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Allgemeine Zeitung. Nr. 179. Augsburg, 27. Juni 1840.

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Daunou.

Daunou ist an dem Uebel, das ihn seit einiger Zeit auf dem Krankenlager hielt, gestorben. Mit ihm verliert die Akademie ein ausgezeichnetes Mitglied, die historischen Studien einen ihrer warmen und tüchtigen Verehrer, die Gesellschaft und seine Freunde einen ehrenfesten biedern Charakter, die Erinnerung an die Revolution von 1789 und die Republik einen ihrer letzten Vertreter.

Daunou gehörte ursprünglich dem geistlichen Stand an; die Revolution aber und die politischen Begebenheiten der 1790er Jahre entzogen ihn dem stillern Kreise, um ihn in den wilden Strudel der heißesten Leidenschaften, mitten in den erbitterten Kampf der Parteien zu reißen, an dem er auch alsbald thatsächlich Theil nahm. Daunou war Mitglied des Nationalconvents und widersprach der Competenz der Versammlung in der Anklage gegen Ludwig XVI; er war somit natürlich auch gegen die Verurtheilung und Hinrichtung des Königs. Ueberhaupt gehörte er der gemäßigten Seite des Convents an, und erhob sich im Jahr 1793 zur Vertheidigung der Girondisten, als diese von dem Berg in Anklagestand gesetzt wurden. Diese Gesinnung brachte ihn selbst in Verhaft, und schwerlich würde er dem Tod entgangen seyn, hätte nicht der 9 Thermidor ihn wie so viele Andere von dem Zugriffe des Revolutionsgerichts befreit. Diesem Wechsel der Dinge verdankte Daunou, fortan eines der angesehensten Mitglieder des Convents und dessen Secretär zu seyn. Späterhin ward Daunou nach Italien gesandt, um die römische Republik zu organisiren. Er war Mitglied, selbst Präsident des Raths der Fünfhundert, und nach dem 18 Brumaire Mitglied des Tribunats, aus welchem er jedoch bald entfernt wurde. Unter der Kaiserherrschaft wurde Daunou zum Bewahrer der Reichsarchive ernannt - eine Stelle, die ihm die Restauration wieder entzog. Dagegen wurde er im Jahr 1819 Professor der Geschichte am College de France, und zählte als Mitglied der Deputirtenkammer, unter der Restauration, zur Opposition der linken Seite. Seit dem Jahr 1830 ist er nicht mehr Professor, dagegen ward er in seine frühere Stelle als Garde general des archives wieder eingesetzt, und wurde vor ganz kurzer Zeit zum Pair von Frankreich erhoben. Was insbesondere seine akademischen Würden betrifft, so war er Mitglied und beständiger Secretär der Academie des inscriptions et belles lettres, ferner Mitglied der Akademie der politischen und moralischen Wissenschaften, welcher er schon bei ihrer ersten Stiftung angehört hatte. Nach Daunou's Tode bleibt nur noch ein einziges Mitglied des Instituts aus der stürmischen Epoche des Convents, Lakanal, dessen Name an ein bewegtes Leben und einen festen, rechtlichen Charakter erinnert. Daunou hat mehrere Schriften historischen, moralischen und litterarischen Inhalts herausgegeben, und mit einem Mitglied der großen Bibliothek die "französischen Historiker" besorgt; man erwartete aber stets sein Hauptwerk über Geschichte, und namentlich über französische Geschichte, zu welchem seine öffentlichen Vorlesungen die Einleitung und die Umrisse bildeten, auch lassen manche seiner Aeußerungen erwarten, daß man in seiner Nachlassenschaft das Manuscript finden werde. Große Sorgfalt und Genauigkeit wird diese Arbeit gewiß auszeichnen, obgleich sie nicht im Sinne der neueren Geschichtschreibung seyn mag. Wir schließen dieß aus dem Urtheile Daunou's über Augustin Thierry, den er mit ironischer Bewunderung einen historien charmant nannte. Nicht sowohl die großen Pinselstriche, das pittoreske Drama der Geschichte und des Völkerlebens, als vielmehr die genaue Kenntniß der Thatsachen und ihrer Folge, mit Einem Worte die Chronologie waren der Gegenstand von Daunou's Forschungen. Sein Tod hat uns an den von Billaud Varennes erinnert: wie dieser ist Daunou gestorben, ohne von einer priesterlichen Einsegnung noch irgend einer Leichenfeier hören zu wollen; sein letzter Wille, den er unmittelbar vor seinem Tode dictirte, verordnet ausdrücklich, daß seine Leiche geradezu zur letzten Ruhestätte gebracht werde. Er war 79 Jahre alt.

