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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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schaft aus den höchsten und untersten Ständen in sich vereinigte,
weder an Geschick noch an Gelegenheit, Geheimnisse zu erforschen,
wo es darauf ankam. Auch sind genug Cabinets- und Depefchen-
diebstähle bekannt geworden, zum Zeichen, daß die raffinirte Kunst
jederzeit das zu verlangen verstand, dessen Besitz sie für nützlich
hielt und erlangen wollte.

Die Abweisung einer specifischen Gaunerschrift liegt tief im
Wesen des Gaunerthums begründet. Versteck und Beweglichkeit
sind die Hauptfactoren, welche sich gegen jede systematische Sta-
tuirung auflehnen, weil mit der Ergründung des Systems die
ganze Ausdrucksform und ihr belebender Geist bloßgelegt und ver-
rathen sind. Die vom Gaunerthum mit kühnem Griff in die ab-
stractesten entlegensten Formen menschlichen Verkehrs und Wissens
herbeigeholten und nutzbar gemachten Typen waren immer nur
Fragmente und ebenso rasch mit dem Stempel des geheimen Ver-
ständnisses zu versehen, wie überhaupt auch ebenso leicht wieder zu
verwerfen, sobald sie nicht mehr verborgen und im Versteck beweg-
lich blieben. Daher findet sich denn in der vielhundertjährigen
Geschichte des Gaunerthums keine Spur einer besondern systema-
tischen Gaunerschrift. Denn das Judendeutsch mit seiner deutsch-
rabbinischen und Currentschrift war und blieb nationales Eigen-
thum des in Deutschland zerstreuten jüdischen Volkes und merk-
würdig ist, daß, obschon die jüdischdeutschen Typen das deutsche
Gaunerthum in Sitte und Sprache bis zur stärksten Verfärbung
durchzogen haben, doch actenmäßig von wenigen oder gar keinen
christlichen Gaunern bekannt oder nachgewiesen ist, daß sie die
jüdischdeutsche Currentschrift hätten lesen oder schreiben können,
wiewol es durchaus unzweifelhaft ist, daß es viele Ausnahmen
der Art gegeben hat und besonders jetzt gibt. Durch jene beson-
dere graphische Ausdrucksweise hatte der aus Juden bestehende
Theil des deutschen Gaunerthums manches im voraus und nur
die unklare Auffassung dieses Vorzugs hat diese Typen als Grund-
lage eines besondern und besonders befähigten jüdischen Gauner-
thums bezeichnen können.

Jn der ganzen Geschichte des Gaunerthums finden sich nur

ſchaft aus den höchſten und unterſten Ständen in ſich vereinigte,
weder an Geſchick noch an Gelegenheit, Geheimniſſe zu erforſchen,
wo es darauf ankam. Auch ſind genug Cabinets- und Depefchen-
diebſtähle bekannt geworden, zum Zeichen, daß die raffinirte Kunſt
jederzeit das zu verlangen verſtand, deſſen Beſitz ſie für nützlich
hielt und erlangen wollte.

