um durch den dichten Schleier des Geheimnisses zu dringen. Je- der Brief eines Gauners ist des Studiums werth, und gerade Briefe, wie sie von Rebmann ("Damian Hessel", S. 89 fg.) und von Thiele (I, 35 fg.) angeführt sind, verdienen die genaueste Beachtung, weil man namentlich mit den hinzugefügten Noten und Schlüsseln den Ton und die Bedeutsamkeit dieser gefährlichen Schriftstellerei daraus recht anschaulich kennen lernt.
Bislang ist vom Kasspern in Jsolirhaft geredet worden. Es sollte kaum die Rede sein dürfen von mehreren zusammensitzenden Un- tersuchungsgefangenen. Denn in keiner Weise ist es zu dulden, daß überhaupt mehrere Untersuchungsgefangene in einer Zelle zusammen- gehalten werden. Schon der tiefe Ernst der Einsamkeit mit dem Be- wußtsein des Verbrechens, und dem Bewußtsein, in der Hand der stra- fenden Gerechtigkeit sich zu befinden, übt auf den Verbrecher einen gewaltigen Einfluß, der häufig viel zu wenig beachtet wird, der aber auch auf den routinirten Gauner einwirkt, weshalb dieser ja denn auch sogleich mit allen Mitteln eine Verbindung in der unerträglichen Einsamkeit herzustellen sucht. Der mit andern Gefangenen zusammengesperrte Jnquisit verkürzt sich die Zeit im Gespräch, und denkt nicht über seine Handlungen und Lage nach, erholt sich vielmehr von seinem Kameraden Raths, sticht mit ihm durch, und steht somit für alle wichtige Momente der Untersuchung völlig gerüstet da, wenn er sich ihr überhaupt nicht schon durch die Flucht entzieht. Noch weniger zu rechtfertigen ist es, daß man auf kurze Haft verurtheilte Strafgefangene mit Untersuchungsgefangenen zusammensperrt. Ganz abgesehen von der sittlichen Corruption, der man den einen oder den andern dadurch aussetzt, so ist es als gewiß anzunehmen, daß der zuerst entlassene Gefangene mit Aufträgen ver- sehen wird, welche die Flucht des Zurückbleibenden fördern, mindestens aber höchst nachtheilig auf den Gang der Untersuchung einwirken können. 1) Jn diesen Taktlosigkeiten ist weit mehr der Grund
1) Visitationen der Sträflinge bei dem Austritt aus der Anstalt sind daher ebenso nothwendig, wie bei Einbringung von Verbrechern. Wie wenig wird dies beachtet, und was bringen solche Entlassene, außer ihrer moralischen Verderbtheit, noch sonst mit in ihre Heimat!
um durch den dichten Schleier des Geheimniſſes zu dringen. Je- der Brief eines Gauners iſt des Studiums werth, und gerade Briefe, wie ſie von Rebmann („Damian Heſſel“, S. 89 fg.) und von Thiele (I, 35 fg.) angeführt ſind, verdienen die genaueſte Beachtung, weil man namentlich mit den hinzugefügten Noten und Schlüſſeln den Ton und die Bedeutſamkeit dieſer gefährlichen Schriftſtellerei daraus recht anſchaulich kennen lernt.
