lettern, geschweige denn die deutschrabbinischen Buchstaben kannte und somit durchaus nicht zum competenten Kritiker über das Judendeutsch bei Grolman und seinen Vorgängern sich aufwerfen durfte. Die kümmerlichen Aphorismen, welche Thiele aus Selig's Handbuch über "Wortton" und Aussprache gibt, sind desto auf- fälliger. Von der Aussprache der Consonanten sagt er gar nichts. Nur über das [irrelevantes Material - Zeichen fehlt], welches gerade gar nicht in jüdischdeutschen, sondern nur in rein hebräischen Wörtern vorkommt (vgl. Th. III, S. 272), läßt er sich (S. 221) so aus: "Der Jdiotismus der Juden- und jüdischen Kochemer-Sprache verlangt, wie in der hebräischen, kaldäischen und selbst arabischen Sprache, eine harte besondre Aus- sprache des Ch, wie sich solche fast nur praktisch versinnlichen läßt. Es ist ein halb Hauch-, halb Gurgelton, schwächer als K und stärker als G, gleichsam als wenn man im Deutschen Kch zu- sammen aussprechen wollte. Ohne die richtige Accentuation die- ses Buchstaben wird man einem Juden meistentheils unverständ- lich bleiben"!! Richtig ist übrigens (S. 220), daß im Judendeut- schen die Vocale in den Endsilben ohne Unterschied meistens nur leicht und flüchtig wie ein kurzes e ausgesprochen werden, nament- lich wenn die Penultima betont ist. Doch werden keineswegs die Vocale, "wenn sie in der Mitte des Worts stehen, fast ganz ver- schluckt" (S. 220), da sonst vom ganzen prägnanten Vocalismus nicht viel übrig bleiben würde. Auch diphthongirt ja Thiele selbst nach Selig geradezu die betonten Vocale, im entschiedensten Gegen- satze zu dieser seiner Theorie, z. B. (S. 220): Braud, grauß, gait, für Brod, groß, geht u. s. w. Eine geographische, ethno- graphische und linguistische Merkwürdigkeit bildet aber der Schluß (S. 221), wo man kaum seinen Augen trauen mag, wenn man buchstäblich liest: "Bemerken muß ich schließlich noch, daß zwar, im Allgemeinen, die Sprache der Juden fast in der ganzen Welt dieselbe ist, daß jedoch, rücksichtlich der Aussprache einiger Vocale, auch unter ihnen einige Verschiedenheit stattfindet. Das ist beson- ders bezüglich des Woof und Aijin der Fall. Während nämlich die Juden des Occidents (?), und auch vielleicht in einigen Ge- genden Süddeutschlands, das Woof wie o, das Aijin aber wie e
lettern, geſchweige denn die deutſchrabbiniſchen Buchſtaben kannte und ſomit durchaus nicht zum competenten Kritiker über das Judendeutſch bei Grolman und ſeinen Vorgängern ſich aufwerfen durfte. Die kümmerlichen Aphorismen, welche Thiele aus Selig’s Handbuch über „Wortton“ und Ausſprache gibt, ſind deſto auf- fälliger. Von der Ausſprache der Conſonanten ſagt er gar nichts. Nur über das [irrelevantes Material – Zeichen fehlt], welches gerade gar nicht in jüdiſchdeutſchen, ſondern nur in rein hebräiſchen Wörtern vorkommt (vgl. Th. III, S. 272), läßt er ſich (S. 221) ſo aus: „Der Jdiotismus der Juden- und jüdiſchen Kochemer-Sprache verlangt, wie in der hebräiſchen, kaldäiſchen und ſelbſt arabiſchen Sprache, eine harte beſondre Aus- ſprache des Ch, wie ſich ſolche faſt nur praktiſch verſinnlichen läßt. Es iſt ein halb Hauch-, halb Gurgelton, ſchwächer als K und ſtärker als G, gleichſam als wenn man im Deutſchen Kch zu- ſammen ausſprechen wollte. Ohne die richtige Accentuation die- ſes Buchſtaben wird man einem Juden meiſtentheils unverſtänd- lich bleiben“!! Richtig iſt übrigens (S. 220), daß im Judendeut- ſchen die Vocale in den Endſilben ohne Unterſchied meiſtens nur leicht und flüchtig wie ein kurzes e ausgeſprochen werden, nament- lich wenn die Penultima betont iſt. Doch werden keineswegs die Vocale, „wenn ſie in der Mitte des Worts ſtehen, faſt ganz ver- ſchluckt“ (S. 220), da ſonſt vom ganzen prägnanten Vocalismus nicht viel übrig bleiben würde. Auch diphthongirt ja Thiele ſelbſt nach Selig geradezu die betonten Vocale, im entſchiedenſten Gegen- ſatze zu dieſer ſeiner Theorie, z. B. (S. 220): Braud, grauß, gait, für Brod, groß, geht u. ſ. w. Eine geographiſche, ethno- graphiſche und linguiſtiſche Merkwürdigkeit bildet aber der Schluß (S. 221), wo man kaum ſeinen Augen trauen mag, wenn man buchſtäblich lieſt: „Bemerken muß ich ſchließlich noch, daß zwar, im Allgemeinen, die Sprache der Juden faſt in der ganzen Welt dieſelbe iſt, daß jedoch, rückſichtlich der Ausſprache einiger Vocale, auch unter ihnen einige Verſchiedenheit ſtattfindet. Das iſt beſon- ders bezüglich des Woof und Aijin der Fall. Während nämlich die Juden des Occidents (?), und auch vielleicht in einigen Ge- genden Süddeutſchlands, das Woof wie o, das Aijin aber wie e
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lettern, geſchweige denn die deutſchrabbiniſchen Buchſtaben kannte
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ſchen die Vocale in den Endſilben ohne Unterſchied meiſtens nur
leicht und flüchtig wie ein kurzes e ausgeſprochen werden, nament-
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Vocale, „wenn ſie in der Mitte des Worts ſtehen, faſt ganz ver-
ſchluckt“ (S. 220), da ſonſt vom ganzen prägnanten Vocalismus
nicht viel übrig bleiben würde. Auch diphthongirt ja Thiele ſelbſt
nach Selig geradezu die betonten Vocale, im entſchiedenſten Gegen-
ſatze zu dieſer ſeiner Theorie, z. B. (S. 220): Braud, grauß,
gait, für Brod, groß, geht u. ſ. w. Eine geographiſche, ethno-
graphiſche und linguiſtiſche Merkwürdigkeit bildet aber der Schluß
(S. 221), wo man kaum ſeinen Augen trauen mag, wenn man
buchſtäblich lieſt: „Bemerken muß ich ſchließlich noch, daß zwar,
im Allgemeinen, die Sprache der Juden faſt in der ganzen Welt
dieſelbe iſt, daß jedoch, rückſichtlich der Ausſprache einiger Vocale,
auch unter ihnen einige Verſchiedenheit ſtattfindet. Das iſt beſon-
ders bezüglich des Woof und Aijin der Fall. Während nämlich
die Juden des Occidents (?), und auch vielleicht in einigen Ge-
genden Süddeutſchlands, das Woof wie o, das Aijin aber wie e
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/272>, abgerufen am 24.11.2024.
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