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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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des Volks gewiesene Gaunerthum vom Aberglauben befangen:
aber es hatte doch vollauf Objectivität, den platten Unsinn, Lug
und Trug des Zaubermysticismus vollkommen zu erkennen und
gerade in dieser Erkenntniß zum vollsten Spott und Hohn über
Form und Volk verwegen in diese Formen hineinzugreifen, ledig-
lich um sie bei Gelegenheit zu seinen rationellen Zwecken auszu-
beuten. Niemals anders machte es die zaubermystischen Typen zu
seinem Eigenthum und niemals können diese Typen als Ausdruck
seiner besondern Eigenthümlichkeit gelten. So findet man die
Sefelgräber, Rochlim, Zachkener u. s. w. im Besitze eines bedeu-
tenden zaubermystischen Formelapparats und sieht sie denselben mit
einer so gläubigen Hingabe und Fertigkeit handhaben, daß sogar
das Mitleid über die tiefe Verblendung des Gauklers oft rege
werden und man nahezu es natürlich finden möchte, wie in voll-
kommener Erfassung der Unwissenheit und Schwäche des Volks
der Betrüger die blinde Menge mit sich fortreißt. Auch in der
Zaubermystik blieb das Gaunerthum objectiv und in der Benutzung
ihrer Typen durchaus besonnen und eklektisch.

Wollte man in Zweifel ziehen, daß dem Gaunerthum die
Geheimschreiberei wirklich ein verschlossenes Geheimniß geblieben
sei, so muß man auf den vorsichtigen, bunten und häufigen Wech-
sel der kryptographischen Methoden und Typen selbst verweisen,
welcher also doch Verdacht hatte und die Gefahr des Verraths
voraussetzte, und darf namentlich als schlagenden thatsächlichen
Beweis anführen, daß gerade am Central- und Glanzpunkte der
Kryptographie, am französischen Hofe, im ersten Viertel des vori-
gen Jahrhunderts, wo die von Richelieu und Ludwig XIV. mäch-
tig geförderte feine intriguante diplomatische und polizeiliche Kunst
zur höchsten Blüte gebracht war, ein Gauner mit seinen zahlreichen
Spießgesellen, Cartouche, es war, welcher, noch schlauer als die
schlaueste Diplomatie und Polizei, überall hindrang, wohin er
hindringen wollte, den Hof und alle seine Jntriguanten beherrschte
und von bedeutendem politischen Einfluß gewesen wäre, wenn er
es auf etwas anderes als auf den kahlen egoistischen Diebstahl
abgesehen hätte. Es fehlte dem Gaunerthum, welches seine Jünger-

des Volks gewieſene Gaunerthum vom Aberglauben befangen:
aber es hatte doch vollauf Objectivität, den platten Unſinn, Lug
und Trug des Zaubermyſticismus vollkommen zu erkennen und
gerade in dieſer Erkenntniß zum vollſten Spott und Hohn über
Form und Volk verwegen in dieſe Formen hineinzugreifen, ledig-
lich um ſie bei Gelegenheit zu ſeinen rationellen Zwecken auszu-
beuten. Niemals anders machte es die zaubermyſtiſchen Typen zu
ſeinem Eigenthum und niemals können dieſe Typen als Ausdruck
ſeiner beſondern Eigenthümlichkeit gelten. So findet man die
Sefelgräber, Rochlim, Zachkener u. ſ. w. im Beſitze eines bedeu-
tenden zaubermyſtiſchen Formelapparats und ſieht ſie denſelben mit
einer ſo gläubigen Hingabe und Fertigkeit handhaben, daß ſogar
das Mitleid über die tiefe Verblendung des Gauklers oft rege
werden und man nahezu es natürlich finden möchte, wie in voll-
kommener Erfaſſung der Unwiſſenheit und Schwäche des Volks
der Betrüger die blinde Menge mit ſich fortreißt. Auch in der
Zaubermyſtik blieb das Gaunerthum objectiv und in der Benutzung
ihrer Typen durchaus beſonnen und eklektiſch.

