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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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genen Lexikographie der Studentensprache eher eine abschwächende
Versetzung als eine wahre Repräsentation und Förderung erhalten
hat, am deutlichsten und prägnantesten aber in der reichen Literatur
der Facetien repräsentirt ist. Fast jede Nummer der "Facetiae
Facetiarum
", der "Nugae venales" u. s. w. athmet studentischen
Geist und bewegt sich in studentischen Sprachformen. Man sieht
es, daß nur von diesem Geist herbeibeschworen die maccaronische
Literatur von Jtalien her den vermessenen Sprung auf deutsches
Gebiet wagen konnte, um dem fröhlichen Studententhum in die
Arme zu fallen und sein spiritus familiaris zu werden. Die
"Lustitudo studentica" und vor allem die treffliche "Floia" sind
prächtige, üppige Genrebilder des deutschen Studententhums, wel-
ches alle effectvollen Tonmischungen dazu geliefert hat.

Nachdem einmal das deutsche Studententhum seit der Face-
tienliteratur in voller Blüte aufgebrochen war, wurde es auch
noch dadurch als historische Erscheinung merkwürdig, daß es in
seinem so üppigen wie soliden Aufstreben dem lotterigen fahrenden
Scholastenthum des Mittelalters ein Ende machte, ohne daß es
doch jemals mit diesem etwas gemein gehabt hätte, so wenig wie
der frische Geist mit todten, vermoderten Formen sich befassen mag.
Der Scholasticismus des Mittelalters mit seinen bettlerischen und
landstreicherischen Jüngern hatte als seinen Gegensatz auch eine so
scheue Jsolirung und arge Verknöcherung des Gelehrtenstandes
gefördert, daß, wie Thomas Platter's Beispiel 1) recht anschaulich
zeigt, die leere äußere Form leicht copirt und vom Betrug ausge-
beutet werden konnte, welcher in den vagabundirenden Scholasten
nicht einmal ein Gelehrtenproletariat, sondern nur eine betrügeri-
sche äußere Maske desselben aufstellte. Das deutsche Studenten-
thum dagegen war eine reine, aus dem tiefsten Grunde des deut-
schen Wesens hervorgebrochene frische Blüte auf dem fruchtbaren
Boden des Protestantismus, welcher der deutschen Wissenschaft erst
die vollste geistige Freiheit gab und aus den Universitäten Tempel

1) Vgl. G. Freitag, "Bilder aus der deutschen Vergangenheit", I, 69 fg.:
Selbstbiographie des Thomas Platter.

genen Lexikographie der Studentenſprache eher eine abſchwächende
Verſetzung als eine wahre Repräſentation und Förderung erhalten
hat, am deutlichſten und prägnanteſten aber in der reichen Literatur
der Facetien repräſentirt iſt. Faſt jede Nummer der „Facetiae
Facetiarum
“, der „Nugae venales“ u. ſ. w. athmet ſtudentiſchen
Geiſt und bewegt ſich in ſtudentiſchen Sprachformen. Man ſieht
es, daß nur von dieſem Geiſt herbeibeſchworen die maccaroniſche
Literatur von Jtalien her den vermeſſenen Sprung auf deutſches
Gebiet wagen konnte, um dem fröhlichen Studententhum in die
Arme zu fallen und ſein spiritus familiaris zu werden. Die
Lustitudo studentica“ und vor allem die treffliche „Floia“ ſind
prächtige, üppige Genrebilder des deutſchen Studententhums, wel-
ches alle effectvollen Tonmiſchungen dazu geliefert hat.

