Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.Eine schändliche, schon lange zum förmlichen Gaunergewerbe las Schultz dasselbe darstellt! Wie ganz anders würde er dies Verhältniß auf- gefaßt und dargestellt haben, wenn er einen tiefern Blick auf die Geschichte und Bedeutsamkeit der Frauenhäuser des Mittelalters, auf die gewaltsame Unterdrückung der Sinnlichkeit des Volks, und auf das Erwachen derselben im 15. Jahrhundert, und auf ihre Jrreleitung durch Gewalt und Beispiel der Geistlichkeit jener Zeit geworfen, und sich dabei der Schwäche der Obrigkeiten und der Aufgabe des christlichen Staats bewußt geworden wäre! Wohl dem Polizeimann, der die verworrene Aufgabe löst, zu welcher die Geschichte den Schlüssel gibt! 1) Vgl. den Liber Vagatorum, Kap. 18: "Biltregerin, das fint die frawen, die binten alte wammes oder Bletz oder Kussen vber den leib vnder die Cleider" u. s. w. Bilbul ist abzuleiten vom hebräischen [fremdsprachliches Material - fehlt] (bolal), er hat vermengt, vermischt, verwirrt. Davon Mewallel sein oder Me- walbel sein, verwirren, verwirrt machen; mewulbel werden, verwirrt werden. Bilbul, ein verworrener schwerer Proceß, ungerechter schmuziger Proceß; in ein Bilbul fallen, in einen schmuzigen Proceß gerathen. Die Bilbulmacher sind auch meistens Eheprocuratoren, welche von ihren heiraths- lustigen Kunden Wechsel ausstellen lassen, deren Verfallzeit sogleich mit der Copulation eintritt. Jn den großen Städten, besonders Frankreichs und Eng- lands, machen diese "trapper" sehr bedeutende Geschäfte. 2) Von [fremdsprachliches Material - fehlt] (schiddach), er hat verheirathet, ist im Jüdisch-Deutschen
Schadchan, der Ehestifter, Eheprocurator, Kuppler; Schadchonuss und Schidduch, Verheirathung, Verlobung; Schadchono, Schadchente, die Ehestifterin, Kupplerin. Schadchonuss ist auch das Geld für die Copula- tion und Kuppelei. Selig, a. a. O., S. 303; Prager "Handbuch", S. 146. Vgl. oben Kodesch. Eine ſchändliche, ſchon lange zum förmlichen Gaunergewerbe las Schultz daſſelbe darſtellt! Wie ganz anders würde er dies Verhältniß auf- gefaßt und dargeſtellt haben, wenn er einen tiefern Blick auf die Geſchichte und Bedeutſamkeit der Frauenhäuſer des Mittelalters, auf die gewaltſame Unterdrückung der Sinnlichkeit des Volks, und auf das Erwachen derſelben im 15. Jahrhundert, und auf ihre Jrreleitung durch Gewalt und Beiſpiel der Geiſtlichkeit jener Zeit geworfen, und ſich dabei der Schwäche der Obrigkeiten und der Aufgabe des chriſtlichen Staats bewußt geworden wäre! Wohl dem Polizeimann, der die verworrene Aufgabe löſt, zu welcher die Geſchichte den Schlüſſel gibt! 1) Vgl. den Liber Vagatorum, Kap. 18: „Biltregerin, das fint die frawen, die binten alte wammes oder Bletz oder Kuſſen vber den leib vnder die Cleider“ u. ſ. w. Bilbul iſt abzuleiten vom hebräiſchen [fremdsprachliches Material – fehlt] (bolal), er hat vermengt, vermiſcht, verwirrt. Davon Mewallel ſein oder Me- walbel ſein, verwirren, verwirrt machen; mewulbel werden, verwirrt werden. Bilbul, ein verworrener ſchwerer Proceß, ungerechter ſchmuziger Proceß; in ein Bilbul fallen, in einen ſchmuzigen Proceß gerathen. Die Bilbulmacher ſind auch meiſtens Eheprocuratoren, welche von ihren heiraths- luſtigen Kunden Wechſel ausſtellen laſſen, deren Verfallzeit ſogleich mit der Copulation eintritt. Jn den großen Städten, beſonders Frankreichs und Eng- lands, machen dieſe „trapper“ ſehr bedeutende Geſchäfte. 2) Von [fremdsprachliches Material – fehlt] (schiddach), er hat verheirathet, iſt im Jüdiſch-Deutſchen
