genen Lexikographie der Studentensprache eher eine abschwächende Versetzung als eine wahre Repräsentation und Förderung erhalten hat, am deutlichsten und prägnantesten aber in der reichen Literatur der Facetien repräsentirt ist. Fast jede Nummer der "Facetiae Facetiarum", der "Nugae venales" u. s. w. athmet studentischen Geist und bewegt sich in studentischen Sprachformen. Man sieht es, daß nur von diesem Geist herbeibeschworen die maccaronische Literatur von Jtalien her den vermessenen Sprung auf deutsches Gebiet wagen konnte, um dem fröhlichen Studententhum in die Arme zu fallen und sein spiritus familiaris zu werden. Die "Lustitudo studentica" und vor allem die treffliche "Floia" sind prächtige, üppige Genrebilder des deutschen Studententhums, wel- ches alle effectvollen Tonmischungen dazu geliefert hat.
Nachdem einmal das deutsche Studententhum seit der Face- tienliteratur in voller Blüte aufgebrochen war, wurde es auch noch dadurch als historische Erscheinung merkwürdig, daß es in seinem so üppigen wie soliden Aufstreben dem lotterigen fahrenden Scholastenthum des Mittelalters ein Ende machte, ohne daß es doch jemals mit diesem etwas gemein gehabt hätte, so wenig wie der frische Geist mit todten, vermoderten Formen sich befassen mag. Der Scholasticismus des Mittelalters mit seinen bettlerischen und landstreicherischen Jüngern hatte als seinen Gegensatz auch eine so scheue Jsolirung und arge Verknöcherung des Gelehrtenstandes gefördert, daß, wie Thomas Platter's Beispiel 1) recht anschaulich zeigt, die leere äußere Form leicht copirt und vom Betrug ausge- beutet werden konnte, welcher in den vagabundirenden Scholasten nicht einmal ein Gelehrtenproletariat, sondern nur eine betrügeri- sche äußere Maske desselben aufstellte. Das deutsche Studenten- thum dagegen war eine reine, aus dem tiefsten Grunde des deut- schen Wesens hervorgebrochene frische Blüte auf dem fruchtbaren Boden des Protestantismus, welcher der deutschen Wissenschaft erst die vollste geistige Freiheit gab und aus den Universitäten Tempel
1) Vgl. G. Freitag, "Bilder aus der deutschen Vergangenheit", I, 69 fg.: Selbstbiographie des Thomas Platter.
genen Lexikographie der Studentenſprache eher eine abſchwächende Verſetzung als eine wahre Repräſentation und Förderung erhalten hat, am deutlichſten und prägnanteſten aber in der reichen Literatur der Facetien repräſentirt iſt. Faſt jede Nummer der „Facetiae Facetiarum“, der „Nugae venales“ u. ſ. w. athmet ſtudentiſchen Geiſt und bewegt ſich in ſtudentiſchen Sprachformen. Man ſieht es, daß nur von dieſem Geiſt herbeibeſchworen die maccaroniſche Literatur von Jtalien her den vermeſſenen Sprung auf deutſches Gebiet wagen konnte, um dem fröhlichen Studententhum in die Arme zu fallen und ſein spiritus familiaris zu werden. Die „Lustitudo studentica“ und vor allem die treffliche „Floia“ ſind prächtige, üppige Genrebilder des deutſchen Studententhums, wel- ches alle effectvollen Tonmiſchungen dazu geliefert hat.
Nachdem einmal das deutſche Studententhum ſeit der Face- tienliteratur in voller Blüte aufgebrochen war, wurde es auch noch dadurch als hiſtoriſche Erſcheinung merkwürdig, daß es in ſeinem ſo üppigen wie ſoliden Aufſtreben dem lotterigen fahrenden Scholaſtenthum des Mittelalters ein Ende machte, ohne daß es doch jemals mit dieſem etwas gemein gehabt hätte, ſo wenig wie der friſche Geiſt mit todten, vermoderten Formen ſich befaſſen mag. Der Scholaſticismus des Mittelalters mit ſeinen bettleriſchen und landſtreicheriſchen Jüngern hatte als ſeinen Gegenſatz auch eine ſo ſcheue Jſolirung und arge Verknöcherung des Gelehrtenſtandes gefördert, daß, wie Thomas Platter’s Beiſpiel 1) recht anſchaulich zeigt, die leere äußere Form leicht copirt und vom Betrug ausge- beutet werden konnte, welcher in den vagabundirenden Scholaſten nicht einmal ein Gelehrtenproletariat, ſondern nur eine betrügeri- ſche äußere Maske deſſelben aufſtellte. Das deutſche Studenten- thum dagegen war eine reine, aus dem tiefſten Grunde des deut- ſchen Weſens hervorgebrochene friſche Blüte auf dem fruchtbaren Boden des Proteſtantismus, welcher der deutſchen Wiſſenſchaft erſt die vollſte geiſtige Freiheit gab und aus den Univerſitäten Tempel
1) Vgl. G. Freitag, „Bilder aus der deutſchen Vergangenheit“, I, 69 fg.: Selbſtbiographie des Thomas Platter.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0130"n="96"/>
genen Lexikographie der Studentenſprache eher eine abſchwächende<lb/>
Verſetzung als eine wahre Repräſentation und Förderung erhalten<lb/>
hat, am deutlichſten und prägnanteſten aber in der reichen Literatur<lb/>
