Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.
Abhängigkeit, in welcher die Bordellwirthe ihre Opfer, aller 1) Den größten Vorrath an Gold- und Silbersachen, den ich in bürger- lichem Privatbesitz getroffen habe, fand ich einmal im Nachlaß -- einer Vordellwirthin. So unglaublich groß die Menge, so dürftig und blechern war doch auch die Mehrzahl dieser Gegenstände, deren Werthgehalt nur den Zwang, nicht den freien Willen zu schenken, deutlich aussprach. 2) Dieser materielle Bann ist so groß und so furchtbar, daß gerade durch
ihn zunächst die Reue geweckt, aber auch immer wieder gewaltsam erstickt wird. Was hilft die Gesetzgebung, welche die reuige Gefallene von den Schulden befreit, während die geheime Mahnung und Verfolgung der Wirthe sie doch später überall in der neuen qualvoll errungenen Sphäre zu finden weiß, daß selbst nicht einmal die Ehe sie gegen beschimpfende Erinnerungen und Mah- nungen schützt? Von der Verworfenheit der Vordellwirthschaft bekommt man erst dann einen richtigen Begriff, wenn man über die geschäftliche Correspon- denz zwischen Bordellwirthen geräth. Jn diesen Briefen wird mit eisiger Kälte und Geschäftsmäßigkeit, die sogar nicht einmal zu einer Zote gelangt, lediglich über die Körperbeschaffenheit, über Bau, Muskulatur, Statur, Größe, Haar, Alter, Zähne u. s. w. verhandelt, als ob die Briefe aus der Schreib-
Abhängigkeit, in welcher die Bordellwirthe ihre Opfer, aller 1) Den größten Vorrath an Gold- und Silberſachen, den ich in bürger- lichem Privatbeſitz getroffen habe, fand ich einmal im Nachlaß — einer Vordellwirthin. So unglaublich groß die Menge, ſo dürftig und blechern war doch auch die Mehrzahl dieſer Gegenſtände, deren Werthgehalt nur den Zwang, nicht den freien Willen zu ſchenken, deutlich ausſprach. 2) Dieſer materielle Bann iſt ſo groß und ſo furchtbar, daß gerade durch
ihn zunächſt die Reue geweckt, aber auch immer wieder gewaltſam erſtickt wird. Was hilft die Geſetzgebung, welche die reuige Gefallene von den Schulden befreit, während die geheime Mahnung und Verfolgung der Wirthe ſie doch ſpäter überall in der neuen qualvoll errungenen Sphäre zu finden weiß, daß ſelbſt nicht einmal die Ehe ſie gegen beſchimpfende Erinnerungen und Mah- nungen ſchützt? Von der Verworfenheit der Vordellwirthſchaft bekommt man erſt dann einen richtigen Begriff, wenn man über die geſchäftliche Correſpon- denz zwiſchen Bordellwirthen geräth. Jn dieſen Briefen wird mit eiſiger Kälte und Geſchäftsmäßigkeit, die ſogar nicht einmal zu einer Zote gelangt, lediglich über die Körperbeſchaffenheit, über Bau, Muskulatur, Statur, Größe, Haar, Alter, Zähne u. ſ. w. verhandelt, als ob die Briefe aus der Schreib- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0347" n="335"/> Abhängigkeit,</hi> in welcher die Bordellwirthe ihre Opfer, aller<lb/> polizeilichen Aufſicht zum Trotz, zu halten wiſſen. Nach dem ge-<lb/> heimen Gewerbscartel, in welchem die Bordellwirthe miteinander<lb/> ſtehen, iſt die Aufnahme einer Dirne nichts anderes als ein unter<lb/> dem Namen der <hi rendition="#g">Auslöſung</hi> beſtehender <hi rendition="#g">Kauf,</hi> bei welchem<lb/> wirklich, oder nur dem Scheine nach, die ſogenannten <hi rendition="#g">Schulden</hi><lb/> einer Dirne bezahlt werden, welche entweder gar nicht oder doch<lb/> nicht in ſolcher Höhe exiſtiren. Nicht allein ein ungeheueres<lb/> wöchentliches Koſtgeld, nicht allein 33 bis 50 Procent vom ver-<lb/> dienten Luſtſolde, nicht allein eine unglaubliche Summe für Wäſche<lb/> und Bedienung, und ſogar eine ſchmähliche Miethe für das Um-<lb/> hängen des dem Wirthe abzuborgenden klapperigen Schmucks,<lb/> und die Menge Geſchenke <note place="foot" n="1)">Den größten Vorrath an Gold- und Silberſachen, den ich in bürger-<lb/> lichem Privatbeſitz getroffen habe, fand ich einmal im Nachlaß — einer<lb/> Vordellwirthin. So unglaublich groß die Menge, ſo dürftig und blechern war<lb/> doch auch die Mehrzahl dieſer Gegenſtände, deren Werthgehalt nur den Zwang,<lb/> nicht den freien Willen zu ſchenken, deutlich ausſprach.