Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.gesteigertem kühnem Muthe zu geiseln. Die Aufnahme und der 1) Treffend sagt Hagen, "Deutschlands literarische und religiöse Verhält- nisse im Reformationszeitalter", 1, 335, daß die neue Richtung gleich von Anfang an unter anderm auch dadurch sich von der mittelalterlichen unter- schied, daß sie der Natur und der Sinnlichkeit wieder zu ihrem Rechte ver- half und den Menschen zu ihr in ein freundlicheres Verhältniß setzte, und daß besonders das volksmäßige Element sich dieses zur Aufgabe gesetzt hatte. Gegen Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts hatte diese Richtung nun schon so sehr um sich gegriffen, daß sie, man kann sagen, das Leben beherrschte. Man sah Welt und Natur nicht mehr von der düstern, finstern Seite an, wie das Mittelalter zu thun pflegte, sondern von einer heitern. Vergnügungen und gesellige Freuden, wie sie im Gebiete der Sinnlichkeit genossen wurden, hielt man nicht mehr für so verabscheuungswerth wie ehedem. Man ergötzte sich an ihnen, man genoß sie. 2) Unter den Männern, welche gegen den Schluß des Mittelalters mit
unerschrockenem Muthe das Treiben der Geistlichkeit und namentlich der Mönche rügten, und somit der Reformation bedeutenden Vorschub leisteten, verdient der schon angeführte Felix Hemmerlin (geb. zu Zürich 1389) eine bessere Be- achtung, als er bisher gefunden hat. Die flache Anführung zweier seiner vielen Tractate bei Malblanc ("Gesch. der Carol.", S. 90) der ihn ohne weiteres zum Anhänger der Glossatoren stempelt, da doch Hemmerlin als Jurist gerade am wenigsten in Betracht kommt, bekundet, daß Malblanc den Hemmerlin nicht genauer gekannt hat. Gerade der "Tractatus contra validos mendicantes" enthält gar nichts Criminalistisches, sondern einen Brief, den Hemmerlin am 1. Januar 1438 von Zürich aus an den Bischof Heinrich zu Konstanz schrieb und in dem er mit scharfer bewältigender und schwunghafter Rede den Bischof beschwört, dem nichtsnutzigen Umhertreiben der Begharden und Lolharden zu steuern und die Wahrheit zu schützen. Eine interessante criminalistische Ge- schichte ist allerdings die Darstellung des schon erwähnten Kirchenraubes, die jedoch kaum mehr ist als eine Chronikengeschichte. Der freie wackere Hemmer- geſteigertem kühnem Muthe zu geiſeln. Die Aufnahme und der 1) Treffend ſagt Hagen, „Deutſchlands literariſche und religiöſe Verhält- niſſe im Reformationszeitalter“, 1, 335, daß die neue Richtung gleich von Anfang an unter anderm auch dadurch ſich von der mittelalterlichen unter- ſchied, daß ſie der Natur und der Sinnlichkeit wieder zu ihrem Rechte ver- half und den Menſchen zu ihr in ein freundlicheres Verhältniß ſetzte, und daß beſonders das volksmäßige Element ſich dieſes zur Aufgabe geſetzt hatte. Gegen Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts hatte dieſe Richtung nun ſchon ſo ſehr um ſich gegriffen, daß ſie, man kann ſagen, das Leben beherrſchte. Man ſah Welt und Natur nicht mehr von der düſtern, finſtern Seite an, wie das Mittelalter zu thun pflegte, ſondern von einer heitern. Vergnügungen und geſellige Freuden, wie ſie im Gebiete der Sinnlichkeit genoſſen wurden, hielt man nicht mehr für ſo verabſcheuungswerth wie ehedem. Man ergötzte ſich an ihnen, man genoß ſie. 2) Unter den Männern, welche gegen den Schluß des Mittelalters mit