Wiener Briefe.

Der Sommer entführt wie gewöhnlich die Hälfte der Bevölkerung aufs Land, und kaum ist eine Haushaltung so beschränkt, um sich nicht irgend in der Umgegend ein paar Stübchen zu miethen, wo Baumschatten und frische Luft für jede verlassene Bequemlichkeit schadlos halten. Die auf unglaubliche Weise zunehmenden Omnibus erleichtern diese, fast schon zum Bedürfniß gewordene Gewohnheit noch mehr. Wer in dieser Jahreszeit nach Wien kommt, und die halbe Einwohnerschaft ausgewandert findet, wird sich nur einen unvollkommenen Begriff von dem Leben und der Bewegung machen, die sonst hier herrschen.

Da auch Litteratoren und Künstler jetzt das Freie suchen, kann ich in dieser Beziehung wenig Neues melden. Der Streit zwischen Böhmen und Nichtböhmen um Guttenbergs Geburtsstätte für Böhmen zu vindiciren, hat einen ermüdenden, zum Theil von sehr unberufenen Federn geführten Streit entzündet, der wie gewöhnlich in solchen Fällen kein anderes Resultat hatte, als daß beide Theile Recht behielten.

Einen ähnlichen Zweck beabsichtigt eine eben zu Linz bei Quirin Haslinger erschienene Schrift vom Ritter v. Spaun: "Heinrich Offterdingen und das Nibelungenlied." Auch hier vindicirt der Verfasser Dichter und Gedicht für die österreichische Landsmannschaft, aber auf eine so schlagende Weise, mit so vollständiger Bemächtigung des Gegenstandes, so gründlicher historischer Kritik, so scharfsinniger und lichtvoller Zusamenstellung der Argumente, daß gewiß kein Gebildeter dieses Buch ohne die vollste Anerkennung des Talents und der Gelehrsamkeit des Verfassers aus der Hand legen wird. Heinrich von Offterdingen und Ulrich von Liechtenstein! In der That, der Reigen österreichischer Dichter könnte nicht von glorreicheren Namen geführt werden! Und wenn sich diese glänzenden Chorführer der gegenwärtigen zahlreichen Genossenschaft viel leicht nicht ohne Ausnahme freuen dürften, so würden sie doch auch manchen wahren Dichter darunter finden, werth in ihrem Gefolge zu gehen.

Ich halte es für Pflicht, im Interesse der Wissenschaft auf diese werthvolle Abhandlung des Ritters v. Spaun um so mehr aufmerksam zu machen, als Firma und Autor einer bescheidenen Provinzstadt angehören, und das Publicum vielleicht noch keine Gelegenheit gehabt hat, ihre Bekanntschaft zu machen.

Will man sich einen Begriff davon bilden, in welchem Maaße die technischen und industriellen Unternehmungen hier betrieben werden, in welcher Ausdehnung, und mit welchen Kräften - so werfe man vor Allem einen Blick in die Werkstätte,

Daunou.

Daunou ist an dem Uebel, das ihn seit einiger Zeit auf dem Krankenlager hielt, gestorben. Mit ihm verliert die Akademie ein ausgezeichnetes Mitglied, die historischen Studien einen ihrer warmen und tüchtigen Verehrer, die Gesellschaft und seine Freunde einen ehrenfesten biedern Charakter, die Erinnerung an die Revolution von 1789 und die Republik einen ihrer letzten Vertreter.

