Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

des Verfassers bekundet. Bedeutsam ist die Beobachtung und
Rüge der krankhaften social-politischen Zustände und die Hervor-
hebung der Mängel in der Gesetzgebung, Justiz- und Polizeipflege,
obgleich in der Kritik eine bis zur Bitterkeit gesteigerte unange-
nehme Schärfe nicht zu verkennen ist. Auch kann man den Rai-
sonnements und den Vorschlägen des Verfassers, namentlich hin-
sichtlich des Armenwesens und der "Fundamentalmittel, von deren
Anwendung die Abnahme des Proletariats und des Verbrechens
allein zu erwarten stehen soll", keineswegs ohne weiteres bei-
pflichten. Mitunter greift auch der Verfasser in seinen Defini-
tionen fehl. So z. B. definirt er den ganz allgemeinen (schon
aus dem masso-umattan, Handel, Geschäft, sich erklärenden) Aus-
druck massematten, der generell jeden Diebstahl und das
Diebstahlsobject bezeichnet S. (49), als "die Diebstahlsarten,
mittelst welcher durch Anwendung der Brecheisen und anderer ge-
waltsamer Jnstrumente oder der Dietriche und Sperrhaken das
fremde Gut hinter Schloß und Riegel hervorgeholt wird". Auch
zeigt der Verfasser im dreizehnten Kapitel, in welchem er "die
Diebessprache in Berlin" abhandelt, daß er selbst mit der Gauner-
sprache nicht besonders vertraut ist. Dennoch bleibt das kleine
Gaunerlexikon beachtenswerth, da es, neben manchen sprachlichen
Jrrthümern, doch auch Gutes und Brauchbares enthält. Jn dem
Abschnitt von der Gaunersprache wird weiter darauf eingegangen
werden. Ungeachtet der specifisch auf Berlin und Preußen be-
schränkten Beziehung des Werks, welche namentlich im zweiten
Theile (S. 193--460) und besonders in der "historisch-wissen-
schaftlich-kritischen Betrachtung der Strafgesetze und des Strafpro-
cesses" hervortritt 1), ist dasselbe doch jedem deutschen Polizeimann,
der einen Begriff von dem Gaunertreiben in einer der bedeutend-
sten und bewegtesten Städte Deutschlands und von der Gegen-
operation rastlos thätiger Behörden gegen jenen feindseligen Wu-

1) Vortrefflich ist die in Kap. 27 enthaltene Beleuchtung der Kritik des
Franzosen Appert, der namentlich das gut eingerichtete Arbeitshaus in Berlin
so flüchtig gesehen und so leichtfertig beurtheilt hatte.

des Verfaſſers bekundet. Bedeutſam iſt die Beobachtung und
Rüge der krankhaften ſocial-politiſchen Zuſtände und die Hervor-
hebung der Mängel in der Geſetzgebung, Juſtiz- und Polizeipflege,
obgleich in der Kritik eine bis zur Bitterkeit geſteigerte unange-
nehme Schärfe nicht zu verkennen iſt. Auch kann man den Rai-
ſonnements und den Vorſchlägen des Verfaſſers, namentlich hin-
ſichtlich des Armenweſens und der „Fundamentalmittel, von deren
Anwendung die Abnahme des Proletariats und des Verbrechens
allein zu erwarten ſtehen ſoll“, keineswegs ohne weiteres bei-
pflichten. Mitunter greift auch der Verfaſſer in ſeinen Defini-
tionen fehl. So z. B. definirt er den ganz allgemeinen (ſchon
aus dem masso-umattan, Handel, Geſchäft, ſich erklärenden) Aus-
druck massematten, der generell jeden Diebſtahl und das
Diebſtahlsobject bezeichnet S. (49), als „die Diebſtahlsarten,
mittelſt welcher durch Anwendung der Brecheiſen und anderer ge-
waltſamer Jnſtrumente oder der Dietriche und Sperrhaken das
fremde Gut hinter Schloß und Riegel hervorgeholt wird“. Auch