</note>, welche bei den vielen geſuchten Ge-<lb/> legenheiten dem Wirthe geopfert werden müſſen: das Schlimmſte<lb/> iſt <hi rendition="#g">die künſtliche Creditloſigkeit,</hi> in welcher die Dirnen ge-<lb/> halten, und bei welcher ſie gezwungen werden, alle gewöhnlichen<lb/> Bedürfniſſe <hi rendition="#g">von dem Wirthe ſelbſt</hi> zu kaufen, der ſich den<lb/> billigſten Plunder oft mit dem zehn- und zwanzigfachen Preiſe<lb/> bezahlen läßt, wobei er häufig geſchärfte, verpfändete und an<lb/> Zahlungsſtatt angenommene Sachen anbringt. <note xml:id="seg2pn_45_1" next="#seg2pn_45_2" place="foot" n="2)">Dieſer materielle Bann iſt ſo groß und ſo furchtbar, daß gerade durch<lb/> ihn zunächſt die Reue geweckt, aber auch immer wieder gewaltſam erſtickt wird.<lb/> Was hilft die Geſetzgebung, welche die reuige Gefallene von den Schulden<lb/> befreit, während die geheime Mahnung und Verfolgung der Wirthe ſie doch<lb/> ſpäter überall in der neuen qualvoll errungenen Sphäre zu finden weiß, daß<lb/> ſelbſt nicht einmal die Ehe ſie gegen beſchimpfende Erinnerungen und Mah-<lb/> nungen ſchützt? Von der Verworfenheit der Vordellwirthſchaft bekommt man<lb/> erſt dann einen richtigen Begriff, wenn man über die geſchäftliche Correſpon-<lb/> denz zwiſchen Bordellwirthen geräth. Jn dieſen Briefen wird mit eiſiger<lb/> Kälte und Geſchäftsmäßigkeit, die ſogar nicht einmal zu einer Zote gelangt,<lb/> lediglich über die Körperbeſchaffenheit, über Bau, Muskulatur, Statur, Größe,<lb/> Haar, Alter, Zähne u. ſ. w. verhandelt, als ob die Briefe aus der Schreib-</note> Unglaublich groß<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [335/0347]
Abhängigkeit, in welcher die Bordellwirthe ihre Opfer, aller
polizeilichen Aufſicht zum Trotz, zu halten wiſſen. Nach dem ge-
heimen Gewerbscartel, in welchem die Bordellwirthe miteinander
ſtehen, iſt die Aufnahme einer Dirne nichts anderes als ein unter
dem Namen der Auslöſung beſtehender Kauf, bei welchem
wirklich, oder nur dem Scheine nach, die ſogenannten Schulden
einer Dirne bezahlt werden, welche entweder gar nicht oder doch
nicht in ſolcher Höhe exiſtiren. Nicht allein ein ungeheueres
wöchentliches Koſtgeld, nicht allein 33 bis 50 Procent vom ver-
dienten Luſtſolde, nicht allein eine unglaubliche Summe für Wäſche
und Bedienung, und ſogar eine ſchmähliche Miethe für das Um-
hängen des dem Wirthe abzuborgenden klapperigen Schmucks,
und die Menge Geſchenke 1), welche bei den vielen geſuchten Ge-
legenheiten dem Wirthe geopfert werden müſſen: das Schlimmſte
iſt die künſtliche Creditloſigkeit, in welcher die Dirnen ge-
halten, und bei welcher ſie gezwungen werden, alle gewöhnlichen
Bedürfniſſe von dem Wirthe ſelbſt zu kaufen, der ſich den
billigſten Plunder oft mit dem zehn- und zwanzigfachen Preiſe
bezahlen läßt, wobei er häufig geſchärfte, verpfändete und an
Zahlungsſtatt angenommene Sachen anbringt. 2) Unglaublich groß
1) Den größten Vorrath an Gold- und Silberſachen, den ich in bürger-
lichem Privatbeſitz getroffen habe, fand ich einmal im Nachlaß — einer
Vordellwirthin. So unglaublich groß die Menge, ſo dürftig und blechern war
doch auch die Mehrzahl dieſer Gegenſtände, deren Werthgehalt nur den Zwang,
nicht den freien Willen zu ſchenken, deutlich ausſprach.
2) Dieſer materielle Bann iſt ſo groß und ſo furchtbar, daß gerade durch
ihn zunächſt die Reue geweckt, aber auch immer wieder gewaltſam erſtickt wird.
Was hilft die Geſetzgebung, welche die reuige Gefallene von den Schulden
befreit, während die geheime Mahnung und Verfolgung der Wirthe ſie doch
ſpäter überall in der neuen qualvoll errungenen Sphäre zu finden weiß, daß
ſelbſt nicht einmal die Ehe ſie gegen beſchimpfende Erinnerungen und Mah-
nungen ſchützt? Von der Verworfenheit der Vordellwirthſchaft bekommt man
erſt dann einen richtigen Begriff, wenn man über die geſchäftliche Correſpon-
denz zwiſchen Bordellwirthen geräth. Jn dieſen Briefen wird mit eiſiger
Kälte und Geſchäftsmäßigkeit, die ſogar nicht einmal zu einer Zote gelangt,
lediglich über die Körperbeſchaffenheit, über Bau, Muskulatur, Statur, Größe,
Haar, Alter, Zähne u. ſ. w. verhandelt, als ob die Briefe aus der Schreib-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |