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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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Auffallende des Umstandes, daß Neuwied gleich Eckderoth und
Romsthal einen so langen und sichern Zufluchtsort bieten konnte,
erklärt sich aus der Leichtfertigkeit, mit welcher Fremden aller Art
ohne Legitimation das Recht der Niederlassung eingeräumt wurde,
und daraus, daß pflichtvergessene Beamte, welche das Gesindel
hätten verscheuchen oder einfangen sollen, geradezu gemeinschaft-
liche Sache mit ihm machten und von seinen Räubereien klingende
Vortheile zogen. 1) Als endlich von außen her in Reuwied ernst-
liche Anstalt zur Verfolgung der Räuber gemacht und Picard
nebst Aumüller, Wolf und Ruben Simon gefangen war, zog die
Bande sich aus Neuwied und dessen Umgebung weg, theils ge-
sellte sie sich zur Essendischen Bande, theils zu der des Schinder-
hannes 2), theils zerstreute sie sich tiefer nach dem Jnnern Deutsch-
lands hinein. Lange Zeit blieben jedoch die Räuber mit Neuwied
noch in Verbindung. 3) Von der so vervollständigten Essendi-
schen Bande
wurden wieder eine Menge Räubereien 4) ausgeübt,

bei Puderbach (S. 225), unweit Kassel, wo in das Zimmer einer Leichenwache
eingebrochen wurde (S. 229); bei St.-Goarshausen (S. 232); im Posthause
zu Langenfelde, wobei der Postwagen zwischen Deutz und Elberfeld um
50,000 Livres beraubt wurde (S. 262); zu Safserhof (S. 264); auf dem
Düdeling, wo der schändlichste Mordbrand verübt wurde (S. 271); zu Nieder-
Seelheim (S. 302); zu Breitenau (S. 309): zu Hilscheid (S. 319); im
Posthause zu Würges, in Gemeinschaft mit der Bande des Schinderhannes
(S. 325); auf der Klincke bei Köln (S. 331), u. s. w.
1) Vgl. "Actenmäßige Geschichte der Rheinischen Räuberbanden", II,
189, 295 fg.
2) a. a. O., S. 355.
3) Eine der merkwürdigsten Räuberthaten ist der a. a. O., S. 357, er-
zählte Streich, den Picard, Fetzer und Ruben Simon dem Essender Lang-
leyser und Consorten spielte, die jene nicht Antheil an einem Raube bei einem
Bankier im Münsterschen nehmen lassen wollten, und denen zum Aerger Picard
mit seinen Gesellen vorher eine Reihe übermüthiger Räubereien in derselben
Gegend beging, um die ganze Gegend zu alarmiren, was jene wieder mit
gleicher Münze bezahlten, unbekümmert um die Gefahr, in welche beide riva-
lisirende Parteien einander brachten. Kaum mag wol irgendetwas die Ver-
wegenheit und Sicherheit der Räuber treffender charakterisiren, als dieser ver-
messene Uebermuth.
4) Die merkwürdigsten sind der Raub zu Hukum bei Kaiserswerth,

Auffallende des Umſtandes, daß Neuwied gleich Eckderoth und
Romsthal einen ſo langen und ſichern Zufluchtsort bieten konnte,
erklärt ſich aus der Leichtfertigkeit, mit welcher Fremden aller Art
ohne Legitimation das Recht der Niederlaſſung eingeräumt wurde,
und daraus, daß pflichtvergeſſene Beamte, welche das Geſindel
hätten verſcheuchen oder einfangen ſollen, geradezu gemeinſchaft-
liche Sache mit ihm machten und von ſeinen Räubereien klingende
Vortheile zogen. 1) Als endlich von außen her in Reuwied ernſt-
liche Anſtalt zur Verfolgung der Räuber gemacht und Picard
nebſt Aumüller, Wolf und Ruben Simon gefangen war, zog die
Bande ſich aus Neuwied und deſſen Umgebung weg, theils ge-
ſellte ſie ſich zur Eſſendiſchen Bande, theils zu der des Schinder-
hannes 2), theils zerſtreute ſie ſich tiefer nach dem Jnnern Deutſch-
lands hinein. Lange Zeit blieben jedoch die Räuber mit Neuwied
noch in Verbindung. 3) Von der ſo vervollſtändigten Eſſendi-
ſchen Bande
wurden wieder eine Menge Räubereien 4) ausgeübt,