Schadchan, der Eheſtifter, Eheprocurator, Kuppler; Schadchonuſſ und Schidduch, Verheirathung, Verlobung; Schadchono, Schadchente, die Eheſtifterin, Kupplerin. Schadchonuſſ iſt auch das Geld für die Copula- tion und Kuppelei. Selig, a. a. O., S. 303; Prager „Handbuch“, S. 146. Vgl. oben Kodeſch. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0350" n="338"/> <p>Eine ſchändliche, ſchon lange zum förmlichen Gaunergewerbe<lb/> gewordene, mit der Proſtitution, namentlich der geheimen, eng<lb/> verbundene Erpreſſung iſt das <hi rendition="#g">Bilbulmelochnen</hi> oder <hi rendition="#g">Bil-<lb/> bulmachen,</hi> die alte Jnduſtrie der <hi rendition="#g">Bilträgerinnen</hi> des <hi rendition="#aq">Liber<lb/> Vagatorum.</hi> <note place="foot" n="1)">Vgl. den <hi rendition="#aq">Liber Vagatorum</hi>, Kap. 18: „Biltregerin, das fint die<lb/> frawen, die binten alte wammes oder Bletz oder Kuſſen vber den leib vnder<lb/> die Cleider“ u. ſ. w. <hi rendition="#g">Bilbul</hi> iſt abzuleiten vom hebräiſchen <gap reason="fm" unit="words"/> (<hi rendition="#aq">bolal</hi>),<lb/> er hat vermengt, vermiſcht, verwirrt. Davon <hi rendition="#g">Mewallel ſein</hi> oder <hi rendition="#g">Me-<lb/> walbel ſein,</hi> verwirren, verwirrt machen; <hi rendition="#g">mewulbel werden,</hi> verwirrt<lb/> werden. <hi rendition="#g">Bilbul,</hi> ein verworrener ſchwerer Proceß, ungerechter ſchmuziger<lb/> Proceß; <hi rendition="#g">in ein Bilbul fallen,</hi> in einen ſchmuzigen Proceß gerathen. Die<lb/> Bilbulmacher ſind auch meiſtens Eheprocuratoren, welche von ihren heiraths-<lb/> luſtigen Kunden Wechſel ausſtellen laſſen, deren Verfallzeit ſogleich mit der<lb/> Copulation eintritt. Jn den großen Städten, beſonders Frankreichs und Eng-<lb/> lands, machen dieſe „<hi rendition="#aq">trapper</hi>“ ſehr bedeutende Geſchäfte.</note> Es iſt die Geltendmachung von Anſprüchen auf<lb/> Dotation und Alimentation angeblich geſchwängerter Dappelſchick-<lb/> ſen, welche Anſprüche, beſonders im Einverſtändniß mit kuppleri-<lb/> ſchen <note place="foot" n="2)">Von <gap reason="fm" unit="words"/> (<hi rendition="#aq">schiddach</hi>), er hat verheirathet, iſt im Jüdiſch-Deutſchen<lb/><hi rendition="#g">Schadchan,</hi> der Eheſtifter, Eheprocurator, Kuppler; <hi rendition="#g">Schadchonuſſ</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Schidduch,</hi> Verheirathung, Verlobung; <hi rendition="#g">Schadchono, Schadchente,</hi> die<lb/> Eheſtifterin, Kupplerin. <hi rendition="#g">Schadchonuſſ</hi> iſt auch das Geld für die Copula-<lb/> tion und Kuppelei. Selig, a. a. O., S. 303; Prager „Handbuch“, S. 146.<lb/> Vgl. oben <hi rendition="#g">Kodeſch.