Schöpfung 150); in ihr, die die Zukunft vorwegnimmt, sehen sie Gott. Was sie bewegt, ist lebendiger Enthusiasmus fürs Gute. Gottes Gang in die Natur und Sehnsucht aller Kreatur zu Gott zurück, ist ihnen himmlische Vernunft.
Borgese warnt Franzosen und Italiener, in den deutschen Atheisten und Naturalisten des 19. Jahrhunderts Gesinnungs- alliierte zu suchen. "Wer die christliche Moral als eine Zufluchtsstätte alter Vorurteile betrachtet, kämpft gesinnungs- mässig auf Seiten der Deutschen" 151). Ich kämpfe nicht "auf Seiten der Deutschen", ich stimme ihm bei, und das zwingt mich, Heinrich Heine anzugreifen.
Heine hatte das Pech, sich gründlich über den Prote- stantismus und über die deutsche Philosophie zu täuschen. Er hielt Luther für den "grössten und deutschesten Mann" 152). Er beging die betrübliche Pläsanterie, von einem "Marquis von Brandenburg" zu sprechen, der "Denkfreiheit" gegeben habe; er hielt Kant und Fichte für Rebellen, was leider nicht zutraf, und nannte den preussischen Apologeten des Credo quia absurdum, Herrn Hegel, "den grossen Hegel, den grössten Philosophen, den Deutschland seit Leibnitz erzeugt hat" 153). Dagegen pamphletierte er gegen die Ro- mantik, die er für Obskurantismus hielt, weil sie von Preussen nach Wien und nach Rom floh und Metternichs Anteil fand, weil sie von der preussischen Denkfreiheit nicht viel hielt und von den übrigen protestantischen Freiheiten auch nicht viel. 1852 aber, nachdem die Schriften und Tagebücher Baaders neu erschienen waren, widerrief er, und er mag eingesehen haben, welches Unheil ihm seine Avancen ver- dankte 154). Sein Buch gegen die Romantik widerrief er in- dessen nicht. Die Schwächen dieser Bewegung hielt er nur allzu bereitwillig für ihr Wesen, und statt die Institutionen anzugreifen, die diese Schwächen verschuldeten, trat er mit geistreich verschlossenen Augen als skeptischer Nationalist und Gourmand auf die Seite derer, die Purpurmäntel und Braten verteilen 155).
Schöpfung 150); in ihr, die die Zukunft vorwegnimmt, sehen sie Gott. Was sie bewegt, ist lebendiger Enthusiasmus fürs Gute. Gottes Gang in die Natur und Sehnsucht aller Kreatur zu Gott zurück, ist ihnen himmlische Vernunft.
Borgese warnt Franzosen und Italiener, in den deutschen Atheisten und Naturalisten des 19. Jahrhunderts Gesinnungs- alliierte zu suchen. „Wer die christliche Moral als eine Zufluchtsstätte alter Vorurteile betrachtet, kämpft gesinnungs- mässig auf Seiten der Deutschen“ 151). Ich kämpfe nicht „auf Seiten der Deutschen“, ich stimme ihm bei, und das zwingt mich, Heinrich Heine anzugreifen.
Heine hatte das Pech, sich gründlich über den Prote- stantismus und über die deutsche Philosophie zu täuschen. Er hielt Luther für den „grössten und deutschesten Mann“ 152). Er beging die betrübliche Pläsanterie, von einem „Marquis von Brandenburg“ zu sprechen, der „Denkfreiheit“ gegeben habe; er hielt Kant und Fichte für Rebellen, was leider nicht zutraf, und nannte den preussischen Apologeten des Credo quia absurdum, Herrn Hegel, „den grossen Hegel, den grössten Philosophen, den Deutschland seit Leibnitz erzeugt hat“ 153). Dagegen pamphletierte er gegen die Ro- mantik, die er für Obskurantismus hielt, weil sie von Preussen nach Wien und nach Rom floh und Metternichs Anteil fand, weil sie von der preussischen Denkfreiheit nicht viel hielt und von den übrigen protestantischen Freiheiten auch nicht viel. 1852 aber, nachdem die Schriften und Tagebücher Baaders neu erschienen waren, widerrief er, und er mag eingesehen haben, welches Unheil ihm seine Avancen ver- dankte 154). Sein Buch gegen die Romantik widerrief er in- dessen nicht. Die Schwächen dieser Bewegung hielt er nur allzu bereitwillig für ihr Wesen, und statt die Institutionen anzugreifen, die diese Schwächen verschuldeten, trat er mit geistreich verschlossenen Augen als skeptischer Nationalist und Gourmand auf die Seite derer, die Purpurmäntel und Braten verteilen 155).
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Schöpfung
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; in ihr, die die Zukunft vorwegnimmt, sehen
sie Gott. Was sie bewegt, ist lebendiger Enthusiasmus fürs
Gute. Gottes Gang in die Natur und Sehnsucht aller Kreatur
zu Gott zurück, ist ihnen himmlische Vernunft.
Borgese warnt Franzosen und Italiener, in den deutschen
Atheisten und Naturalisten des 19. Jahrhunderts Gesinnungs-
alliierte zu suchen. „Wer die christliche Moral als eine
Zufluchtsstätte alter Vorurteile betrachtet, kämpft gesinnungs-
mässig auf Seiten der Deutschen“
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. Ich kämpfe nicht
„auf Seiten der Deutschen“, ich stimme ihm bei, und das
zwingt mich, Heinrich Heine anzugreifen.
Heine hatte das Pech, sich gründlich über den Prote-
stantismus und über die deutsche Philosophie zu täuschen.
Er hielt Luther für den „grössten und deutschesten Mann“
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Er beging die betrübliche Pläsanterie, von einem „Marquis
von Brandenburg“ zu sprechen, der „Denkfreiheit“ gegeben
habe; er hielt Kant und Fichte für Rebellen, was leider
nicht zutraf, und nannte den preussischen Apologeten des
Credo quia absurdum, Herrn Hegel, „den grossen Hegel,
den grössten Philosophen, den Deutschland seit Leibnitz
erzeugt hat“
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. Dagegen pamphletierte er gegen die Ro-
mantik, die er für Obskurantismus hielt, weil sie von Preussen
nach Wien und nach Rom floh und Metternichs Anteil fand,
weil sie von der preussischen Denkfreiheit nicht viel hielt
und von den übrigen protestantischen Freiheiten auch nicht
viel. 1852 aber, nachdem die Schriften und Tagebücher
Baaders neu erschienen waren, widerrief er, und er mag
eingesehen haben, welches Unheil ihm seine Avancen ver-
dankte
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. Sein Buch gegen die Romantik widerrief er in-
dessen nicht. Die Schwächen dieser Bewegung hielt er nur
allzu bereitwillig für ihr Wesen, und statt die Institutionen
anzugreifen, die diese Schwächen verschuldeten, trat er mit
geistreich verschlossenen Augen als skeptischer Nationalist
und Gourmand auf die Seite derer, die Purpurmäntel und
Braten verteilen
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/113>, abgerufen am 16.02.2025.
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