der Facetien repräſentirt iſt. Faſt jede Nummer der „<hirendition="#aq">Facetiae<lb/>
Facetiarum</hi>“, der „<hirendition="#aq">Nugae venales</hi>“ u. ſ. w. athmet ſtudentiſchen<lb/>
Geiſt und bewegt ſich in ſtudentiſchen Sprachformen. Man ſieht<lb/>
es, daß nur von dieſem Geiſt herbeibeſchworen die maccaroniſche<lb/>
Literatur von Jtalien her den vermeſſenen Sprung auf deutſches<lb/>
Gebiet wagen konnte, um dem fröhlichen Studententhum in die<lb/>
Arme zu fallen und ſein <hirendition="#aq">spiritus familiaris</hi> zu werden. Die<lb/>„<hirendition="#aq">Lustitudo studentica</hi>“ und vor allem die treffliche „<hirendition="#aq">Floia</hi>“ſind<lb/>
prächtige, üppige Genrebilder des deutſchen Studententhums, wel-<lb/>
ches alle effectvollen Tonmiſchungen dazu geliefert hat.</p><lb/><p>Nachdem einmal das deutſche Studententhum ſeit der Face-<lb/>
tienliteratur in voller Blüte aufgebrochen war, wurde es auch<lb/>
noch dadurch als hiſtoriſche Erſcheinung merkwürdig, daß es in<lb/>ſeinem ſo üppigen wie ſoliden Aufſtreben dem lotterigen fahrenden<lb/>
Scholaſtenthum des Mittelalters ein Ende machte, ohne daß es<lb/>
doch jemals mit dieſem etwas gemein gehabt hätte, ſo wenig wie<lb/>
der friſche Geiſt mit todten, vermoderten Formen ſich befaſſen mag.<lb/>
Der Scholaſticismus des Mittelalters mit ſeinen bettleriſchen und<lb/>
landſtreicheriſchen Jüngern hatte als ſeinen Gegenſatz auch eine ſo<lb/>ſcheue Jſolirung und arge Verknöcherung des Gelehrtenſtandes<lb/>
gefördert, daß, wie Thomas Platter’s Beiſpiel <noteplace="foot"n="1)">Vgl. G. Freitag, „Bilder aus der deutſchen Vergangenheit“, <hirendition="#aq">I</hi>, 69 fg.:<lb/>
Selbſtbiographie des Thomas Platter.</note> recht anſchaulich<lb/>
zeigt, die leere äußere Form leicht copirt und vom Betrug ausge-<lb/>
beutet werden konnte, welcher in den vagabundirenden Scholaſten<lb/>
nicht einmal ein Gelehrtenproletariat, ſondern nur eine betrügeri-<lb/>ſche äußere Maske deſſelben aufſtellte. Das deutſche Studenten-<lb/>
thum dagegen war eine reine, aus dem tiefſten Grunde des deut-<lb/>ſchen Weſens hervorgebrochene friſche Blüte auf dem fruchtbaren<lb/>
Boden des Proteſtantismus, welcher der deutſchen Wiſſenſchaft erſt<lb/>
die vollſte geiſtige Freiheit gab und aus den Univerſitäten Tempel<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[96/0130]
genen Lexikographie der Studentenſprache eher eine abſchwächende
Verſetzung als eine wahre Repräſentation und Förderung erhalten
hat, am deutlichſten und prägnanteſten aber in der reichen Literatur
der Facetien repräſentirt iſt. Faſt jede Nummer der „Facetiae
Facetiarum“, der „Nugae venales“ u. ſ. w. athmet ſtudentiſchen
Geiſt und bewegt ſich in ſtudentiſchen Sprachformen. Man ſieht
es, daß nur von dieſem Geiſt herbeibeſchworen die maccaroniſche
Literatur von Jtalien her den vermeſſenen Sprung auf deutſches
Gebiet wagen konnte, um dem fröhlichen Studententhum in die
Arme zu fallen und ſein spiritus familiaris zu werden. Die
„Lustitudo studentica“ und vor allem die treffliche „Floia“ ſind
prächtige, üppige Genrebilder des deutſchen Studententhums, wel-
ches alle effectvollen Tonmiſchungen dazu geliefert hat.
Nachdem einmal das deutſche Studententhum ſeit der Face-
tienliteratur in voller Blüte aufgebrochen war, wurde es auch
noch dadurch als hiſtoriſche Erſcheinung merkwürdig, daß es in
ſeinem ſo üppigen wie ſoliden Aufſtreben dem lotterigen fahrenden
Scholaſtenthum des Mittelalters ein Ende machte, ohne daß es
doch jemals mit dieſem etwas gemein gehabt hätte, ſo wenig wie
der friſche Geiſt mit todten, vermoderten Formen ſich befaſſen mag.
Der Scholaſticismus des Mittelalters mit ſeinen bettleriſchen und
landſtreicheriſchen Jüngern hatte als ſeinen Gegenſatz auch eine ſo
ſcheue Jſolirung und arge Verknöcherung des Gelehrtenſtandes
gefördert, daß, wie Thomas Platter’s Beiſpiel 1) recht anſchaulich
zeigt, die leere äußere Form leicht copirt und vom Betrug ausge-
beutet werden konnte, welcher in den vagabundirenden Scholaſten
nicht einmal ein Gelehrtenproletariat, ſondern nur eine betrügeri-
ſche äußere Maske deſſelben aufſtellte. Das deutſche Studenten-
thum dagegen war eine reine, aus dem tiefſten Grunde des deut-
ſchen Weſens hervorgebrochene friſche Blüte auf dem fruchtbaren
Boden des Proteſtantismus, welcher der deutſchen Wiſſenſchaft erſt
die vollſte geiſtige Freiheit gab und aus den Univerſitäten Tempel
1) Vgl. G. Freitag, „Bilder aus der deutſchen Vergangenheit“, I, 69 fg.:
Selbſtbiographie des Thomas Platter.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/130>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.