlossen, dass ein parlamentarisches System in
Deutschland nach dem Muster der westlichen Demokratien
die Lösung aller Konflikte bringt, die Deutschland heute
trennen von der Welt. Es ist schlimmste deutsche Tradi-
tion, auf die politische Freiheit zu verzichten unter Hinweis
auf die berühmte intelligible „Freiheit in Gott“, und die
Revolution von 1793 zu verwerfen, weil sie zur Zeit ihres
Ausbruchs „die Religion abschaffte“. Aber ebenso unsinnig
wäre es, den heutigen deutschen Regierungs-Satanismus
ohne die Freiheit in Gott bekämpfen zu wollen mit den
demokratisch-liberalistischen Tendenzen, die in England,
Frankreich, Amerika und Italien politische Errungenschaft
geworden sind. Das kaiserliche Deutschland repräsentiert
heute die ungeheuerlichste Akkumulation der reaktionären
Methoden dreier Kaiserreiche und des Papsttums, und die
Bekämpfung dieses antichristlichen Bollwerks, dessen Zen-
trale Berlin ist, führt notwendigerweise zu einer Prüfung
gerade der revolutionärsten Gedanken des vorigen Jahr-
hunderts auf ihren Freiheitsgehalt. So nur bieten sich Hebel,
die es ermöglichen, jene satanische Residenz aus den Angeln
zu heben.

Frankreich hat den Gedanken des Kommunismus
wiedergefunden, der seit den Tagen der Taboriten und
Thomas Münzers verloren war. Babeuf hiess sein Entdecker,
und auf dem Wege der Konspirationen Buonarottis kam
er zu Weitling, der in der Schweiz ihn zum erstenmal
offen wieder verkündigte. Brissot sprach bereits 1780 da-
von, dass Eigentum Diebstahl sei. In der erhabenen
Gestalt Proudhons führte ein ebenso kühner wie weiser
Idealismus zur Kritik des Eigentums und zur Anarchie,

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[128/0136] Die neue Demokratie, an die wir glauben, und um deren Prinzipien heute die Welt kämpft, ist nicht in der Ansicht beschlossen, dass die „Freiheit in Gott“ gleichzeitig bestehen kann mit der Unfreiheit im Gesetz, der Vergewal- tigung im Staat und der Tyrannei im Absolutismus; nicht darin beschlossen, dass ein parlamentarisches System in Deutschland nach dem Muster der westlichen Demokratien die Lösung aller Konflikte bringt, die Deutschland heute trennen von der Welt. Es ist schlimmste deutsche Tradi- tion, auf die politische Freiheit zu verzichten unter Hinweis auf die berühmte intelligible „Freiheit in Gott“, und die Revolution von 1793 zu verwerfen, weil sie zur Zeit ihres Ausbruchs „die Religion abschaffte“. Aber ebenso unsinnig wäre es, den heutigen deutschen Regierungs-Satanismus ohne die Freiheit in Gott bekämpfen zu wollen mit den demokratisch-liberalistischen Tendenzen, die in England, Frankreich, Amerika und Italien politische Errungenschaft geworden sind. Das kaiserliche Deutschland repräsentiert heute die ungeheuerlichste Akkumulation der reaktionären Methoden dreier Kaiserreiche und des Papsttums, und die Bekämpfung dieses antichristlichen Bollwerks, dessen Zen- trale Berlin ist, führt notwendigerweise zu einer Prüfung gerade der revolutionärsten Gedanken des vorigen Jahr- hunderts auf ihren Freiheitsgehalt. So nur bieten sich Hebel, die es ermöglichen, jene satanische Residenz aus den Angeln zu heben. Frankreich hat den Gedanken des Kommunismus wiedergefunden, der seit den Tagen der Taboriten und Thomas Münzers verloren war. Babeuf hiess sein Entdecker, und auf dem Wege der Konspirationen Buonarottis kam er zu Weitling, der in der Schweiz ihn zum erstenmal offen wieder verkündigte. Brissot sprach bereits 1780 da- von, dass Eigentum Diebstahl sei. In der erhabenen Gestalt Proudhons führte ein ebenso kühner wie weiser Idealismus zur Kritik des Eigentums und zur Anarchie,

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/136>, abgerufen am 21.11.2024.