überdies noch als Händelmacher zur Haft und Untersuchung gezogen wird. Der Dieb kann aber auch selbst, ohne Beihülfe eines Dritten, Vertuss machen, z. B. durch Simulation von Trunkenheit oder Albernheit, oder durch Provocation sonstiger Auffälligkeiten, welche die lebhafte Aufmerksamkeit nach einer be- stimmten Richtung lenken, wie dies z. B. durch Feuerruf in Thea- tern und zahlreichen Versammlungen geschieht. Auf alle Fälle ist es klug und geboten, jeden, der öffentliches Aufsehen erregende auffällige Handlungen begeht, oder Händel anstiftet, sofort anzu- halten, zu untersuchen, und nach Befinden zu strafen, wozu schon der bloße Bruch des Friedens auf Märkten und offenen Wegen und Stegen genugsame Veranlassung gibt, wenn man auch nicht immer im Stande ist, die öffentlich dargelegten Affecte und Ge- brechen gleich auf der Stelle als Simulation und Vertuss zu unterscheiden. Jn dieser Beziehung zählt schon der Liber Vaga- torum eine Menge Vertussarten auf, die auch noch heutiges Tages in Anwendung kommen. Mehr als einmal hat wol jeder Polizei- mann verfolgte Bettler und Hauseinschleicher die Krücken weg- werfen und eiligst davon laufen sehen, daß, wie der Liber Vaga- torum sagt, "ein Pferd ihn nicht möcht erreichen". Ein fast täglich und besonders von Kindern gemachter und immer noch nicht sogleich richtig gewürdigter Vertuss ist das laute Weinen und Jammern auf den Straßen unter dem Vorgeben, Geld ver- loren oder ein Geräth zerbrochen zu haben, um die Vorüber- gehenden zum Mitleid zu bewegen, die meistens auch sehr rasch eine oft überreichliche Collecte veranstalten. Jn dieser Weise gibt es noch unzählige Vertussarten, die zumeist auf das Mitleid be- rechnet sind, und gegen die man sich nur durch kalte Besonnen- heit schützen kann.
überdies noch als Händelmacher zur Haft und Unterſuchung gezogen wird. Der Dieb kann aber auch ſelbſt, ohne Beihülfe eines Dritten, Vertuſſ machen, z. B. durch Simulation von Trunkenheit oder Albernheit, oder durch Provocation ſonſtiger Auffälligkeiten, welche die lebhafte Aufmerkſamkeit nach einer be- ſtimmten Richtung lenken, wie dies z. B. durch Feuerruf in Thea- tern und zahlreichen Verſammlungen geſchieht. Auf alle Fälle iſt es klug und geboten, jeden, der öffentliches Aufſehen erregende auffällige Handlungen begeht, oder Händel anſtiftet, ſofort anzu- halten, zu unterſuchen, und nach Befinden zu ſtrafen, wozu ſchon der bloße Bruch des Friedens auf Märkten und offenen Wegen und Stegen genugſame Veranlaſſung gibt, wenn man auch nicht immer im Stande iſt, die öffentlich dargelegten Affecte und Ge- brechen gleich auf der Stelle als Simulation und Vertuſſ zu unterſcheiden. Jn dieſer Beziehung zählt ſchon der Liber Vaga- torum eine Menge Vertuſſarten auf, die auch noch heutiges Tages in Anwendung kommen. Mehr als einmal hat wol jeder Polizei- mann verfolgte Bettler und Hauseinſchleicher die Krücken weg- werfen und eiligſt davon laufen ſehen, daß, wie der Liber Vaga- torum ſagt, „ein Pferd ihn nicht möcht erreichen“. Ein faſt täglich und beſonders von Kindern gemachter und immer noch nicht ſogleich richtig gewürdigter Vertuſſ iſt das laute Weinen und Jammern auf den Straßen unter dem Vorgeben, Geld ver- loren oder ein Geräth zerbrochen zu haben, um die Vorüber- gehenden zum Mitleid zu bewegen, die meiſtens auch ſehr raſch eine oft überreichliche Collecte veranſtalten. Jn dieſer Weiſe gibt es noch unzählige Vertuſſarten, die zumeiſt auf das Mitleid be- rechnet ſind, und gegen die man ſich nur durch kalte Beſonnen- heit ſchützen kann.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0087"n="75"/>
überdies noch als Händelmacher zur Haft und Unterſuchung<lb/>
gezogen wird. Der Dieb kann aber auch ſelbſt, ohne Beihülfe<lb/>
