Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

ten betrüglichen magischen und mantischen Wissenschaften und
Künste, welche von der Höhe geheimnißvoller inspirirter Gelehr-
samkeit allmählich zu den trivialsten Kunststücken und Betrügereien
sich abgeflacht haben. Sowol die Etymologie als auch die
Praxis des Jedionens hat gleichmäßig eine in der That seltsame
Geschichte, und nimmt daher in der Geschichte des Gaunerthums
wie der Hexenprocesse eine überaus wichtige Stelle ein, wovon
im dritten Abschnitt, Kap. 69--87, noch ganz besonders abgehan-
delt werden wird.

Die Schreibung Gauner hat wiederum verschiedene Ablei-
tungen. Einige leiten es von dem althochdeutschen gau, gou,
gaw, göw
(pagus, tractus seu districtus unius ditionis, regio,
altsächsisch börde, geländ 1) ab, wobei der Gauner, wie lucus
a non lucendo,
als Nicht-Gaugehöriger erscheint. Diese sinn-
lose Ableitung findet aber auch schon in der bestimmten Bezeich-
nung herkommender man, vremidi, gargangus, war-
gangus
, welche den in das Land kommenden nicht zum Gau
gehörigen Fremden bedeutet, ihre Widerlegung. 2) Weit mehr
Sinn hat die von Schäffer, a. a. O., und von Adelung (Wör-
terbuch, II, 433) adoptirte Ableitung von dem altdeutschen,
noch heutigen Tags in der niederdeutschen Mundart in vollem
Gebrauche sich befindenden Beiwort gau, flink, geschwinde,
hurtig. 3) Als offenbare Composition mit diesem gau findet

Jedioner wird in der Mischnah bei Erwähnung der jüdischen Hinrichtungs-
arten so definirt:
[fremdsprachliches Material - fehlt]
Ein Todtenbeschwörer ist ein Pithon, welcher den Todten von seinen Achsel-
höhlen hervor reden läßt; ein Jedioner heißt, wer ihn aus dem Munde
sprechen läßt. S. die weitere Etymologie, Absch. 3, Kap. 69.
1) J. G. Schottelius, "Ausführliche Arbeit von der Teutschen Haubt-
Sprache" (Braunschweig 1663), S. 462 u. 1323. -- Munster, "Cosmo-
graphie" (neue deutsche Ausgabe von 1628), S. 607.
2) Vgl. J. Grimm, "Deutsche Rechtsalterthümer", Kap. 5, S. 396.
3) Adelung führt dabei noch das Mittellatein an: engannum, engau-
num, ingenium, ingeniare,
betrügen, wovon das spanische enganno und

ten betrüglichen magiſchen und mantiſchen Wiſſenſchaften und
Künſte, welche von der Höhe geheimnißvoller inſpirirter Gelehr-
ſamkeit allmählich zu den trivialſten Kunſtſtücken und Betrügereien
ſich abgeflacht haben. Sowol die Etymologie als auch die
Praxis des Jedionens hat gleichmäßig eine in der That ſeltſame
Geſchichte, und nimmt daher in der Geſchichte des Gaunerthums
wie der Hexenproceſſe eine überaus wichtige Stelle ein, wovon
im dritten Abſchnitt, Kap. 69—87, noch ganz beſonders abgehan-
delt werden wird.

Die Schreibung Gauner hat wiederum verſchiedene Ablei-
tungen. Einige leiten es von dem althochdeutſchen gau, gou,
gaw, göw
(pagus, tractus seu districtus unius ditionis, regio,
altſächſiſch börde, geländ 1) ab, wobei der Gauner, wie lucus
a non lucendo,
als Nicht-Gaugehöriger erſcheint. Dieſe ſinn-
loſe Ableitung findet aber auch ſchon in der beſtimmten Bezeich-
nung herkommender man, vremidi, gargangus, war-
gangus
, welche den in das Land kommenden nicht zum Gau
gehörigen Fremden bedeutet, ihre Widerlegung. 2) Weit mehr
Sinn hat die von Schäffer, a. a. O., und von Adelung (Wör-
terbuch, II, 433) adoptirte Ableitung von dem altdeutſchen,
noch heutigen Tags in der niederdeutſchen Mundart in vollem
Gebrauche ſich befindenden Beiwort gau, flink, geſchwinde,
hurtig. 3) Als offenbare Compoſition mit dieſem gau findet

