Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Konstantin schon eine entwickelte Hierarchie vorfand, und daß die
alte Einfachheit und Lauterkeit der ersten apostolischen Gemeinde
schon längst zu Grunde gegangen war, als das Christenthum sich
den Weg nach Deutschland bahnte. 1) Die Gaben christlicher
Liebe und Barmherzigkeit an die Kirche zu Gunsten der Armen,
welche der heilige Ambrosius nach dem Vorbilde der Apostel drin-
gend empfohlen hatte 2), waren durch die dem Klerus über-
aus geneigte Gesetzgebung auffallend begünstigt und gefördert
worden. Der Justinianäische Codex (lib. 1, tit. 2 u. 3) wim-
melt von der Bezeichnung solcher Begünstigungen 3) für die
Kirche und deren fromme Stiftungen, Xenodochien, Ptochotro-
phien, Orphanotrophien, Brephotrophien, Gerontokomien, Para-
monarien und wie alle übrige neuerrichtete Jnstitute für Alt und
Jung, Fremd und Einheimisch, genannt werden, aus denen jedem
Unterstützung gewährt wurde, der darum nachsuchte, er mochte
derselben bedürftig und würdig sein oder nicht. Zugleich führt
der heilige Ambrosius ("De officiis minist.", lib. 2, c. 16) über die
schrankenlose und kurzsichtige Freigebigkeit der Geistlichen, und über
die freche Unverschämtheit der zum Nachtheil der wahrhaft Hülfs-
bedürftigen in Haufen zuströmenden kerngesunden Vagabunden

1) Als die Gothen im 4. Jahrhundert das Christenthum annahmen, hielten
sie es, wie die Vandalen und Gepiden, mit der arianischen Lehre. Die ur-
sprünglich katholischen Burgunder wurden unter den Gothen gleichfalls Ari-
aner und im 6. Jahrhundert wieder katholisch. Selbst Chlodewig's Schwester,
Lanthild, war arianische Christin. Jakob Grimm, "Deutsche Mythologie",
S. 2 und 3.
2) Ep. II contra Symmachum: "Nihil ecclesia sibi nisi fidem pos-
sidet. Hos reditus praebet, hos fructus. Possessio ecclesiae sumptus
est egenorum. Numerent quos redemerint templa captivos, quae con-
tulerint alimenta pauperibus, quibus exulibus vivendi subsidia mini-
straverint. Praedia igitur intercepta, non jura sunt."
3) So lautet z. B. Lex 49, §. 6, tit. 3: Sin autem nullus xenon in
civitate inveniatur, tunc, secundum de captivis sanctionem, pro tem-
pore oeconomus sacrosanctae ecclesiae vel Episcopus hereditatem ac-
cipiat: et sine Falcidia ratione pauperibus, qui in civitate sunt, vel
penitus mendicantibus, vel alia sustentatione egentibus, eaedem pecu-
niae distribuantur.
"

Konſtantin ſchon eine entwickelte Hierarchie vorfand, und daß die
alte Einfachheit und Lauterkeit der erſten apoſtoliſchen Gemeinde
ſchon längſt zu Grunde gegangen war, als das Chriſtenthum ſich
den Weg nach Deutſchland bahnte. 1) Die Gaben chriſtlicher
Liebe und Barmherzigkeit an die Kirche zu Gunſten der Armen,
welche der heilige Ambroſius nach dem Vorbilde der Apoſtel drin-
gend empfohlen hatte 2), waren durch die dem Klerus über-
aus geneigte Geſetzgebung auffallend begünſtigt und gefördert
worden. Der Juſtinianäiſche Codex (lib. 1, tit. 2 u. 3) wim-
melt von der Bezeichnung ſolcher Begünſtigungen 3) für die
Kirche und deren fromme Stiftungen, Xenodochien, Ptochotro-
phien, Orphanotrophien, Brephotrophien, Gerontokomien, Para-
monarien und wie alle übrige neuerrichtete Jnſtitute für Alt und
Jung, Fremd und Einheimiſch, genannt werden, aus denen jedem
Unterſtützung gewährt wurde, der darum nachſuchte, er mochte
derſelben bedürftig und würdig ſein oder nicht. Zugleich führt
der heilige Ambroſius („De officiis minist.“, lib. 2, c. 16) über die
ſchrankenloſe und kurzſichtige Freigebigkeit der Geiſtlichen, und über
die freche Unverſchämtheit der zum Nachtheil der wahrhaft Hülfs-
bedürftigen in Haufen zuſtrömenden kerngeſunden Vagabunden

