Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

beginnen zu können. Andere ganz ähnliche Beispiele in meiner
Praxis haben mich belehrt, daß dieser Aberglaube aber auch in
sociale Schichten dringt, wo man ihn nimmermehr vermuthen
sollte. Was soll man sagen, wenn noch in diesem Jahrhunderte
geschehen konnte, was Rebmann ("Damian Hessel", S. 46) mit
Verschweigung des Landes und Richters erzählt, daß nämlich der
Räuber Weiler, nachdem er auf unerwartete und kühne Weise
aus dem Gefängniß gebrochen war und sich dazu seiner Fesseln
auf unbegreifliche Weise entledigt hatte, bei seiner Wiederverhaftung
mit neuen Fesseln, die ein herbeigeholter Kapuziner besprochen
hatte, gefesselt, und in jedem Verhör auf einen Teppich gesetzt
wurde, damit er als Hexenmeister die Erde nicht berühre! Bei
solchem Befunde ist denn nun auch nicht zu verwundern, daß
manche nähere Forschung unterblieben ist, die gewiß merkwürdige
Resultate ergeben hätte. So findet sich z. B. nirgends eine Spur,
daß Schinderhannes jemals nach der Bedeutung der mystischen
Kreuze und der wunderlichen Verse in seinen Briefen, die offen-
bar eine dämonologische Beziehung gehabt haben, befragt worden
wäre. Auffallend erscheint besonders die mystische Nachschrift unter
seinem an den Pächter Heinrich Zürcher, auf dem Hofe Neudorf
bei Bettweiler, geschriebenen Drohbrief, welche dicht unter seinem
Namen sich befindet:

Herr mens Geist be,
Herr mein Geist be,
Wer nur den lieben Gott,
Wer nur den lieben Gott,
W. W. W. W.
Wer nur den lieben,
Wer nur den lieben,
Wer nur den lieben,
Johaß Reist heer beer. 1)

Man darf sich endlich vom Ekel nicht abhalten lassen, auf
die wichtige Rolle zu sehen, welche die "mumia spiritualis" in

1) Vgl. "Actenmäßige Geschichte der Rheinischen Räuberbanden", II, 116.

beginnen zu können. Andere ganz ähnliche Beiſpiele in meiner
Praxis haben mich belehrt, daß dieſer Aberglaube aber auch in
ſociale Schichten dringt, wo man ihn nimmermehr vermuthen
ſollte. Was ſoll man ſagen, wenn noch in dieſem Jahrhunderte
geſchehen konnte, was Rebmann („Damian Heſſel“, S. 46) mit
Verſchweigung des Landes und Richters erzählt, daß nämlich der
Räuber Weiler, nachdem er auf unerwartete und kühne Weiſe
aus dem Gefängniß gebrochen war und ſich dazu ſeiner Feſſeln
auf unbegreifliche Weiſe entledigt hatte, bei ſeiner Wiederverhaftung
mit neuen Feſſeln, die ein herbeigeholter Kapuziner beſprochen
hatte, gefeſſelt, und in jedem Verhör auf einen Teppich geſetzt
wurde, damit er als Hexenmeiſter die Erde nicht berühre! Bei
ſolchem Befunde iſt denn nun auch nicht zu verwundern, daß
manche nähere Forſchung unterblieben iſt, die gewiß merkwürdige
Reſultate ergeben hätte. So findet ſich z. B. nirgends eine Spur,
daß Schinderhannes jemals nach der Bedeutung der myſtiſchen
Kreuze und der wunderlichen Verſe in ſeinen Briefen, die offen-
bar eine dämonologiſche Beziehung gehabt haben, befragt worden
wäre. Auffallend erſcheint beſonders die myſtiſche Nachſchrift unter
ſeinem an den Pächter Heinrich Zürcher, auf dem Hofe Neudorf
bei Bettweiler, geſchriebenen Drohbrief, welche dicht unter ſeinem
Namen ſich befindet:

Herr menſ Geiſt be,
Herr mein Geiſt be,
Wer nur den lieben Gott,
Wer nur den lieben Gott,
W. W. W. W.
Wer nur den lieben,
Wer nur den lieben,
Wer nur den lieben,
Johaß Reiſt heer beer. 1)

Man darf ſich endlich vom Ekel nicht abhalten laſſen, auf
die wichtige Rolle zu ſehen, welche die „mumia spiritualis“ in

