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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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mehr als hundert Jahren beendigen. Die ungeheuere ungebän-
digte wüste Praxis war eine vollendete Lehrschule geworden, aus
welcher vollendete Meister hervorgegangen waren. So vollständig
war der Sieg des Gaunerthums, so sicher sein Versteck mitten im
bunten bürgerlichen Leben, daß nun sogar auch weibliche Gauner-
koryphäen auftauchen, wie die großartige Gaunerin Anna Sophie
Meyers, Falsette genannt, welche die erfahrensten Rechtsanwalte
zu hintergehen wußte, und mit dem rostocker Brandmark auf dem
Rücken sogar eine Ehe mit einem Patriciersohn in Lübeck einging;
die Frau von Sienen, Concubine des Nicol List (Herrn von der
Mosel); Katharine Jlsabe Buncks; die 1673 zu London gehenkte
"deutsche Prinzessin", Frau des Schusters Stedmann, die in Köln
und Spaa eine so große Rolle spielte. Jn steter Beziehung mit
den berüchtigtesten englischen und französischen Gaunern und in
häufig sichtbarem Zuge nach Holland 1), welches wie eine mysti-
sche unheimliche Gaunerhochschule erscheint, findet man Nicol List,
Pant, Löbl, Hoscheneck, Lips Tullian und seine Genossen; ferner
den gaunerischen Alchymisten Giovanno Graf von Cajetani, der
am kurbairischen und preußischen Hofe eine so große Rolle spielte;
St.-Jacob (Müller), den Grafen della Torre, Ernst von
Werth und den Kapitän Hinrich Giesecke, die namentlich in Lü-
beck und Hamburg in großartiger Weise auftraten und betrogen;
den stattlichen du Val, der mit dem Concept einer frivolen Rede
an die Damen in London am Galgen starb und nach seinem
Tode feierlich ausgestellt wurde, und jene zahllosen, zum Theil
mit Deutschland namentlich durch Holland verbundenen englischen
und französischen Gauner, unter denen Tom Sharp, der zwei
mal (1686 u. 1689) gehenkte Patrik O'Brien 2), John Shep-

nicht ungestraft bleiben und zwar aufs schleunigste, doch den Rechten gemäß,
verfahren werde" unter ihm und König Friedrich I. unausgeführt liegen.
1) So trieb der bei der Belagerung von Mastricht desertirte englische
Gauner John Bind in Holland sein Wesen, und wurde sogar in Amsterdam
wegen eines Ladendiebstahls ertappt und in das Zuchthaus gesperrt, worauf
er nach London zurückkehrte und 1690 gehenkt wurde.
2) Nur ein einziger Mensch entging diesem verwegenen und verschlagenen

mehr als hundert Jahren beendigen. Die ungeheuere ungebän-
digte wüſte Praxis war eine vollendete Lehrſchule geworden, aus
welcher vollendete Meiſter hervorgegangen waren. So vollſtändig
war der Sieg des Gaunerthums, ſo ſicher ſein Verſteck mitten im
bunten bürgerlichen Leben, daß nun ſogar auch weibliche Gauner-
koryphäen auftauchen, wie die großartige Gaunerin Anna Sophie
Meyers, Falſette genannt, welche die erfahrenſten Rechtsanwalte
zu hintergehen wußte, und mit dem roſtocker Brandmark auf dem
Rücken ſogar eine Ehe mit einem Patricierſohn in Lübeck einging;
die Frau von Sienen, Concubine des Nicol Liſt (Herrn von der
Moſel); Katharine Jlſabe Buncks; die 1673 zu London gehenkte
„deutſche Prinzeſſin“, Frau des Schuſters Stedmann, die in Köln
und Spaa eine ſo große Rolle ſpielte. Jn ſteter Beziehung mit
den berüchtigteſten engliſchen und franzöſiſchen Gaunern und in
häufig ſichtbarem Zuge nach Holland 1), welches wie eine myſti-
ſche unheimliche Gaunerhochſchule erſcheint, findet man Nicol Liſt,
Pant, Löbl, Hoſcheneck, Lips Tullian und ſeine Genoſſen; ferner
den gauneriſchen Alchymiſten Giovanno Graf von Cajetani, der
am kurbairiſchen und preußiſchen Hofe eine ſo große Rolle ſpielte;
St.-Jacob (Müller), den Grafen della Torre, Ernſt von
Werth und den Kapitän Hinrich Gieſecke, die namentlich in Lü-
beck und Hamburg in großartiger Weiſe auftraten und betrogen;
den ſtattlichen du Val, der mit dem Concept einer frivolen Rede
an die Damen in London am Galgen ſtarb und nach ſeinem
Tode feierlich ausgeſtellt wurde, und jene zahlloſen, zum Theil
mit Deutſchland namentlich durch Holland verbundenen engliſchen
und franzöſiſchen Gauner, unter denen Tom Sharp, der zwei
mal (1686 u. 1689) gehenkte Patrik O’Brien 2), John Shep-

