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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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Banden nimmt man nun aber auch wahr, wie rastlos das Gau-
nerthum immer mehr und mehr in alle social-politische Schichten
dringt, und sichtlich an intensiver Kunst und Gewandtheit gewinnt,
und die Methode und Schule im Gaunerthum sich auszubilden
anfängt, wobei auch gerade in methodischer Hinsicht, um des bloßen
Ruhms willen, ein schulmäßiger Wettkampf der einzelnen Gruppen
unter sich beginnt, der von ebenso viel Sicherheit als Frechheit
des Gaunerthums Zeugniß gibt. 1) Die humanere Richtung, der
Ueberdruß an den massenhaften Hinrichtungen und vor allem die
sichtlich vortretende Unmöglichkeit, die infolge geschärfterer Polizei-
vigilanz scharenweise aufgefangenen Landstreicher und Gauner in
bisheriger Weise abzuthun, hatte die Einrichtung von Armen-,
Arbeits- und Zuchthäusern, sowie die Verwendung der schwersten
Verbrecher zu Festungs- und öffentlichen Bauten zur Folge. Das
auch noch heute trotz der eifrigsten Sorge noch nicht gelöste
Problem der richtigen Behandlung der Verbrecher in den Gefangen-
anstalten konnte in jener ersten Kindheit dieser Jnstitute, wo es
nur galt, die Verbrecher von der Außenwelt abzusperren, gewiß
noch nicht genügend gelöst werden. So kam in den Gefängnissen
ein wüster Haufe von Jndividualitäten aus allen social-politischen
Schichten 2) zusammen, von denen jede die Verderbniß ihres

zahl Personen von obengenannter Beschäftigung gegeben, welche sämmtlich als
Märtyrer gestorben sind, unter denen sich auch die heilige Candida, Paulina
und Sallustia befinden. Das Buch ist übrigens mit warmem christlichem Eifer
geschrieben und besonders interessant durch die gewissenhafte Anführung der
vielfachen Quellen, aus denen der Verfasser die Daten zu seinen Biographien
geschöpft hat.
1) So theilte sich z. B. die Bande des Krummfinger-Balthasar in zwei
Theile, die Franken und die Thüringer. Letztere waren der Zahl nach über-
wiegend; die erstern waren aber die beherztern, sodaß die Thüringer gewöhn-
lich aus Respect vor den Franken ehrfurchtsvoll aufstanden und diesen das Ter-
rain überließen, sogar auch dann, wenn sie sich zu einem von ihnen aus-
gekundschafteten Diebstahl schon angeschickt hatten. Vgl. die Literatur: "Acten-
mäßige Nachricht" (Hildburghausen 1753).
2) Wenn je, so war in dieser Periode eine arge Entsittlichung in die
höhern Stände gedrungen. Das üppige Leben des unwissenden Ludwig XIV.
hatte die höhern Stände in Frankreich so verdorben, daß unter Ludwig XV.
6 *

Banden nimmt man nun aber auch wahr, wie raſtlos das Gau-
nerthum immer mehr und mehr in alle ſocial-politiſche Schichten
dringt, und ſichtlich an intenſiver Kunſt und Gewandtheit gewinnt,
und die Methode und Schule im Gaunerthum ſich auszubilden
anfängt, wobei auch gerade in methodiſcher Hinſicht, um des bloßen
Ruhms willen, ein ſchulmäßiger Wettkampf der einzelnen Gruppen
unter ſich beginnt, der von ebenſo viel Sicherheit als Frechheit
des Gaunerthums Zeugniß gibt. 1) Die humanere Richtung, der
Ueberdruß an den maſſenhaften Hinrichtungen und vor allem die
ſichtlich vortretende Unmöglichkeit, die infolge geſchärfterer Polizei-
vigilanz ſcharenweiſe aufgefangenen Landſtreicher und Gauner in
bisheriger Weiſe abzuthun, hatte die Einrichtung von Armen-,
Arbeits- und Zuchthäuſern, ſowie die Verwendung der ſchwerſten
Verbrecher zu Feſtungs- und öffentlichen Bauten zur Folge. Das
auch noch heute trotz der eifrigſten Sorge noch nicht gelöſte
Problem der richtigen Behandlung der Verbrecher in den Gefangen-
anſtalten konnte in jener erſten Kindheit dieſer Jnſtitute, wo es
nur galt, die Verbrecher von der Außenwelt abzuſperren, gewiß
noch nicht genügend gelöſt werden. So kam in den Gefängniſſen
ein wüſter Haufe von Jndividualitäten aus allen ſocial-politiſchen
Schichten 2) zuſammen, von denen jede die Verderbniß ihres