1) Als die Gothen im 4. Jahrhundert das Chriſtenthum annahmen, hielten
ſie es, wie die Vandalen und Gepiden, mit der arianiſchen Lehre. Die ur-
ſprünglich katholiſchen Burgunder wurden unter den Gothen gleichfalls Ari-
aner und im 6. Jahrhundert wieder katholiſch. Selbſt Chlodewig’s Schweſter,
Lanthild, war arianiſche Chriſtin. Jakob Grimm, „Deutſche Mythologie“,
S. 2 und 3.
2) Ep. II contra Symmachum: „Nihil ecclesia sibi nisi fidem pos-
sidet. Hos reditus praebet, hos fructus. Possessio ecclesiae sumptus
est egenorum. Numerent quos redemerint templa captivos, quae con-
tulerint alimenta pauperibus, quibus exulibus vivendi śubsidia mini-
straverint. Praedia igitur intercepta, non jura sunt.“
3) So lautet z. B. Lex 49, §. 6, tit. 3: Sin autem nullus xenon in
civitate inveniatur, tunc, secundum de captivis sanctionem, pro tem-
pore oeconomus sacrosanctae ecclesiae vel Episcopus hereditatem ac-
cipiat: et sine Falcidia ratione pauperibus, qui in civitate sunt, vel
penitus mendicantibus, vel alia sustentatione egentibus, eaedem pecu-
niae distribuantur.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0057" n="41"/>
Kon&#x017F;tantin &#x017F;chon eine entwickelte Hierarchie vorfand, und daß die<lb/>
alte Einfachheit und Lauterkeit der er&#x017F;ten apo&#x017F;toli&#x017F;chen Gemeinde<lb/>
&#x017F;chon läng&#x017F;t zu Grunde gegangen war, als das Chri&#x017F;tenthum &#x017F;ich<lb/>
den Weg nach Deut&#x017F;chland bahnte. <note place="foot" n="1)">Als die Gothen im 4. Jahrhundert das Chri&#x017F;tenthum annahmen, hielten<lb/>
&#x017F;ie es, wie die Vandalen und Gepiden, mit der ariani&#x017F;chen Lehre. Die ur-<lb/>
&#x017F;prünglich katholi&#x017F;chen Burgunder wurden unter den Gothen gleichfalls Ari-<lb/>
aner und im 6. Jahrhundert wieder katholi&#x017F;ch. Selb&#x017F;t Chlodewig&#x2019;s Schwe&#x017F;ter,<lb/>
Lanthild, war ariani&#x017F;che Chri&#x017F;tin. Jakob Grimm, &#x201E;Deut&#x017F;che Mythologie&#x201C;,<lb/>
S. 2 und 3.</note> Die Gaben chri&#x017F;tlicher<lb/>
Liebe und Barmherzigkeit an die Kirche zu Gun&#x017F;ten der Armen,<lb/>
welche der heilige Ambro&#x017F;ius nach dem Vorbilde der Apo&#x017F;tel drin-<lb/>
gend empfohlen hatte <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Ep. II contra Symmachum: &#x201E;Nihil ecclesia sibi nisi fidem pos-<lb/>
sidet. Hos reditus praebet, hos fructus. Possessio ecclesiae sumptus<lb/>
est egenorum. Numerent quos redemerint templa captivos, quae con-<lb/>
tulerint alimenta pauperibus, quibus exulibus vivendi &#x015B;ubsidia mini-<lb/>
straverint. Praedia igitur intercepta, non jura sunt.&#x201C;</hi></note>, waren durch die dem Klerus über-<lb/>
aus geneigte Ge&#x017F;etzgebung auffallend begün&#x017F;tigt und gefördert<lb/>
worden. Der Ju&#x017F;tinianäi&#x017F;che Codex (<hi rendition="#aq">lib. 1, tit.</hi> 2 u. 3) wim-<lb/>
melt von der Bezeichnung &#x017F;olcher Begün&#x017F;tigungen <note place="foot" n="3)">So lautet z. B. <hi rendition="#aq">Lex 49, §. 6, tit. 3: Sin autem nullus xenon in<lb/>
civitate inveniatur, tunc, secundum de captivis sanctionem, pro tem-<lb/>
pore oeconomus sacrosanctae ecclesiae vel Episcopus hereditatem ac-<lb/>
cipiat: et sine Falcidia ratione pauperibus, qui in civitate sunt, vel<lb/>
penitus mendicantibus, vel alia sustentatione egentibus, eaedem pecu-<lb/>
niae distribuantur.</hi>&#x201C;</note> für die<lb/>