zeigt der Verfaſſer im dreizehnten Kapitel, in welchem er „die
Diebesſprache in Berlin“ abhandelt, daß er ſelbſt mit der Gauner-
ſprache nicht beſonders vertraut iſt. Dennoch bleibt das kleine
Gaunerlexikon beachtenswerth, da es, neben manchen ſprachlichen
Jrrthümern, doch auch Gutes und Brauchbares enthält. Jn dem
Abſchnitt von der Gaunerſprache wird weiter darauf eingegangen
werden. Ungeachtet der ſpecifiſch auf Berlin und Preußen be-
ſchränkten Beziehung des Werks, welche namentlich im zweiten
Theile (S. 193—460) und beſonders in der „hiſtoriſch-wiſſen-
ſchaftlich-kritiſchen Betrachtung der Strafgeſetze und des Strafpro-
ceſſes“ hervortritt 1), iſt daſſelbe doch jedem deutſchen Polizeimann,
der einen Begriff von dem Gaunertreiben in einer der bedeutend-
ſten und bewegteſten Städte Deutſchlands und von der Gegen-
operation raſtlos thätiger Behörden gegen jenen feindſeligen Wu-

1) Vortrefflich iſt die in Kap. 27 enthaltene Beleuchtung der Kritik des
Franzoſen Appert, der namentlich das gut eingerichtete Arbeitshaus in Berlin
ſo flüchtig geſehen und ſo leichtfertig beurtheilt hatte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0284" n="268"/>
des Verfa&#x017F;&#x017F;ers bekundet. Bedeut&#x017F;am i&#x017F;t die Beobachtung und<lb/>
Rüge der krankhaften &#x017F;ocial-politi&#x017F;chen Zu&#x017F;tände und die Hervor-<lb/>
hebung der Mängel in der Ge&#x017F;etzgebung, Ju&#x017F;tiz- und Polizeipflege,<lb/>
obgleich in der Kritik eine bis zur Bitterkeit ge&#x017F;teigerte unange-<lb/>
nehme Schärfe nicht zu verkennen i&#x017F;t. Auch kann man den Rai-<lb/>
&#x017F;onnements und den Vor&#x017F;chlägen des Verfa&#x017F;&#x017F;ers, namentlich hin-<lb/>
&#x017F;ichtlich des Armenwe&#x017F;ens und der &#x201E;Fundamentalmittel, von deren<lb/>
Anwendung die Abnahme des Proletariats und des Verbrechens<lb/>
allein zu erwarten &#x017F;tehen &#x017F;oll&#x201C;, keineswegs ohne weiteres bei-<lb/>
pflichten. Mitunter greift auch der Verfa&#x017F;&#x017F;er in &#x017F;einen Defini-<lb/>
tionen fehl. So z. B. definirt er den ganz allgemeinen (&#x017F;chon<lb/>
aus dem <hi rendition="#aq">masso-umattan,</hi> Handel, Ge&#x017F;chäft, &#x017F;ich erklärenden) Aus-<lb/>
druck <hi rendition="#aq">massematten,</hi> der generell <hi rendition="#g">jeden Dieb&#x017F;tahl</hi> und das<lb/><hi rendition="#g">Dieb&#x017F;tahlsobject</hi> bezeichnet S. (49), als &#x201E;die Dieb&#x017F;tahlsarten,<lb/>
mittel&#x017F;t welcher durch Anwendung der Brechei&#x017F;en und anderer ge-<lb/>
walt&#x017F;amer Jn&#x017F;trumente oder der Dietriche und Sperrhaken das<lb/>
fremde Gut hinter Schloß und Riegel hervorgeholt wird&#x201C;. Auch<lb/>
zeigt der Verfa&#x017F;&#x017F;er im dreizehnten Kapitel, in welchem er &#x201E;die<lb/>
Diebes&#x017F;prache in Berlin&#x201C; abhandelt, daß er &#x017F;elb&#x017F;t mit der Gauner-<lb/>
&#x017F;prache nicht be&#x017F;onders vertraut i&#x017F;t. Dennoch bleibt das kleine<lb/>
Gaunerlexikon beachtenswerth, da es, neben manchen &#x017F;prachlichen<lb/>
Jrrthümern, doch auch Gutes und Brauchbares enthält. Jn dem<lb/>
Ab&#x017F;chnitt von der Gauner&#x017F;prache wird weiter darauf eingegangen<lb/>
werden. Ungeachtet der &#x017F;pecifi&#x017F;ch auf Berlin und Preußen be-<lb/>