Nachdem einmal das deutſche Studententhum ſeit der Face-
tienliteratur in voller Blüte aufgebrochen war, wurde es auch
noch dadurch als hiſtoriſche Erſcheinung merkwürdig, daß es in
ſeinem ſo üppigen wie ſoliden Aufſtreben dem lotterigen fahrenden
Scholaſtenthum des Mittelalters ein Ende machte, ohne daß es
doch jemals mit dieſem etwas gemein gehabt hätte, ſo wenig wie
der friſche Geiſt mit todten, vermoderten Formen ſich befaſſen mag.
Der Scholaſticismus des Mittelalters mit ſeinen bettleriſchen und
landſtreicheriſchen Jüngern hatte als ſeinen Gegenſatz auch eine ſo
ſcheue Jſolirung und arge Verknöcherung des Gelehrtenſtandes
gefördert, daß, wie Thomas Platter’s Beiſpiel 1) recht anſchaulich
zeigt, die leere äußere Form leicht copirt und vom Betrug ausge-
beutet werden konnte, welcher in den vagabundirenden Scholaſten
nicht einmal ein Gelehrtenproletariat, ſondern nur eine betrügeri-
ſche äußere Maske deſſelben aufſtellte. Das deutſche Studenten-
thum dagegen war eine reine, aus dem tiefſten Grunde des deut-
ſchen Weſens hervorgebrochene friſche Blüte auf dem fruchtbaren
Boden des Proteſtantismus, welcher der deutſchen Wiſſenſchaft erſt
die vollſte geiſtige Freiheit gab und aus den Univerſitäten Tempel

1) Vgl. G. Freitag, „Bilder aus der deutſchen Vergangenheit“, I, 69 fg.:
Selbſtbiographie des Thomas Platter.
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[96/0130] genen Lexikographie der Studentenſprache eher eine abſchwächende Verſetzung als eine wahre Repräſentation und Förderung erhalten hat, am deutlichſten und prägnanteſten aber in der reichen Literatur der Facetien repräſentirt iſt. Faſt jede Nummer der „Facetiae Facetiarum“, der „Nugae venales“ u. ſ. w. athmet ſtudentiſchen Geiſt und bewegt ſich in ſtudentiſchen Sprachformen. Man ſieht es, daß nur von dieſem Geiſt herbeibeſchworen die maccaroniſche Literatur von Jtalien her den vermeſſenen Sprung auf deutſches Gebiet wagen konnte, um dem fröhlichen Studententhum in die Arme zu fallen und ſein spiritus familiaris zu werden. Die „Lustitudo studentica“ und vor allem die treffliche „Floia“ ſind prächtige, üppige Genrebilder des deutſchen Studententhums, wel- ches alle effectvollen Tonmiſchungen dazu geliefert hat. Nachdem einmal das deutſche Studententhum ſeit der Face- tienliteratur in voller Blüte aufgebrochen war, wurde es auch noch dadurch als hiſtoriſche Erſcheinung merkwürdig, daß es in ſeinem ſo üppigen wie ſoliden Aufſtreben dem lotterigen fahrenden Scholaſtenthum des Mittelalters ein Ende machte, ohne daß es doch jemals mit dieſem etwas gemein gehabt hätte, ſo wenig wie der friſche Geiſt mit todten, vermoderten Formen ſich befaſſen mag. Der Scholaſticismus des Mittelalters mit ſeinen bettleriſchen und landſtreicheriſchen Jüngern hatte als ſeinen Gegenſatz auch eine ſo ſcheue Jſolirung und arge Verknöcherung des Gelehrtenſtandes gefördert, daß, wie Thomas Platter’s Beiſpiel 1) recht anſchaulich zeigt, die leere äußere Form leicht copirt und vom Betrug ausge- beutet werden konnte, welcher in den vagabundirenden Scholaſten nicht einmal ein Gelehrtenproletariat, ſondern nur eine betrügeri- ſche äußere Maske deſſelben aufſtellte. Das deutſche Studenten- thum dagegen war eine reine, aus dem tiefſten Grunde des deut- ſchen Weſens hervorgebrochene friſche Blüte auf dem fruchtbaren Boden des Proteſtantismus, welcher der deutſchen Wiſſenſchaft erſt die vollſte geiſtige Freiheit gab und aus den Univerſitäten Tempel 1) Vgl. G. Freitag, „Bilder aus der deutſchen Vergangenheit“, I, 69 fg.: Selbſtbiographie des Thomas Platter.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/130>, abgerufen am 22.11.2024.