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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Einhundertunddrittes Kapitel.
i) Die Verfolgung des Gaunerthums.

Der Mangel an genügender Erforschung der eigentlichen
Gaunerkunst, die Unbeweglichkeit und Jsolirung der Behörden
selbst hat den Muth der Polizei zum frischen directen Angriff auf
das Gaunerthum wesentlich herabgedrückt. Man sieht den Man-
gel an gegenseitiger Willfährigkeit, an Zusammenhang und Unter-
stützung der Behörden schon mit den nachtheiligsten Folgen in den
ersten größern Gauneruntersuchungen, wie z. B. in der celleschen
Untersuchung gegen Nicol List 1), in der koburgischen Untersuchung
gegen Emmanuel Heinemann ("Der entdeckte jüdische Baldower"),
in welcher die Gaunerverbindung durch ganz Deutschland bloßge-
legt war, aber durch den Mangel an gegenseitiger Verbindung
und Unterstützung der Behörden kaum bedroht, in keiner Weise
aber beirrt wurde. Je mehr nun später das Uebel begriffen wor-
den ist, desto mehr haben zwar die Behörden eine Einigung an-
gestrebt; aber diese durch Jahrhunderte hindurch verabsäumte Eini-
gung ist lange noch nicht so innig und fest, daß sie allen den un-
geheuern Vortheilen auch nur einigermaßen entspräche, welche
das Gaunerthum, vermöge seiner Kunst und seines innern Zu-
sammenhangs, und durch die Begünstigung der vielen deutschen
Territorien und Grenzen besitzt. Trotz der wohlbegriffenen innern

1) Bei Hofemann, "Fürtreffliches Denkmahl" u. s. w. (2. Aufl. 1701),
S. 322--327. Kaum erklärlich erscheint der gegenseitige Widerstand zwischen
dem Magistrat zu Celle und dem Rathe zu Lübeck. Jn Celle, wo die Unter-
suchung gegen Nicol List geführt wurde, verlangte man zum Zweck der Con-
frontation die Sistirung des in Lübeck inhaftirten lübeckischen Schutzjuden Na-
than Goldschmid, welcher mit Vincenz Niclas, Nicol List und Consorten im
Jahre 1694 dem lübeckischen Kaufmann Hübens 24000 Mark mittels Ein-
steigens entwendet hatte. Lübeck verweigerte die Confrontation so hartnäckig,
daß es nicht einmal den Goldschmid nach dem nur drei Meilen von Lübeck
entfernten Ratzeburg zur Confrontation mit dem von Celle aus dorthin ge-
schickten Vincenz Niclas absandte, der deshalb unverrichteter Sache nach Celle
zurückgebracht werden mußte.
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Einhundertunddrittes Kapitel.
i) Die Verfolgung des Gaunerthums.

Der Mangel an genügender Erforſchung der eigentlichen
Gaunerkunſt, die Unbeweglichkeit und Jſolirung der Behörden
ſelbſt hat den Muth der Polizei zum friſchen directen Angriff auf
das Gaunerthum weſentlich herabgedrückt. Man ſieht den Man-
gel an gegenſeitiger Willfährigkeit, an Zuſammenhang und Unter-
ſtützung der Behörden ſchon mit den nachtheiligſten Folgen in den
erſten größern Gaunerunterſuchungen, wie z. B. in der celleſchen
Unterſuchung gegen Nicol Liſt 1), in der koburgiſchen Unterſuchung
gegen Emmanuel Heinemann („Der entdeckte jüdiſche Baldower“),
in welcher die Gaunerverbindung durch ganz Deutſchland bloßge-
legt war, aber durch den Mangel an gegenſeitiger Verbindung
und Unterſtützung der Behörden kaum bedroht, in keiner Weiſe
aber beirrt wurde. Je mehr nun ſpäter das Uebel begriffen wor-
den iſt, deſto mehr haben zwar die Behörden eine Einigung an-
geſtrebt; aber dieſe durch Jahrhunderte hindurch verabſäumte Eini-
gung iſt lange noch nicht ſo innig und feſt, daß ſie allen den un-
geheuern Vortheilen auch nur einigermaßen entſpräche, welche
das Gaunerthum, vermöge ſeiner Kunſt und ſeines innern Zu-
ſammenhangs, und durch die Begünſtigung der vielen deutſchen
Territorien und Grenzen beſitzt. Trotz der wohlbegriffenen innern