Jedioner wird in der Miſchnah bei Erwähnung der jüdiſchen Hinrichtungs-
arten ſo definirt:
[fremdsprachliches Material – fehlt]
Ein Todtenbeſchwörer iſt ein Pithon, welcher den Todten von ſeinen Achſel-
höhlen hervor reden läßt; ein Jedioner heißt, wer ihn aus dem Munde
ſprechen läßt. S. die weitere Etymologie, Abſch. 3, Kap. 69.
1) J. G. Schottelius, „Ausführliche Arbeit von der Teutſchen Haubt-
Sprache“ (Braunſchweig 1663), S. 462 u. 1323. — Munſter, „Cosmo-
graphie“ (neue deutſche Ausgabe von 1628), S. 607.
2) Vgl. J. Grimm, „Deutſche Rechtsalterthümer“, Kap. 5, S. 396.
3) Adelung führt dabei noch das Mittellatein an: engannum, engau-
num, ingenium, ingeniare,
betrügen, wovon das ſpaniſche enganno und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0023" n="7"/>
ten betrüglichen <hi rendition="#g">magi&#x017F;chen</hi> und <hi rendition="#g">manti&#x017F;chen</hi> Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und<lb/>
Kün&#x017F;te, welche von der Höhe geheimnißvoller in&#x017F;pirirter Gelehr-<lb/>
&#x017F;amkeit allmählich zu den trivial&#x017F;ten Kun&#x017F;t&#x017F;tücken und Betrügereien<lb/>
&#x017F;ich abgeflacht haben. Sowol die Etymologie als auch die<lb/>
Praxis des Jedionens hat gleichmäßig eine in der That &#x017F;elt&#x017F;ame<lb/>
Ge&#x017F;chichte, und nimmt daher in der Ge&#x017F;chichte des Gaunerthums<lb/>
wie der Hexenproce&#x017F;&#x017F;e eine überaus wichtige Stelle ein, wovon<lb/>
im dritten Ab&#x017F;chnitt, Kap. 69&#x2014;87, noch ganz be&#x017F;onders abgehan-<lb/>
delt werden wird.</p><lb/>
          <p>Die Schreibung <hi rendition="#g">Gauner</hi> hat wiederum ver&#x017F;chiedene Ablei-<lb/>
tungen. Einige leiten es von dem althochdeut&#x017F;chen <hi rendition="#g">gau, gou,<lb/>
gaw, göw</hi> (<hi rendition="#aq">pagus, tractus seu districtus unius ditionis, regio,</hi><lb/>
alt&#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;ch <hi rendition="#g">börde, geländ</hi> <note place="foot" n="1)">J. G. Schottelius, &#x201E;Ausführliche Arbeit von der Teut&#x017F;chen Haubt-<lb/>
Sprache&#x201C; (Braun&#x017F;chweig 1663), S. 462 u. 1323. &#x2014; Mun&#x017F;ter, &#x201E;Cosmo-<lb/>
graphie&#x201C; (neue deut&#x017F;che Ausgabe von 1628), S. 607.</note> ab, wobei der Gauner, wie <hi rendition="#aq">lucus<lb/>
a non lucendo,</hi> als <hi rendition="#g">Nicht</hi>-Gaugehöriger er&#x017F;cheint. Die&#x017F;e &#x017F;inn-<lb/>
lo&#x017F;e Ableitung findet aber auch &#x017F;chon in der be&#x017F;timmten Bezeich-<lb/>
nung <hi rendition="#g">herkommender man, vremidi, gargangus, war-<lb/>
gangus</hi>, welche den in das Land kommenden nicht zum Gau<lb/>
gehörigen Fremden bedeutet, ihre Widerlegung. <note place="foot" n="2)">Vgl. J. Grimm, &#x201E;Deut&#x017F;che Rechtsalterthümer&#x201C;, Kap. 5, S. 396.</note> Weit mehr<lb/>
Sinn hat die von Schäffer, a. a. O., und von Adelung (Wör-<lb/>
terbuch, <hi rendition="#aq">II</hi>, 433) adoptirte Ableitung von dem altdeut&#x017F;chen,<lb/>
noch heutigen Tags in der niederdeut&#x017F;chen Mundart in vollem<lb/>
Gebrauche &#x017F;ich befindenden Beiwort <hi rendition="#g">gau</hi>, flink, ge&#x017F;chwinde,<lb/>