unerſchrockenem Muthe das Treiben der Geiſtlichkeit und namentlich der Mönche rügten, und ſomit der Reformation bedeutenden Vorſchub leiſteten, verdient der ſchon angeführte Felix Hemmerlin (geb. zu Zürich 1389) eine beſſere Be- achtung, als er bisher gefunden hat. Die flache Anführung zweier ſeiner vielen Tractate bei Malblanc („Geſch. der Carol.“, S. 90) der ihn ohne weiteres zum Anhänger der Gloſſatoren ſtempelt, da doch Hemmerlin als Juriſt gerade am wenigſten in Betracht kommt, bekundet, daß Malblanc den Hemmerlin nicht genauer gekannt hat. Gerade der „Tractatus contra validos mendicantes“ enthält gar nichts Criminaliſtiſches, ſondern einen Brief, den Hemmerlin am 1. Januar 1438 von Zürich aus an den Biſchof Heinrich zu Konſtanz ſchrieb und in dem er mit ſcharfer bewältigender und ſchwunghafter Rede den Biſchof beſchwört, dem nichtsnutzigen Umhertreiben der Begharden und Lolharden zu ſteuern und die Wahrheit zu ſchützen. Eine intereſſante criminaliſtiſche Ge- ſchichte iſt allerdings die Darſtellung des ſchon erwähnten Kirchenraubes, die jedoch kaum mehr iſt als eine Chronikengeſchichte. Der freie wackere Hemmer- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0078" n="62"/> geſteigertem kühnem Muthe zu geiſeln. Die Aufnahme und der<lb/> Einfluß des herrlichen „Narrenſchiffes“ von Sebaſtian Brant und<lb/> der Predigten Geyler’s von Kayſersberg war ungeheuer, weil das<lb/> Volk ſeine und des Klerus Thorheiten objectiv aufgefaßt und mit<lb/> ſatiriſcher Laune dargeſtellt fand. <note place="foot" n="1)">Treffend ſagt Hagen, „Deutſchlands literariſche und religiöſe Verhält-<lb/> niſſe im Reformationszeitalter“, 1, 335, daß die neue Richtung gleich von<lb/> Anfang an unter anderm auch dadurch ſich von der mittelalterlichen unter-<lb/> ſchied, daß ſie der Natur und der Sinnlichkeit wieder zu ihrem Rechte ver-<lb/> half und den Menſchen zu ihr in ein freundlicheres Verhältniß ſetzte, und daß<lb/> beſonders das volksmäßige Element ſich dieſes zur Aufgabe geſetzt hatte. Gegen<lb/> Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts hatte dieſe Richtung nun<lb/> ſchon ſo ſehr um ſich gegriffen, daß ſie, man kann ſagen, das Leben beherrſchte.<lb/> Man ſah Welt und Natur nicht mehr von der düſtern, finſtern Seite an, wie<lb/> das Mittelalter zu thun pflegte, ſondern von einer heitern. Vergnügungen<lb/> und geſellige Freuden, wie ſie im Gebiete der Sinnlichkeit genoſſen wurden,<lb/> hielt man nicht mehr für ſo verabſcheuungswerth wie ehedem. Man ergötzte<lb/> ſich an ihnen, man genoß ſie.</note> Jn anderer Sphäre hatte<lb/> namentlich der kölner Humaniſtenſtreit die Unwiſſenheit und Ver-<lb/> ſunkenheit des Mönchthums bloßgelegt und beſonders in den<lb/> unübertrefflichen „Dunkelmännerbriefen“ auf das ärgſte compro-<lb/> mittirt. Das erſtickende Miasma der ſittlichen Verſunkenheit war<lb/> ſchon lange durch kräftige Luftſtrömungen in Bewegung geſetzt <note xml:id="seg2pn_22_1" next="#seg2pn_22_2" place="foot" n="2)">Unter den Männern, welche gegen den Schluß des Mittelalters mit<lb/> unerſchrockenem Muthe das Treiben der Geiſtlichkeit und namentlich der Mönche<lb/> rügten, und ſomit der Reformation bedeutenden Vorſchub leiſteten, verdient der<lb/> ſchon angeführte Felix Hemmerlin (geb. zu Zürich 1389) eine beſſere Be-<lb/> achtung, als er bisher gefunden hat. Die flache Anführung zweier ſeiner vielen<lb/> Tractate bei Malblanc („Geſch. der Carol.