rühmten, mit echt deutschem Fleiß und Geist geschriebenen, schon oft erwähnten Werks: "Die Zigeuner in Europa und Asien", der Gaunerlinguistik die Bahn gebrochen, indem er den Wortvor- rath der von ihm geistvoll aufgefaßten und definirten Gauner- sprache analytisch behandelte, sie nach ihrer logischen Bedeutung untersuchte und, durch seine glänzende Sprachkenntniß unterstützt, mit verwandten, ähnlichen und entsprechenden Wortformen ande- rer Sprachen verglich. Begeht er dabei mancherlei Jrrthümer, so ist das der großen Beschränktheit der ihm zur Hand gegebenen Quellen und seinem Mangel an eingehender Kenntniß des Juden- deutsch zuzuschreiben. Man darf ihm auch den Vorwurf nicht er- sparen, daß er dem Dialektischen, besonders aber dem merkwürdig stark durchscheinenden niederdeutschen Dialekt, zu wenig Rechnung getragen hat. Seine Untersuchungen sind überhaupt auch nur ver- einzelte Aphorismen. Aber immer sind sie doch originell und geist- voll, und jedenfalls gebührt Pott das Verdienst, zuerst und gründ- lich auf den Bau der Gaunersprache aufmerksam gemacht und den Weg zu ihrer etymologischen und kritischen Bearbeitung angebahnt zu haben. Zu den auffälligen Jrrthümern Pott's gehört z. B. S. 16 Serfschnorrer, Brandbettler, vom deutschen schnorren und dem zig. serfo, die Linke, anstatt vom jüdischdeutschen saraph, brennen; ferner ebendaselbst Stühre, Stirigen, Henne, von Stärchen, kleiner Staar, anstatt von stiren, stüren, scharren, wovon die wienerischen Knochensammler den Namen Banlstierer haben. Ferner S. 23: Schoter, Schauter, Büttel, vom deut- schen Schauder, weil die Schuldigen Schauder vor ihm bekommen, anstatt vom jüdischdeutschen schot, Geißel; S. 31: Handwasser, Schuster (zu eng nach dem waldheimer Lexikon), weil seine Hände allerdings des Wassers bedürfen, anstatt aus der schon oben (S. 103) erwähnten corrumpirten niederdeutschen Aussprache von Handwerker; S. 32 ist Mitteleile, Mitternacht, und Mittiom, Mittag, kei- neswegs hybrider oder ganz fremder Ausdruck, sondern Composi- tion vom deutschen Mitte und dem hebräischen laila, Nacht, und jom, Tag; ebenso wenig ist Lehmschuppen, Backhaus, hybri- disch, da es aus dem hebräischen lechem, Brod, und dem deut-
Ave-Lallemant, Gaunerthum. IV. 18
rühmten, mit echt deutſchem Fleiß und Geiſt geſchriebenen, ſchon oft erwähnten Werks: „Die Zigeuner in Europa und Aſien“, der Gaunerlinguiſtik die Bahn gebrochen, indem er den Wortvor- rath der von ihm geiſtvoll aufgefaßten und definirten Gauner- ſprache analytiſch behandelte, ſie nach ihrer logiſchen Bedeutung unterſuchte und, durch ſeine glänzende Sprachkenntniß unterſtützt, mit verwandten, ähnlichen und entſprechenden Wortformen ande- rer Sprachen verglich. Begeht er dabei mancherlei Jrrthümer, ſo iſt das der großen Beſchränktheit der ihm zur Hand gegebenen Quellen und ſeinem Mangel an eingehender Kenntniß des Juden- deutſch zuzuſchreiben. Man darf ihm auch den Vorwurf nicht er- ſparen, daß er dem Dialektiſchen, beſonders aber dem merkwürdig ſtark durchſcheinenden niederdeutſchen Dialekt, zu wenig Rechnung getragen hat. Seine Unterſuchungen ſind überhaupt auch nur ver- einzelte Aphorismen. Aber immer ſind ſie doch originell und geiſt- voll, und jedenfalls gebührt Pott das Verdienſt, zuerſt und gründ- lich auf den