Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.Nachtzeit den Schläfer überfällt, beraubt, unter scheußlichen Mis- kaum geringer erscheint als das vom Dreißigjährigen Kriege herbeigeführte, dennoch die offene Zusammenrottirung größerer Räuberbanden viel seltener vor- kommt. Nur in der Mitte des vorigen Jahrhunderts trat die Kunz'sche (Böh- mischer Hans), Mehnert'sche und Hessische Bande, von denen mehrere Mitglieder 1763 u. 1764 zu Leipzig hingerichtet wurden (s. d. Literatur), später nament- lich von 1758--68 die fränkische und thüringische Bande, mit großer Kühnheit auf. Rehmann, von der hessischen Bande, stürmte sogar mit 20 Kameraden die Frohnfeste zu Brehna und befreite seinen Genossen Christels Schmied aus derselben. Ebenso stürmte der Scheele Abraham von der thüringischen Bande am 3. Mai 1759 das Gefängniß zu Großen-Furra und befreite den Genossen Mahler Gustel aus demselben. Während des achten Jahrzehnds hauste noch im Hannöverischen die Bande des Braden, in Hessen die des Philipp Schlemming. Vgl. Schwencken, "Actenmäßige Nachrichten", S. 10. Dagegen erscheint der 1748 zu lebenswieriger Gefangen- schaft nach Stettin abgelieferte, später aber wieder auf freien Fuß gestellte Andreas Christian Käsebier weit weniger durch seine Gaunerthaten als durch seine Bekanntschaft mit den meisten deutschen Gaunern bemerkenswerth. Die ihm beigemessene einzige pikante Gaunerthat, daß er einmal einem Bauer eine Kuh, einem Müller ein Pferd gestohlen und letzteres dem Bauer, die Kuh dem Müller verkauft und dem Bauer angezeigt habe, daß seine Kuh sich auf der Mühle befinde, ist ihm gar nicht nachgewiesen, sondern gehört seinem Zeitgenossen, dem berüchtigten pommerschen Pferdedieb Burmeister, der auch vor dem Stadtgericht zu Stettin den Namen des Müllers und des Bauern genannt hat. Vgl. "Nachr. von merkw. Verbr.", S. 119 fg. 1) Vgl. die Literatur: "Sammlung merkwürdiger Rechtsfälle aus dem
Gebiete des peinlichen Rechts" (Nürnberg 1794); Schäffer, "Der Kon- stanzer Hans"; Derselbe, "Abriß des Jauner- und Bettelwesens in Schwaben"; "Der Baiersche Hiesel"; "Hannikel"; "Beiträge zur Geschichte der Mensch- heit", u. s. w. Ganz vortreffliche psychologische Schilderungen über eine Reihe sehr interessanter Verbrecher gibt der Zuchthausprediger zu Zwickau Nachtzeit den Schläfer überfällt, beraubt, unter ſcheußlichen Mis- kaum geringer erſcheint als das vom Dreißigjährigen Kriege herbeigeführte, dennoch die offene Zuſammenrottirung größerer Räuberbanden viel ſeltener vor- kommt. Nur in der Mitte des vorigen Jahrhunderts trat die Kunz’ſche (Böh- miſcher Hans), Mehnert’ſche und Heſſiſche Bande, von denen mehrere Mitglieder 1763 u. 1764 zu Leipzig hingerichtet wurden (ſ. d. Literatur), ſpäter nament- lich von 1758—68 die fränkiſche und thüringiſche Bande, mit großer Kühnheit auf. Rehmann, von der heſſiſchen Bande, ſtürmte ſogar mit 20 Kameraden die Frohnfeſte zu Brehna und befreite ſeinen Genoſſen Chriſtels Schmied aus derſelben. Ebenſo ſtürmte der Scheele Abraham von der thüringiſchen Bande am 3. Mai 1759 das Gefängniß zu Großen-Furra und befreite den Genoſſen Mahler Guſtel aus demſelben. Während des achten Jahrzehnds hauſte noch im Hannöveriſchen die Bande des Braden, in Heſſen die des Philipp Schlemming. Vgl. Schwencken, „Actenmäßige Nachrichten“, S. 10. Dagegen erſcheint der 1748 zu lebenswieriger Gefangen- ſchaft nach Stettin abgelieferte, ſpäter aber wieder auf freien Fuß geſtellte Andreas Chriſtian Käſebier weit weniger durch ſeine Gaunerthaten als durch ſeine Bekanntſchaft mit den meiſten deutſchen Gaunern bemerkenswerth. Die ihm beigemeſſene einzige pikante Gaunerthat, daß er einmal einem Bauer eine Kuh, einem Müller ein Pferd geſtohlen und letzteres dem Bauer, die Kuh dem Müller verkauft und dem Bauer angezeigt habe, daß ſeine Kuh ſich auf der Mühle befinde, iſt ihm gar nicht nachgewieſen, ſondern gehört ſeinem Zeitgenoſſen, dem berüchtigten pommerſchen Pferdedieb Burmeiſter, der auch vor dem Stadtgericht zu Stettin den Namen des Müllers und des Bauern genannt hat. Vgl. „Nachr. von merkw. Verbr.“, S. 119 fg. 1) Vgl. die Literatur: „Sammlung merkwürdiger Rechtsfälle aus dem