Daunou gehörte ursprünglich dem geistlichen Stand an; die Revolution aber und die politischen Begebenheiten der 1790er Jahre entzogen ihn dem stillern Kreise, um ihn in den wilden Strudel der heißesten Leidenschaften, mitten in den erbitterten Kampf der Parteien zu reißen, an dem er auch alsbald thatsächlich Theil nahm. Daunou war Mitglied des Nationalconvents und widersprach der Competenz der Versammlung in der Anklage gegen Ludwig XVI; er war somit natürlich auch gegen die Verurtheilung und Hinrichtung des Königs. Ueberhaupt gehörte er der gemäßigten Seite des Convents an, und erhob sich im Jahr 1793 zur Vertheidigung der Girondisten, als diese von dem Berg in Anklagestand gesetzt wurden. Diese Gesinnung brachte ihn selbst in Verhaft, und schwerlich würde er dem Tod entgangen seyn, hätte nicht der 9 Thermidor ihn wie so viele Andere von dem Zugriffe des Revolutionsgerichts befreit. Diesem Wechsel der Dinge verdankte Daunou, fortan eines der angesehensten Mitglieder des Convents und dessen Secretär zu seyn. Späterhin ward Daunou nach Italien gesandt, um die römische Republik zu organisiren. Er war Mitglied, selbst Präsident des Raths der Fünfhundert, und nach dem 18 Brumaire Mitglied des Tribunats, aus welchem er jedoch bald entfernt wurde. Unter der Kaiserherrschaft wurde Daunou zum Bewahrer der Reichsarchive ernannt – eine Stelle, die ihm die Restauration wieder entzog. Dagegen wurde er im Jahr 1819 Professor der Geschichte am Collége de France, und zählte als Mitglied der Deputirtenkammer, unter der Restauration, zur Opposition der linken Seite. Seit dem Jahr 1830 ist er nicht mehr Professor, dagegen ward er in seine frühere Stelle als Garde général des archives wieder eingesetzt, und wurde vor ganz kurzer Zeit zum Pair von Frankreich erhoben. Was insbesondere seine akademischen Würden betrifft, so war er Mitglied und beständiger Secretär der Académie des inscriptions et belles lettres, ferner Mitglied der Akademie der politischen und moralischen Wissenschaften, welcher er schon bei ihrer ersten Stiftung angehört hatte. Nach Daunou's Tode bleibt nur noch ein einziges Mitglied des Instituts aus der stürmischen Epoche des Convents, Lakanal, dessen Name an ein bewegtes Leben und einen festen, rechtlichen Charakter erinnert. Daunou hat mehrere Schriften historischen, moralischen und litterarischen Inhalts herausgegeben, und mit einem Mitglied der großen Bibliothek die „französischen Historiker“ besorgt; man erwartete aber stets sein Hauptwerk über Geschichte, und namentlich über französische Geschichte, zu welchem seine öffentlichen Vorlesungen die Einleitung und die Umrisse bildeten, auch lassen manche seiner Aeußerungen erwarten, daß man in seiner Nachlassenschaft das Manuscript finden werde. Große Sorgfalt und Genauigkeit wird diese Arbeit gewiß auszeichnen, obgleich sie nicht im Sinne der neueren Geschichtschreibung seyn mag. Wir schließen dieß aus dem Urtheile Daunou's über Augustin Thierry, den er mit ironischer Bewunderung einen historien charmant nannte. Nicht sowohl die großen Pinselstriche, das pittoreske Drama der Geschichte und des Völkerlebens, als vielmehr die genaue Kenntniß der Thatsachen und ihrer Folge, mit Einem Worte die Chronologie waren der Gegenstand von Daunou's Forschungen. Sein Tod hat uns an den von Billaud Varennes erinnert: wie dieser ist Daunou gestorben, ohne von einer priesterlichen Einsegnung noch irgend einer Leichenfeier hören zu wollen; sein letzter Wille, den er unmittelbar vor seinem Tode dictirte, verordnet ausdrücklich, daß seine Leiche geradezu zur letzten Ruhestätte gebracht werde. Er war 79 Jahre alt.

Wiener Briefe.

Der Sommer entführt wie gewöhnlich die Hälfte der Bevölkerung aufs Land, und kaum ist eine Haushaltung so beschränkt, um sich nicht irgend in der Umgegend ein paar Stübchen zu miethen, wo Baumschatten und frische Luft für jede verlassene Bequemlichkeit schadlos halten. Die auf unglaubliche Weise zunehmenden Omnibus erleichtern diese, fast schon zum Bedürfniß gewordene Gewohnheit noch mehr. Wer in dieser Jahreszeit nach Wien kommt, und die halbe Einwohnerschaft ausgewandert findet, wird sich nur einen unvollkommenen Begriff von dem Leben und der Bewegung machen, die sonst hier herrschen.

Da auch Litteratoren und Künstler jetzt das Freie suchen, kann ich in dieser Beziehung wenig Neues melden. Der Streit zwischen Böhmen und Nichtböhmen um Guttenbergs Geburtsstätte für Böhmen zu vindiciren, hat einen ermüdenden, zum Theil von sehr unberufenen Federn geführten Streit entzündet, der wie gewöhnlich in solchen Fällen kein anderes Resultat hatte, als daß beide Theile Recht behielten.