Die Abweiſung einer ſpecifiſchen Gaunerſchrift liegt tief im
Weſen des Gaunerthums begründet. Verſteck und Beweglichkeit
ſind die Hauptfactoren, welche ſich gegen jede ſyſtematiſche Sta-
tuirung auflehnen, weil mit der Ergründung des Syſtems die
ganze Ausdrucksform und ihr belebender Geiſt bloßgelegt und ver-
rathen ſind. Die vom Gaunerthum mit kühnem Griff in die ab-
ſtracteſten entlegenſten Formen menſchlichen Verkehrs und Wiſſens
herbeigeholten und nutzbar gemachten Typen waren immer nur
Fragmente und ebenſo raſch mit dem Stempel des geheimen Ver-
ſtändniſſes zu verſehen, wie überhaupt auch ebenſo leicht wieder zu
verwerfen, ſobald ſie nicht mehr verborgen und im Verſteck beweg-
lich blieben. Daher findet ſich denn in der vielhundertjährigen
Geſchichte des Gaunerthums keine Spur einer beſondern ſyſtema-
tiſchen Gaunerſchrift. Denn das Judendeutſch mit ſeiner deutſch-
rabbiniſchen und Currentſchrift war und blieb nationales Eigen-
thum des in Deutſchland zerſtreuten jüdiſchen Volkes und merk-
würdig iſt, daß, obſchon die jüdiſchdeutſchen Typen das deutſche
Gaunerthum in Sitte und Sprache bis zur ſtärkſten Verfärbung
durchzogen haben, doch actenmäßig von wenigen oder gar keinen
chriſtlichen Gaunern bekannt oder nachgewieſen iſt, daß ſie die
jüdiſchdeutſche Currentſchrift hätten leſen oder ſchreiben können,
wiewol es durchaus unzweifelhaft iſt, daß es viele Ausnahmen
der Art gegeben hat und beſonders jetzt gibt. Durch jene beſon-
dere graphiſche Ausdrucksweiſe hatte der aus Juden beſtehende
Theil des deutſchen Gaunerthums manches im voraus und nur
die unklare Auffaſſung dieſes Vorzugs hat dieſe Typen als Grund-
lage eines beſondern und beſonders befähigten jüdiſchen Gauner-
thums bezeichnen können.

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[44/0056] ſchaft aus den höchſten und unterſten Ständen in ſich vereinigte, weder an Geſchick noch an Gelegenheit, Geheimniſſe zu erforſchen, wo es darauf ankam. Auch ſind genug Cabinets- und Depefchen- diebſtähle bekannt geworden, zum Zeichen, daß die raffinirte Kunſt jederzeit das zu verlangen verſtand, deſſen Beſitz ſie für nützlich hielt und erlangen wollte. Die Abweiſung einer ſpecifiſchen Gaunerſchrift liegt tief im Weſen des Gaunerthums begründet. Verſteck und Beweglichkeit ſind die Hauptfactoren, welche ſich gegen jede ſyſtematiſche Sta- tuirung auflehnen, weil mit der Ergründung des Syſtems die ganze Ausdrucksform und ihr belebender Geiſt bloßgelegt und ver- rathen ſind. Die vom Gaunerthum mit kühnem Griff in die ab- ſtracteſten entlegenſten Formen menſchlichen Verkehrs und Wiſſens herbeigeholten und nutzbar gemachten Typen waren immer nur Fragmente und ebenſo raſch mit dem Stempel des geheimen Ver- ſtändniſſes zu verſehen, wie überhaupt auch ebenſo leicht wieder zu verwerfen, ſobald ſie nicht mehr verborgen und im Verſteck beweg- lich blieben. Daher findet ſich denn in der vielhundertjährigen Geſchichte des Gaunerthums keine Spur einer beſondern ſyſtema- tiſchen Gaunerſchrift. Denn das Judendeutſch mit ſeiner deutſch- rabbiniſchen und Currentſchrift war und blieb nationales Eigen- thum des in Deutſchland zerſtreuten jüdiſchen Volkes und merk- würdig iſt, daß, obſchon die jüdiſchdeutſchen Typen das deutſche Gaunerthum in Sitte und Sprache bis zur ſtärkſten Verfärbung durchzogen haben, doch actenmäßig von wenigen oder gar keinen chriſtlichen Gaunern bekannt oder nachgewieſen iſt, daß ſie die jüdiſchdeutſche Currentſchrift hätten leſen oder ſchreiben können, wiewol es durchaus unzweifelhaft iſt, daß es viele Ausnahmen der Art gegeben hat und beſonders jetzt gibt. Durch jene beſon- dere graphiſche Ausdrucksweiſe hatte der aus Juden beſtehende Theil des deutſchen Gaunerthums manches im voraus und nur die unklare Auffaſſung dieſes Vorzugs hat dieſe Typen als Grund- lage eines beſondern und beſonders befähigten jüdiſchen Gauner- thums bezeichnen können. Jn der ganzen Geſchichte des Gaunerthums finden ſich nur

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/56>, abgerufen am 24.11.2024.