Bau der Gaunerſprache aufmerkſam gemacht und den Weg zu ihrer etymologiſchen und kritiſchen Bearbeitung angebahnt zu haben. Zu den auffälligen Jrrthümern Pott’s gehört z. B. S. 16 Serfſchnorrer, Brandbettler, vom deutſchen ſchnorren und dem zig. serfo, die Linke, anſtatt vom jüdiſchdeutſchen saraph, brennen; ferner ebendaſelbſt Stühre, Stirigen, Henne, von Stärchen, kleiner Staar, anſtatt von ſtiren, ſtüren, ſcharren, wovon die wieneriſchen Knochenſammler den Namen Banlſtierer haben. Ferner S. 23: Schoter, Schauter, Büttel, vom deut- ſchen Schauder, weil die Schuldigen Schauder vor ihm bekommen, anſtatt vom jüdiſchdeutſchen schot, Geißel; S. 31: Handwaſſer, Schuſter (zu eng nach dem waldheimer Lexikon), weil ſeine Hände allerdings des Waſſers bedürfen, anſtatt aus der ſchon oben (S. 103) erwähnten corrumpirten niederdeutſchen Ausſprache von Handwerker; S. 32 iſt Mitteleile, Mitternacht, und Mittiom, Mittag, kei- neswegs hybrider oder ganz fremder Ausdruck, ſondern Compoſi- tion vom deutſchen Mitte und dem hebräiſchen laila, Nacht, und jom, Tag; ebenſo wenig iſt Lehmſchuppen, Backhaus, hybri- diſch, da es aus dem hebräiſchen lechem, Brod, und dem deut-
Avé-Lallemant, Gaunerthum. IV. 18
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0285"n="273"/>
rühmten, mit echt deutſchem Fleiß und Geiſt geſchriebenen, ſchon<lb/>
oft erwähnten Werks: „Die Zigeuner in Europa und Aſien“,<lb/>
der Gaunerlinguiſtik die Bahn gebrochen, indem er den Wortvor-<lb/>
rath der von ihm geiſtvoll aufgefaßten und definirten Gauner-<lb/>ſprache analytiſch behandelte, ſie nach ihrer logiſchen Bedeutung<lb/>
unterſuchte und, durch ſeine glänzende Sprachkenntniß unterſtützt,<lb/>
mit verwandten, ähnlichen und entſprechenden Wortformen ande-<lb/>
rer Sprachen verglich. Begeht er dabei mancherlei Jrrthümer, ſo<lb/>
iſt das der großen Beſchränktheit der ihm zur Hand gegebenen<lb/>
Quellen und ſeinem Mangel an eingehender Kenntniß des Juden-<lb/>
deutſch zuzuſchreiben. Man darf ihm auch den Vorwurf nicht er-<lb/>ſparen, daß er dem Dialektiſchen, beſonders aber dem merkwürdig<lb/>ſtark durchſcheinenden niederdeutſchen Dialekt, zu wenig Rechnung<lb/>
getragen hat. Seine Unterſuchungen ſind überhaupt auch nur ver-<lb/>
einzelte Aphorismen. Aber immer ſind ſie doch originell und geiſt-<lb/>
voll, und jedenfalls gebührt Pott das Verdienſt, zuerſt und gründ-<lb/>
lich auf den Bau der Gaunerſprache aufmerkſam gemacht und den<lb/>
Weg zu ihrer etymologiſchen und kritiſchen Bearbeitung angebahnt<lb/>
zu haben. Zu den auffälligen Jrrthümern Pott’s gehört z. B.<lb/>
S. 16 <hirendition="#g">Serfſchnorrer,</hi> Brandbettler, vom deutſchen ſchnorren<lb/>
und dem zig. <hirendition="#aq">serfo,</hi> die Linke, anſtatt vom jüdiſchdeutſchen <hirendition="#aq">saraph,</hi><lb/>
brennen; ferner ebendaſelbſt <hirendition="#g">Stühre, Stirigen,</hi> Henne, von<lb/>
Stärchen, kleiner Staar, anſtatt von <hirendition="#g">ſtiren, ſtüren,</hi>ſcharren,<lb/>
wovon die wieneriſchen Knochenſammler den Namen <hirendition="#g">Banlſtierer</hi><lb/>
haben. Ferner S. 23: <hirendition="#g">Schoter, Schauter,</hi> Büttel, vom deut-<lb/>ſchen Schauder, weil die Schuldigen Schauder vor ihm bekommen,<lb/>
anſtatt vom jüdiſchdeutſchen <hirendition="#aq">schot,</hi> Geißel; S. 31: <hirendition="#g">Handwaſſer,</hi><lb/>
