Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Vocabeln des Jakob Hartlieb, welche schon ihres hohen Alters
wegen zwiefaches Jnteresse erregen. Sie sind ganz ausschließlich
aus dem tiefen Schmuz der mittelalterlichen Prostitution geschöpft
und dienen zugleich zum Beleg für die in der Geschichte der Bor-
dellsprache (Th. III, Kap. 39, S. 167) aufgestellte Behauptung,
daß die vielen schmuzigen Ausdrücke der liederlichen Weibsbilder,
von denen schon die ältesten Vocabulare wimmeln, um so mehr
ins Auge fallen müssen, als sie durch ihre meistens fremdartige,
gelehrte klerikale Form die Vaterschaft und Gönnerschaft derselben
Prostitution scharf kennzeichnen, welche wieder in denselben Voca-
bularen Väter und Gönner mit einer Flut gemeiner Bezeichnun-
gen herabwürdigt. Ganz besonders bemerkenswerth ist endlich noch
bei Hartlieb's Vocabular, daß, obschon es mit dem Narrenschiff
und dem Liber Vagatorum zu fast gleicher Zeit (1501) erschien 1),
es doch durchaus unabhängig von beiden in voller Originalität
dasteht. Die Vocabeln finden sich in der Abhandlung: De fide
me | retricum, in suos ama | tores quaestio minus princi | palis,
urbanitatis & facetiae causa, in fine | Quodlibeti Heydelbergen:
determi | nata a magistro Jacobo Hartlieb | Landonensi: novis
qui | busdam additioni | bus nuper illu | strata.
| Ach liebe Else,
biß mir holt.
| M.D.LVII. Sie ward eingeleitet durch zwei ernste,
scharfe Hexasticha des Johannes Gallinarius und Johannes Spey-
ser Forchemensis,
sowie durch eine Vorrede des Crato Uden-
hemius, scholis Sletstatinis praefectus,
an seine Zuhörer, welche
vom 29. Aug. 1501 datirt ist. Die Quästio ist in scholastischem
Latein geschrieben, in der damals gängigen eigenthümlichen Form
einer akademischen Disputation gehalten, mit vielen Stellen aus
römischen Dichtern, besonders Ovid und Virgil, sowie mit Citaten
aus dem römischen und kanonischen Rechte belegt und mit aller-
hand deutschen Redensarten und Uebersetzungen durchzogen. Ob-

1) Das Vocabular hätte somit nach strenger chronologischer Ordnung hier
unmittelbar nach dem Liber Vagatorum aufgeführt werden müssen. Doch durfte
der genaue Zusammenhang, in welchem der Liber Vagatorum mit der Rot-
welschen Grammatik und dem Bedeler orden steht, bei Erläuterung der Voca-
beln nicht zerrissen werden.

Vocabeln des Jakob Hartlieb, welche ſchon ihres hohen Alters
wegen zwiefaches Jntereſſe erregen. Sie ſind ganz ausſchließlich
aus dem tiefen Schmuz der mittelalterlichen Proſtitution geſchöpft
und dienen zugleich zum Beleg für die in der Geſchichte der Bor-
dellſprache (Th. III, Kap. 39, S. 167) aufgeſtellte Behauptung,
daß die vielen ſchmuzigen Ausdrücke der liederlichen Weibsbilder,
von denen ſchon die älteſten Vocabulare wimmeln, um ſo mehr
ins Auge fallen müſſen, als ſie durch ihre meiſtens fremdartige,
gelehrte klerikale Form die Vaterſchaft und Gönnerſchaft derſelben
Proſtitution ſcharf kennzeichnen, welche wieder in denſelben Voca-
bularen Väter und Gönner mit einer Flut gemeiner Bezeichnun-
gen herabwürdigt. Ganz beſonders bemerkenswerth iſt endlich noch
bei Hartlieb’s Vocabular, daß, obſchon es mit dem Narrenſchiff
und dem Liber Vagatorum zu faſt gleicher Zeit (1501) erſchien 1),
es doch durchaus unabhängig von beiden in voller Originalität
daſteht. Die Vocabeln finden ſich in der Abhandlung: De fide
me | retricum, in suos ama | tores quaestio minus princi | palis,
urbanitatis & facetiae causa, in fine | Quodlibeti Heydelbergen:
determi | nata a magistro Jacobo Hartlieb | Landonensi: novis
qui | busdam additioni | bus nuper illu | strata.