Wollte man in Zweifel ziehen, daß dem Gaunerthum die
Geheimſchreiberei wirklich ein verſchloſſenes Geheimniß geblieben
ſei, ſo muß man auf den vorſichtigen, bunten und häufigen Wech-
ſel der kryptographiſchen Methoden und Typen ſelbſt verweiſen,
welcher alſo doch Verdacht hatte und die Gefahr des Verraths
vorausſetzte, und darf namentlich als ſchlagenden thatſächlichen
Beweis anführen, daß gerade am Central- und Glanzpunkte der
Kryptographie, am franzöſiſchen Hofe, im erſten Viertel des vori-
gen Jahrhunderts, wo die von Richelieu und Ludwig XIV. mäch-
tig geförderte feine intriguante diplomatiſche und polizeiliche Kunſt
zur höchſten Blüte gebracht war, ein Gauner mit ſeinen zahlreichen
Spießgeſellen, Cartouche, es war, welcher, noch ſchlauer als die
ſchlaueſte Diplomatie und Polizei, überall hindrang, wohin er
hindringen wollte, den Hof und alle ſeine Jntriguanten beherrſchte
und von bedeutendem politiſchen Einfluß geweſen wäre, wenn er
es auf etwas anderes als auf den kahlen egoiſtiſchen Diebſtahl
abgeſehen hätte. Es fehlte dem Gaunerthum, welches ſeine Jünger-

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[43/0055] des Volks gewieſene Gaunerthum vom Aberglauben befangen: aber es hatte doch vollauf Objectivität, den platten Unſinn, Lug und Trug des Zaubermyſticismus vollkommen zu erkennen und gerade in dieſer Erkenntniß zum vollſten Spott und Hohn über Form und Volk verwegen in dieſe Formen hineinzugreifen, ledig- lich um ſie bei Gelegenheit zu ſeinen rationellen Zwecken auszu- beuten. Niemals anders machte es die zaubermyſtiſchen Typen zu ſeinem Eigenthum und niemals können dieſe Typen als Ausdruck ſeiner beſondern Eigenthümlichkeit gelten. So findet man die Sefelgräber, Rochlim, Zachkener u. ſ. w. im Beſitze eines bedeu- tenden zaubermyſtiſchen Formelapparats und ſieht ſie denſelben mit einer ſo gläubigen Hingabe und Fertigkeit handhaben, daß ſogar das Mitleid über die tiefe Verblendung des Gauklers oft rege werden und man nahezu es natürlich finden möchte, wie in voll- kommener Erfaſſung der Unwiſſenheit und Schwäche des Volks der Betrüger die blinde Menge mit ſich fortreißt. Auch in der Zaubermyſtik blieb das Gaunerthum objectiv und in der Benutzung ihrer Typen durchaus beſonnen und eklektiſch. Wollte man in Zweifel ziehen, daß dem Gaunerthum die Geheimſchreiberei wirklich ein verſchloſſenes Geheimniß geblieben ſei, ſo muß man auf den vorſichtigen, bunten und häufigen Wech- ſel der kryptographiſchen Methoden und Typen ſelbſt verweiſen, welcher alſo doch Verdacht hatte und die Gefahr des Verraths vorausſetzte, und darf namentlich als ſchlagenden thatſächlichen Beweis anführen, daß gerade am Central- und Glanzpunkte der Kryptographie, am franzöſiſchen Hofe, im erſten Viertel des vori- gen Jahrhunderts, wo die von Richelieu und Ludwig XIV. mäch- tig geförderte feine intriguante diplomatiſche und polizeiliche Kunſt zur höchſten Blüte gebracht war, ein Gauner mit ſeinen zahlreichen Spießgeſellen, Cartouche, es war, welcher, noch ſchlauer als die ſchlaueſte Diplomatie und Polizei, überall hindrang, wohin er hindringen wollte, den Hof und alle ſeine Jntriguanten beherrſchte und von bedeutendem politiſchen Einfluß geweſen wäre, wenn er es auf etwas anderes als auf den kahlen egoiſtiſchen Diebſtahl abgeſehen hätte. Es fehlte dem Gaunerthum, welches ſeine Jünger-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/55>, abgerufen am 24.11.2024.