hurtig. <note xml:id="seg2pn_3_1" next="#seg2pn_3_2" place="foot" n="3)">Adelung führt dabei noch das Mittellatein an: <hi rendition="#aq">engannum, engau-<lb/>
num, ingenium, ingeniare,</hi> betrügen, wovon das &#x017F;pani&#x017F;che <hi rendition="#aq">enganno</hi> und</note> Als offenbare Compo&#x017F;ition mit die&#x017F;em <hi rendition="#g">gau</hi> findet<lb/><note xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="2)">Jedioner wird in der Mi&#x017F;chnah bei Erwähnung der jüdi&#x017F;chen Hinrichtungs-<lb/>
arten &#x017F;o definirt:<lb/><hi rendition="#c"><foreign xml:lang="heb"><gap reason="fm" unit="words"/></foreign></hi><lb/>
Ein Todtenbe&#x017F;chwörer i&#x017F;t ein Pithon, welcher den Todten von &#x017F;einen Ach&#x017F;el-<lb/>
höhlen hervor reden läßt; ein <hi rendition="#g">Jedioner</hi> heißt, wer ihn aus dem <hi rendition="#g">Munde</hi><lb/>
&#x017F;prechen läßt. S. die weitere Etymologie, Ab&#x017F;ch. 3, Kap. 69.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0023] ten betrüglichen magiſchen und mantiſchen Wiſſenſchaften und Künſte, welche von der Höhe geheimnißvoller inſpirirter Gelehr- ſamkeit allmählich zu den trivialſten Kunſtſtücken und Betrügereien ſich abgeflacht haben. Sowol die Etymologie als auch die Praxis des Jedionens hat gleichmäßig eine in der That ſeltſame Geſchichte, und nimmt daher in der Geſchichte des Gaunerthums wie der Hexenproceſſe eine überaus wichtige Stelle ein, wovon im dritten Abſchnitt, Kap. 69—87, noch ganz beſonders abgehan- delt werden wird. Die Schreibung Gauner hat wiederum verſchiedene Ablei- tungen. Einige leiten es von dem althochdeutſchen gau, gou, gaw, göw (pagus, tractus seu districtus unius ditionis, regio, altſächſiſch börde, geländ 1) ab, wobei der Gauner, wie lucus a non lucendo, als Nicht-Gaugehöriger erſcheint. Dieſe ſinn- loſe Ableitung findet aber auch ſchon in der beſtimmten Bezeich- nung herkommender man, vremidi, gargangus, war- gangus, welche den in das Land kommenden nicht zum Gau gehörigen Fremden bedeutet, ihre Widerlegung. 2) Weit mehr Sinn hat die von Schäffer, a. a. O., und von Adelung (Wör- terbuch, II, 433) adoptirte Ableitung von dem altdeutſchen, noch heutigen Tags in der niederdeutſchen Mundart in vollem Gebrauche ſich befindenden Beiwort gau, flink, geſchwinde, hurtig. 3) Als offenbare Compoſition mit dieſem gau findet 2) 1) J. G. Schottelius, „Ausführliche Arbeit von der Teutſchen Haubt- Sprache“ (Braunſchweig 1663), S. 462 u. 1323. — Munſter, „Cosmo- graphie“ (neue deutſche Ausgabe von 1628), S. 607. 2) Vgl. J. Grimm, „Deutſche Rechtsalterthümer“, Kap. 5, S. 396. 3) Adelung führt dabei noch das Mittellatein an: engannum, engau- num, ingenium, ingeniare, betrügen, wovon das ſpaniſche enganno und 2) Jedioner wird in der Miſchnah bei Erwähnung der jüdiſchen Hinrichtungs- arten ſo definirt: _ Ein Todtenbeſchwörer iſt ein Pithon, welcher den Todten von ſeinen Achſel- höhlen hervor reden läßt; ein Jedioner heißt, wer ihn aus dem Munde ſprechen läßt. S. die weitere Etymologie, Abſch. 3, Kap. 69.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/23
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/23>, abgerufen am 21.11.2024.