| Ach liebe Elſe,
biß mir holt.
| M.D.LVII. Sie ward eingeleitet durch zwei ernſte,
ſcharfe Hexaſticha des Johannes Gallinarius und Johannes Spey-
ser Forchemensis,
ſowie durch eine Vorrede des Crato Uden-
hemius, scholis Sletstatinis praefectus,
an ſeine Zuhörer, welche
vom 29. Aug. 1501 datirt iſt. Die Quäſtio iſt in ſcholaſtiſchem
Latein geſchrieben, in der damals gängigen eigenthümlichen Form
einer akademiſchen Disputation gehalten, mit vielen Stellen aus
römiſchen Dichtern, beſonders Ovid und Virgil, ſowie mit Citaten
aus dem römiſchen und kanoniſchen Rechte belegt und mit aller-
hand deutſchen Redensarten und Ueberſetzungen durchzogen. Ob-

1) Das Vocabular hätte ſomit nach ſtrenger chronologiſcher Ordnung hier
unmittelbar nach dem Liber Vagatorum aufgeführt werden müſſen. Doch durfte
der genaue Zuſammenhang, in welchem der Liber Vagatorum mit der Rot-
welſchen Grammatik und dem Bedeler orden ſteht, bei Erläuterung der Voca-
beln nicht zerriſſen werden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0083" n="71"/>
Vocabeln des Jakob Hartlieb, welche &#x017F;chon ihres hohen Alters<lb/>
wegen zwiefaches Jntere&#x017F;&#x017F;e erregen. Sie &#x017F;ind ganz aus&#x017F;chließlich<lb/>
aus dem tiefen Schmuz der mittelalterlichen Pro&#x017F;titution ge&#x017F;chöpft<lb/>
und dienen zugleich zum Beleg für die in der Ge&#x017F;chichte der Bor-<lb/>
dell&#x017F;prache (Th. <hi rendition="#aq">III</hi>, Kap. 39, S. 167) aufge&#x017F;tellte Behauptung,<lb/>
daß die vielen &#x017F;chmuzigen Ausdrücke der liederlichen Weibsbilder,<lb/>
von denen &#x017F;chon die älte&#x017F;ten Vocabulare wimmeln, um &#x017F;o mehr<lb/>
ins Auge fallen mü&#x017F;&#x017F;en, als &#x017F;ie durch ihre mei&#x017F;tens fremdartige,<lb/>
gelehrte klerikale Form die Vater&#x017F;chaft und Gönner&#x017F;chaft der&#x017F;elben<lb/>
Pro&#x017F;titution &#x017F;charf kennzeichnen, welche wieder in den&#x017F;elben Voca-<lb/>
bularen Väter und Gönner mit einer Flut gemeiner Bezeichnun-<lb/>
gen herabwürdigt. Ganz be&#x017F;onders bemerkenswerth i&#x017F;t endlich noch<lb/>
bei Hartlieb&#x2019;s Vocabular, daß, ob&#x017F;chon es mit dem Narren&#x017F;chiff<lb/>
und dem <hi rendition="#aq">Liber Vagatorum</hi> zu fa&#x017F;t gleicher Zeit (1501) er&#x017F;chien <note place="foot" n="1)">Das Vocabular hätte &#x017F;omit nach &#x017F;trenger chronologi&#x017F;cher Ordnung hier<lb/>
unmittelbar nach dem <hi rendition="#aq">Liber Vagatorum</hi> aufgeführt werden mü&#x017F;&#x017F;en. Doch durfte<lb/>
der genaue Zu&#x017F;ammenhang, in welchem der <hi rendition="#aq">Liber Vagatorum</hi> mit der Rot-<lb/>
wel&#x017F;chen Grammatik und dem Bedeler orden &#x017F;teht, bei Erläuterung der Voca-<lb/>
beln nicht zerri&#x017F;&#x017F;en werden.</note>,<lb/>
es doch durchaus unabhängig von beiden in voller Originalität<lb/>
da&#x017F;teht. Die Vocabeln finden &#x017F;ich in der Abhandlung: <hi rendition="#aq">De fide<lb/>
me | retricum, in suos ama | tores quaestio minus princi | palis,<lb/>
urbanitatis &amp; facetiae causa, in fine | Quodlibeti Heydelbergen:<lb/>
determi | nata a magistro Jacobo Hartlieb | Landonensi: novis<lb/>
qui | busdam additioni | bus nuper illu | strata.</hi> | <hi rendition="#fr">Ach liebe El&#x017F;e,<lb/>
biß mir holt.</hi> | <hi rendition="#aq">M.D.LVII.</hi> Sie ward eingeleitet durch zwei ern&#x017F;te,<lb/>
