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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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Vorschein brachte. So ladet der "Hoffmeister", V. 131--144 der
Gouchmat, (Goed. S. 120 u. 121) ein:

Gbeüt auch dem fätzer a mit den glide b
Das sie wellen vß beliben
Was täglich braucht den sonnenboß c
Sie syen klein, iung, alt oder groß,
Der Zwicker d auch mit sinem gsind
Vnd die die rübling e rüren sind.
Die breger f vff dem tärich g.
Auch gugelfrantz h vff finem strich,
Vnd all die in dem häkis i hucken
Die auch hans walter k stät thut trucken
Galle l mit dem jochim m.
Dar zü auch gugelfräntzin n.
Die söllen all vfft gouchmat keren
Vnd helffen de fraw Venus eren. u. s. w.

Wie Gengenbach sich in dem Erfolg verrechnete, ist schon
oben gesagt worden. Seine Dichtung blieb unbeachtet und kam
kaum über die Schweiz hinaus. Der Grund lag nicht in den
holperichten Knittelversen, die zu jener Zeit kaum schlechter waren
als andere, sondern in dem großen Unterschied zwischen Stoff
und Form überhaupt. Das Bettlerthum und Gaunerthum an
sich hat nichts Poetisches, weil es unbedingt an die Strafe als
prosaische Consequenz seines Wesens glaubt und seine ganze
Kunst vergeblich daran setzt, sich über diese Consequenz so lange
als möglich hinwegzusetzen. Die Poesie des freien Umherstreifens
als Bettler oder Räuber fließt nicht aus dem Wesen des Bettler-
thums und Räuberthums, sondern liegt in derselben gelegentlichen
Freiheit und Frische des Wanderlebens in freier Natur, in wel-
cher auch der Jäger und Wandersmann durch Wald und Flur
dahinstreift. Nie hat ein Bettler oder Gauner sein kaltes Elend
soweit bekämpfen und vergessen können, daß in seiner Brust ein
poetischer Gedanke lebendig gewuchert und sich zu poetischer Form
gestaltet hätte. Es ist uns auch kein einziges echtes altes Gauner-

a Bordelwirth.
b Liederliche Dirne.
c Bordel.
d Henker.
e Würfel.
f Bettler.
g Land.
h Mönch.
i Spital.
k Laus.
l Pfaffe.
m Wein.
n Nonne.

Vorſchein brachte. So ladet der „Hoffmeiſter“, V. 131—144 der
Gouchmat, (Goed. S. 120 u. 121) ein:

Gbeüt auch dem fätzer a mit den glidē b
Das ſie wellen vß beliben
Was täglich braucht den ſonnenboß c
Sie ſyen klein, iung, alt oder groß,
Der Zwicker d auch mit ſinem gſind
Vnd die die rübling e rüren ſind.
Die breger f vff dem tärich g.
Auch gugelfrantz h vff finem ſtrich,
Vnd all die in dem häkis i hucken
Die auch hans walter k ſtät thut trucken
Galle l mit dem jochim m.
Dar zü auch gugelfräntzin n.
Die ſöllen all vfft gouchmat keren
Vnd helffen de fraw Venus eren. u. ſ. w.

Wie Gengenbach ſich in dem Erfolg verrechnete, iſt ſchon
oben geſagt worden. Seine Dichtung blieb unbeachtet und kam
kaum über die Schweiz hinaus. Der Grund lag nicht in den
holperichten Knittelverſen, die zu jener Zeit kaum ſchlechter waren
als andere, ſondern in dem großen Unterſchied zwiſchen Stoff
und Form überhaupt. Das Bettlerthum und Gaunerthum an
ſich hat nichts Poetiſches, weil es unbedingt an die Strafe als
proſaiſche Conſequenz ſeines Weſens glaubt und ſeine ganze
Kunſt vergeblich daran ſetzt, ſich über dieſe Conſequenz ſo lange
als möglich hinwegzuſetzen. Die Poeſie des freien Umherſtreifens
als Bettler oder Räuber fließt nicht aus dem Weſen des Bettler-
thums und Räuberthums, ſondern liegt in derſelben gelegentlichen
Freiheit und Friſche des Wanderlebens in freier Natur, in wel-
cher auch der Jäger und Wandersmann durch Wald und Flur
dahinſtreift. Nie hat ein Bettler oder Gauner ſein kaltes Elend
ſoweit bekämpfen und vergeſſen können, daß in ſeiner Bruſt ein
poetiſcher Gedanke lebendig gewuchert und ſich zu poetiſcher Form
geſtaltet hätte. Es iſt uns auch kein einziges echtes altes Gauner-

a Bordelwirth.
b Liederliche Dirne.
c Bordel.
d Henker.
e Würfel.
f Bettler.
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h Mönch.
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k Laus.
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[207/0223] Vorſchein brachte. So ladet der „Hoffmeiſter“, V. 131—144 der Gouchmat, (Goed. S. 120 u. 121) ein: Gbeüt auch dem fätzer a mit den glidē b Das ſie wellen vß beliben Was täglich braucht den ſonnenboß c Sie ſyen klein, iung, alt oder groß, Der Zwicker d auch mit ſinem gſind Vnd die die rübling e rüren ſind. Die breger f vff dem tärich g. Auch gugelfrantz h vff finem ſtrich, Vnd all die in dem häkis i hucken Die auch hans walter k ſtät thut trucken Galle l mit dem jochim m. Dar zü auch gugelfräntzin n. Die ſöllen all vfft gouchmat keren Vnd helffen de fraw Venus eren. u. ſ. w. Wie Gengenbach ſich in dem Erfolg verrechnete, iſt ſchon oben geſagt worden. Seine Dichtung blieb unbeachtet und kam kaum über die Schweiz hinaus. Der Grund lag nicht in den holperichten Knittelverſen, die zu jener Zeit kaum ſchlechter waren als andere, ſondern in dem großen Unterſchied zwiſchen Stoff und Form überhaupt. Das Bettlerthum und Gaunerthum an ſich hat nichts Poetiſches, weil es unbedingt an die Strafe als proſaiſche Conſequenz ſeines Weſens glaubt und ſeine ganze Kunſt vergeblich daran ſetzt, ſich über dieſe Conſequenz ſo lange als möglich hinwegzuſetzen. Die Poeſie des freien Umherſtreifens als Bettler oder Räuber fließt nicht aus dem Weſen des Bettler- thums und Räuberthums, ſondern liegt in derſelben gelegentlichen Freiheit und Friſche des Wanderlebens in freier Natur, in wel- cher auch der Jäger und Wandersmann durch Wald und Flur dahinſtreift. Nie hat ein Bettler oder Gauner ſein kaltes Elend ſoweit bekämpfen und vergeſſen können, daß in ſeiner Bruſt ein poetiſcher Gedanke lebendig gewuchert und ſich zu poetiſcher Form geſtaltet hätte. Es iſt uns auch kein einziges echtes altes Gauner- a Bordelwirth. b Liederliche Dirne. c Bordel. d Henker. e Würfel. f Bettler. g Land. h Mönch. i Spital. k Laus. l Pfaffe. m Wein. n Nonne.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/223>, abgerufen am 03.05.2024.