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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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leute wohnen, in der frechsten Weise ausgeübt, indem die Bil-
bulmacher unter dem Erbieten zu discreter und billiger außerge-
richtlicher Abmachung sich heimlich und gleichzeitig von mehreren
eine oft nicht unbeträchtliche Summe bezahlen lassen, und somit
aus der wirklichen oder angeblichen Schwangerschaft einer lieder-
lichen Person ein wahres Actiengeschäft zu machen wissen, dessen
Gewinn sie mit den Dappelschicksen mindestens zur Hälfte theilen.
Beispiele der Art kommen in unglaublicher Menge vor; ja sehr
oft wird, wenn das Geld verthan ist, ein neuer Anlauf bei den-
selben Personen, sogar zum dritten, vierten male genommen, und
zuletzt doch noch wirklich der Bilbul vor Gericht angefangen auf
Alimentation irgendeines, wenn auch untergeschobenen, Kindes
der betrügerischen Curandin. Dieser verwegenen Gaunerei, durch
welche eine einzige Ausschweifung oder Untreue oft allzuhart ge-
straft wird, ist sehr schwer durch die Gesetzgebung entgegenzu-
treten, da über den Werth von Rechtsansprüchen nicht eher als
nach beendigtem Rechtsverfahren entschieden, und die Bloßstellung
des Beklagten vor und mitten im Verfahren nicht vermieden, ja
sogar nicht einmal bei einem absolutorischen Abspruch völlig aus-
geglichen werden kann, indem bei der ungescheuten Klage immer
in gewisser Weise der Satz Geltung behält: Audacter calumniando
semper aliquid haeret.
Nur eine scharfe polizeiliche Controle, das
Verbot und die unnachsichtige Bestrafung aller Eheprocuraturen,
gleich der Kuppelei und Concussion, vermag der frechen Gaunerei
wenn nicht allen, doch einigen Einhalt zu thun.

Man sieht, wie alle Elemente und Verbrechen, welche ebenso
wol im Geheimen die sittlichen Grundlagen des social-politischen
Lebens erschüttern, als auch offene, directe, verwegene, zerstörende An-
griffe auf dies Leben machen, in eine einzige große Masse vereinigt
und wie ein fauler giftiger Kern von der harten undurchdringlichen
Schale der höllischen Spiessen oder Pennen umgeben sind. Man
werfe einen Blick auf die neuere deutsche Criminalgesetzgebung, in
welcher, wie kaum in einer andern Wissenschaft, die ganze redliche
deutsche Tiefe und rastlos weiter strebender deutscher Fleiß sich so
herrlich offenbart: wie viel innern Grund hatte diese Gesetzgebung,

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leute wohnen, in der frechſten Weiſe ausgeübt, indem die Bil-
bulmacher unter dem Erbieten zu discreter und billiger außerge-
richtlicher Abmachung ſich heimlich und gleichzeitig von mehreren
eine oft nicht unbeträchtliche Summe bezahlen laſſen, und ſomit
aus der wirklichen oder angeblichen Schwangerſchaft einer lieder-
lichen Perſon ein wahres Actiengeſchäft zu machen wiſſen, deſſen
Gewinn ſie mit den Dappelſchickſen mindeſtens zur Hälfte theilen.
Beiſpiele der Art kommen in unglaublicher Menge vor; ja ſehr
oft wird, wenn das Geld verthan iſt, ein neuer Anlauf bei den-
ſelben Perſonen, ſogar zum dritten, vierten male genommen, und
zuletzt doch noch wirklich der Bilbul vor Gericht angefangen auf
Alimentation irgendeines, wenn auch untergeſchobenen, Kindes
der betrügeriſchen Curandin. Dieſer verwegenen Gaunerei, durch
welche eine einzige Ausſchweifung oder Untreue oft allzuhart ge-
ſtraft wird, iſt ſehr ſchwer durch die Geſetzgebung entgegenzu-
treten, da über den Werth von Rechtsanſprüchen nicht eher als
nach beendigtem Rechtsverfahren entſchieden, und die Bloßſtellung
des Beklagten vor und mitten im Verfahren nicht vermieden, ja
ſogar nicht einmal bei einem abſolutoriſchen Abſpruch völlig aus-
geglichen werden kann, indem bei der ungeſcheuten Klage immer
in gewiſſer Weiſe der Satz Geltung behält: Audacter calumniando
semper aliquid haeret.
Nur eine ſcharfe polizeiliche Controle, das
Verbot und die unnachſichtige Beſtrafung aller Eheprocuraturen,
gleich der Kuppelei und Concuſſion, vermag der frechen Gaunerei
wenn nicht allen, doch einigen Einhalt zu thun.

