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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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Zwölftes Kapitel.
E. Die Anekdoten, Biographien und Schelmenromane.

Der Schreibseligkeit der Gelehrten, namentlich der Theologen,
des 16. u. 17. Jahrhunderts, welchen übrigens eine schätzbare
Gelehrsamkeit und eiserner Fleiß durchaus nicht abzusprechen ist,
hat man zu verdanken, daß eine Menge der mannichfachsten ein-
zelnen Begebenheiten, welche aus den verschiedensten Zeiten in den
vielen Chroniken und zahlreichen Werken aller Wissenschaften zer-
streut liegen und sonst leicht verloren gegangen, mindestens aber
nicht leicht aufzufinden gewesen wären, in voluminöse Samm-
lungen zusammengetragen ist, deren Brauchbarkeit und Werth
man dann erkennt, wenn man den Muth hat, sich an das Stu-
dium dieser zum Theil erstaunlich umfangreichen Werke zu machen.
Sie sind meistens von theologischer Redaction, Form und Be-
handlung. Aber es gibt keine Wissenschaft, die nicht aus diesen
Sammlungen irgendeine brauchbare Notiz herausziehen könnte.
Sogar auch für die Literatur des Gaunerthums gewinnt man aus
diesen theologischen Arbeiten reiche Ausbeute, wie z. B. aus den
1638 erschienenen "Loci Theologici Historici" oder "Theologi-
sches Exempelbuch des Magisters Caspar Titius zu Heckstedt in
Mansfeld", worin aus 300 verschiedenen schriftstellerischen Werken
auf 1344 Quartseiten viele tausend historische Anekdoten mit-
getheilt werden, welche zum größten Theil beachtenswerth sind.
Der gelehrte Fleiß jener Zeit hatte sich sogar aber auch speciell
auf das Gaunerthum geworfen, jedoch seine Thaten weit mehr
als pikante Begebenheiten hervorgehoben, als daß er den materi-
ellen und sittlichen Nachtheil beleuchtet und verdammt, oder gar
eine Paralyse dagegen zum Vorschlag gebracht hätte. Das Gau-
nerthum wuchert daher in diesen Sammlungen, wie eine Lustig-
keit fort, und bei der Darstellung wird keineswegs Humor und
Laune gespart. So sind sie eines Theils Grundlage der zahl-
reich entstandenen Schelmenromane 1), theils aber auch ernsterer aus-

1) Als ältesten deutschen Schelmenroman kann man den Till Eulen-
Zwölftes Kapitel.
E. Die Anekdoten, Biographien und Schelmenromane.

Der Schreibſeligkeit der Gelehrten, namentlich der Theologen,
des 16. u. 17. Jahrhunderts, welchen übrigens eine ſchätzbare
Gelehrſamkeit und eiſerner Fleiß durchaus nicht abzuſprechen iſt,
hat man zu verdanken, daß eine Menge der mannichfachſten ein-
zelnen Begebenheiten, welche aus den verſchiedenſten Zeiten in den
vielen Chroniken und zahlreichen Werken aller Wiſſenſchaften zer-
ſtreut liegen und ſonſt leicht verloren gegangen, mindeſtens aber
nicht leicht aufzufinden geweſen wären, in voluminöſe Samm-
lungen zuſammengetragen iſt, deren Brauchbarkeit und Werth
man dann erkennt, wenn man den Muth hat, ſich an das Stu-
dium dieſer zum Theil erſtaunlich umfangreichen Werke zu machen.
Sie ſind meiſtens von theologiſcher Redaction, Form und Be-
handlung. Aber es gibt keine Wiſſenſchaft, die nicht aus dieſen
Sammlungen irgendeine brauchbare Notiz herausziehen könnte.
Sogar auch für die Literatur des Gaunerthums gewinnt man aus
dieſen theologiſchen Arbeiten reiche Ausbeute, wie z. B. aus den
1638 erſchienenen „Loci Theologici Historici“ oder „Theologi-
ſches Exempelbuch des Magiſters Caspar Titius zu Heckſtedt in
Mansfeld“, worin aus 300 verſchiedenen ſchriftſtelleriſchen Werken
auf 1344 Quartſeiten viele tauſend hiſtoriſche Anekdoten mit-
getheilt werden, welche zum größten Theil beachtenswerth ſind.
Der gelehrte Fleiß jener Zeit hatte ſich ſogar aber auch ſpeciell
auf das Gaunerthum geworfen, jedoch ſeine Thaten weit mehr
als pikante Begebenheiten hervorgehoben, als daß er den materi-
ellen und ſittlichen Nachtheil beleuchtet und verdammt, oder gar
eine Paralyſe dagegen zum Vorſchlag gebracht hätte. Das Gau-
nerthum wuchert daher in dieſen Sammlungen, wie eine Luſtig-
keit fort, und bei der Darſtellung wird keineswegs Humor und
Laune geſpart. So ſind ſie eines Theils Grundlage der zahl-
reich entſtandenen Schelmenromane 1), theils aber auch ernſterer aus-

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[214/0230] Zwölftes Kapitel. E. Die Anekdoten, Biographien und Schelmenromane. Der Schreibſeligkeit der Gelehrten, namentlich der Theologen, des 16. u. 17. Jahrhunderts, welchen übrigens eine ſchätzbare Gelehrſamkeit und eiſerner Fleiß durchaus nicht abzuſprechen iſt, hat man zu verdanken, daß eine Menge der mannichfachſten ein- zelnen Begebenheiten, welche aus den verſchiedenſten Zeiten in den vielen Chroniken und zahlreichen Werken aller Wiſſenſchaften zer- ſtreut liegen und ſonſt leicht verloren gegangen, mindeſtens aber nicht leicht aufzufinden geweſen wären, in voluminöſe Samm- lungen zuſammengetragen iſt, deren Brauchbarkeit und Werth man dann erkennt, wenn man den Muth hat, ſich an das Stu- dium dieſer zum Theil erſtaunlich umfangreichen Werke zu machen. Sie ſind meiſtens von theologiſcher Redaction, Form und Be- handlung. Aber es gibt keine Wiſſenſchaft, die nicht aus dieſen Sammlungen irgendeine brauchbare Notiz herausziehen könnte. Sogar auch für die Literatur des Gaunerthums gewinnt man aus dieſen theologiſchen Arbeiten reiche Ausbeute, wie z. B. aus den 1638 erſchienenen „Loci Theologici Historici“ oder „Theologi- ſches Exempelbuch des Magiſters Caspar Titius zu Heckſtedt in Mansfeld“, worin aus 300 verſchiedenen ſchriftſtelleriſchen Werken auf 1344 Quartſeiten viele tauſend hiſtoriſche Anekdoten mit- getheilt werden, welche zum größten Theil beachtenswerth ſind. Der gelehrte Fleiß jener Zeit hatte ſich ſogar aber auch ſpeciell auf das Gaunerthum geworfen, jedoch ſeine Thaten weit mehr als pikante Begebenheiten hervorgehoben, als daß er den materi- ellen und ſittlichen Nachtheil beleuchtet und verdammt, oder gar eine Paralyſe dagegen zum Vorſchlag gebracht hätte. Das Gau- nerthum wuchert daher in dieſen Sammlungen, wie eine Luſtig- keit fort, und bei der Darſtellung wird keineswegs Humor und Laune geſpart. So ſind ſie eines Theils Grundlage der zahl- reich entſtandenen Schelmenromane 1), theils aber auch ernſterer aus- 1) Als älteſten deutſchen Schelmenroman kann man den Till Eulen-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/230>, abgerufen am 03.05.2024.