selten vorgekommen ist. Eine weitere Stütze hat der Chef in seinen zuverlässigen Subalternen, in denen der Gauner auf den ersten Blick die tüchtigen geschulten und erfahrenen Beamten er- kennt, und vor allem in der vorsichtigen Untersuchungs- haft, in welcher der isolirte Gauner die Unmöglichkeit zu ent- kommen rasch begreift, und bei der Aufmerksamkeit erfahrener und unbestechlicher Gefängnißbeamten verzweifeln muß, Hülfsmittel und Gelegenheit dazu zu erlangen. Nur unter diesen Voraussetzungen darf der inquirirende Polizeimann erwarten, daß seine geistige Operation gegen den Verbrecher von Anbeginn an nicht vergeb- lich ist, und nicht resultatlos bleiben wird.
Wer sich als Jnquirent daran gewöhnt hat, die feinen und wichtigen Unterschiede zwischen Zug und Miene, Blick und Auge, Ton und Stimme, Statur und Haltung, Gang und Bewegung u. s. w. zu beachten, dem wird auch das dualistische Wesen des Gauners in die Augen fallen, in welchem er stets seine Jndivi- dualität hinter seiner Erscheinung zu verstecken sucht. Auch wird er klar unterscheiden können, was am Gauner der bloßen Er- scheinung und was der Jndividualität angehört. Das Gauner- thum selbst ist sich ja dieser Unterschiede so sehr bewußt, daß es gerade darum seine eigene geheime Wortsprache, seine eigene künst- liche Geberden- und Zeichensprache in den feinsten Nuancirungen erfunden hat, um unter sich dies Verständniß und die Verbindung zu unterhalten. Um den Eingang in das Verkehrsleben zu ge- winnen, bedarf der Gauner der unverdächtigen Erscheinung, welcher er durch seine Legitimation und durch sein Auftreten den vollen Schein der Unverdächtigkeit zu verleihen und zu erhalten sucht, damit er seine gaunerische Jndividualität unter diesem künstlichen Deckmantel desto freier walten lassen kann. Um jeden Preis 1) sucht er diese Erscheinung festzuhalten, weil er weiß, daß,
1) So ist mir ein alter berüchtigter Schedunner bekannt geworden, wel- cher sich für den seit Jahren verschollenen Häusling D. aus einem nahen Dorfe ausgab, und, mit der Frau des letztern, einer triefäugigen Megäre, confrontirt, sofort die ihm ganz fremde, höchst widerliche alte Person als seine
ſelten vorgekommen iſt. Eine weitere Stütze hat der Chef in ſeinen zuverläſſigen Subalternen, in denen der Gauner auf den erſten Blick die tüchtigen geſchulten und erfahrenen Beamten er- kennt, und vor allem in der vorſichtigen Unterſuchungs- haft, in welcher der iſolirte Gauner die Unmöglichkeit zu ent- kommen raſch begreift, und bei der Aufmerkſamkeit erfahrener und unbeſtechlicher Gefängnißbeamten verzweifeln muß, Hülfsmittel und Gelegenheit dazu zu erlangen. Nur unter dieſen Vorausſetzungen darf der inquirirende Polizeimann erwarten, daß ſeine geiſtige Operation gegen den Verbrecher von Anbeginn an nicht vergeb- lich iſt, und nicht reſultatlos bleiben wird.
