raubend seinem bunten Heere voranzogen, und dies Heer, dem auch die Söhne der Bürger und Bauern aus allen Gauen Deutsch- lands zuströmten, war meistens zusammengelaufenes Gesindel, mindestens ein arges Gemisch aller Confessionen und meistens nur um Wallenstein's Fahnen geschart, um Beute und hohen Sold zu gewinnen. Als Wallenstein, nach der Einnahme von Prag durch die Sachsen, zum zweiten mal ein Heer warb, führte ihm Terzka 4000 Kosacken aus Rußland, Merode einen Haufen Wallonen aus den Niederlanden, und der Kroatenoberst Jsolani einen Heerhaufen aus Ungarn zu. Mit diesen heillos vergriffenen Mitteln zur Stützung der Kaisergewalt hatte Wallenstein einen Geist heraufbeschworen, dem er selbst zum Opfer fiel und dem auch die Macht des deutschen Reichs nach außen und das geistige und materielle Wohl desselben im Jnnern geopfert wurde. Furcht- bar ist die Schilderung, welche Dittmar (a. a. O., S. 692) von dem Zustande des durch Habsucht und Zerstörungswuth, Grau- samkeit und Wollust, Mord und Willkürlaune der stets hin- und herziehenden Soldateska auf das entsetzlichste verwüsteten und von den schrecklichen Greuelthaten befleckten deutschen Reichs 1) ent- wirft. Theils die Klageschriften der Landstände an ihre Regie- rungen oder an Kaiser und Reich, theils verschiedene den Noth- stand Deutschlands schildernde Druckschriften jener Zeit geben von dem damals allenthalben herrschenden Elend eine nur zu traurige Veranschaulichung. Fast allenthalben, wo der Krieg wüthete, blieb das Feld unangebaut, weil es an Saatkorn, Zugvieh und Menschenhänden fehlte; die Dörfer standen leer, weil Alles in die Städte flüchtete oder das Kriegshandwerk ergriff, das noch am ersten nährte. Der Hunger trieb sie zu der unnatürlichsten Nah- rung: man verzehrte Aas, selbst menschliche Leichname, ja im Magdeburgischen sollen hier und da Menschen getödtet und gegessen worden sein. Jahrelang aufgehäufter Unrath in den Häusern
1) Der schwedische Feldherr Banner selbst gestand: "Es wäre kein Wun- der, wenn sich die Erde öffnete und durch Gottes gerechtes Verhängniß solche ehrvergessene Frevel verschlänge." Dittmar, a. a. O.
raubend ſeinem bunten Heere voranzogen, und dies Heer, dem auch die Söhne der Bürger und Bauern aus allen Gauen Deutſch- lands zuſtrömten, war meiſtens zuſammengelaufenes Geſindel, mindeſtens ein arges Gemiſch aller Confeſſionen und meiſtens nur um Wallenſtein’s Fahnen geſchart, um Beute und hohen Sold zu gewinnen. Als Wallenſtein, nach der Einnahme von Prag durch die Sachſen, zum zweiten mal ein Heer warb, führte ihm Terzka 4000 Koſacken aus Rußland, Merode einen Haufen Wallonen aus den Niederlanden, und der Kroatenoberſt Jſolani einen Heerhaufen aus Ungarn zu. Mit dieſen heillos vergriffenen Mitteln zur Stützung der Kaiſergewalt hatte Wallenſtein einen Geiſt heraufbeſchworen, dem er ſelbſt zum Opfer fiel und dem auch die Macht des deutſchen Reichs nach außen und das geiſtige und materielle Wohl deſſelben im Jnnern geopfert wurde. Furcht- bar iſt die Schilderung, welche Dittmar (a. a. O., S. 692) von dem Zuſtande des durch Habſucht und Zerſtörungswuth, Grau- ſamkeit und Wolluſt, Mord und Willkürlaune der ſtets hin- und herziehenden Soldateska auf das entſetzlichſte verwüſteten und von den ſchrecklichen Greuelthaten befleckten deutſchen Reichs 1) ent- wirft. Theils die Klageſchriften der Landſtände an ihre Regie- rungen oder an Kaiſer und Reich, theils verſchiedene den Noth- ſtand Deutſchlands ſchildernde Druckſchriften jener Zeit geben von dem damals allenthalben herrſchenden Elend eine nur zu traurige Veranſchaulichung. Faſt allenthalben, wo der Krieg wüthete, blieb das Feld unangebaut, weil es an Saatkorn, Zugvieh und Menſchenhänden fehlte; die Dörfer ſtanden leer, weil Alles in die Städte flüchtete oder das Kriegshandwerk ergriff, das noch am erſten nährte. Der Hunger trieb ſie zu der unnatürlichſten Nah- rung: man verzehrte Aas, ſelbſt menſchliche Leichname, ja im Magdeburgiſchen ſollen hier und da Menſchen getödtet und gegeſſen worden ſein. Jahrelang aufgehäufter Unrath in den Häuſern
1) Der ſchwediſche Feldherr Bannér ſelbſt geſtand: „Es wäre kein Wun- der, wenn ſich die Erde öffnete und durch Gottes gerechtes Verhängniß ſolche ehrvergeſſene Frevel verſchlänge.“ Dittmar, a. a. O.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0090"n="74"/>
raubend ſeinem bunten Heere voranzogen, und dies Heer, dem<lb/>
auch die Söhne der Bürger und Bauern aus allen Gauen Deutſch-<lb/>