Einen ähnlichen Zweck beabsichtigt eine eben zu Linz bei Quirin Haslinger erschienene Schrift vom Ritter v. Spaun: „Heinrich Offterdingen und das Nibelungenlied.“ Auch hier vindicirt der Verfasser Dichter und Gedicht für die österreichische Landsmannschaft, aber auf eine so schlagende Weise, mit so vollständiger Bemächtigung des Gegenstandes, so gründlicher historischer Kritik, so scharfsinniger und lichtvoller Zusamenstellung der Argumente, daß gewiß kein Gebildeter dieses Buch ohne die vollste Anerkennung des Talents und der Gelehrsamkeit des Verfassers aus der Hand legen wird. Heinrich von Offterdingen und Ulrich von Liechtenstein! In der That, der Reigen österreichischer Dichter könnte nicht von glorreicheren Namen geführt werden! Und wenn sich diese glänzenden Chorführer der gegenwärtigen zahlreichen Genossenschaft viel leicht nicht ohne Ausnahme freuen dürften, so würden sie doch auch manchen wahren Dichter darunter finden, werth in ihrem Gefolge zu gehen.

Ich halte es für Pflicht, im Interesse der Wissenschaft auf diese werthvolle Abhandlung des Ritters v. Spaun um so mehr aufmerksam zu machen, als Firma und Autor einer bescheidenen Provinzstadt angehören, und das Publicum vielleicht noch keine Gelegenheit gehabt hat, ihre Bekanntschaft zu machen.

Will man sich einen Begriff davon bilden, in welchem Maaße die technischen und industriellen Unternehmungen hier betrieben werden, in welcher Ausdehnung, und mit welchen Kräften – so werfe man vor Allem einen Blick in die Werkstätte,

