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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Bei dem Mangel einer bündigen Garantie durch eine tüch-
tige polizeiliche Gasthofsordnung und bei der dadurch gegebenen
leichten Möglichkeit zum Versteck der gaunerischen Jndividualität
und zur weitern Ausübung durchdachter Gaunereien unter der
Maske des Kellners drängt das Gaunerthum mit intensiver Ge-
walt auf den Stand der Kellner, welchen es denn auch in der
That schon sehr stark mit den unlautersten Elementen versetzt hat.
Freilich ist das bisjetzt, wo man noch manche tüchtige Gasthöfe
mit trefflichen Wirthen und zuverlässigem Personal findet, nur
erst der Anfang, aber darum doch schon eine sehr bedenkliche Er-
scheinung, welche bei der lockern Beaufsichtigung des ganzen
Wirths- und Kellnerwesens die ernstlichsten Gefahren befürchten läßt.

Aus diesem Befunde läßt sich schon folgern, daß die Ver-
bindung, in welcher die Tieflinge namentlich in großen Städten
miteinander stehen1), eine tiefere Bedeutsamkeit hat als die Ver-

Stubenmädchen wieder getroffen. Die Wirthe kannten freilich die Antecedentien
nicht. Ohne Anstand bekommt ja jeder einen Paß "zum auswärts Conditio-
niren" und auf den Paß eine Condition als Kellner, da der Wirth nicht
besonders nach den Antecedentien forscht, wenn er nur sich selbst gesichert hat.
1) So ist die Schilderung, welche S. Wagner S. 175 des beachtens-
werthen Werks: "Wien und die Wiener in Bildern aus dem Leben" (Pesth
1844), von der Verbindung der wiener Kellner entwirft, ebenso zutreffend für
Wien, als auch dem Treiben der Kellner in andern Städten entsprechend.
Die Kellner, unter sich und in der echten Lerchenfelder- und Wiesenersprache
Tieflinge genannt, bilden bei der großen Menge Gasthäuser in und um Wien
eine sehr zahlreiche Corporation, die wie die Wirthe unter zwei Mittel, das
Wein- und Biermittel vertheilt sind, die aber das Nämliche, was bei den
Handwerkern die Jungen, vorstellen. Bei einem dieser Mittel müssen sie ein-
geschrieben sein und erhalten auch da die nöthige Aufenthaltskarte; ebenso
müssen ihre Dienstzeugnisse nebst der Unterschrift des Dienstherrn auch
noch mit der des Mittels versehen sein. Jn der Regel und der Vorschrift
nach werden ihnen ebenfalls die Dienste vom Mittel aus, jedoch ohne Zwang,
angewiesen. Jndeß gibt es auch einzelne Jndividuen, die sich gegen ein nach
den verschiedenen Erträgnissen des verschafften Platzes oft nicht geringes Ho-
norar widerrechtlich damit beschäftigen; sie werden Zubringer oder Kellner-
kuppler genannt und sind größtentheils alte verdorbene Wirthe. Jst ein Kellner
ohne Platz oder, wie die Wiener sagen, vazirend, so soll er täglich bei
seinem Mittel, das sie vornehmer "Börse" neunen, erscheinen und sich
beim Ansager, dem eigentlichen Sensal und Pedell ihrer Börse, sehen lassen,
9 *

Bei dem Mangel einer bündigen Garantie durch eine tüch-
tige polizeiliche Gaſthofsordnung und bei der dadurch gegebenen
leichten Möglichkeit zum Verſteck der gauneriſchen Jndividualität
und zur weitern Ausübung durchdachter Gaunereien unter der
Maske des Kellners drängt das Gaunerthum mit intenſiver Ge-
walt auf den Stand der Kellner, welchen es denn auch in der
That ſchon ſehr ſtark mit den unlauterſten Elementen verſetzt hat.
Freilich iſt das bisjetzt, wo man noch manche tüchtige Gaſthöfe
mit trefflichen Wirthen und zuverläſſigem Perſonal findet, nur
erſt der Anfang, aber darum doch ſchon eine ſehr bedenkliche Er-
ſcheinung, welche bei der lockern Beaufſichtigung des ganzen
Wirths- und Kellnerweſens die ernſtlichſten Gefahren befürchten läßt.

Aus dieſem Befunde läßt ſich ſchon folgern, daß die Ver-
bindung, in welcher die Tieflinge namentlich in großen Städten
miteinander ſtehen1), eine tiefere Bedeutſamkeit hat als die Ver-