Gebiete des peinlichen Rechts“ (Nürnberg 1794); Schäffer, „Der Kon- ſtanzer Hans“; Derſelbe, „Abriß des Jauner- und Bettelweſens in Schwaben“; „Der Baierſche Hieſel“; „Hannikel“; „Beiträge zur Geſchichte der Menſch- heit“, u. ſ. w. Ganz vortreffliche pſychologiſche Schilderungen über eine Reihe ſehr intereſſanter Verbrecher gibt der Zuchthausprediger zu Zwickau <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0104" n="88"/> Nachtzeit den Schläfer überfällt, beraubt, unter ſcheußlichen Mis-<lb/> handlungen langſam hinſchlachtet oder mit Kiſſen erſtickt, und<lb/> zuletzt in Brand ſteckt, was er nicht mit ſich ſchleppen kann.<lb/> Wüthende Rachſucht, boshafte Tücke, hämiſche Freude am Elend<lb/> Anderer, ſelbſt der Kameraden, blutige Grauſamkeit und ruchloſe<lb/> Liederlichkeit charakteriſiren Erſcheinungen wie Hannikel, Wenzel<lb/> Nottele, Duli, Poſtel, Baſtardi, den Hundsſattler, den bairiſchen<lb/> Hieſel, das Sonnenwirthle, die Mantua, Chriſtine Schattinger,<lb/> das Schleiferbärbele u. A., von denen die Unterſuchungsacten<lb/> haarſträubende Thatſachen enthalten. <note xml:id="seg2pn_33_1" next="#seg2pn_33_2" place="foot" n="1)">Vgl. die Literatur: „Sammlung merkwürdiger Rechtsfälle aus dem<lb/> Gebiete des peinlichen Rechts“ (Nürnberg 1794); Schäffer, „Der Kon-<lb/> ſtanzer Hans“; Derſelbe, „Abriß des Jauner- und Bettelweſens in Schwaben“;<lb/> „Der Baierſche Hieſel“; „Hannikel“; „Beiträge zur Geſchichte der Menſch-<lb/> heit“, u. ſ. w. Ganz vortreffliche pſychologiſche Schilderungen über eine<lb/> Reihe ſehr intereſſanter Verbrecher gibt der Zuchthausprediger zu Zwickau</note></p><lb/> <p> <note xml:id="seg2pn_32_2" prev="#seg2pn_32_1" place="foot" n="2)">kaum geringer erſcheint als das vom Dreißigjährigen Kriege herbeigeführte,<lb/> dennoch die offene Zuſammenrottirung größerer Räuberbanden viel ſeltener vor-<lb/> kommt. Nur in der Mitte des vorigen Jahrhunderts trat die Kunz’ſche (Böh-<lb/> miſcher Hans), Mehnert’ſche und Heſſiſche Bande, von denen mehrere Mitglieder<lb/> 1763 u. 1764 zu Leipzig hingerichtet wurden (ſ. d. Literatur), ſpäter nament-<lb/> lich von 1758—68 die fränkiſche und thüringiſche Bande, mit großer<lb/> Kühnheit auf. Rehmann, von der heſſiſchen Bande, ſtürmte ſogar mit 20<lb/> Kameraden die Frohnfeſte zu Brehna und befreite ſeinen Genoſſen Chriſtels<lb/> Schmied aus derſelben. Ebenſo ſtürmte der <hi rendition="#g">Scheele Abraham</hi> von der<lb/> thüringiſchen Bande am 3. Mai 1759 das Gefängniß zu Großen-Furra<lb/> und befreite den Genoſſen <hi rendition="#g">Mahler Guſtel</hi> aus demſelben. Während des<lb/> achten Jahrzehnds hauſte noch im Hannöveriſchen die Bande des <hi rendition="#g">Braden,</hi><lb/> in Heſſen die des <hi rendition="#g">Philipp Schlemming.</hi> Vgl. Schwencken, „Actenmäßige<lb/> Nachrichten“, S. 10. Dagegen erſcheint der 1748 zu lebenswieriger Gefangen-<lb/> ſchaft nach Stettin abgelieferte, ſpäter aber wieder auf freien Fuß geſtellte<lb/> Andreas Chriſtian Käſebier weit weniger durch ſeine Gaunerthaten als durch<lb/> ſeine Bekanntſchaft mit den meiſten deutſchen Gaunern bemerkenswerth. Die<lb/> ihm beigemeſſene einzige pikante Gaunerthat, daß er einmal einem Bauer<lb/> eine Kuh, einem Müller ein Pferd geſtohlen und letzteres dem Bauer, die<lb/> Kuh dem Müller verkauft und dem Bauer angezeigt habe, daß ſeine Kuh<lb/> ſich auf der Mühle befinde, iſt ihm gar nicht nachgewieſen, ſondern gehört<lb/> ſeinem Zeitgenoſſen, dem berüchtigten pommerſchen Pferdedieb <hi rendition="#g">Burmeiſter,</hi><lb/> der auch vor dem Stadtgericht zu Stettin den Namen des Müllers und des<lb/> Bauern genannt hat. Vgl. „Nachr. von merkw. Verbr.“, S. 119 fg.</note> </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [88/0104]
Nachtzeit den Schläfer überfällt, beraubt, unter ſcheußlichen Mis-
handlungen langſam hinſchlachtet oder mit Kiſſen erſtickt, und
zuletzt in Brand ſteckt, was er nicht mit ſich ſchleppen kann.