&#x017F;chränkten Beziehung des Werks, welche namentlich im zweiten<lb/>
Theile (S. 193&#x2014;460) und be&#x017F;onders in der &#x201E;hi&#x017F;tori&#x017F;ch-wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftlich-kriti&#x017F;chen Betrachtung der Strafge&#x017F;etze und des Strafpro-<lb/>
ce&#x017F;&#x017F;es&#x201C; hervortritt <note place="foot" n="1)">Vortrefflich i&#x017F;t die in Kap. 27 enthaltene Beleuchtung der Kritik des<lb/>
Franzo&#x017F;en Appert, der namentlich das gut eingerichtete Arbeitshaus in Berlin<lb/>
&#x017F;o flüchtig ge&#x017F;ehen und &#x017F;o leichtfertig beurtheilt hatte.</note>, i&#x017F;t da&#x017F;&#x017F;elbe doch jedem deut&#x017F;chen Polizeimann,<lb/>
der einen Begriff von dem Gaunertreiben in einer der bedeutend-<lb/>
&#x017F;ten und bewegte&#x017F;ten Städte Deut&#x017F;chlands und von der Gegen-<lb/>
operation ra&#x017F;tlos thätiger Behörden gegen jenen feind&#x017F;eligen Wu-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0284] des Verfaſſers bekundet. Bedeutſam iſt die Beobachtung und Rüge der krankhaften ſocial-politiſchen Zuſtände und die Hervor- hebung der Mängel in der Geſetzgebung, Juſtiz- und Polizeipflege, obgleich in der Kritik eine bis zur Bitterkeit geſteigerte unange- nehme Schärfe nicht zu verkennen iſt. Auch kann man den Rai- ſonnements und den Vorſchlägen des Verfaſſers, namentlich hin- ſichtlich des Armenweſens und der „Fundamentalmittel, von deren Anwendung die Abnahme des Proletariats und des Verbrechens allein zu erwarten ſtehen ſoll“, keineswegs ohne weiteres bei- pflichten. Mitunter greift auch der Verfaſſer in ſeinen Defini- tionen fehl. So z. B. definirt er den ganz allgemeinen (ſchon aus dem masso-umattan, Handel, Geſchäft, ſich erklärenden) Aus- druck massematten, der generell jeden Diebſtahl und das Diebſtahlsobject bezeichnet S. (49), als „die Diebſtahlsarten, mittelſt welcher durch Anwendung der Brecheiſen und anderer ge- waltſamer Jnſtrumente oder der Dietriche und Sperrhaken das fremde Gut hinter Schloß und Riegel hervorgeholt wird“. Auch zeigt der Verfaſſer im dreizehnten Kapitel, in welchem er „die Diebesſprache in Berlin“ abhandelt, daß er ſelbſt mit der Gauner- ſprache nicht beſonders vertraut iſt. Dennoch bleibt das kleine Gaunerlexikon beachtenswerth, da es, neben manchen ſprachlichen Jrrthümern, doch auch Gutes und Brauchbares enthält. Jn dem Abſchnitt von der Gaunerſprache wird weiter darauf eingegangen werden. Ungeachtet der ſpecifiſch auf Berlin und Preußen be- ſchränkten Beziehung des Werks, welche namentlich im zweiten Theile (S. 193—460) und beſonders in der „hiſtoriſch-wiſſen- ſchaftlich-kritiſchen Betrachtung der Strafgeſetze und des Strafpro- ceſſes“ hervortritt 1), iſt daſſelbe doch jedem deutſchen Polizeimann, der einen Begriff von dem Gaunertreiben in einer der bedeutend- ſten und bewegteſten Städte Deutſchlands und von der Gegen- operation raſtlos thätiger Behörden gegen jenen feindſeligen Wu- 1) Vortrefflich iſt die in Kap. 27 enthaltene Beleuchtung der Kritik des Franzoſen Appert, der namentlich das gut eingerichtete Arbeitshaus in Berlin ſo flüchtig geſehen und ſo leichtfertig beurtheilt hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/284
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/284>, abgerufen am 02.05.2024.