1) Vgl. „Actenmäßige Geſchichte der Rheiniſchen Räuberbanden“, II, 116.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0035" n="23"/>
beginnen zu können. Andere ganz ähnliche Bei&#x017F;piele in meiner<lb/>
Praxis haben mich belehrt, daß die&#x017F;er Aberglaube aber auch in<lb/>
&#x017F;ociale Schichten dringt, wo man ihn nimmermehr vermuthen<lb/>
&#x017F;ollte. Was &#x017F;oll man &#x017F;agen, wenn noch in die&#x017F;em Jahrhunderte<lb/>
ge&#x017F;chehen konnte, was Rebmann (&#x201E;Damian He&#x017F;&#x017F;el&#x201C;, S. 46) mit<lb/>
Ver&#x017F;chweigung des Landes und Richters erzählt, daß nämlich der<lb/>
Räuber Weiler, nachdem er auf unerwartete und kühne Wei&#x017F;e<lb/>
aus dem Gefängniß gebrochen war und &#x017F;ich dazu &#x017F;einer Fe&#x017F;&#x017F;eln<lb/>
auf unbegreifliche Wei&#x017F;e entledigt hatte, bei &#x017F;einer Wiederverhaftung<lb/>
mit neuen Fe&#x017F;&#x017F;eln, die ein herbeigeholter Kapuziner be&#x017F;prochen<lb/>
hatte, gefe&#x017F;&#x017F;elt, und in jedem Verhör auf einen Teppich ge&#x017F;etzt<lb/>
wurde, damit er als Hexenmei&#x017F;ter die Erde nicht berühre! Bei<lb/>
&#x017F;olchem Befunde i&#x017F;t denn nun auch nicht zu verwundern, daß<lb/>
manche nähere For&#x017F;chung unterblieben i&#x017F;t, die gewiß merkwürdige<lb/>
Re&#x017F;ultate ergeben hätte. So findet &#x017F;ich z. B. nirgends eine Spur,<lb/>
daß Schinderhannes jemals nach der Bedeutung der my&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Kreuze und der wunderlichen Ver&#x017F;e in &#x017F;einen Briefen, die offen-<lb/>
bar eine dämonologi&#x017F;che Beziehung gehabt haben, befragt worden<lb/>
wäre. Auffallend er&#x017F;cheint be&#x017F;onders die my&#x017F;ti&#x017F;che Nach&#x017F;chrift unter<lb/>
&#x017F;einem an den Pächter Heinrich Zürcher, auf dem Hofe Neudorf<lb/>
bei Bettweiler, ge&#x017F;chriebenen Drohbrief, welche dicht unter &#x017F;einem<lb/>
Namen &#x017F;ich befindet:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Herr men&#x017F; Gei&#x017F;t be,</l><lb/>
              <l>Herr mein Gei&#x017F;t be,</l><lb/>
              <l>Wer nur den lieben Gott,</l><lb/>
              <l>Wer nur den lieben Gott,</l><lb/>
              <l>W. W. W. W.</l><lb/>
              <l>Wer nur den lieben,</l><lb/>
              <l>Wer nur den lieben,</l><lb/>
              <l>Wer nur den lieben,</l><lb/>
              <l>Johaß Rei&#x017F;t heer beer. <note place="foot" n="1)">Vgl. &#x201E;Actenmäßige Ge&#x017F;chichte der Rheini&#x017F;chen Räuberbanden&#x201C;, <hi rendition="#aq">II,</hi> 116.</note></l>
            </lg><lb/>
            <p>Man darf &#x017F;ich endlich vom Ekel nicht abhalten la&#x017F;&#x017F;en, auf<lb/>
die wichtige Rolle zu &#x017F;ehen, welche die &#x201E;<hi rendition="#aq">mumia spiritualis</hi>&#x201C; in<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0035] beginnen zu können. Andere ganz ähnliche Beiſpiele in meiner Praxis haben mich belehrt, daß dieſer Aberglaube aber auch in ſociale Schichten dringt, wo man ihn nimmermehr vermuthen ſollte. Was ſoll man ſagen, wenn noch in dieſem Jahrhunderte geſchehen konnte, was Rebmann („Damian Heſſel“, S. 46) mit Verſchweigung des Landes und Richters erzählt, daß nämlich der Räuber Weiler, nachdem er auf unerwartete und kühne Weiſe aus dem Gefängniß gebrochen war und ſich dazu ſeiner Feſſeln auf unbegreifliche Weiſe entledigt hatte, bei ſeiner Wiederverhaftung mit neuen Feſſeln, die ein herbeigeholter Kapuziner beſprochen hatte, gefeſſelt, und in jedem Verhör auf einen Teppich geſetzt wurde, damit er als Hexenmeiſter die Erde nicht berühre! Bei ſolchem Befunde iſt denn nun auch nicht zu verwundern, daß manche nähere Forſchung unterblieben iſt, die gewiß merkwürdige Reſultate ergeben hätte. So findet ſich z. B. nirgends eine Spur, daß Schinderhannes jemals nach der Bedeutung der myſtiſchen Kreuze und der wunderlichen Verſe in ſeinen Briefen, die offen- bar eine dämonologiſche Beziehung gehabt haben, befragt worden wäre. Auffallend erſcheint beſonders die myſtiſche Nachſchrift unter ſeinem an den Pächter Heinrich Zürcher, auf dem Hofe Neudorf bei Bettweiler, geſchriebenen Drohbrief, welche dicht unter ſeinem Namen ſich befindet: Herr menſ Geiſt be, Herr mein Geiſt be, Wer nur den lieben Gott, Wer nur den lieben Gott, W. W. W. W. Wer nur den lieben, Wer nur den lieben, Wer nur den lieben, Johaß Reiſt heer beer. 1) Man darf ſich endlich vom Ekel nicht abhalten laſſen, auf die wichtige Rolle zu ſehen, welche die „mumia spiritualis“ in 1) Vgl. „Actenmäßige Geſchichte der Rheiniſchen Räuberbanden“, II, 116.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/35
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/35>, abgerufen am 21.11.2024.