Schuſter (zu eng nach dem waldheimer Lexikon), weil ſeine Hände<lb/>
allerdings des Waſſers bedürfen, anſtatt aus der ſchon oben (S. 103)<lb/>
erwähnten corrumpirten niederdeutſchen Ausſprache von Handwerker;<lb/>
S. 32 iſt <hirendition="#g">Mitteleile,</hi> Mitternacht, und <hirendition="#g">Mittiom,</hi> Mittag, kei-<lb/>
neswegs hybrider oder ganz fremder Ausdruck, ſondern Compoſi-<lb/>
tion vom deutſchen <hirendition="#g">Mitte</hi> und dem hebräiſchen <hirendition="#aq">laila,</hi> Nacht, und<lb/><hirendition="#aq">jom,</hi> Tag; ebenſo wenig iſt <hirendition="#g">Lehmſchuppen,</hi> Backhaus, hybri-<lb/>
diſch, da es aus dem hebräiſchen <hirendition="#aq">lechem,</hi> Brod, und dem deut-<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Avé-Lallemant,</hi> Gaunerthum. <hirendition="#aq">IV.</hi> 18</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[273/0285]
rühmten, mit echt deutſchem Fleiß und Geiſt geſchriebenen, ſchon
oft erwähnten Werks: „Die Zigeuner in Europa und Aſien“,
der Gaunerlinguiſtik die Bahn gebrochen, indem er den Wortvor-
rath der von ihm geiſtvoll aufgefaßten und definirten Gauner-
ſprache analytiſch behandelte, ſie nach ihrer logiſchen Bedeutung
unterſuchte und, durch ſeine glänzende Sprachkenntniß unterſtützt,
mit verwandten, ähnlichen und entſprechenden Wortformen ande-
rer Sprachen verglich. Begeht er dabei mancherlei Jrrthümer, ſo
iſt das der großen Beſchränktheit der ihm zur Hand gegebenen
Quellen und ſeinem Mangel an eingehender Kenntniß des Juden-
deutſch zuzuſchreiben. Man darf ihm auch den Vorwurf nicht er-
ſparen, daß er dem Dialektiſchen, beſonders aber dem merkwürdig
ſtark durchſcheinenden niederdeutſchen Dialekt, zu wenig Rechnung
getragen hat. Seine Unterſuchungen ſind überhaupt auch nur ver-
einzelte Aphorismen. Aber immer ſind ſie doch originell und geiſt-
voll, und jedenfalls gebührt Pott das Verdienſt, zuerſt und gründ-
lich auf den Bau der Gaunerſprache aufmerkſam gemacht und den
Weg zu ihrer etymologiſchen und kritiſchen Bearbeitung angebahnt
zu haben. Zu den auffälligen Jrrthümern Pott’s gehört z. B.
S. 16 Serfſchnorrer, Brandbettler, vom deutſchen ſchnorren
und dem zig. serfo, die Linke, anſtatt vom jüdiſchdeutſchen saraph,
brennen; ferner ebendaſelbſt Stühre, Stirigen, Henne, von
Stärchen, kleiner Staar, anſtatt von ſtiren, ſtüren, ſcharren,
wovon die wieneriſchen Knochenſammler den Namen Banlſtierer
haben. Ferner S. 23: Schoter, Schauter, Büttel, vom deut-
ſchen Schauder, weil die Schuldigen Schauder vor ihm bekommen,
anſtatt vom jüdiſchdeutſchen schot, Geißel; S. 31: Handwaſſer,
Schuſter (zu eng nach dem waldheimer Lexikon), weil ſeine Hände
allerdings des Waſſers bedürfen, anſtatt aus der ſchon oben (S. 103)
erwähnten corrumpirten niederdeutſchen Ausſprache von Handwerker;
S. 32 iſt Mitteleile, Mitternacht, und Mittiom, Mittag, kei-
neswegs hybrider oder ganz fremder Ausdruck, ſondern Compoſi-
tion vom deutſchen Mitte und dem hebräiſchen laila, Nacht, und
jom, Tag; ebenſo wenig iſt Lehmſchuppen, Backhaus, hybri-
diſch, da es aus dem hebräiſchen lechem, Brod, und dem deut-
Avé-Lallemant, Gaunerthum. IV. 18
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/285>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.