zahl Perſonen von obengenannter Beſchäftigung gegeben, welche ſämmtlich als
Märtyrer geſtorben ſind, unter denen ſich auch die heilige Candida, Paulina
und Salluſtia befinden. Das Buch iſt übrigens mit warmem chriſtlichem Eifer
geſchrieben und beſonders intereſſant durch die gewiſſenhafte Anführung der
vielfachen Quellen, aus denen der Verfaſſer die Daten zu ſeinen Biographien
geſchöpft hat.
1) So theilte ſich z. B. die Bande des Krummfinger-Balthaſar in zwei
Theile, die Franken und die Thüringer. Letztere waren der Zahl nach über-
wiegend; die erſtern waren aber die beherztern, ſodaß die Thüringer gewöhn-
lich aus Reſpect vor den Franken ehrfurchtsvoll aufſtanden und dieſen das Ter-
rain überließen, ſogar auch dann, wenn ſie ſich zu einem von ihnen aus-
gekundſchafteten Diebſtahl ſchon angeſchickt hatten. Vgl. die Literatur: „Acten-
mäßige Nachricht“ (Hildburghauſen 1753).
2) Wenn je, ſo war in dieſer Periode eine arge Entſittlichung in die
höhern Stände gedrungen. Das üppige Leben des unwiſſenden Ludwig XIV.
hatte die höhern Stände in Frankreich ſo verdorben, daß unter Ludwig XV.
6 *
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[83/0099] Banden nimmt man nun aber auch wahr, wie raſtlos das Gau- nerthum immer mehr und mehr in alle ſocial-politiſche Schichten dringt, und ſichtlich an intenſiver Kunſt und Gewandtheit gewinnt, und die Methode und Schule im Gaunerthum ſich auszubilden anfängt, wobei auch gerade in methodiſcher Hinſicht, um des bloßen Ruhms willen, ein ſchulmäßiger Wettkampf der einzelnen Gruppen unter ſich beginnt, der von ebenſo viel Sicherheit als Frechheit des Gaunerthums Zeugniß gibt. 1) Die humanere Richtung, der Ueberdruß an den maſſenhaften Hinrichtungen und vor allem die ſichtlich vortretende Unmöglichkeit, die infolge geſchärfterer Polizei- vigilanz ſcharenweiſe aufgefangenen Landſtreicher und Gauner in bisheriger Weiſe abzuthun, hatte die Einrichtung von Armen-, Arbeits- und Zuchthäuſern, ſowie die Verwendung der ſchwerſten Verbrecher zu Feſtungs- und öffentlichen Bauten zur Folge. Das auch noch heute trotz der eifrigſten Sorge noch nicht gelöſte Problem der richtigen Behandlung der Verbrecher in den Gefangen- anſtalten konnte in jener erſten Kindheit dieſer Jnſtitute, wo es nur galt, die Verbrecher von der Außenwelt abzuſperren, gewiß noch nicht genügend gelöſt werden. So kam in den Gefängniſſen ein wüſter Haufe von Jndividualitäten aus allen ſocial-politiſchen Schichten 2) zuſammen, von denen jede die Verderbniß ihres 1) 1) So theilte ſich z. B. die Bande des Krummfinger-Balthaſar in zwei Theile, die Franken und die Thüringer. Letztere waren der Zahl nach über- wiegend; die erſtern waren aber die beherztern, ſodaß die Thüringer gewöhn- lich aus Reſpect vor den Franken ehrfurchtsvoll aufſtanden und dieſen das Ter- rain überließen, ſogar auch dann, wenn ſie ſich zu einem von ihnen aus- gekundſchafteten Diebſtahl ſchon angeſchickt hatten. Vgl. die Literatur: „Acten- mäßige Nachricht“ (Hildburghauſen 1753). 2) Wenn je, ſo war in dieſer Periode eine arge Entſittlichung in die höhern Stände gedrungen. Das üppige Leben des unwiſſenden Ludwig XIV. hatte die höhern Stände in Frankreich ſo verdorben, daß unter Ludwig XV. 1) zahl Perſonen von obengenannter Beſchäftigung gegeben, welche ſämmtlich als Märtyrer geſtorben ſind, unter denen ſich auch die heilige Candida, Paulina und Salluſtia befinden. Das Buch iſt übrigens mit warmem chriſtlichem Eifer geſchrieben und beſonders intereſſant durch die gewiſſenhafte Anführung der vielfachen Quellen, aus denen der Verfaſſer die Daten zu ſeinen Biographien geſchöpft hat. 6 *

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/99>, abgerufen am 25.11.2024.