Wer ſich als Jnquirent daran gewöhnt hat, die feinen und wichtigen Unterſchiede zwiſchen Zug und Miene, Blick und Auge, Ton und Stimme, Statur und Haltung, Gang und Bewegung u. ſ. w. zu beachten, dem wird auch das dualiſtiſche Weſen des Gauners in die Augen fallen, in welchem er ſtets ſeine Jndivi- dualität hinter ſeiner Erſcheinung zu verſtecken ſucht. Auch wird er klar unterſcheiden können, was am Gauner der bloßen Er- ſcheinung und was der Jndividualität angehört. Das Gauner- thum ſelbſt iſt ſich ja dieſer Unterſchiede ſo ſehr bewußt, daß es gerade darum ſeine eigene geheime Wortſprache, ſeine eigene künſt- liche Geberden- und Zeichenſprache in den feinſten Nuancirungen erfunden hat, um unter ſich dies Verſtändniß und die Verbindung zu unterhalten. Um den Eingang in das Verkehrsleben zu ge- winnen, bedarf der Gauner der unverdächtigen Erſcheinung, welcher er durch ſeine Legitimation und durch ſein Auftreten den vollen Schein der Unverdächtigkeit zu verleihen und zu erhalten ſucht, damit er ſeine gauneriſche Jndividualität unter dieſem künſtlichen Deckmantel deſto freier walten laſſen kann. Um jeden Preis 1) ſucht er dieſe Erſcheinung feſtzuhalten, weil er weiß, daß,
1) So iſt mir ein alter berüchtigter Schedunner bekannt geworden, wel- cher ſich für den ſeit Jahren verſchollenen Häusling D. aus einem nahen Dorfe ausgab, und, mit der Frau des letztern, einer triefäugigen Megäre, confrontirt, ſofort die ihm ganz fremde, höchſt widerliche alte Perſon als ſeine
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ſelten vorgekommen iſt. Eine weitere Stütze hat der Chef in ſeinen
zuverläſſigen Subalternen, in denen der Gauner auf den
erſten Blick die tüchtigen geſchulten und erfahrenen Beamten er-
kennt, und vor allem in der vorſichtigen Unterſuchungs-
haft, in welcher der iſolirte Gauner die Unmöglichkeit zu ent-
kommen raſch begreift, und bei der Aufmerkſamkeit erfahrener und
unbeſtechlicher Gefängnißbeamten verzweifeln muß, Hülfsmittel und
Gelegenheit dazu zu erlangen. Nur unter dieſen Vorausſetzungen
darf der inquirirende Polizeimann erwarten, daß ſeine geiſtige
Operation gegen den Verbrecher von Anbeginn an nicht vergeb-
lich iſt, und nicht reſultatlos bleiben wird.
Wer ſich als Jnquirent daran gewöhnt hat, die feinen und
wichtigen Unterſchiede zwiſchen Zug und Miene, Blick und Auge,
Ton und Stimme, Statur und Haltung, Gang und Bewegung
u. ſ. w. zu beachten, dem wird auch das dualiſtiſche Weſen des
Gauners in die Augen fallen, in welchem er ſtets ſeine Jndivi-
dualität hinter ſeiner Erſcheinung zu verſtecken ſucht. Auch wird
er klar unterſcheiden können, was am Gauner der bloßen Er-
ſcheinung und was der Jndividualität angehört. Das Gauner-
thum ſelbſt iſt ſich ja dieſer Unterſchiede ſo ſehr bewußt, daß es
gerade darum ſeine eigene geheime Wortſprache, ſeine eigene künſt-
liche Geberden- und Zeichenſprache in den feinſten Nuancirungen
erfunden hat, um unter ſich dies Verſtändniß und die Verbindung
zu unterhalten. Um den Eingang in das Verkehrsleben zu ge-
winnen, bedarf der Gauner der unverdächtigen Erſcheinung,
welcher er durch ſeine Legitimation und durch ſein Auftreten den
vollen Schein der Unverdächtigkeit zu verleihen und zu erhalten
ſucht, damit er ſeine gauneriſche Jndividualität unter dieſem
künſtlichen Deckmantel deſto freier walten laſſen kann. Um jeden
Preis 1) ſucht er dieſe Erſcheinung feſtzuhalten, weil er weiß, daß,
1) So iſt mir ein alter berüchtigter Schedunner bekannt geworden, wel-
cher ſich für den ſeit Jahren verſchollenen Häusling D. aus einem nahen
Dorfe ausgab, und, mit der Frau des letztern, einer triefäugigen Megäre,
confrontirt, ſofort die ihm ganz fremde, höchſt widerliche alte Perſon als ſeine
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/394>, abgerufen am 01.08.2024.
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