Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

musig (auch hochdeutsch mausig), mach' dich nicht eklig. Abraham
Tendlau hat sich mit seiner schon mehrfach erwähnten vortrefflichen
Sammlung jüdischdeutscher Redensarten und Sprichwörter ein sehr
großes Verdienst erworben, wenn auch die Sammlung durchaus
nicht vollständig ist, vielfach in das specifisch deutsche Gebiet hin-
überschreitet und aus Unkenntniß der niederdeutschen Sprache die
Nachweisung und Vergleichung vieler Redensarten schuldig geblieben
ist. Doch bleibt das treffliche Werk immerhin für das Studium
der jüdischdeutschen Sprache sehr werthvoll und ist der beste Com-
mentar bei dem Studium jüdischdeutscher Schriften, besonders der
im Volkston und im specifisch frankfurter Dialekt gehaltenen.

Leicht versöhnt man sich dagegen in prosaischen jüdischdeut-
schen Schriften, besonders Uebersetzungen, mit der bunten, bröcke-
ligen Form des Ausdrucks vermöge der treffenden und glücklichen
Bezeichnung der logischen Bedeutung hebräischer Wörter und Aus-
drücke. Oft sucht man vergeblich in den vorhandenen hebräischen
und chaldäischen Wörterbüchern nach der Grundbedeutung eines
Wortes, dessen Uebersetzung im Jüdischdeutschen, wenn auch häufig
mit seltsamem, doch fast immer zutreffendem Ausdruck gegeben
wird. Jn dieser Beziehung sind solche Uebersetzungen sogar von
Wichtigkeit. Nach dem Bildungsgrade, welchen der jüdischdeutsche
Schriftsteller hatte, und nach seiner mehr oder minder ausreichen-
den Kenntniß der deutschen Sprache und Grammatik sieht man
in jüdischdeutschen Schriften das verschiedenartigste, selbst dialekti-
sche Deutsch hervortreten. Besonders bei den böhmischen und pol-
nischen Schriftstellern, welche sich die jüdischdeutschen Uebersetzun-
gen besonders eifrig angelegen sein ließen, sieht es mit der
deutschen Grammatik bedenklich aus. Aber selbst in den besser
stilisirten tritt nicht selten zum Nachtheil des Ganzen eine unan-
genehme Effecthascherei hervor, die obendrein im correcten Ausdruck
fehlgreift. So schließen die Erzählungen in den Maasebüchern
meistens mit einem gezwungenen Reim, in welchem gewöhnlich
auch die Sehnsucht nach dem Erscheinen des Messias ausgespro-
chen wird. Dabei fällt der Ausdruck oft ins Abgeschmackte, wie
z. B. im amsterdamer Maasebuch, Maase 199: "Hakodusch bo-

27*

muſig (auch hochdeutſch mauſig), mach’ dich nicht eklig. Abraham
Tendlau hat ſich mit ſeiner ſchon mehrfach erwähnten vortrefflichen
Sammlung jüdiſchdeutſcher Redensarten und Sprichwörter ein ſehr
großes Verdienſt erworben, wenn auch die Sammlung durchaus
nicht vollſtändig iſt, vielfach in das ſpecifiſch deutſche Gebiet hin-
überſchreitet und aus Unkenntniß der niederdeutſchen Sprache die
Nachweiſung und Vergleichung vieler Redensarten ſchuldig geblieben
iſt. Doch bleibt das treffliche Werk immerhin für das Studium
der jüdiſchdeutſchen Sprache ſehr werthvoll und iſt der beſte Com-
mentar bei dem Studium jüdiſchdeutſcher Schriften, beſonders der
im Volkston und im ſpecifiſch frankfurter Dialekt gehaltenen.

