kann. So hat das Judenthum in dieser unwirthsamen Verbor- genheit dem deutschen Volke eine ganze große und reiche Literatur geschaffen und erhalten, welche fast gänzlich unbekannt geblieben und am wenigsten als integrirender Theil der deutschen National- literatur erkannt worden ist. Aus dieser Literatur lernt man aber das sonderbare, fremdscheinende und doch überall grunddeutsche Judendeutsch mit seinen aus allen Jahrhunderten zusammengelese- nen deutschdialektischen Eigenthümlichkeiten erst recht begreifen. Schon bei einer nur oberflächlichen Kenntniß muß man erstaunen, daß selbst ein Mann wie Chrysander, welcher offenbar am tiefsten von allen christlichen Orientalisten in die jüdischdeutsche Literatur sich hineingearbeitet hatte, in der Aussprache der Juden nicht das verschiedene Deutschdialektische, sondern die specifisch jüdische Sonder- barkeit im Judendeutsch erblicken und die deutschdialektischen Eigen- thümlichkeiten der Aussprache als pure "Verkehrung der Wörter" im Judenmunde aufführen konnte. 1) Bei der Seltenheit der Chry- sander'schen Grammatik mag hier angeführt werden, was derselbe am Schluß des §. 7 sub III. den Juden als "Verziehung in der Aussprache" vorwirft.
"Sie verkehren:
a in o, z. E.: da hast du es, do host's; habe, hob; Wahr- heit, Wohrheit; lassen, lossen; blasen, blosen; Jsrael, Jsroel; Acher, Ocher; Berachah, Segen, Brogah; Mescharet, Diener, Meschores.
a in e, z. E.: fragen, frägen; bekannt, bekent; überant- worten, überentworten; darbey, derbey; man, men; waschen, weschen; wahrhaftig, wohrheftik; Antwort, Entfort; olam, oulem.
a in ei,[fremdsprachliches Material], Jakob, Jeikef.
au in aa, glaub, glaab mir.
ä in i, Maynz, Mihnz; Mehl, Mihl.
1) So gleicht sich denn auch aus, was Dr. A. Ree zu Hamburg in seinem mit Wärme und Jnteresse geschriebenen Werkchen: "Die Sprachverhältnisse der heu- tigen Juden im Jnteresse der Gegenwart und mit besonderer Rücksicht auf Volks- erziehung" (Hamburg 1844), gesagt hat.
kann. So hat das Judenthum in dieſer unwirthſamen Verbor- genheit dem deutſchen Volke eine ganze große und reiche Literatur geſchaffen und erhalten, welche faſt gänzlich unbekannt geblieben und am wenigſten als integrirender Theil der deutſchen National- literatur erkannt worden iſt. Aus dieſer Literatur lernt man aber das ſonderbare, fremdſcheinende und doch überall grunddeutſche Judendeutſch mit ſeinen aus allen Jahrhunderten zuſammengeleſe- nen deutſchdialektiſchen Eigenthümlichkeiten erſt recht begreifen. Schon bei einer nur oberflächlichen Kenntniß muß man erſtaunen, daß ſelbſt ein Mann wie Chryſander, welcher offenbar am tiefſten von allen chriſtlichen Orientaliſten in die jüdiſchdeutſche Literatur ſich hineingearbeitet hatte, in der Ausſprache der Juden nicht das verſchiedene Deutſchdialektiſche, ſondern die ſpecifiſch jüdiſche Sonder- barkeit im Judendeutſch erblicken und die deutſchdialektiſchen Eigen- thümlichkeiten der Ausſprache als pure „Verkehrung der Wörter“ im Judenmunde aufführen konnte. 1) Bei der Seltenheit der Chry- ſander’ſchen Grammatik mag hier angeführt werden, was derſelbe am Schluß des §. 7 sub III. den Juden als „Verziehung in der Ausſprache“ vorwirft.
„Sie verkehren:
a in o, z. E.: da haſt du es, do hoſt’s; habe, hob; Wahr- heit, Wohrheit; laſſen, loſſen; blaſen, bloſen; Jſrael, Jſroel; Acher, Ocher; Berachah, Segen, Brogah; Meſcharet, Diener, Meſchores.
a in e, z. E.: fragen, frägen; bekannt, bekent; überant- worten, überentworten; darbey, derbey; man, men; waſchen, weſchen; wahrhaftig, wohrheftik; Antwort, Entfort; olam, oulem.
a in ei,[fremdsprachliches Material], Jakob, Jeikef.
au in aa, glaub, glaab mir.
ä in i, Maynz, Mihnz; Mehl, Mihl.
1) So gleicht ſich denn auch aus, was Dr. A. Rée zu Hamburg in ſeinem mit Wärme und Jntereſſe geſchriebenen Werkchen: „Die Sprachverhältniſſe der heu- tigen Juden im Jntereſſe der Gegenwart und mit beſonderer Rückſicht auf Volks- erziehung“ (Hamburg 1844), geſagt hat.
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geſchaffen und erhalten, welche faſt gänzlich unbekannt geblieben
und am wenigſten als integrirender Theil der deutſchen National-
literatur erkannt worden iſt. Aus dieſer Literatur lernt man aber
das ſonderbare, fremdſcheinende und doch überall grunddeutſche
Judendeutſch mit ſeinen aus allen Jahrhunderten zuſammengeleſe-
nen deutſchdialektiſchen Eigenthümlichkeiten erſt recht begreifen.
Schon bei einer nur oberflächlichen Kenntniß muß man erſtaunen,
daß ſelbſt ein Mann wie Chryſander, welcher offenbar am tiefſten
von allen chriſtlichen Orientaliſten in die jüdiſchdeutſche Literatur
ſich hineingearbeitet hatte, in der Ausſprache der Juden nicht das
verſchiedene Deutſchdialektiſche, ſondern die ſpecifiſch jüdiſche Sonder-
barkeit im Judendeutſch erblicken und die deutſchdialektiſchen Eigen-
thümlichkeiten der Ausſprache als pure „Verkehrung der Wörter“
im Judenmunde aufführen konnte. 1) Bei der Seltenheit der Chry-
ſander’ſchen Grammatik mag hier angeführt werden, was derſelbe
am Schluß des §. 7 sub III. den Juden als „Verziehung in der
Ausſprache“ vorwirft.
„Sie verkehren:
a in o, z. E.: da haſt du es, do hoſt’s; habe, hob; Wahr-
heit, Wohrheit; laſſen, loſſen; blaſen, bloſen; Jſrael, Jſroel;
Acher, Ocher; Berachah, Segen, Brogah; Meſcharet, Diener,
Meſchores.
a in e, z. E.: fragen, frägen; bekannt, bekent; überant-
worten, überentworten; darbey, derbey; man, men; waſchen,
weſchen; wahrhaftig, wohrheftik; Antwort, Entfort; olam,
oulem.
a in ei, _ , Jakob, Jeikef.
au in aa, glaub, glaab mir.
ä in i, Maynz, Mihnz; Mehl, Mihl.
1) So gleicht ſich denn auch aus, was Dr. A. Rée zu Hamburg in ſeinem mit
Wärme und Jntereſſe geſchriebenen Werkchen: „Die Sprachverhältniſſe der heu-
tigen Juden im Jntereſſe der Gegenwart und mit beſonderer Rückſicht auf Volks-
erziehung“ (Hamburg 1844), geſagt hat.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/343>, abgerufen am 16.07.2024.
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