Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913.
Viermal, fünfmal ging sie täglich aus, und jeden Abend ins Theater oder in ein Konzert, da sie doch sonst immer am liebsten daheim war. Justine. Was hat denn mein Schwiegersohn dazu gesagt? Therese (ganz erstaunt). Der Herr Doktor? Justine. Der mag das doch eigentlich nicht. Therese (eifrig). Ach der Herr Doktor mag doch eigentlich alles, ihm macht doch alles Vergnügen. Justine (spöttisch). Also der ist -- unverändert? Der ist wenigstens noch nicht melancholisch? Therese (unwillkürlich lächelnd). Nein. Das kann man sich auch kaum vorstellen. Justine. Nun und er hat aber nichts bemerkt, an meiner Tochter? Therese (rasch, ganz ernst). Der Herr Doktor bemerkt doch überhaupt nichts! -- (Erschrocken, daß sie etwas Ungebührliches gesagt hat, das sie nun abschwächen möchte.) Ich meine nur -- Justine. Sie haben sicher recht. Therese (eifrig). Der Herr Doktor ist doch ein so her- vorragend gescheiter Mann, aber eben offenbar viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um ... Ich meine nur, es hat mich gewundert ... es war ja mit der gnädigen Frau jetzt zuweilen schon fast unheimlich, ihm aber scheint nichts an ihr aufgefallen zu sein. Justine (trocken). Die Männer sind alle dumm. Be- sonders aber die Gescheiten. Fidelis (noch draußen im Flur, unsichtbar; laut). Ja hat sie denn meine Depesche nicht gekriegt?
Viermal, fünfmal ging ſie täglich aus, und jeden Abend ins Theater oder in ein Konzert, da ſie doch ſonſt immer am liebſten daheim war. Juſtine. Was hat denn mein Schwiegerſohn dazu geſagt? Thereſe (ganz erſtaunt). Der Herr Doktor? Juſtine. Der mag das doch eigentlich nicht. Thereſe (eifrig). Ach der Herr Doktor mag doch eigentlich alles, ihm macht doch alles Vergnügen. Juſtine (ſpoͤttiſch). Alſo der iſt — unverändert? Der iſt wenigſtens noch nicht melancholiſch? Thereſe (unwillkuͤrlich laͤchelnd). Nein. Das kann man ſich auch kaum vorſtellen. Juſtine. Nun und er hat aber nichts bemerkt, an meiner Tochter? Thereſe (raſch, ganz ernſt). Der Herr Doktor bemerkt doch überhaupt nichts! — (Erſchrocken, daß ſie etwas Ungebuͤhrliches geſagt hat, das ſie nun abſchwaͤchen moͤchte.) Ich meine nur — Juſtine. Sie haben ſicher recht. Thereſe (eifrig). Der Herr Doktor iſt doch ein ſo her- vorragend geſcheiter Mann, aber eben offenbar viel zu ſehr mit ſeinen Gedanken beſchäftigt, um ... Ich meine nur, es hat mich gewundert ... es war ja mit der gnädigen Frau jetzt zuweilen ſchon faſt unheimlich, ihm aber ſcheint nichts an ihr aufgefallen zu ſein. Juſtine (trocken). Die Männer ſind alle dumm. Be- ſonders aber die Geſcheiten. Fidelis (noch draußen im Flur, unſichtbar; laut). Ja hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt? <TEI> <text> <body> <div type="act"> <sp who="#THE"> <p><pb facs="#f0019" n="16"/> Viermal, fünfmal ging ſie täglich aus, und jeden Abend<lb/> ins Theater oder in ein Konzert, da ſie doch ſonſt immer<lb/> am liebſten daheim war.</p> </sp><lb/> <sp who="#JUS"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Juſtine.</hi> </hi> </speaker> <p>Was hat denn mein Schwiegerſohn dazu<lb/> geſagt?</p> </sp><lb/> <sp who="#THE"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Thereſe</hi> </hi> </speaker> <stage>(ganz erſtaunt).</stage> <p>Der Herr Doktor?</p> </sp><lb/> <sp who="#JUS"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Juſtine.</hi> </hi> </speaker> <p>Der mag das doch eigentlich nicht.</p> </sp><lb/> <sp who="#THE"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Thereſe</hi> </hi> </speaker> <stage>(eifrig).