lands zuſtrömten, war meiſtens zuſammengelaufenes Geſindel,<lb/>
mindeſtens ein arges Gemiſch aller Confeſſionen und meiſtens<lb/>
nur um Wallenſtein’s Fahnen geſchart, um Beute und hohen<lb/>
Sold zu gewinnen. Als Wallenſtein, nach der Einnahme von<lb/>
Prag durch die Sachſen, zum zweiten mal ein Heer warb, führte<lb/>
ihm Terzka 4000 Koſacken aus Rußland, Merode einen Haufen<lb/>
Wallonen aus den Niederlanden, und der Kroatenoberſt Jſolani<lb/>
einen Heerhaufen aus Ungarn zu. Mit dieſen heillos vergriffenen<lb/>
Mitteln zur Stützung der Kaiſergewalt hatte Wallenſtein einen<lb/>
Geiſt heraufbeſchworen, dem er ſelbſt zum Opfer fiel und dem<lb/>
auch die Macht des deutſchen Reichs nach außen und das geiſtige<lb/>
und materielle Wohl deſſelben im Jnnern geopfert wurde. Furcht-<lb/>
bar iſt die Schilderung, welche Dittmar (a. a. O., S. 692) von<lb/>
dem Zuſtande des durch Habſucht und Zerſtörungswuth, Grau-<lb/>ſamkeit und Wolluſt, Mord und Willkürlaune der ſtets hin- und<lb/>
herziehenden Soldateska auf das entſetzlichſte verwüſteten und von<lb/>
den ſchrecklichen Greuelthaten befleckten deutſchen Reichs <noteplace="foot"n="1)">Der ſchwediſche Feldherr Bannér ſelbſt geſtand: „Es wäre kein Wun-<lb/>
der, wenn ſich die Erde öffnete und durch Gottes gerechtes Verhängniß ſolche<lb/>
ehrvergeſſene Frevel verſchlänge.“ Dittmar, a. a. O.</note> ent-<lb/>
wirft. Theils die Klageſchriften der Landſtände an ihre Regie-<lb/>
rungen oder an Kaiſer und Reich, theils verſchiedene den Noth-<lb/>ſtand Deutſchlands ſchildernde Druckſchriften jener Zeit geben von<lb/>
dem damals allenthalben herrſchenden Elend eine nur zu traurige<lb/>
Veranſchaulichung. Faſt allenthalben, wo der Krieg wüthete,<lb/>
blieb das Feld unangebaut, weil es an Saatkorn, Zugvieh und<lb/>
Menſchenhänden fehlte; die Dörfer ſtanden leer, weil Alles in die<lb/>
Städte flüchtete oder das Kriegshandwerk ergriff, das noch am<lb/>
erſten nährte. Der Hunger trieb ſie zu der unnatürlichſten Nah-<lb/>
rung: man verzehrte Aas, ſelbſt menſchliche Leichname, ja im<lb/>
Magdeburgiſchen ſollen hier und da Menſchen getödtet und gegeſſen<lb/>
worden ſein. Jahrelang aufgehäufter Unrath in den Häuſern<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[74/0090]
raubend ſeinem bunten Heere voranzogen, und dies Heer, dem
auch die Söhne der Bürger und Bauern aus allen Gauen Deutſch-
lands zuſtrömten, war meiſtens zuſammengelaufenes Geſindel,
mindeſtens ein arges Gemiſch aller Confeſſionen und meiſtens
nur um Wallenſtein’s Fahnen geſchart, um Beute und hohen
Sold zu gewinnen. Als Wallenſtein, nach der Einnahme von
Prag durch die Sachſen, zum zweiten mal ein Heer warb, führte
ihm Terzka 4000 Koſacken aus Rußland, Merode einen Haufen
Wallonen aus den Niederlanden, und der Kroatenoberſt Jſolani
einen Heerhaufen aus Ungarn zu. Mit dieſen heillos vergriffenen
Mitteln zur Stützung der Kaiſergewalt hatte Wallenſtein einen
Geiſt heraufbeſchworen, dem er ſelbſt zum Opfer fiel und dem
auch die Macht des deutſchen Reichs nach außen und das geiſtige
und materielle Wohl deſſelben im Jnnern geopfert wurde. Furcht-
bar iſt die Schilderung, welche Dittmar (a. a. O., S. 692) von
dem Zuſtande des durch Habſucht und Zerſtörungswuth, Grau-
ſamkeit und Wolluſt, Mord und Willkürlaune der ſtets hin- und
herziehenden Soldateska auf das entſetzlichſte verwüſteten und von
den ſchrecklichen Greuelthaten befleckten deutſchen Reichs 1) ent-
wirft. Theils die Klageſchriften der Landſtände an ihre Regie-
rungen oder an Kaiſer und Reich, theils verſchiedene den Noth-
ſtand Deutſchlands ſchildernde Druckſchriften jener Zeit geben von
dem damals allenthalben herrſchenden Elend eine nur zu traurige
Veranſchaulichung. Faſt allenthalben, wo der Krieg wüthete,
blieb das Feld unangebaut, weil es an Saatkorn, Zugvieh und
Menſchenhänden fehlte; die Dörfer ſtanden leer, weil Alles in die
Städte flüchtete oder das Kriegshandwerk ergriff, das noch am
erſten nährte. Der Hunger trieb ſie zu der unnatürlichſten Nah-
rung: man verzehrte Aas, ſelbſt menſchliche Leichname, ja im
Magdeburgiſchen ſollen hier und da Menſchen getödtet und gegeſſen
worden ſein. Jahrelang aufgehäufter Unrath in den Häuſern
1) Der ſchwediſche Feldherr Bannér ſelbſt geſtand: „Es wäre kein Wun-
der, wenn ſich die Erde öffnete und durch Gottes gerechtes Verhängniß ſolche
ehrvergeſſene Frevel verſchlänge.“ Dittmar, a. a. O.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/90>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.