Bedeutsamkeit bereits in der Geschichte und Literatur des Gauner- thums (Th. I, S. 114 und 264) gesprochen ist, ließ keine weitere Täuschung darüber zu, daß es trotz der schwer und blutig errunge- nen Siege doch noch keine Sicherheit gab. Diese höchst merkwür- dige, auch in der deutschen Culturgeschichte eine sehr bedeutsame Stellung einnehmende Untersuchung öffnete den Blick wieder über- allhin und bot dem in derselben als Criminalactuar fungirenden A. F. Thiele, welcher eine Geschichte dieser Untersuchung zurüstete, ein Material, wie es seit langen Jahren niemand zur Hand ge- geben war. Thiele gab das bereits beurtheilte Werk: "Die jüdi- schen Gauner in Deutschland" u. s. w. heraus und fügte endlich, nach langjährigem Stillstand der Gaunerlinguistik, dem ersten Theile seines Werks, S. 193--221, eine Abhandlung über "Die jüdische Gauner- oder Kochemer-Sprache" hinzu, welchem von S. 222--326 ein "Wörterbuch der jüdischen Gauner-Sprache" angehängt ist.
Das überaus reiche Material, welches Thiele zu Gebote stand, seine eigene directe, wenn auch untergeordnete Betheiligung bei der Untersuchung selbst, der Vorschub, welcher ihm von den höchsten Justizbehörden geleistet wurde, sowie das bereits in der Literatur vorhandene linguistische Material hätten Thiele in den Stand setzen müssen, das Ausgezeichnetste und Reichhaltigste zu liefern, was jemals über die Gaunersprache entdeckt und geschrie- ben werden konnte, namentlich wenn auch Thiele, von dem tiefen ernsten Geiste der vortrefflich geführten Untersuchung ergriffen, sich dahin hätte bewegen lassen, ernstliche historische und sprachliche Studien zu machen und mit der ruhigen würdigen Weise gründ- licher deutscher Wissenschaft und kritischer Forschung die ganze reiche Untersuchung zu durchdringen, wozu die unzähligen interessan- ten Züge und Situationen im vollsten Maße Stoff und Anlaß boten. Leider findet man diese Erwartungen getäuscht; ja bei genauer Kritik kommt man auf das Resultat, daß Thiele, trotz seiner bis zur Verwegenheit gespreizten Kritik, in tiefster Unwissen- heit befangen und es mit seiner ganzen Gaunerlinguistik sogar noch viel schwächer bestellt ist als mit den Werken, welche er mit
Bedeutſamkeit bereits in der Geſchichte und Literatur des Gauner- thums (Th. I, S. 114 und 264) geſprochen iſt, ließ keine weitere Täuſchung darüber zu, daß es trotz der ſchwer und blutig errunge- nen Siege doch noch keine Sicherheit gab. Dieſe höchſt merkwür- dige, auch in der deutſchen Culturgeſchichte eine ſehr bedeutſame Stellung einnehmende Unterſuchung öffnete den Blick wieder über- allhin und bot dem in derſelben als Criminalactuar fungirenden A. F. Thiele, welcher eine Geſchichte dieſer Unterſuchung zurüſtete, ein Material, wie es ſeit langen Jahren niemand zur Hand ge- geben war. Thiele gab das bereits beurtheilte Werk: „Die jüdi- ſchen Gauner in Deutſchland“ u. ſ. w. heraus und fügte endlich, nach langjährigem Stillſtand der Gaunerlinguiſtik, dem erſten Theile ſeines Werks, S. 193—221, eine Abhandlung über „Die jüdiſche Gauner- oder Kochemer-Sprache“ hinzu, welchem von S. 222—326 ein „Wörterbuch der jüdiſchen Gauner-Sprache“ angehängt iſt.