“, S. 90) der ihn ohne weiteres<lb/> zum Anhänger der Gloſſatoren ſtempelt, da doch Hemmerlin als Juriſt gerade<lb/> am wenigſten in Betracht kommt, bekundet, daß Malblanc den Hemmerlin nicht<lb/> genauer gekannt hat. Gerade der „<hi rendition="#aq">Tractatus contra validos mendicantes</hi>“<lb/> enthält gar nichts Criminaliſtiſches, ſondern einen Brief, den Hemmerlin am<lb/> 1. Januar 1438 von Zürich aus an den Biſchof Heinrich zu Konſtanz ſchrieb<lb/> und in dem er mit ſcharfer bewältigender und ſchwunghafter Rede den Biſchof<lb/> beſchwört, dem nichtsnutzigen Umhertreiben der Begharden und Lolharden zu<lb/> ſteuern und die Wahrheit zu ſchützen. Eine intereſſante criminaliſtiſche Ge-<lb/> ſchichte iſt allerdings die Darſtellung des ſchon erwähnten Kirchenraubes, die<lb/> jedoch kaum mehr iſt als eine Chronikengeſchichte. Der freie wackere Hemmer-</note>,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0078]
geſteigertem kühnem Muthe zu geiſeln. Die Aufnahme und der
Einfluß des herrlichen „Narrenſchiffes“ von Sebaſtian Brant und
der Predigten Geyler’s von Kayſersberg war ungeheuer, weil das
Volk ſeine und des Klerus Thorheiten objectiv aufgefaßt und mit
ſatiriſcher Laune dargeſtellt fand. 1) Jn anderer Sphäre hatte
namentlich der kölner Humaniſtenſtreit die Unwiſſenheit und Ver-
ſunkenheit des Mönchthums bloßgelegt und beſonders in den
unübertrefflichen „Dunkelmännerbriefen“ auf das ärgſte compro-
mittirt. Das erſtickende Miasma der ſittlichen Verſunkenheit war
ſchon lange durch kräftige Luftſtrömungen in Bewegung geſetzt 2),
1) Treffend ſagt Hagen, „Deutſchlands literariſche und religiöſe Verhält-
niſſe im Reformationszeitalter“, 1, 335, daß die neue Richtung gleich von
Anfang an unter anderm auch dadurch ſich von der mittelalterlichen unter-
ſchied, daß ſie der Natur und der Sinnlichkeit wieder zu ihrem Rechte ver-
half und den Menſchen zu ihr in ein freundlicheres Verhältniß ſetzte, und daß
beſonders das volksmäßige Element ſich dieſes zur Aufgabe geſetzt hatte. Gegen
Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts hatte dieſe Richtung nun
ſchon ſo ſehr um ſich gegriffen, daß ſie, man kann ſagen, das Leben beherrſchte.
Man ſah Welt und Natur nicht mehr von der düſtern, finſtern Seite an, wie
das Mittelalter zu thun pflegte, ſondern von einer heitern. Vergnügungen
und geſellige Freuden, wie ſie im Gebiete der Sinnlichkeit genoſſen wurden,
hielt man nicht mehr für ſo verabſcheuungswerth wie ehedem. Man ergötzte
ſich an ihnen, man genoß ſie.
2) Unter den Männern, welche gegen den Schluß des Mittelalters mit
unerſchrockenem Muthe das Treiben der Geiſtlichkeit und namentlich der Mönche
rügten, und ſomit der Reformation bedeutenden Vorſchub leiſteten, verdient der
ſchon angeführte Felix Hemmerlin (geb. zu Zürich 1389) eine beſſere Be-
achtung, als er bisher gefunden hat. Die flache Anführung zweier ſeiner vielen
Tractate bei Malblanc („Geſch. der Carol.“, S. 90) der ihn ohne weiteres
zum Anhänger der Gloſſatoren ſtempelt, da doch Hemmerlin als Juriſt gerade
am wenigſten in Betracht kommt, bekundet, daß Malblanc den Hemmerlin nicht
genauer gekannt hat. Gerade der „Tractatus contra validos mendicantes“
enthält gar nichts Criminaliſtiſches, ſondern einen Brief, den Hemmerlin am
1. Januar 1438 von Zürich aus an den Biſchof Heinrich zu Konſtanz ſchrieb
und in dem er mit ſcharfer bewältigender und ſchwunghafter Rede den Biſchof
beſchwört, dem nichtsnutzigen Umhertreiben der Begharden und Lolharden zu
ſteuern und die Wahrheit zu ſchützen. Eine intereſſante criminaliſtiſche Ge-
ſchichte iſt allerdings die Darſtellung des ſchon erwähnten Kirchenraubes, die
jedoch kaum mehr iſt als eine Chronikengeſchichte. Der freie wackere Hemmer-
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