</hi></note>, unter dem Namen von Bevollmächtigten, Commiſſionären,<lb/> Vormündern oder Curatoren auftretenden Gaunern, an verhei-<lb/> rathete oder ſolche junge Männer gemacht werden, welche es am<lb/> meiſten ſcheuen, vor Gericht oder der Oeffentlichkeit, wegen ge-<lb/> heimer Ausſchweifung, bloßgeſtellt zu werden. Dieſe Finanz-<lb/> ſpeculation wird in größern Handelsſtädten, wo viele reiche Kauf-<lb/><note xml:id="seg2pn_46_2" prev="#seg2pn_46_1" place="foot" n="2)">las Schultz daſſelbe darſtellt! Wie ganz anders würde er dies Verhältniß auf-<lb/> gefaßt und dargeſtellt haben, wenn er einen tiefern Blick auf die Geſchichte<lb/> und Bedeutſamkeit der Frauenhäuſer des Mittelalters, auf die gewaltſame<lb/> Unterdrückung der Sinnlichkeit des Volks, und auf das Erwachen derſelben im<lb/> 15. Jahrhundert, und auf ihre Jrreleitung durch Gewalt und Beiſpiel der<lb/> Geiſtlichkeit jener Zeit geworfen, und ſich dabei der Schwäche der Obrigkeiten<lb/> und der Aufgabe des chriſtlichen Staats bewußt geworden wäre! Wohl dem<lb/> Polizeimann, der die verworrene Aufgabe löſt, zu welcher die <hi rendition="#g">Geſchichte</hi> den<lb/> Schlüſſel gibt!</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [338/0350]
Eine ſchändliche, ſchon lange zum förmlichen Gaunergewerbe
gewordene, mit der Proſtitution, namentlich der geheimen, eng
verbundene Erpreſſung iſt das Bilbulmelochnen oder Bil-
bulmachen, die alte Jnduſtrie der Bilträgerinnen des Liber
Vagatorum. 1) Es iſt die Geltendmachung von Anſprüchen auf
Dotation und Alimentation angeblich geſchwängerter Dappelſchick-
ſen, welche Anſprüche, beſonders im Einverſtändniß mit kuppleri-
ſchen 2), unter dem Namen von Bevollmächtigten, Commiſſionären,
Vormündern oder Curatoren auftretenden Gaunern, an verhei-
rathete oder ſolche junge Männer gemacht werden, welche es am
meiſten ſcheuen, vor Gericht oder der Oeffentlichkeit, wegen ge-
heimer Ausſchweifung, bloßgeſtellt zu werden. Dieſe Finanz-
ſpeculation wird in größern Handelsſtädten, wo viele reiche Kauf-
2)
1) Vgl. den Liber Vagatorum, Kap. 18: „Biltregerin, das fint die
frawen, die binten alte wammes oder Bletz oder Kuſſen vber den leib vnder
die Cleider“ u. ſ. w. Bilbul iſt abzuleiten vom hebräiſchen _ (bolal),
er hat vermengt, vermiſcht, verwirrt. Davon Mewallel ſein oder Me-
walbel ſein, verwirren, verwirrt machen; mewulbel werden, verwirrt
werden. Bilbul, ein verworrener ſchwerer Proceß, ungerechter ſchmuziger
Proceß; in ein Bilbul fallen, in einen ſchmuzigen Proceß gerathen. Die
Bilbulmacher ſind auch meiſtens Eheprocuratoren, welche von ihren heiraths-
luſtigen Kunden Wechſel ausſtellen laſſen, deren Verfallzeit ſogleich mit der
Copulation eintritt. Jn den großen Städten, beſonders Frankreichs und Eng-
lands, machen dieſe „trapper“ ſehr bedeutende Geſchäfte.
2) Von _ (schiddach), er hat verheirathet, iſt im Jüdiſch-Deutſchen
Schadchan, der Eheſtifter, Eheprocurator, Kuppler; Schadchonuſſ und
Schidduch, Verheirathung, Verlobung; Schadchono, Schadchente, die
Eheſtifterin, Kupplerin. Schadchonuſſ iſt auch das Geld für die Copula-
tion und Kuppelei. Selig, a. a. O., S. 303; Prager „Handbuch“, S. 146.
Vgl. oben Kodeſch.
2) las Schultz daſſelbe darſtellt! Wie ganz anders würde er dies Verhältniß auf-
gefaßt und dargeſtellt haben, wenn er einen tiefern Blick auf die Geſchichte
und Bedeutſamkeit der Frauenhäuſer des Mittelalters, auf die gewaltſame
Unterdrückung der Sinnlichkeit des Volks, und auf das Erwachen derſelben im
15. Jahrhundert, und auf ihre Jrreleitung durch Gewalt und Beiſpiel der
Geiſtlichkeit jener Zeit geworfen, und ſich dabei der Schwäche der Obrigkeiten
und der Aufgabe des chriſtlichen Staats bewußt geworden wäre! Wohl dem
Polizeimann, der die verworrene Aufgabe löſt, zu welcher die Geſchichte den
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