1) Bei Hofemann, „Fürtreffliches Denkmahl“ u. ſ. w. (2. Aufl. 1701),
S. 322—327. Kaum erklärlich erſcheint der gegenſeitige Widerſtand zwiſchen
dem Magiſtrat zu Celle und dem Rathe zu Lübeck. Jn Celle, wo die Unter-
ſuchung gegen Nicol Liſt geführt wurde, verlangte man zum Zweck der Con-
frontation die Siſtirung des in Lübeck inhaftirten lübeckiſchen Schutzjuden Na-
than Goldſchmid, welcher mit Vincenz Niclas, Nicol Liſt und Conſorten im
Jahre 1694 dem lübeckiſchen Kaufmann Hübens 24000 Mark mittels Ein-
ſteigens entwendet hatte. Lübeck verweigerte die Confrontation ſo hartnäckig,
daß es nicht einmal den Goldſchmid nach dem nur drei Meilen von Lübeck
entfernten Ratzeburg zur Confrontation mit dem von Celle aus dorthin ge-
ſchickten Vincenz Niclas abſandte, der deshalb unverrichteter Sache nach Celle
zurückgebracht werden mußte.
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[371/0383] Einhundertunddrittes Kapitel. i) Die Verfolgung des Gaunerthums. Der Mangel an genügender Erforſchung der eigentlichen Gaunerkunſt, die Unbeweglichkeit und Jſolirung der Behörden ſelbſt hat den Muth der Polizei zum friſchen directen Angriff auf das Gaunerthum weſentlich herabgedrückt. Man ſieht den Man- gel an gegenſeitiger Willfährigkeit, an Zuſammenhang und Unter- ſtützung der Behörden ſchon mit den nachtheiligſten Folgen in den erſten größern Gaunerunterſuchungen, wie z. B. in der celleſchen Unterſuchung gegen Nicol Liſt 1), in der koburgiſchen Unterſuchung gegen Emmanuel Heinemann („Der entdeckte jüdiſche Baldower“), in welcher die Gaunerverbindung durch ganz Deutſchland bloßge- legt war, aber durch den Mangel an gegenſeitiger Verbindung und Unterſtützung der Behörden kaum bedroht, in keiner Weiſe aber beirrt wurde. Je mehr nun ſpäter das Uebel begriffen wor- den iſt, deſto mehr haben zwar die Behörden eine Einigung an- geſtrebt; aber dieſe durch Jahrhunderte hindurch verabſäumte Eini- gung iſt lange noch nicht ſo innig und feſt, daß ſie allen den un- geheuern Vortheilen auch nur einigermaßen entſpräche, welche das Gaunerthum, vermöge ſeiner Kunſt und ſeines innern Zu- ſammenhangs, und durch die Begünſtigung der vielen deutſchen Territorien und Grenzen beſitzt. Trotz der wohlbegriffenen innern 1) Bei Hofemann, „Fürtreffliches Denkmahl“ u. ſ. w. (2. Aufl. 1701), S. 322—327. Kaum erklärlich erſcheint der gegenſeitige Widerſtand zwiſchen dem Magiſtrat zu Celle und dem Rathe zu Lübeck. Jn Celle, wo die Unter- ſuchung gegen Nicol Liſt geführt wurde, verlangte man zum Zweck der Con- frontation die Siſtirung des in Lübeck inhaftirten lübeckiſchen Schutzjuden Na- than Goldſchmid, welcher mit Vincenz Niclas, Nicol Liſt und Conſorten im Jahre 1694 dem lübeckiſchen Kaufmann Hübens 24000 Mark mittels Ein- ſteigens entwendet hatte. Lübeck verweigerte die Confrontation ſo hartnäckig, daß es nicht einmal den Goldſchmid nach dem nur drei Meilen von Lübeck entfernten Ratzeburg zur Confrontation mit dem von Celle aus dorthin ge- ſchickten Vincenz Niclas abſandte, der deshalb unverrichteter Sache nach Celle zurückgebracht werden mußte. 24*

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/383>, abgerufen am 22.11.2024.