Kirche und deren fromme Stiftungen, Xenodochien, Ptochotro-<lb/>
phien, Orphanotrophien, Brephotrophien, Gerontokomien, Para-<lb/>
monarien und wie alle übrige neuerrichtete Jn&#x017F;titute für Alt und<lb/>
Jung, Fremd und Einheimi&#x017F;ch, genannt werden, aus denen jedem<lb/>
Unter&#x017F;tützung gewährt wurde, der darum nach&#x017F;uchte, er mochte<lb/>
der&#x017F;elben bedürftig und würdig &#x017F;ein oder nicht. Zugleich führt<lb/>
der heilige Ambro&#x017F;ius (<hi rendition="#aq">&#x201E;De officiis minist.&#x201C;, lib. 2, c.</hi> 16) über die<lb/>
&#x017F;chrankenlo&#x017F;e und kurz&#x017F;ichtige Freigebigkeit der Gei&#x017F;tlichen, und über<lb/>
die freche Unver&#x017F;chämtheit der zum Nachtheil der wahrhaft Hülfs-<lb/>
bedürftigen in Haufen zu&#x017F;trömenden kernge&#x017F;unden Vagabunden<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0057] Konſtantin ſchon eine entwickelte Hierarchie vorfand, und daß die alte Einfachheit und Lauterkeit der erſten apoſtoliſchen Gemeinde ſchon längſt zu Grunde gegangen war, als das Chriſtenthum ſich den Weg nach Deutſchland bahnte. 1) Die Gaben chriſtlicher Liebe und Barmherzigkeit an die Kirche zu Gunſten der Armen, welche der heilige Ambroſius nach dem Vorbilde der Apoſtel drin- gend empfohlen hatte 2), waren durch die dem Klerus über- aus geneigte Geſetzgebung auffallend begünſtigt und gefördert worden. Der Juſtinianäiſche Codex (lib. 1, tit. 2 u. 3) wim- melt von der Bezeichnung ſolcher Begünſtigungen 3) für die Kirche und deren fromme Stiftungen, Xenodochien, Ptochotro- phien, Orphanotrophien, Brephotrophien, Gerontokomien, Para- monarien und wie alle übrige neuerrichtete Jnſtitute für Alt und Jung, Fremd und Einheimiſch, genannt werden, aus denen jedem Unterſtützung gewährt wurde, der darum nachſuchte, er mochte derſelben bedürftig und würdig ſein oder nicht. Zugleich führt der heilige Ambroſius („De officiis minist.“, lib. 2, c. 16) über die ſchrankenloſe und kurzſichtige Freigebigkeit der Geiſtlichen, und über die freche Unverſchämtheit der zum Nachtheil der wahrhaft Hülfs- bedürftigen in Haufen zuſtrömenden kerngeſunden Vagabunden 1) Als die Gothen im 4. Jahrhundert das Chriſtenthum annahmen, hielten ſie es, wie die Vandalen und Gepiden, mit der arianiſchen Lehre. Die ur- ſprünglich katholiſchen Burgunder wurden unter den Gothen gleichfalls Ari- aner und im 6. Jahrhundert wieder katholiſch. Selbſt Chlodewig’s Schweſter, Lanthild, war arianiſche Chriſtin. Jakob Grimm, „Deutſche Mythologie“, S. 2 und 3. 2) Ep. II contra Symmachum: „Nihil ecclesia sibi nisi fidem pos- sidet. Hos reditus praebet, hos fructus. Possessio ecclesiae sumptus est egenorum. Numerent quos redemerint templa captivos, quae con- tulerint alimenta pauperibus, quibus exulibus vivendi śubsidia mini- straverint. Praedia igitur intercepta, non jura sunt.“ 3) So lautet z. B. Lex 49, §. 6, tit. 3: Sin autem nullus xenon in civitate inveniatur, tunc, secundum de captivis sanctionem, pro tem- pore oeconomus sacrosanctae ecclesiae vel Episcopus hereditatem ac- cipiat: et sine Falcidia ratione pauperibus, qui in civitate sunt, vel penitus mendicantibus, vel alia sustentatione egentibus, eaedem pecu- niae distribuantur.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/57
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/57>, abgerufen am 04.05.2024.