bei Puderbach (S. 225), unweit Kaſſel, wo in das Zimmer einer Leichenwache
eingebrochen wurde (S. 229); bei St.-Goarshauſen (S. 232); im Poſthauſe
zu Langenfelde, wobei der Poſtwagen zwiſchen Deutz und Elberfeld um
50,000 Livres beraubt wurde (S. 262); zu Safſerhof (S. 264); auf dem
Düdeling, wo der ſchändlichſte Mordbrand verübt wurde (S. 271); zu Nieder-
Seelheim (S. 302); zu Breitenau (S. 309): zu Hilſcheid (S. 319); im
Poſthauſe zu Würges, in Gemeinſchaft mit der Bande des Schinderhannes
(S. 325); auf der Klincke bei Köln (S. 331), u. ſ. w.
1) Vgl. „Actenmäßige Geſchichte der Rheiniſchen Räuberbanden“, II,
189, 295 fg.
2) a. a. O., S. 355.
3) Eine der merkwürdigſten Räuberthaten iſt der a. a. O., S. 357, er-
zählte Streich, den Picard, Fetzer und Ruben Simon dem Eſſender Lang-
leyſer und Conſorten ſpielte, die jene nicht Antheil an einem Raube bei einem
Bankier im Münſterſchen nehmen laſſen wollten, und denen zum Aerger Picard
mit ſeinen Geſellen vorher eine Reihe übermüthiger Räubereien in derſelben
Gegend beging, um die ganze Gegend zu alarmiren, was jene wieder mit
gleicher Münze bezahlten, unbekümmert um die Gefahr, in welche beide riva-
liſirende Parteien einander brachten. Kaum mag wol irgendetwas die Ver-
wegenheit und Sicherheit der Räuber treffender charakteriſiren, als dieſer ver-
meſſene Uebermuth.
4) Die merkwürdigſten ſind der Raub zu Hukum bei Kaiſerswerth,
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[108/0124] Auffallende des Umſtandes, daß Neuwied gleich Eckderoth und Romsthal einen ſo langen und ſichern Zufluchtsort bieten konnte, erklärt ſich aus der Leichtfertigkeit, mit welcher Fremden aller Art ohne Legitimation das Recht der Niederlaſſung eingeräumt wurde, und daraus, daß pflichtvergeſſene Beamte, welche das Geſindel hätten verſcheuchen oder einfangen ſollen, geradezu gemeinſchaft- liche Sache mit ihm machten und von ſeinen Räubereien klingende Vortheile zogen. 1) Als endlich von außen her in Reuwied ernſt- liche Anſtalt zur Verfolgung der Räuber gemacht und Picard nebſt Aumüller, Wolf und Ruben Simon gefangen war, zog die Bande ſich aus Neuwied und deſſen Umgebung weg, theils ge- ſellte ſie ſich zur Eſſendiſchen Bande, theils zu der des Schinder- hannes 2), theils zerſtreute ſie ſich tiefer nach dem Jnnern Deutſch- lands hinein. Lange Zeit blieben jedoch die Räuber mit Neuwied noch in Verbindung. 3) Von der ſo vervollſtändigten Eſſendi- ſchen Bande wurden wieder eine Menge Räubereien 4) ausgeübt, 3) 1) Vgl. „Actenmäßige Geſchichte der Rheiniſchen Räuberbanden“, II, 189, 295 fg. 2) a. a. O., S. 355. 3) Eine der merkwürdigſten Räuberthaten iſt der a. a. O., S. 357, er- zählte Streich, den Picard, Fetzer und Ruben Simon dem Eſſender Lang- leyſer und Conſorten ſpielte, die jene nicht Antheil an einem Raube bei einem Bankier im Münſterſchen nehmen laſſen wollten, und denen zum Aerger Picard mit ſeinen Geſellen vorher eine Reihe übermüthiger Räubereien in derſelben Gegend beging, um die ganze Gegend zu alarmiren, was jene wieder mit gleicher Münze bezahlten, unbekümmert um die Gefahr, in welche beide riva- liſirende Parteien einander brachten. Kaum mag wol irgendetwas die Ver- wegenheit und Sicherheit der Räuber treffender charakteriſiren, als dieſer ver- meſſene Uebermuth. 4) Die merkwürdigſten ſind der Raub zu Hukum bei Kaiſerswerth, 3) bei Puderbach (S. 225), unweit Kaſſel, wo in das Zimmer einer Leichenwache eingebrochen wurde (S. 229); bei St.-Goarshauſen (S. 232); im Poſthauſe zu Langenfelde, wobei der Poſtwagen zwiſchen Deutz und Elberfeld um 50,000 Livres beraubt wurde (S. 262); zu Safſerhof (S. 264); auf dem Düdeling, wo der ſchändlichſte Mordbrand verübt wurde (S. 271); zu Nieder- Seelheim (S. 302); zu Breitenau (S. 309): zu Hilſcheid (S. 319); im Poſthauſe zu Würges, in Gemeinſchaft mit der Bande des Schinderhannes (S. 325); auf der Klincke bei Köln (S. 331), u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/124>, abgerufen am 25.11.2024.