Stubenmädchen wieder getroffen. Die Wirthe kannten freilich die Antecedentien
nicht. Ohne Anſtand bekommt ja jeder einen Paß „zum auswärts Conditio-
niren“ und auf den Paß eine Condition als Kellner, da der Wirth nicht
beſonders nach den Antecedentien forſcht, wenn er nur ſich ſelbſt geſichert hat.
1) So iſt die Schilderung, welche S. Wagner S. 175 des beachtens-
werthen Werks: „Wien und die Wiener in Bildern aus dem Leben“ (Peſth
1844), von der Verbindung der wiener Kellner entwirft, ebenſo zutreffend für
Wien, als auch dem Treiben der Kellner in andern Städten entſprechend.
Die Kellner, unter ſich und in der echten Lerchenfelder- und Wieſenerſprache
Tieflinge genannt, bilden bei der großen Menge Gaſthäuſer in und um Wien
eine ſehr zahlreiche Corporation, die wie die Wirthe unter zwei Mittel, das
Wein- und Biermittel vertheilt ſind, die aber das Nämliche, was bei den
Handwerkern die Jungen, vorſtellen. Bei einem dieſer Mittel müſſen ſie ein-
geſchrieben ſein und erhalten auch da die nöthige Aufenthaltskarte; ebenſo
müſſen ihre Dienſtzeugniſſe nebſt der Unterſchrift des Dienſtherrn auch
noch mit der des Mittels verſehen ſein. Jn der Regel und der Vorſchrift
nach werden ihnen ebenfalls die Dienſte vom Mittel aus, jedoch ohne Zwang,
angewieſen. Jndeß gibt es auch einzelne Jndividuen, die ſich gegen ein nach
den verſchiedenen Erträgniſſen des verſchafften Platzes oft nicht geringes Ho-
norar widerrechtlich damit beſchäftigen; ſie werden Zubringer oder Kellner-
kuppler genannt und ſind größtentheils alte verdorbene Wirthe. Jſt ein Kellner
ohne Platz oder, wie die Wiener ſagen, vazirend, ſo ſoll er täglich bei
ſeinem Mittel, das ſie vornehmer „Börſe“ neunen, erſcheinen und ſich
beim Anſager, dem eigentlichen Senſal und Pedell ihrer Börſe, ſehen laſſen,
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[131/0165] Bei dem Mangel einer bündigen Garantie durch eine tüch- tige polizeiliche Gaſthofsordnung und bei der dadurch gegebenen leichten Möglichkeit zum Verſteck der gauneriſchen Jndividualität und zur weitern Ausübung durchdachter Gaunereien unter der Maske des Kellners drängt das Gaunerthum mit intenſiver Ge- walt auf den Stand der Kellner, welchen es denn auch in der That ſchon ſehr ſtark mit den unlauterſten Elementen verſetzt hat. Freilich iſt das bisjetzt, wo man noch manche tüchtige Gaſthöfe mit trefflichen Wirthen und zuverläſſigem Perſonal findet, nur erſt der Anfang, aber darum doch ſchon eine ſehr bedenkliche Er- ſcheinung, welche bei der lockern Beaufſichtigung des ganzen Wirths- und Kellnerweſens die ernſtlichſten Gefahren befürchten läßt. Aus dieſem Befunde läßt ſich ſchon folgern, daß die Ver- bindung, in welcher die Tieflinge namentlich in großen Städten miteinander ſtehen 1), eine tiefere Bedeutſamkeit hat als die Ver- 1) 1) So iſt die Schilderung, welche S. Wagner S. 175 des beachtens- werthen Werks: „Wien und die Wiener in Bildern aus dem Leben“ (Peſth 1844), von der Verbindung der wiener Kellner entwirft, ebenſo zutreffend für Wien, als auch dem Treiben der Kellner in andern Städten entſprechend. Die Kellner, unter ſich und in der echten Lerchenfelder- und Wieſenerſprache Tieflinge genannt, bilden bei der großen Menge Gaſthäuſer in und um Wien eine ſehr zahlreiche Corporation, die wie die Wirthe unter zwei Mittel, das Wein- und Biermittel vertheilt ſind, die aber das Nämliche, was bei den Handwerkern die Jungen, vorſtellen. Bei einem dieſer Mittel müſſen ſie ein- geſchrieben ſein und erhalten auch da die nöthige Aufenthaltskarte; ebenſo müſſen ihre Dienſtzeugniſſe nebſt der Unterſchrift des Dienſtherrn auch noch mit der des Mittels verſehen ſein. Jn der Regel und der Vorſchrift nach werden ihnen ebenfalls die Dienſte vom Mittel aus, jedoch ohne Zwang, angewieſen. Jndeß gibt es auch einzelne Jndividuen, die ſich gegen ein nach den verſchiedenen Erträgniſſen des verſchafften Platzes oft nicht geringes Ho- norar widerrechtlich damit beſchäftigen; ſie werden Zubringer oder Kellner- kuppler genannt und ſind größtentheils alte verdorbene Wirthe. Jſt ein Kellner ohne Platz oder, wie die Wiener ſagen, vazirend, ſo ſoll er täglich bei ſeinem Mittel, das ſie vornehmer „Börſe“ neunen, erſcheinen und ſich beim Anſager, dem eigentlichen Senſal und Pedell ihrer Börſe, ſehen laſſen, 1) Stubenmädchen wieder getroffen. Die Wirthe kannten freilich die Antecedentien nicht. Ohne Anſtand bekommt ja jeder einen Paß „zum auswärts Conditio- niren“ und auf den Paß eine Condition als Kellner, da der Wirth nicht beſonders nach den Antecedentien forſcht, wenn er nur ſich ſelbſt geſichert hat. 9 *

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/165>, abgerufen am 22.11.2024.