nicht ungeſtraft bleiben und zwar aufs ſchleunigſte, doch den Rechten gemäß,
verfahren werde“ unter ihm und König Friedrich I. unausgeführt liegen.
1) So trieb der bei der Belagerung von Maſtricht deſertirte engliſche
Gauner John Bind in Holland ſein Weſen, und wurde ſogar in Amſterdam
wegen eines Ladendiebſtahls ertappt und in das Zuchthaus geſperrt, worauf
er nach London zurückkehrte und 1690 gehenkt wurde.
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[77/0093] mehr als hundert Jahren beendigen. Die ungeheuere ungebän- digte wüſte Praxis war eine vollendete Lehrſchule geworden, aus welcher vollendete Meiſter hervorgegangen waren. So vollſtändig war der Sieg des Gaunerthums, ſo ſicher ſein Verſteck mitten im bunten bürgerlichen Leben, daß nun ſogar auch weibliche Gauner- koryphäen auftauchen, wie die großartige Gaunerin Anna Sophie Meyers, Falſette genannt, welche die erfahrenſten Rechtsanwalte zu hintergehen wußte, und mit dem roſtocker Brandmark auf dem Rücken ſogar eine Ehe mit einem Patricierſohn in Lübeck einging; die Frau von Sienen, Concubine des Nicol Liſt (Herrn von der Moſel); Katharine Jlſabe Buncks; die 1673 zu London gehenkte „deutſche Prinzeſſin“, Frau des Schuſters Stedmann, die in Köln und Spaa eine ſo große Rolle ſpielte. Jn ſteter Beziehung mit den berüchtigteſten engliſchen und franzöſiſchen Gaunern und in häufig ſichtbarem Zuge nach Holland 1), welches wie eine myſti- ſche unheimliche Gaunerhochſchule erſcheint, findet man Nicol Liſt, Pant, Löbl, Hoſcheneck, Lips Tullian und ſeine Genoſſen; ferner den gauneriſchen Alchymiſten Giovanno Graf von Cajetani, der am kurbairiſchen und preußiſchen Hofe eine ſo große Rolle ſpielte; St.-Jacob (Müller), den Grafen della Torre, Ernſt von Werth und den Kapitän Hinrich Gieſecke, die namentlich in Lü- beck und Hamburg in großartiger Weiſe auftraten und betrogen; den ſtattlichen du Val, der mit dem Concept einer frivolen Rede an die Damen in London am Galgen ſtarb und nach ſeinem Tode feierlich ausgeſtellt wurde, und jene zahlloſen, zum Theil mit Deutſchland namentlich durch Holland verbundenen engliſchen und franzöſiſchen Gauner, unter denen Tom Sharp, der zwei mal (1686 u. 1689) gehenkte Patrik O’Brien 2), John Shep- 1) 1) So trieb der bei der Belagerung von Maſtricht deſertirte engliſche Gauner John Bind in Holland ſein Weſen, und wurde ſogar in Amſterdam wegen eines Ladendiebſtahls ertappt und in das Zuchthaus geſperrt, worauf er nach London zurückkehrte und 1690 gehenkt wurde. 2) Nur ein einziger Menſch entging dieſem verwegenen und verſchlagenen 1) nicht ungeſtraft bleiben und zwar aufs ſchleunigſte, doch den Rechten gemäß, verfahren werde“ unter ihm und König Friedrich I. unausgeführt liegen.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/93>, abgerufen am 22.11.2024.