ist der Werth der Colonial-, besonders aber der Manufactur- und Luxuswaaren, welche von knappgehaltenen jungen leichtfer- tigen Commis aus den Lagern ihrer Principale unterschlagen und in die Bordells getragen werden, wo sie zum größten Theil nicht einmal den damit beschenkten Dirnen, sondern dem Wirthe zugute kommen. Fast ebenso groß ist die Menge von Pfändern, welche leichtsinnigen oder angetrunkenen Gästen, trotz aller Verbote, ab- genommen, oder von sonstigen Gegenständen aller Art, die als "Fund" aufgehoben und verhehlt werden.
Die reiche Gaunersprache, welche für jede ihrer Künste min- destens eine Bezeichnung aufzuweisen hat, ist nicht ohne Bedeut- samkeit so karg mit der Bezeichnung des Begriffs Bordell, und bezeichnet mit dem allgemeinen Ausdruck Penne oder Spiesse treffend den Centralpunkt der ganzen verworfenen wuchernden Lebensregung des Gaunerthums. Die Geschichte der Bordells, namentlich zur Zeit der rheinischen und aller spätern Räuberbanden, die Flüche der größten Räuber vom Schaffot herab gegen die Bordells als Herd ihrer Verbrechen und erste Stufe zum Schaffot, die immer wieder auftauchende Entdeckung diebischen Verkehrs in den Bordells: alles das muß die unglückliche, selbstgenügsame Ansicht herabstimmen, daß mit der bestehenden, oft mit so eitelm, selbstgefälligem, großstädtischem Glanz und Gepräge überzogenen Sanitäts- und sogenannten "Sittenpolizei" in den Bordells irgend- etwas Ausreichendes gethan sei. Vielmehr tritt die Nothwendig- keit mit ganzer, gewaltiger, ernster Mahnung hervor, daß durchaus eine bei weitem tiefer und schärfer eingreifende Aufsicht über das gesammte Bordellwesen eingeführt werden muß. Die kunstvolle und scharfe Fremdenpolizei und ihre breite Gesetzgebung ist so lange eine Anomalie, als sie den Gastwirth und Hauswirth zwingt, den aufgenommenen Fremden oder Verwandten und nahen Freund
stube eines Viehhändlers kämen. Jn der That ist die Dirne im Bordell nur Körper, nach dessen Seele nicht gefragt wird; dem sogar der christliche Taufname genommen und, wie dem französischen Soldaten der nom de bataille, ein phantastischer Name gegeben wird, dessen Klang eine ungeheuere Jronie für die Lage und Umgebung des Opfers ist.
iſt der Werth der Colonial-, beſonders aber der Manufactur- und Luxuswaaren, welche von knappgehaltenen jungen leichtfer- tigen Commis aus den Lagern ihrer Principale unterſchlagen und in die Bordells getragen werden, wo ſie zum größten Theil nicht einmal den damit beſchenkten Dirnen, ſondern dem Wirthe zugute kommen. Faſt ebenſo groß iſt die Menge von Pfändern, welche leichtſinnigen oder angetrunkenen Gäſten, trotz aller Verbote, ab- genommen, oder von ſonſtigen Gegenſtänden aller Art, die als „Fund“ aufgehoben und verhehlt werden.