Bislang iſt vom Kaſſpern in Jſolirhaft geredet worden. Es ſollte kaum die Rede ſein dürfen von mehreren zuſammenſitzenden Un- terſuchungsgefangenen. Denn in keiner Weiſe iſt es zu dulden, daß überhaupt mehrere Unterſuchungsgefangene in einer Zelle zuſammen- gehalten werden. Schon der tiefe Ernſt der Einſamkeit mit dem Be- wußtſein des Verbrechens, und dem Bewußtſein, in der Hand der ſtra- fenden Gerechtigkeit ſich zu befinden, übt auf den Verbrecher einen gewaltigen Einfluß, der häufig viel zu wenig beachtet wird, der aber auch auf den routinirten Gauner einwirkt, weshalb dieſer ja denn auch ſogleich mit allen Mitteln eine Verbindung in der unerträglichen Einſamkeit herzuſtellen ſucht. Der mit andern Gefangenen zuſammengeſperrte Jnquiſit verkürzt ſich die Zeit im Geſpräch, und denkt nicht über ſeine Handlungen und Lage nach, erholt ſich vielmehr von ſeinem Kameraden Raths, ſticht mit ihm durch, und ſteht ſomit für alle wichtige Momente der Unterſuchung völlig gerüſtet da, wenn er ſich ihr überhaupt nicht ſchon durch die Flucht entzieht. Noch weniger zu rechtfertigen iſt es, daß man auf kurze Haft verurtheilte Strafgefangene mit Unterſuchungsgefangenen zuſammenſperrt. Ganz abgeſehen von der ſittlichen Corruption, der man den einen oder den andern dadurch ausſetzt, ſo iſt es als gewiß anzunehmen, daß der zuerſt entlaſſene Gefangene mit Aufträgen ver- ſehen wird, welche die Flucht des Zurückbleibenden fördern, mindeſtens aber höchſt nachtheilig auf den Gang der Unterſuchung einwirken können. 1) Jn dieſen Taktloſigkeiten iſt weit mehr der Grund
1) Viſitationen der Sträflinge bei dem Austritt aus der Anſtalt ſind daher ebenſo nothwendig, wie bei Einbringung von Verbrechern. Wie wenig wird dies beachtet, und was bringen ſolche Entlaſſene, außer ihrer moraliſchen Verderbtheit, noch ſonſt mit in ihre Heimat!
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um durch den dichten Schleier des Geheimniſſes zu dringen. Je-
der Brief eines Gauners iſt des Studiums werth, und gerade
Briefe, wie ſie von Rebmann („Damian Heſſel“, S. 89 fg.) und
von Thiele (I, 35 fg.) angeführt ſind, verdienen die genaueſte
Beachtung, weil man namentlich mit den hinzugefügten Noten
und Schlüſſeln den Ton und die Bedeutſamkeit dieſer gefährlichen
Schriftſtellerei daraus recht anſchaulich kennen lernt.
Bislang iſt vom Kaſſpern in Jſolirhaft geredet worden. Es
ſollte kaum die Rede ſein dürfen von mehreren zuſammenſitzenden Un-
terſuchungsgefangenen. Denn in keiner Weiſe iſt es zu dulden, daß
überhaupt mehrere Unterſuchungsgefangene in einer Zelle zuſammen-
gehalten werden. Schon der tiefe Ernſt der Einſamkeit mit dem Be-
wußtſein des Verbrechens, und dem Bewußtſein, in der Hand der ſtra-
fenden Gerechtigkeit ſich zu befinden, übt auf den Verbrecher einen
gewaltigen Einfluß, der häufig viel zu wenig beachtet wird, der
aber auch auf den routinirten Gauner einwirkt, weshalb dieſer
ja denn auch ſogleich mit allen Mitteln eine Verbindung in der
unerträglichen Einſamkeit herzuſtellen ſucht. Der mit andern
Gefangenen zuſammengeſperrte Jnquiſit verkürzt ſich die Zeit im
Geſpräch, und denkt nicht über ſeine Handlungen und Lage nach,
erholt ſich vielmehr von ſeinem Kameraden Raths, ſticht mit ihm
durch, und ſteht ſomit für alle wichtige Momente der Unterſuchung
völlig gerüſtet da, wenn er ſich ihr überhaupt nicht ſchon durch die
Flucht entzieht. Noch weniger zu rechtfertigen iſt es, daß man auf
kurze Haft verurtheilte Strafgefangene mit Unterſuchungsgefangenen
zuſammenſperrt. Ganz abgeſehen von der ſittlichen Corruption, der
man den einen oder den andern dadurch ausſetzt, ſo iſt es als gewiß
anzunehmen, daß der zuerſt entlaſſene Gefangene mit Aufträgen ver-
ſehen wird, welche die Flucht des Zurückbleibenden fördern, mindeſtens
aber höchſt nachtheilig auf den Gang der Unterſuchung einwirken
können. 1) Jn dieſen Taktloſigkeiten iſt weit mehr der Grund
1) Viſitationen der Sträflinge bei dem Austritt aus der Anſtalt ſind
daher ebenſo nothwendig, wie bei Einbringung von Verbrechern. Wie wenig
wird dies beachtet, und was bringen ſolche Entlaſſene, außer ihrer moraliſchen
Verderbtheit, noch ſonſt mit in ihre Heimat!
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/108>, abgerufen am 08.07.2024.
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