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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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neuen Orakel griffen, sollte Pfister's Linguistik eine Probe bestehen,
welche in der eigenthümlichen Weise und Gelegenheit, wie sie statt-
fand, sogar ihre humoristische Seite hat. Den Anlaß dazu gab
der wackere Polizeimeister C. D. Christensen in Kiel. Wie schon
Th. I, S. 209, Note 3, angedeutet ist, hauste zur Zeit der fran-
zösischen Occupation Lübecks, 1811--13, ein Theil der gefährlich-
sten Räuber, welche Mitglieder der versprengten holländischen
Banden gewesen waren, gerade in Lübeck. Von dieser unglück-
lichen Stadt aus wurden die frechsten Raubzüge in die Nachbar-
schaft unternommen und unter anderm in der Nacht vom 25. zum
26. Febr. 1811 in dem eine Stunde von Lübeck gelegenen holstei-
nischen Dorfe Stockelsdorf ein frecher Raub ausgeführt, infolge
dessen von der flüchtig gewordenen lübecker Bande sieben Mitglie-
der noch in Lübeck selbst zur Haft gebracht und nach Holstein aus-
geliefert wurden, woselbst Christensen, als Mitglied der von der
Regierung eingesetzten Untersuchungscommission wider die Räuber-
bande, wichtigen Antheil an der sehr tüchtig geführten Untersuchung
hatte und über letztere das in der Literatur Th. I, S. 253, be-
urtheilte treffliche kleine Werk herausgab. Jn diesem ist nun
S. 34--54 von Christensen auch ein aus dem Munde seiner Jn-
quisiten gesammeltes Verzeichniß Jenischer Wörter gegeben, wel-
ches in hohem Grade werthvoll ist, da die Jnquisiten alte ver-
suchte Mitglieder der holländischen Banden waren und in ihren
Vocabeln Ausdrücke gaben, welche in diesen Banden gebräuchlich
und niemals vorher gesammelt worden waren. Noch mehr steigert
sich aber das Jnteresse durch den Umstand, daß Christensen seine
Vocabeln mit den Vocabeln Pfister's zusammenstellte und damit
ganz absichtslos den ersten Versuch einer Gaunersprachsynonymik
machte, welche bisjetzt noch immer einzig in ihrer Art geblieben ist.
Bei dieser zufälligen Synonymik spielt die Persönlichkeit 1) des

1) Die Persönlichkeit dieses Mannes von seltener Herzensgüte war durch-
aus imponirend und von drastischer Wirkung, wenn er sie mit seiner eigenthüm-
lichen Kraft geltend machte. Aeltere Leute, welche ihn und seine ausgezeichnete,
rastlose Thätigkeit im benachbarten Kiel gekannt haben, wissen von ihm pikante
13*

neuen Orakel griffen, ſollte Pfiſter’s Linguiſtik eine Probe beſtehen,
welche in der eigenthümlichen Weiſe und Gelegenheit, wie ſie ſtatt-
fand, ſogar ihre humoriſtiſche Seite hat. Den Anlaß dazu gab
der wackere Polizeimeiſter C. D. Chriſtenſen in Kiel. Wie ſchon
Th. I, S. 209, Note 3, angedeutet iſt, hauſte zur Zeit der fran-
zöſiſchen Occupation Lübecks, 1811—13, ein Theil der gefährlich-
ſten Räuber, welche Mitglieder der verſprengten holländiſchen
Banden geweſen waren, gerade in Lübeck. Von dieſer unglück-
lichen Stadt aus wurden die frechſten Raubzüge in die Nachbar-
ſchaft unternommen und unter anderm in der Nacht vom 25. zum
26. Febr. 1811 in dem eine Stunde von Lübeck gelegenen holſtei-
niſchen Dorfe Stockelsdorf ein frecher Raub ausgeführt, infolge
deſſen von der flüchtig gewordenen lübecker Bande ſieben Mitglie-
der noch in Lübeck ſelbſt zur Haft gebracht und nach Holſtein aus-
geliefert wurden, woſelbſt Chriſtenſen, als Mitglied der von der
Regierung eingeſetzten Unterſuchungscommiſſion wider die Räuber-
bande, wichtigen Antheil an der ſehr tüchtig geführten Unterſuchung
hatte und über letztere das in der Literatur Th. I, S. 253, be-
urtheilte treffliche kleine Werk herausgab. Jn dieſem iſt nun
S. 34—54 von Chriſtenſen auch ein aus dem Munde ſeiner Jn-
quiſiten geſammeltes Verzeichniß Jeniſcher Wörter gegeben, wel-
ches in hohem Grade werthvoll iſt, da die Jnquiſiten alte ver-
ſuchte Mitglieder der holländiſchen Banden waren und in ihren
Vocabeln Ausdrücke gaben, welche in dieſen Banden gebräuchlich
und niemals vorher geſammelt worden waren. Noch mehr ſteigert
ſich aber das Jntereſſe durch den Umſtand, daß Chriſtenſen ſeine
Vocabeln mit den Vocabeln Pfiſter’s zuſammenſtellte und damit
ganz abſichtslos den erſten Verſuch einer Gaunerſprachſynonymik
machte, welche bisjetzt noch immer einzig in ihrer Art geblieben iſt.
Bei dieſer zufälligen Synonymik ſpielt die Perſönlichkeit 1) des