&#x017F;charfe Hexa&#x017F;ticha des <hi rendition="#aq">Johannes Gallinarius</hi> und <hi rendition="#aq">Johannes Spey-<lb/>
ser Forchemensis,</hi> &#x017F;owie durch eine Vorrede des <hi rendition="#aq">Crato Uden-<lb/>
hemius, scholis Sletstatinis praefectus,</hi> an &#x017F;eine Zuhörer, welche<lb/>
vom 29. Aug. 1501 datirt i&#x017F;t. Die Quä&#x017F;tio i&#x017F;t in &#x017F;chola&#x017F;ti&#x017F;chem<lb/>
Latein ge&#x017F;chrieben, in der damals gängigen eigenthümlichen Form<lb/>
einer akademi&#x017F;chen Disputation gehalten, mit vielen Stellen aus<lb/>
römi&#x017F;chen Dichtern, be&#x017F;onders Ovid und Virgil, &#x017F;owie mit Citaten<lb/>
aus dem römi&#x017F;chen und kanoni&#x017F;chen Rechte belegt und mit aller-<lb/>
hand deut&#x017F;chen Redensarten und Ueber&#x017F;etzungen durchzogen. Ob-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0083] Vocabeln des Jakob Hartlieb, welche ſchon ihres hohen Alters wegen zwiefaches Jntereſſe erregen. Sie ſind ganz ausſchließlich aus dem tiefen Schmuz der mittelalterlichen Proſtitution geſchöpft und dienen zugleich zum Beleg für die in der Geſchichte der Bor- dellſprache (Th. III, Kap. 39, S. 167) aufgeſtellte Behauptung, daß die vielen ſchmuzigen Ausdrücke der liederlichen Weibsbilder, von denen ſchon die älteſten Vocabulare wimmeln, um ſo mehr ins Auge fallen müſſen, als ſie durch ihre meiſtens fremdartige, gelehrte klerikale Form die Vaterſchaft und Gönnerſchaft derſelben Proſtitution ſcharf kennzeichnen, welche wieder in denſelben Voca- bularen Väter und Gönner mit einer Flut gemeiner Bezeichnun- gen herabwürdigt. Ganz beſonders bemerkenswerth iſt endlich noch bei Hartlieb’s Vocabular, daß, obſchon es mit dem Narrenſchiff und dem Liber Vagatorum zu faſt gleicher Zeit (1501) erſchien 1), es doch durchaus unabhängig von beiden in voller Originalität daſteht. Die Vocabeln finden ſich in der Abhandlung: De fide me | retricum, in suos ama | tores quaestio minus princi | palis, urbanitatis & facetiae causa, in fine | Quodlibeti Heydelbergen: determi | nata a magistro Jacobo Hartlieb | Landonensi: novis qui | busdam additioni | bus nuper illu | strata. | Ach liebe Elſe, biß mir holt. | M.D.LVII. Sie ward eingeleitet durch zwei ernſte, ſcharfe Hexaſticha des Johannes Gallinarius und Johannes Spey- ser Forchemensis, ſowie durch eine Vorrede des Crato Uden- hemius, scholis Sletstatinis praefectus, an ſeine Zuhörer, welche vom 29. Aug. 1501 datirt iſt. Die Quäſtio iſt in ſcholaſtiſchem Latein geſchrieben, in der damals gängigen eigenthümlichen Form einer akademiſchen Disputation gehalten, mit vielen Stellen aus römiſchen Dichtern, beſonders Ovid und Virgil, ſowie mit Citaten aus dem römiſchen und kanoniſchen Rechte belegt und mit aller- hand deutſchen Redensarten und Ueberſetzungen durchzogen. Ob- 1) Das Vocabular hätte ſomit nach ſtrenger chronologiſcher Ordnung hier unmittelbar nach dem Liber Vagatorum aufgeführt werden müſſen. Doch durfte der genaue Zuſammenhang, in welchem der Liber Vagatorum mit der Rot- welſchen Grammatik und dem Bedeler orden ſteht, bei Erläuterung der Voca- beln nicht zerriſſen werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/83
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/83>, abgerufen am 18.05.2024.