Man ſieht, wie alle Elemente und Verbrechen, welche ebenſo
wol im Geheimen die ſittlichen Grundlagen des ſocial-politiſchen
Lebens erſchüttern, als auch offene, directe, verwegene, zerſtörende An-
griffe auf dies Leben machen, in eine einzige große Maſſe vereinigt
und wie ein fauler giftiger Kern von der harten undurchdringlichen
Schale der hölliſchen Spieſſen oder Pennen umgeben ſind. Man
werfe einen Blick auf die neuere deutſche Criminalgeſetzgebung, in
welcher, wie kaum in einer andern Wiſſenſchaft, die ganze redliche
deutſche Tiefe und raſtlos weiter ſtrebender deutſcher Fleiß ſich ſo
herrlich offenbart: wie viel innern Grund hatte dieſe Geſetzgebung,

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[339/0351] leute wohnen, in der frechſten Weiſe ausgeübt, indem die Bil- bulmacher unter dem Erbieten zu discreter und billiger außerge- richtlicher Abmachung ſich heimlich und gleichzeitig von mehreren eine oft nicht unbeträchtliche Summe bezahlen laſſen, und ſomit aus der wirklichen oder angeblichen Schwangerſchaft einer lieder- lichen Perſon ein wahres Actiengeſchäft zu machen wiſſen, deſſen Gewinn ſie mit den Dappelſchickſen mindeſtens zur Hälfte theilen. Beiſpiele der Art kommen in unglaublicher Menge vor; ja ſehr oft wird, wenn das Geld verthan iſt, ein neuer Anlauf bei den- ſelben Perſonen, ſogar zum dritten, vierten male genommen, und zuletzt doch noch wirklich der Bilbul vor Gericht angefangen auf Alimentation irgendeines, wenn auch untergeſchobenen, Kindes der betrügeriſchen Curandin. Dieſer verwegenen Gaunerei, durch welche eine einzige Ausſchweifung oder Untreue oft allzuhart ge- ſtraft wird, iſt ſehr ſchwer durch die Geſetzgebung entgegenzu- treten, da über den Werth von Rechtsanſprüchen nicht eher als nach beendigtem Rechtsverfahren entſchieden, und die Bloßſtellung des Beklagten vor und mitten im Verfahren nicht vermieden, ja ſogar nicht einmal bei einem abſolutoriſchen Abſpruch völlig aus- geglichen werden kann, indem bei der ungeſcheuten Klage immer in gewiſſer Weiſe der Satz Geltung behält: Audacter calumniando semper aliquid haeret. Nur eine ſcharfe polizeiliche Controle, das Verbot und die unnachſichtige Beſtrafung aller Eheprocuraturen, gleich der Kuppelei und Concuſſion, vermag der frechen Gaunerei wenn nicht allen, doch einigen Einhalt zu thun. Man ſieht, wie alle Elemente und Verbrechen, welche ebenſo wol im Geheimen die ſittlichen Grundlagen des ſocial-politiſchen Lebens erſchüttern, als auch offene, directe, verwegene, zerſtörende An- griffe auf dies Leben machen, in eine einzige große Maſſe vereinigt und wie ein fauler giftiger Kern von der harten undurchdringlichen Schale der hölliſchen Spieſſen oder Pennen umgeben ſind. Man werfe einen Blick auf die neuere deutſche Criminalgeſetzgebung, in welcher, wie kaum in einer andern Wiſſenſchaft, die ganze redliche deutſche Tiefe und raſtlos weiter ſtrebender deutſcher Fleiß ſich ſo herrlich offenbart: wie viel innern Grund hatte dieſe Geſetzgebung, 22*

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/351>, abgerufen am 25.11.2024.