Vocabeln des Jakob Hartlieb, welche schon ihres hohen Alters wegen zwiefaches Jnteresse erregen. Sie sind ganz ausschließlich aus dem tiefen Schmuz der mittelalterlichen Prostitution geschöpft und dienen zugleich zum Beleg für die in der Geschichte der Bor- dellsprache (Th. III, Kap. 39, S. 167) aufgestellte Behauptung, daß die vielen schmuzigen Ausdrücke der liederlichen Weibsbilder, von denen schon die ältesten Vocabulare wimmeln, um so mehr ins Auge fallen müssen, als sie durch ihre meistens fremdartige, gelehrte klerikale Form die Vaterschaft und Gönnerschaft derselben Prostitution scharf kennzeichnen, welche wieder in denselben Voca- bularen Väter und Gönner mit einer Flut gemeiner Bezeichnun- gen herabwürdigt. Ganz besonders bemerkenswerth ist endlich noch bei Hartlieb's Vocabular, daß, obschon es mit dem Narrenschiff und dem Liber Vagatorum zu fast gleicher Zeit (1501) erschien 1), es doch durchaus unabhängig von beiden in voller Originalität dasteht. Die Vocabeln finden sich in der Abhandlung: De fide me | retricum, in suos ama | tores quaestio minus princi | palis, urbanitatis & facetiae causa, in fine | Quodlibeti Heydelbergen: determi | nata a magistro Jacobo Hartlieb | Landonensi: novis qui | busdam additioni | bus nuper illu | strata. | Ach liebe Else, biß mir holt. | M.D.LVII. Sie ward eingeleitet durch zwei ernste, scharfe Hexasticha des Johannes Gallinarius und Johannes Spey- ser Forchemensis, sowie durch eine Vorrede des Crato Uden- hemius, scholis Sletstatinis praefectus, an seine Zuhörer, welche vom 29. Aug. 1501 datirt ist. Die Quästio ist in scholastischem Latein geschrieben, in der damals gängigen eigenthümlichen Form einer akademischen Disputation gehalten, mit vielen Stellen aus römischen Dichtern, besonders Ovid und Virgil, sowie mit Citaten aus dem römischen und kanonischen Rechte belegt und mit aller- hand deutschen Redensarten und Uebersetzungen durchzogen. Ob-
1) Das Vocabular hätte somit nach strenger chronologischer Ordnung hier unmittelbar nach dem Liber Vagatorum aufgeführt werden müssen. Doch durfte der genaue Zusammenhang, in welchem der Liber Vagatorum mit der Rot- welschen Grammatik und dem Bedeler orden steht, bei Erläuterung der Voca- beln nicht zerrissen werden.
Vocabeln des Jakob Hartlieb, welche ſchon ihres hohen Alters wegen zwiefaches Jntereſſe erregen. Sie ſind ganz ausſchließlich aus dem tiefen Schmuz der mittelalterlichen Proſtitution geſchöpft und dienen zugleich zum Beleg für die in der Geſchichte der Bor- dellſprache (Th. III, Kap. 39, S. 167) aufgeſtellte Behauptung, daß die vielen ſchmuzigen Ausdrücke der liederlichen Weibsbilder, von denen ſchon die älteſten Vocabulare wimmeln, um ſo mehr ins Auge fallen müſſen, als ſie durch ihre meiſtens fremdartige, gelehrte klerikale Form die Vaterſchaft und Gönnerſchaft derſelben Proſtitution ſcharf kennzeichnen, welche wieder in denſelben Voca- bularen Väter und Gönner mit einer Flut gemeiner Bezeichnun- gen herabwürdigt. Ganz beſonders bemerkenswerth iſt endlich noch bei Hartlieb’s Vocabular, daß, obſchon es mit dem Narrenſchiff und dem Liber Vagatorum zu faſt gleicher Zeit (1501) erſchien 1), es doch durchaus unabhängig von beiden in voller Originalität daſteht. Die Vocabeln finden ſich in der Abhandlung: De fide me | retricum, in suos ama | tores quaestio minus princi | palis, urbanitatis & facetiae causa, in fine | Quodlibeti Heydelbergen: determi | nata a magistro Jacobo Hartlieb | Landonensi: novis qui | busdam additioni | bus nuper illu | strata. | Ach liebe Elſe, biß mir holt. | M.D.LVII. Sie ward eingeleitet durch zwei ernſte, ſcharfe Hexaſticha des Johannes Gallinarius und Johannes Spey- ser Forchemensis, ſowie durch eine Vorrede des Crato Uden- hemius, scholis Sletstatinis praefectus, an ſeine Zuhörer, welche vom 29. Aug. 1501 datirt iſt. Die Quäſtio iſt in ſcholaſtiſchem Latein geſchrieben, in der damals gängigen eigenthümlichen Form einer akademiſchen Disputation gehalten, mit vielen Stellen aus römiſchen Dichtern, beſonders Ovid und Virgil, ſowie mit Citaten aus dem römiſchen und kanoniſchen Rechte belegt und mit aller- hand deutſchen Redensarten und Ueberſetzungen durchzogen. Ob-
1) Das Vocabular hätte ſomit nach ſtrenger chronologiſcher Ordnung hier unmittelbar nach dem Liber Vagatorum aufgeführt werden müſſen. Doch durfte der genaue Zuſammenhang, in welchem der Liber Vagatorum mit der Rot- welſchen Grammatik und dem Bedeler orden ſteht, bei Erläuterung der Voca- beln nicht zerriſſen werden.