Leicht verſöhnt man ſich dagegen in proſaiſchen jüdiſchdeut-
ſchen Schriften, beſonders Ueberſetzungen, mit der bunten, bröcke-
ligen Form des Ausdrucks vermöge der treffenden und glücklichen
Bezeichnung der logiſchen Bedeutung hebräiſcher Wörter und Aus-
drücke. Oft ſucht man vergeblich in den vorhandenen hebräiſchen
und chaldäiſchen Wörterbüchern nach der Grundbedeutung eines
Wortes, deſſen Ueberſetzung im Jüdiſchdeutſchen, wenn auch häufig
mit ſeltſamem, doch faſt immer zutreffendem Ausdruck gegeben
wird. Jn dieſer Beziehung ſind ſolche Ueberſetzungen ſogar von
Wichtigkeit. Nach dem Bildungsgrade, welchen der jüdiſchdeutſche
Schriftſteller hatte, und nach ſeiner mehr oder minder ausreichen-
den Kenntniß der deutſchen Sprache und Grammatik ſieht man
in jüdiſchdeutſchen Schriften das verſchiedenartigſte, ſelbſt dialekti-
ſche Deutſch hervortreten. Beſonders bei den böhmiſchen und pol-
niſchen Schriftſtellern, welche ſich die jüdiſchdeutſchen Ueberſetzun-
gen beſonders eifrig angelegen ſein ließen, ſieht es mit der
deutſchen Grammatik bedenklich aus. Aber ſelbſt in den beſſer
ſtiliſirten tritt nicht ſelten zum Nachtheil des Ganzen eine unan-
genehme Effecthaſcherei hervor, die obendrein im correcten Ausdruck
fehlgreift. So ſchließen die Erzählungen in den Maaſebüchern
meiſtens mit einem gezwungenen Reim, in welchem gewöhnlich
auch die Sehnſucht nach dem Erſcheinen des Meſſias ausgeſpro-
chen wird. Dabei fällt der Ausdruck oft ins Abgeſchmackte, wie
z. B. im amſterdamer Maaſebuch, Maaſe 199: „Hakoduſch bo-