Die reiche Gaunerſprache, welche für jede ihrer Künſte min- deſtens eine Bezeichnung aufzuweiſen hat, iſt nicht ohne Bedeut- ſamkeit ſo karg mit der Bezeichnung des Begriffs Bordell, und bezeichnet mit dem allgemeinen Ausdruck Penne oder Spieſſe treffend den Centralpunkt der ganzen verworfenen wuchernden Lebensregung des Gaunerthums. Die Geſchichte der Bordells, namentlich zur Zeit der rheiniſchen und aller ſpätern Räuberbanden, die Flüche der größten Räuber vom Schaffot herab gegen die Bordells als Herd ihrer Verbrechen und erſte Stufe zum Schaffot, die immer wieder auftauchende Entdeckung diebiſchen Verkehrs in den Bordells: alles das muß die unglückliche, ſelbſtgenügſame Anſicht herabſtimmen, daß mit der beſtehenden, oft mit ſo eitelm, ſelbſtgefälligem, großſtädtiſchem Glanz und Gepräge überzogenen Sanitäts- und ſogenannten „Sittenpolizei“ in den Bordells irgend- etwas Ausreichendes gethan ſei. Vielmehr tritt die Nothwendig- keit mit ganzer, gewaltiger, ernſter Mahnung hervor, daß durchaus eine bei weitem tiefer und ſchärfer eingreifende Aufſicht über das geſammte Bordellweſen eingeführt werden muß. Die kunſtvolle und ſcharfe Fremdenpolizei und ihre breite Geſetzgebung iſt ſo lange eine Anomalie, als ſie den Gaſtwirth und Hauswirth zwingt, den aufgenommenen Fremden oder Verwandten und nahen Freund
ſtube eines Viehhändlers kämen. Jn der That iſt die Dirne im Bordell nur Körper, nach deſſen Seele nicht gefragt wird; dem ſogar der chriſtliche Taufname genommen und, wie dem franzöſiſchen Soldaten der nom de bataille, ein phantaſtiſcher Name gegeben wird, deſſen Klang eine ungeheuere Jronie für die Lage und Umgebung des Opfers iſt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0348"n="336"/>
iſt der Werth der Colonial-, beſonders aber der Manufactur-<lb/>
und Luxuswaaren, welche von knappgehaltenen jungen leichtfer-<lb/>
tigen Commis aus den Lagern ihrer Principale unterſchlagen und<lb/>
in die Bordells getragen werden, wo ſie zum größten Theil nicht<lb/>
einmal den damit beſchenkten Dirnen, ſondern dem Wirthe zugute<lb/>
kommen. Faſt ebenſo groß iſt die Menge von Pfändern, welche<lb/>
leichtſinnigen oder angetrunkenen Gäſten, trotz aller Verbote, ab-<lb/>
genommen, oder von ſonſtigen Gegenſtänden aller Art, die als<lb/>„Fund“ aufgehoben und verhehlt werden.</p><lb/><p>Die reiche Gaunerſprache, welche für jede ihrer Künſte min-<lb/>
deſtens <hirendition="#g">eine</hi> Bezeichnung aufzuweiſen hat, iſt nicht ohne Bedeut-<lb/>ſamkeit ſo karg mit der Bezeichnung des Begriffs Bordell, und<lb/>
bezeichnet mit dem allgemeinen Ausdruck <hirendition="#g">Penne</hi> oder <hirendition="#g">Spieſſe</hi><lb/>
treffend den Centralpunkt der ganzen verworfenen wuchernden<lb/>
Lebensregung des Gaunerthums. Die Geſchichte der Bordells,<lb/>
namentlich zur Zeit der rheiniſchen und aller ſpätern Räuberbanden,<lb/>
die Flüche der größten Räuber vom Schaffot herab gegen die<lb/>
Bordells als Herd ihrer Verbrechen und erſte Stufe zum Schaffot,<lb/>
die immer wieder auftauchende Entdeckung diebiſchen Verkehrs in<lb/>
den Bordells: alles das muß die unglückliche, ſelbſtgenügſame<lb/>
Anſicht herabſtimmen, daß mit der beſtehenden, oft mit ſo eitelm,<lb/>ſelbſtgefälligem, großſtädtiſchem Glanz und Gepräge überzogenen<lb/>
Sanitäts- und ſogenannten „Sittenpolizei“ in den Bordells irgend-<lb/>