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[71/0083]
Vocabeln des Jakob Hartlieb, welche ſchon ihres hohen Alters
wegen zwiefaches Jntereſſe erregen. Sie ſind ganz ausſchließlich
aus dem tiefen Schmuz der mittelalterlichen Proſtitution geſchöpft
und dienen zugleich zum Beleg für die in der Geſchichte der Bor-
dellſprache (Th. III, Kap. 39, S. 167) aufgeſtellte Behauptung,
daß die vielen ſchmuzigen Ausdrücke der liederlichen Weibsbilder,
von denen ſchon die älteſten Vocabulare wimmeln, um ſo mehr
ins Auge fallen müſſen, als ſie durch ihre meiſtens fremdartige,
gelehrte klerikale Form die Vaterſchaft und Gönnerſchaft derſelben
Proſtitution ſcharf kennzeichnen, welche wieder in denſelben Voca-
bularen Väter und Gönner mit einer Flut gemeiner Bezeichnun-
gen herabwürdigt. Ganz beſonders bemerkenswerth iſt endlich noch
bei Hartlieb’s Vocabular, daß, obſchon es mit dem Narrenſchiff
und dem Liber Vagatorum zu faſt gleicher Zeit (1501) erſchien 1),
es doch durchaus unabhängig von beiden in voller Originalität
daſteht. Die Vocabeln finden ſich in der Abhandlung: De fide
me | retricum, in suos ama | tores quaestio minus princi | palis,
urbanitatis & facetiae causa, in fine | Quodlibeti Heydelbergen:
determi | nata a magistro Jacobo Hartlieb | Landonensi: novis
qui | busdam additioni | bus nuper illu | strata. | Ach liebe Elſe,
biß mir holt. | M.D.LVII. Sie ward eingeleitet durch zwei ernſte,
ſcharfe Hexaſticha des Johannes Gallinarius und Johannes Spey-
ser Forchemensis, ſowie durch eine Vorrede des Crato Uden-
hemius, scholis Sletstatinis praefectus, an ſeine Zuhörer, welche
vom 29. Aug. 1501 datirt iſt. Die Quäſtio iſt in ſcholaſtiſchem
Latein geſchrieben, in der damals gängigen eigenthümlichen Form
einer akademiſchen Disputation gehalten, mit vielen Stellen aus
römiſchen Dichtern, beſonders Ovid und Virgil, ſowie mit Citaten
aus dem römiſchen und kanoniſchen Rechte belegt und mit aller-
hand deutſchen Redensarten und Ueberſetzungen durchzogen. Ob-
1) Das Vocabular hätte ſomit nach ſtrenger chronologiſcher Ordnung hier
unmittelbar nach dem Liber Vagatorum aufgeführt werden müſſen. Doch durfte
der genaue Zuſammenhang, in welchem der Liber Vagatorum mit der Rot-
welſchen Grammatik und dem Bedeler orden ſteht, bei Erläuterung der Voca-
beln nicht zerriſſen werden.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/83>, abgerufen am 24.11.2024.
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