1) Die Perſönlichkeit dieſes Mannes von ſeltener Herzensgüte war durch-
aus imponirend und von draſtiſcher Wirkung, wenn er ſie mit ſeiner eigenthüm-
lichen Kraft geltend machte. Aeltere Leute, welche ihn und ſeine ausgezeichnete,
raſtloſe Thätigkeit im benachbarten Kiel gekannt haben, wiſſen von ihm pikante
13*
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[195/0207] neuen Orakel griffen, ſollte Pfiſter’s Linguiſtik eine Probe beſtehen, welche in der eigenthümlichen Weiſe und Gelegenheit, wie ſie ſtatt- fand, ſogar ihre humoriſtiſche Seite hat. Den Anlaß dazu gab der wackere Polizeimeiſter C. D. Chriſtenſen in Kiel. Wie ſchon Th. I, S. 209, Note 3, angedeutet iſt, hauſte zur Zeit der fran- zöſiſchen Occupation Lübecks, 1811—13, ein Theil der gefährlich- ſten Räuber, welche Mitglieder der verſprengten holländiſchen Banden geweſen waren, gerade in Lübeck. Von dieſer unglück- lichen Stadt aus wurden die frechſten Raubzüge in die Nachbar- ſchaft unternommen und unter anderm in der Nacht vom 25. zum 26. Febr. 1811 in dem eine Stunde von Lübeck gelegenen holſtei- niſchen Dorfe Stockelsdorf ein frecher Raub ausgeführt, infolge deſſen von der flüchtig gewordenen lübecker Bande ſieben Mitglie- der noch in Lübeck ſelbſt zur Haft gebracht und nach Holſtein aus- geliefert wurden, woſelbſt Chriſtenſen, als Mitglied der von der Regierung eingeſetzten Unterſuchungscommiſſion wider die Räuber- bande, wichtigen Antheil an der ſehr tüchtig geführten Unterſuchung hatte und über letztere das in der Literatur Th. I, S. 253, be- urtheilte treffliche kleine Werk herausgab. Jn dieſem iſt nun S. 34—54 von Chriſtenſen auch ein aus dem Munde ſeiner Jn- quiſiten geſammeltes Verzeichniß Jeniſcher Wörter gegeben, wel- ches in hohem Grade werthvoll iſt, da die Jnquiſiten alte ver- ſuchte Mitglieder der holländiſchen Banden waren und in ihren Vocabeln Ausdrücke gaben, welche in dieſen Banden gebräuchlich und niemals vorher geſammelt worden waren. Noch mehr ſteigert ſich aber das Jntereſſe durch den Umſtand, daß Chriſtenſen ſeine Vocabeln mit den Vocabeln Pfiſter’s zuſammenſtellte und damit ganz abſichtslos den erſten Verſuch einer Gaunerſprachſynonymik machte, welche bisjetzt noch immer einzig in ihrer Art geblieben iſt. Bei dieſer zufälligen Synonymik ſpielt die Perſönlichkeit 1) des 1) Die Perſönlichkeit dieſes Mannes von ſeltener Herzensgüte war durch- aus imponirend und von draſtiſcher Wirkung, wenn er ſie mit ſeiner eigenthüm- lichen Kraft geltend machte. Aeltere Leute, welche ihn und ſeine ausgezeichnete, raſtloſe Thätigkeit im benachbarten Kiel gekannt haben, wiſſen von ihm pikante 13*

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/207>, abgerufen am 25.11.2024.