etwas Ausreichendes gethan ſei. Vielmehr tritt die Nothwendig-<lb/>
keit mit ganzer, gewaltiger, ernſter Mahnung hervor, daß durchaus<lb/>
eine bei weitem tiefer und ſchärfer eingreifende Aufſicht über das<lb/>
geſammte Bordellweſen eingeführt werden muß. Die kunſtvolle<lb/>
und ſcharfe Fremdenpolizei und ihre breite Geſetzgebung iſt ſo<lb/>
lange eine Anomalie, als ſie den Gaſtwirth und Hauswirth zwingt,<lb/>
den aufgenommenen Fremden oder Verwandten und nahen Freund<lb/><notexml:id="seg2pn_45_2"prev="#seg2pn_45_1"place="foot"n="2)">ſtube eines <hirendition="#g">Viehhändlers</hi> kämen. Jn der That iſt die Dirne im Bordell<lb/>
nur Körper, nach deſſen Seele nicht gefragt wird; dem ſogar der chriſtliche<lb/>
Taufname genommen und, wie dem franzöſiſchen Soldaten der <hirendition="#aq">nom de bataille,</hi><lb/>
ein phantaſtiſcher Name gegeben wird, deſſen Klang eine ungeheuere Jronie<lb/>
für die Lage und Umgebung des Opfers iſt.</note><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[336/0348]
iſt der Werth der Colonial-, beſonders aber der Manufactur-
und Luxuswaaren, welche von knappgehaltenen jungen leichtfer-
tigen Commis aus den Lagern ihrer Principale unterſchlagen und
in die Bordells getragen werden, wo ſie zum größten Theil nicht
einmal den damit beſchenkten Dirnen, ſondern dem Wirthe zugute
kommen. Faſt ebenſo groß iſt die Menge von Pfändern, welche
leichtſinnigen oder angetrunkenen Gäſten, trotz aller Verbote, ab-
genommen, oder von ſonſtigen Gegenſtänden aller Art, die als
„Fund“ aufgehoben und verhehlt werden.
Die reiche Gaunerſprache, welche für jede ihrer Künſte min-
deſtens eine Bezeichnung aufzuweiſen hat, iſt nicht ohne Bedeut-
ſamkeit ſo karg mit der Bezeichnung des Begriffs Bordell, und
bezeichnet mit dem allgemeinen Ausdruck Penne oder Spieſſe
treffend den Centralpunkt der ganzen verworfenen wuchernden
Lebensregung des Gaunerthums. Die Geſchichte der Bordells,
namentlich zur Zeit der rheiniſchen und aller ſpätern Räuberbanden,
die Flüche der größten Räuber vom Schaffot herab gegen die
Bordells als Herd ihrer Verbrechen und erſte Stufe zum Schaffot,
die immer wieder auftauchende Entdeckung diebiſchen Verkehrs in
den Bordells: alles das muß die unglückliche, ſelbſtgenügſame
Anſicht herabſtimmen, daß mit der beſtehenden, oft mit ſo eitelm,
ſelbſtgefälligem, großſtädtiſchem Glanz und Gepräge überzogenen
Sanitäts- und ſogenannten „Sittenpolizei“ in den Bordells irgend-
etwas Ausreichendes gethan ſei. Vielmehr tritt die Nothwendig-
keit mit ganzer, gewaltiger, ernſter Mahnung hervor, daß durchaus
eine bei weitem tiefer und ſchärfer eingreifende Aufſicht über das
geſammte Bordellweſen eingeführt werden muß. Die kunſtvolle
und ſcharfe Fremdenpolizei und ihre breite Geſetzgebung iſt ſo
lange eine Anomalie, als ſie den Gaſtwirth und Hauswirth zwingt,
den aufgenommenen Fremden oder Verwandten und nahen Freund
2)
2) ſtube eines Viehhändlers kämen. Jn der That iſt die Dirne im Bordell
nur Körper, nach deſſen Seele nicht gefragt wird; dem ſogar der chriſtliche
Taufname genommen und, wie dem franzöſiſchen Soldaten der nom de bataille,
ein phantaſtiſcher Name gegeben wird, deſſen Klang eine ungeheuere Jronie
für die Lage und Umgebung des Opfers iſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/348>, abgerufen am 24.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.