Wüthende Rachſucht, boshafte Tücke, hämiſche Freude am Elend
Anderer, ſelbſt der Kameraden, blutige Grauſamkeit und ruchloſe
Liederlichkeit charakteriſiren Erſcheinungen wie Hannikel, Wenzel
Nottele, Duli, Poſtel, Baſtardi, den Hundsſattler, den bairiſchen
Hieſel, das Sonnenwirthle, die Mantua, Chriſtine Schattinger,
das Schleiferbärbele u. A., von denen die Unterſuchungsacten
haarſträubende Thatſachen enthalten. 1)
2)
1) Vgl. die Literatur: „Sammlung merkwürdiger Rechtsfälle aus dem
Gebiete des peinlichen Rechts“ (Nürnberg 1794); Schäffer, „Der Kon-
ſtanzer Hans“; Derſelbe, „Abriß des Jauner- und Bettelweſens in Schwaben“;
„Der Baierſche Hieſel“; „Hannikel“; „Beiträge zur Geſchichte der Menſch-
heit“, u. ſ. w. Ganz vortreffliche pſychologiſche Schilderungen über eine
Reihe ſehr intereſſanter Verbrecher gibt der Zuchthausprediger zu Zwickau
2) kaum geringer erſcheint als das vom Dreißigjährigen Kriege herbeigeführte,
dennoch die offene Zuſammenrottirung größerer Räuberbanden viel ſeltener vor-
kommt. Nur in der Mitte des vorigen Jahrhunderts trat die Kunz’ſche (Böh-
miſcher Hans), Mehnert’ſche und Heſſiſche Bande, von denen mehrere Mitglieder
1763 u. 1764 zu Leipzig hingerichtet wurden (ſ. d. Literatur), ſpäter nament-
lich von 1758—68 die fränkiſche und thüringiſche Bande, mit großer
Kühnheit auf. Rehmann, von der heſſiſchen Bande, ſtürmte ſogar mit 20
Kameraden die Frohnfeſte zu Brehna und befreite ſeinen Genoſſen Chriſtels
Schmied aus derſelben. Ebenſo ſtürmte der Scheele Abraham von der
thüringiſchen Bande am 3. Mai 1759 das Gefängniß zu Großen-Furra
und befreite den Genoſſen Mahler Guſtel aus demſelben. Während des
achten Jahrzehnds hauſte noch im Hannöveriſchen die Bande des Braden,
in Heſſen die des Philipp Schlemming. Vgl. Schwencken, „Actenmäßige
Nachrichten“, S. 10. Dagegen erſcheint der 1748 zu lebenswieriger Gefangen-
ſchaft nach Stettin abgelieferte, ſpäter aber wieder auf freien Fuß geſtellte
Andreas Chriſtian Käſebier weit weniger durch ſeine Gaunerthaten als durch
ſeine Bekanntſchaft mit den meiſten deutſchen Gaunern bemerkenswerth. Die
ihm beigemeſſene einzige pikante Gaunerthat, daß er einmal einem Bauer
eine Kuh, einem Müller ein Pferd geſtohlen und letzteres dem Bauer, die
Kuh dem Müller verkauft und dem Bauer angezeigt habe, daß ſeine Kuh
ſich auf der Mühle befinde, iſt ihm gar nicht nachgewieſen, ſondern gehört
ſeinem Zeitgenoſſen, dem berüchtigten pommerſchen Pferdedieb Burmeiſter,
der auch vor dem Stadtgericht zu Stettin den Namen des Müllers und des
Bauern genannt hat. Vgl. „Nachr. von merkw. Verbr.“, S. 119 fg.
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