27*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0453" n="419"/><hi rendition="#g">mu&#x017F;ig</hi> (auch hochdeut&#x017F;ch mau&#x017F;ig), mach&#x2019; dich nicht eklig. Abraham<lb/>
Tendlau hat &#x017F;ich mit &#x017F;einer &#x017F;chon mehrfach erwähnten vortrefflichen<lb/>
Sammlung jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;cher Redensarten und Sprichwörter ein &#x017F;ehr<lb/>
großes Verdien&#x017F;t erworben, wenn auch die Sammlung durchaus<lb/>
nicht voll&#x017F;tändig i&#x017F;t, vielfach in das &#x017F;pecifi&#x017F;ch deut&#x017F;che Gebiet hin-<lb/>
über&#x017F;chreitet und aus Unkenntniß der niederdeut&#x017F;chen Sprache die<lb/>
Nachwei&#x017F;ung und Vergleichung vieler Redensarten &#x017F;chuldig geblieben<lb/>
i&#x017F;t. Doch bleibt das treffliche Werk immerhin für das Studium<lb/>
der jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;chen Sprache &#x017F;ehr werthvoll und i&#x017F;t der be&#x017F;te Com-<lb/>
mentar bei dem Studium jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;cher Schriften, be&#x017F;onders der<lb/>
im Volkston und im &#x017F;pecifi&#x017F;ch frankfurter Dialekt gehaltenen.</p><lb/>
            <p>Leicht ver&#x017F;öhnt man &#x017F;ich dagegen in pro&#x017F;ai&#x017F;chen jüdi&#x017F;chdeut-<lb/>
&#x017F;chen Schriften, be&#x017F;onders Ueber&#x017F;etzungen, mit der bunten, bröcke-<lb/>
ligen Form des Ausdrucks vermöge der treffenden und glücklichen<lb/>
Bezeichnung der logi&#x017F;chen Bedeutung hebräi&#x017F;cher Wörter und Aus-<lb/>
drücke. Oft &#x017F;ucht man vergeblich in den vorhandenen hebräi&#x017F;chen<lb/>
und chaldäi&#x017F;chen Wörterbüchern nach der Grundbedeutung eines<lb/>
Wortes, de&#x017F;&#x017F;en Ueber&#x017F;etzung im Jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;chen, wenn auch häufig<lb/>
mit &#x017F;elt&#x017F;amem, doch fa&#x017F;t immer zutreffendem Ausdruck gegeben<lb/>
wird. Jn die&#x017F;er Beziehung &#x017F;ind &#x017F;olche Ueber&#x017F;etzungen &#x017F;ogar von<lb/>
Wichtigkeit. Nach dem Bildungsgrade, welchen der jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;che<lb/>
Schrift&#x017F;teller hatte, und nach &#x017F;einer mehr oder minder ausreichen-<lb/>
den Kenntniß der deut&#x017F;chen Sprache und Grammatik &#x017F;ieht man<lb/>
in jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;chen Schriften das ver&#x017F;chiedenartig&#x017F;te, &#x017F;elb&#x017F;t dialekti-<lb/>
&#x017F;che Deut&#x017F;ch hervortreten. Be&#x017F;onders bei den böhmi&#x017F;chen und pol-<lb/>
ni&#x017F;chen Schrift&#x017F;tellern, welche &#x017F;ich die jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;chen Ueber&#x017F;etzun-<lb/>
gen be&#x017F;onders eifrig angelegen &#x017F;ein ließen, &#x017F;ieht es mit der<lb/>
deut&#x017F;chen Grammatik bedenklich aus. Aber &#x017F;elb&#x017F;t in den be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x017F;tili&#x017F;irten tritt nicht &#x017F;elten zum Nachtheil des Ganzen eine unan-<lb/>
genehme Effectha&#x017F;cherei hervor, die obendrein im correcten Ausdruck<lb/>
fehlgreift. So &#x017F;chließen die Erzählungen in den Maa&#x017F;ebüchern<lb/>
mei&#x017F;tens mit einem gezwungenen Reim, in welchem gewöhnlich<lb/>
auch die Sehn&#x017F;ucht nach dem Er&#x017F;cheinen des Me&#x017F;&#x017F;ias ausge&#x017F;pro-<lb/>
chen wird. Dabei fällt der Ausdruck oft ins Abge&#x017F;chmackte, wie<lb/>
z. B. im am&#x017F;terdamer Maa&#x017F;ebuch, Maa&#x017F;e 199: &#x201E;Hakodu&#x017F;ch bo-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">27*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0453] muſig (auch hochdeutſch mauſig), mach’ dich nicht eklig. Abraham Tendlau hat ſich mit ſeiner ſchon mehrfach erwähnten vortrefflichen Sammlung jüdiſchdeutſcher Redensarten und Sprichwörter ein ſehr großes Verdienſt erworben, wenn auch die Sammlung durchaus nicht vollſtändig iſt, vielfach in das ſpecifiſch deutſche Gebiet hin- überſchreitet und aus Unkenntniß der niederdeutſchen Sprache die Nachweiſung und Vergleichung vieler Redensarten ſchuldig geblieben iſt. Doch bleibt das treffliche Werk immerhin für das Studium der jüdiſchdeutſchen Sprache ſehr werthvoll und iſt der beſte Com- mentar bei dem Studium jüdiſchdeutſcher Schriften, beſonders der im Volkston und im ſpecifiſch frankfurter Dialekt gehaltenen. Leicht verſöhnt man ſich dagegen in proſaiſchen jüdiſchdeut- ſchen Schriften, beſonders Ueberſetzungen, mit der bunten, bröcke- ligen Form des Ausdrucks vermöge der treffenden und glücklichen Bezeichnung der logiſchen Bedeutung hebräiſcher Wörter und Aus- drücke. Oft ſucht man vergeblich in den vorhandenen hebräiſchen und chaldäiſchen Wörterbüchern nach der Grundbedeutung eines Wortes, deſſen Ueberſetzung im Jüdiſchdeutſchen, wenn auch häufig mit ſeltſamem, doch faſt immer zutreffendem Ausdruck gegeben wird. Jn dieſer Beziehung ſind ſolche Ueberſetzungen ſogar von Wichtigkeit. Nach dem Bildungsgrade, welchen der jüdiſchdeutſche Schriftſteller hatte, und nach ſeiner mehr oder minder ausreichen- den Kenntniß der deutſchen Sprache und Grammatik ſieht man in jüdiſchdeutſchen Schriften das verſchiedenartigſte, ſelbſt dialekti- ſche Deutſch hervortreten. Beſonders bei den böhmiſchen und pol- niſchen Schriftſtellern, welche ſich die jüdiſchdeutſchen Ueberſetzun- gen beſonders eifrig angelegen ſein ließen, ſieht es mit der deutſchen Grammatik bedenklich aus. Aber ſelbſt in den beſſer ſtiliſirten tritt nicht ſelten zum Nachtheil des Ganzen eine unan- genehme Effecthaſcherei hervor, die obendrein im correcten Ausdruck fehlgreift. So ſchließen die Erzählungen in den Maaſebüchern meiſtens mit einem gezwungenen Reim, in welchem gewöhnlich auch die Sehnſucht nach dem Erſcheinen des Meſſias ausgeſpro- chen wird. Dabei fällt der Ausdruck oft ins Abgeſchmackte, wie z. B. im amſterdamer Maaſebuch, Maaſe 199: „Hakoduſch bo- 27*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/453
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/453>, abgerufen am 23.11.2024.