Das überaus reiche Material, welches Thiele zu Gebote ſtand, ſeine eigene directe, wenn auch untergeordnete Betheiligung bei der Unterſuchung ſelbſt, der Vorſchub, welcher ihm von den höchſten Juſtizbehörden geleiſtet wurde, ſowie das bereits in der Literatur vorhandene linguiſtiſche Material hätten Thiele in den Stand ſetzen müſſen, das Ausgezeichnetſte und Reichhaltigſte zu liefern, was jemals über die Gaunerſprache entdeckt und geſchrie- ben werden konnte, namentlich wenn auch Thiele, von dem tiefen ernſten Geiſte der vortrefflich geführten Unterſuchung ergriffen, ſich dahin hätte bewegen laſſen, ernſtliche hiſtoriſche und ſprachliche Studien zu machen und mit der ruhigen würdigen Weiſe gründ- licher deutſcher Wiſſenſchaft und kritiſcher Forſchung die ganze reiche Unterſuchung zu durchdringen, wozu die unzähligen intereſſan- ten Züge und Situationen im vollſten Maße Stoff und Anlaß boten. Leider findet man dieſe Erwartungen getäuſcht; ja bei genauer Kritik kommt man auf das Reſultat, daß Thiele, trotz ſeiner bis zur Verwegenheit geſpreizten Kritik, in tiefſter Unwiſſen- heit befangen und es mit ſeiner ganzen Gaunerlinguiſtik ſogar noch viel ſchwächer beſtellt iſt als mit den Werken, welche er mit
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Bedeutſamkeit bereits in der Geſchichte und Literatur des Gauner-
thums (Th. I, S. 114 und 264) geſprochen iſt, ließ keine weitere
Täuſchung darüber zu, daß es trotz der ſchwer und blutig errunge-
nen Siege doch noch keine Sicherheit gab. Dieſe höchſt merkwür-
dige, auch in der deutſchen Culturgeſchichte eine ſehr bedeutſame
Stellung einnehmende Unterſuchung öffnete den Blick wieder über-
allhin und bot dem in derſelben als Criminalactuar fungirenden
A. F. Thiele, welcher eine Geſchichte dieſer Unterſuchung zurüſtete,
ein Material, wie es ſeit langen Jahren niemand zur Hand ge-
geben war. Thiele gab das bereits beurtheilte Werk: „Die jüdi-
ſchen Gauner in Deutſchland“ u. ſ. w. heraus und fügte endlich,
nach langjährigem Stillſtand der Gaunerlinguiſtik, dem erſten
Theile ſeines Werks, S. 193—221, eine Abhandlung über „Die
jüdiſche Gauner- oder Kochemer-Sprache“ hinzu, welchem von
S. 222—326 ein „Wörterbuch der jüdiſchen Gauner-Sprache“
angehängt iſt.
Das überaus reiche Material, welches Thiele zu Gebote
ſtand, ſeine eigene directe, wenn auch untergeordnete Betheiligung
bei der Unterſuchung ſelbſt, der Vorſchub, welcher ihm von den
höchſten Juſtizbehörden geleiſtet wurde, ſowie das bereits in der
Literatur vorhandene linguiſtiſche Material hätten Thiele in den
Stand ſetzen müſſen, das Ausgezeichnetſte und Reichhaltigſte zu
liefern, was jemals über die Gaunerſprache entdeckt und geſchrie-
ben werden konnte, namentlich wenn auch Thiele, von dem tiefen
ernſten Geiſte der vortrefflich geführten Unterſuchung ergriffen, ſich
dahin hätte bewegen laſſen, ernſtliche hiſtoriſche und ſprachliche
Studien zu machen und mit der ruhigen würdigen Weiſe gründ-
licher deutſcher Wiſſenſchaft und kritiſcher Forſchung die ganze reiche
Unterſuchung zu durchdringen, wozu die unzähligen intereſſan-
ten Züge und Situationen im vollſten Maße Stoff und Anlaß
boten. Leider findet man dieſe Erwartungen getäuſcht; ja bei
genauer Kritik kommt man auf das Reſultat, daß Thiele, trotz
ſeiner bis zur Verwegenheit geſpreizten Kritik, in tiefſter Unwiſſen-
heit befangen und es mit ſeiner ganzen Gaunerlinguiſtik ſogar
noch viel ſchwächer beſtellt iſt als mit den Werken, welche er mit
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/267>, abgerufen am 24.11.2024.
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