</stage> <p>Ach der Herr Doktor mag doch<lb/> eigentlich alles, ihm macht doch alles Vergnügen.</p> </sp><lb/> <sp who="#JUS"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Juſtine</hi> </hi> </speaker> <stage>(ſpoͤttiſch).</stage> <p>Alſo der iſt — unverändert? Der<lb/> iſt wenigſtens noch nicht melancholiſch?</p> </sp><lb/> <sp who="#THE"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Thereſe</hi> </hi> </speaker> <stage>(unwillkuͤrlich laͤchelnd).</stage> <p>Nein. Das kann man<lb/> ſich auch kaum vorſtellen.</p> </sp><lb/> <sp who="#JUS"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Juſtine.</hi> </hi> </speaker> <p>Nun und er hat aber nichts bemerkt, an<lb/> meiner Tochter?</p> </sp><lb/> <sp who="#THE"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Thereſe</hi> </hi> </speaker> <stage>(raſch, ganz ernſt).</stage> <p>Der Herr Doktor bemerkt<lb/> doch überhaupt nichts! — <stage>(Erſchrocken, daß ſie etwas<lb/> Ungebuͤhrliches geſagt hat, das ſie nun abſchwaͤchen moͤchte.)</stage><lb/> Ich meine nur —</p> </sp><lb/> <sp who="#JUS"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Juſtine.</hi> </hi> </speaker> <p>Sie haben ſicher recht.</p> </sp><lb/> <sp who="#THE"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Thereſe</hi> </hi> </speaker> <stage>(eifrig).</stage> <p>Der Herr Doktor iſt doch ein ſo her-<lb/> vorragend geſcheiter Mann, aber eben offenbar viel zu<lb/> ſehr mit ſeinen Gedanken beſchäftigt, um ... Ich meine<lb/> nur, es hat mich gewundert ... es war ja mit der<lb/> gnädigen Frau jetzt zuweilen ſchon faſt unheimlich, ihm<lb/> aber ſcheint nichts an ihr aufgefallen zu ſein.</p> </sp><lb/> <sp who="#JUS"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Juſtine</hi> </hi> </speaker> <stage>(trocken).</stage> <p>Die Männer ſind alle dumm. Be-<lb/> ſonders aber die Geſcheiten.</p> </sp><lb/> <sp who="#FID"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker> <stage>(noch draußen im Flur, unſichtbar; laut).</stage> <p>Ja<lb/> hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt?</p> </sp><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [16/0019]
Viermal, fünfmal ging ſie täglich aus, und jeden Abend
ins Theater oder in ein Konzert, da ſie doch ſonſt immer
am liebſten daheim war.
Juſtine. Was hat denn mein Schwiegerſohn dazu
geſagt?
Thereſe (ganz erſtaunt). Der Herr Doktor?
Juſtine. Der mag das doch eigentlich nicht.
Thereſe (eifrig). Ach der Herr Doktor mag doch
eigentlich alles, ihm macht doch alles Vergnügen.
Juſtine (ſpoͤttiſch). Alſo der iſt — unverändert? Der
iſt wenigſtens noch nicht melancholiſch?
Thereſe (unwillkuͤrlich laͤchelnd). Nein. Das kann man
ſich auch kaum vorſtellen.
Juſtine. Nun und er hat aber nichts bemerkt, an
meiner Tochter?
Thereſe (raſch, ganz ernſt). Der Herr Doktor bemerkt
doch überhaupt nichts! — (Erſchrocken, daß ſie etwas
Ungebuͤhrliches geſagt hat, das ſie nun abſchwaͤchen moͤchte.)
Ich meine nur —
Juſtine. Sie haben ſicher recht.
Thereſe (eifrig). Der Herr Doktor iſt doch ein ſo her-
vorragend geſcheiter Mann, aber eben offenbar viel zu
ſehr mit ſeinen Gedanken beſchäftigt, um ... Ich meine
nur, es hat mich gewundert ... es war ja mit der
gnädigen Frau jetzt zuweilen ſchon faſt unheimlich, ihm
aber ſcheint nichts an ihr aufgefallen zu ſein.
Juſtine (trocken). Die Männer ſind alle dumm. Be-
ſonders aber die Geſcheiten.
Fidelis (noch draußen im Flur, unſichtbar; laut). Ja
hat ſie denn meine Depeſche nicht gekriegt?
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