eines Dritten, Vertuſſ machen, z. B. durch Simulation von<lb/>
Trunkenheit oder Albernheit, oder durch Provocation ſonſtiger<lb/>
Auffälligkeiten, welche die lebhafte Aufmerkſamkeit nach einer be-<lb/>ſtimmten Richtung lenken, wie dies z. B. durch Feuerruf in Thea-<lb/>
tern und zahlreichen Verſammlungen geſchieht. Auf alle Fälle iſt<lb/>
es klug und geboten, jeden, der öffentliches Aufſehen erregende<lb/>
auffällige Handlungen begeht, oder Händel anſtiftet, ſofort anzu-<lb/>
halten, zu unterſuchen, und nach Befinden zu ſtrafen, wozu ſchon<lb/>
der bloße Bruch des Friedens auf Märkten und offenen Wegen<lb/>
und Stegen genugſame Veranlaſſung gibt, wenn man auch nicht<lb/>
immer im Stande iſt, die öffentlich dargelegten Affecte und Ge-<lb/>
brechen gleich auf der Stelle als Simulation und Vertuſſ zu<lb/>
unterſcheiden. Jn dieſer Beziehung zählt ſchon der <hirendition="#aq">Liber Vaga-<lb/>
torum</hi> eine Menge Vertuſſarten auf, die auch noch heutiges Tages<lb/>
in Anwendung kommen. Mehr als einmal hat wol jeder Polizei-<lb/>
mann verfolgte Bettler und Hauseinſchleicher die Krücken weg-<lb/>
werfen und eiligſt davon laufen ſehen, daß, wie der <hirendition="#aq">Liber Vaga-<lb/>
torum</hi>ſagt, „ein Pferd ihn nicht möcht erreichen“. Ein faſt<lb/>
täglich und beſonders von Kindern gemachter und immer noch<lb/>
nicht ſogleich richtig gewürdigter Vertuſſ iſt das laute Weinen<lb/>
und Jammern auf den Straßen unter dem Vorgeben, Geld ver-<lb/>
loren oder ein Geräth zerbrochen zu haben, um die Vorüber-<lb/>
gehenden zum Mitleid zu bewegen, die meiſtens auch ſehr raſch<lb/>
eine oft überreichliche Collecte veranſtalten. Jn dieſer Weiſe gibt<lb/>
es noch unzählige Vertuſſarten, die zumeiſt auf das Mitleid be-<lb/>
rechnet ſind, und gegen die man ſich nur durch kalte Beſonnen-<lb/>
heit ſchützen kann.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[75/0087]
überdies noch als Händelmacher zur Haft und Unterſuchung
gezogen wird. Der Dieb kann aber auch ſelbſt, ohne Beihülfe
eines Dritten, Vertuſſ machen, z. B. durch Simulation von
Trunkenheit oder Albernheit, oder durch Provocation ſonſtiger
Auffälligkeiten, welche die lebhafte Aufmerkſamkeit nach einer be-
ſtimmten Richtung lenken, wie dies z. B. durch Feuerruf in Thea-
tern und zahlreichen Verſammlungen geſchieht. Auf alle Fälle iſt
es klug und geboten, jeden, der öffentliches Aufſehen erregende
auffällige Handlungen begeht, oder Händel anſtiftet, ſofort anzu-
halten, zu unterſuchen, und nach Befinden zu ſtrafen, wozu ſchon
der bloße Bruch des Friedens auf Märkten und offenen Wegen
und Stegen genugſame Veranlaſſung gibt, wenn man auch nicht
immer im Stande iſt, die öffentlich dargelegten Affecte und Ge-
brechen gleich auf der Stelle als Simulation und Vertuſſ zu
unterſcheiden. Jn dieſer Beziehung zählt ſchon der Liber Vaga-
torum eine Menge Vertuſſarten auf, die auch noch heutiges Tages
in Anwendung kommen. Mehr als einmal hat wol jeder Polizei-
mann verfolgte Bettler und Hauseinſchleicher die Krücken weg-
werfen und eiligſt davon laufen ſehen, daß, wie der Liber Vaga-
torum ſagt, „ein Pferd ihn nicht möcht erreichen“. Ein faſt
täglich und beſonders von Kindern gemachter und immer noch
nicht ſogleich richtig gewürdigter Vertuſſ iſt das laute Weinen
und Jammern auf den Straßen unter dem Vorgeben, Geld ver-
loren oder ein Geräth zerbrochen zu haben, um die Vorüber-
gehenden zum Mitleid zu bewegen, die meiſtens auch ſehr raſch
eine oft überreichliche Collecte veranſtalten. Jn dieſer Weiſe gibt
es noch unzählige Vertuſſarten, die zumeiſt auf das Mitleid be-
rechnet ſind, und gegen die man ſich nur durch kalte Beſonnen-
heit ſchützen kann.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/87>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.