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[1417/0009] Daunou. _ Paris, 21 Jun. Daunou ist an dem Uebel, das ihn seit einiger Zeit auf dem Krankenlager hielt, gestorben. Mit ihm verliert die Akademie ein ausgezeichnetes Mitglied, die historischen Studien einen ihrer warmen und tüchtigen Verehrer, die Gesellschaft und seine Freunde einen ehrenfesten biedern Charakter, die Erinnerung an die Revolution von 1789 und die Republik einen ihrer letzten Vertreter. Daunou gehörte ursprünglich dem geistlichen Stand an; die Revolution aber und die politischen Begebenheiten der 1790er Jahre entzogen ihn dem stillern Kreise, um ihn in den wilden Strudel der heißesten Leidenschaften, mitten in den erbitterten Kampf der Parteien zu reißen, an dem er auch alsbald thatsächlich Theil nahm. Daunou war Mitglied des Nationalconvents und widersprach der Competenz der Versammlung in der Anklage gegen Ludwig XVI; er war somit natürlich auch gegen die Verurtheilung und Hinrichtung des Königs. Ueberhaupt gehörte er der gemäßigten Seite des Convents an, und erhob sich im Jahr 1793 zur Vertheidigung der Girondisten, als diese von dem Berg in Anklagestand gesetzt wurden. Diese Gesinnung brachte ihn selbst in Verhaft, und schwerlich würde er dem Tod entgangen seyn, hätte nicht der 9 Thermidor ihn wie so viele Andere von dem Zugriffe des Revolutionsgerichts befreit. Diesem Wechsel der Dinge verdankte Daunou, fortan eines der angesehensten Mitglieder des Convents und dessen Secretär zu seyn. Späterhin ward Daunou nach Italien gesandt, um die römische Republik zu organisiren. Er war Mitglied, selbst Präsident des Raths der Fünfhundert, und nach dem 18 Brumaire Mitglied des Tribunats, aus welchem er jedoch bald entfernt wurde. Unter der Kaiserherrschaft wurde Daunou zum Bewahrer der Reichsarchive ernannt – eine Stelle, die ihm die Restauration wieder entzog. Dagegen wurde er im Jahr 1819 Professor der Geschichte am Collége de France, und zählte als Mitglied der Deputirtenkammer, unter der Restauration, zur Opposition der linken Seite. Seit dem Jahr 1830 ist er nicht mehr Professor, dagegen ward er in seine frühere Stelle als Garde général des archives wieder eingesetzt, und wurde vor ganz kurzer Zeit zum Pair von Frankreich erhoben. Was insbesondere seine akademischen Würden betrifft, so war er Mitglied und beständiger Secretär der Académie des inscriptions et belles lettres, ferner Mitglied der Akademie der politischen und moralischen Wissenschaften, welcher er schon bei ihrer ersten Stiftung angehört hatte. Nach Daunou's Tode bleibt nur noch ein einziges Mitglied des Instituts aus der stürmischen Epoche des Convents, Lakanal, dessen Name an ein bewegtes Leben und einen festen, rechtlichen Charakter erinnert. Daunou hat mehrere Schriften historischen, moralischen und litterarischen Inhalts herausgegeben, und mit einem Mitglied der großen Bibliothek die „französischen Historiker“ besorgt; man erwartete aber stets sein Hauptwerk über Geschichte, und namentlich über französische Geschichte, zu welchem seine öffentlichen Vorlesungen die Einleitung und die Umrisse bildeten, auch lassen manche seiner Aeußerungen erwarten, daß man in seiner Nachlassenschaft das Manuscript finden werde. Große Sorgfalt und Genauigkeit wird diese Arbeit gewiß auszeichnen, obgleich sie nicht im Sinne der neueren Geschichtschreibung seyn mag. Wir schließen dieß aus dem Urtheile Daunou's über Augustin Thierry, den er mit ironischer Bewunderung einen historien charmant nannte. Nicht sowohl die großen Pinselstriche, das pittoreske Drama der Geschichte und des Völkerlebens, als vielmehr die genaue Kenntniß der Thatsachen und ihrer Folge, mit Einem Worte die Chronologie waren der Gegenstand von Daunou's Forschungen. Sein Tod hat uns an den von Billaud Varennes erinnert: wie dieser ist Daunou gestorben, ohne von einer priesterlichen Einsegnung noch irgend einer Leichenfeier hören zu wollen; sein letzter Wille, den er unmittelbar vor seinem Tode dictirte, verordnet ausdrücklich, daß seine Leiche geradezu zur letzten Ruhestätte gebracht werde. Er war 79 Jahre alt. Wiener Briefe. Der Sommer entführt wie gewöhnlich die Hälfte der Bevölkerung aufs Land, und kaum ist eine Haushaltung so beschränkt, um sich nicht irgend in der Umgegend ein paar Stübchen zu miethen, wo Baumschatten und frische Luft für jede verlassene Bequemlichkeit schadlos halten. Die auf unglaubliche Weise zunehmenden Omnibus erleichtern diese, fast schon zum Bedürfniß gewordene Gewohnheit noch mehr. Wer in dieser Jahreszeit nach Wien kommt, und die halbe Einwohnerschaft ausgewandert findet, wird sich nur einen unvollkommenen Begriff von dem Leben und der Bewegung machen, die sonst hier herrschen. Da auch Litteratoren und Künstler jetzt das Freie suchen, kann ich in dieser Beziehung wenig Neues melden. Der Streit zwischen Böhmen und Nichtböhmen um Guttenbergs Geburtsstätte für Böhmen zu vindiciren, hat einen ermüdenden, zum Theil von sehr unberufenen Federn geführten Streit entzündet, der wie gewöhnlich in solchen Fällen kein anderes Resultat hatte, als daß beide Theile Recht behielten. Einen ähnlichen Zweck beabsichtigt eine eben zu Linz bei Quirin Haslinger erschienene Schrift vom Ritter v. Spaun: „Heinrich Offterdingen und das Nibelungenlied.“ Auch hier vindicirt der Verfasser Dichter und Gedicht für die österreichische Landsmannschaft, aber auf eine so schlagende Weise, mit so vollständiger Bemächtigung des Gegenstandes, so gründlicher historischer Kritik, so scharfsinniger und lichtvoller Zusamenstellung der Argumente, daß gewiß kein Gebildeter dieses Buch ohne die vollste Anerkennung des Talents und der Gelehrsamkeit des Verfassers aus der Hand legen wird. Heinrich von Offterdingen und Ulrich von Liechtenstein! In der That, der Reigen österreichischer Dichter könnte nicht von glorreicheren Namen geführt werden! Und wenn sich diese glänzenden Chorführer der gegenwärtigen zahlreichen Genossenschaft viel leicht nicht ohne Ausnahme freuen dürften, so würden sie doch auch manchen wahren Dichter darunter finden, werth in ihrem Gefolge zu gehen. Ich halte es für Pflicht, im Interesse der Wissenschaft auf diese werthvolle Abhandlung des Ritters v. Spaun um so mehr aufmerksam zu machen, als Firma und Autor einer bescheidenen Provinzstadt angehören, und das Publicum vielleicht noch keine Gelegenheit gehabt hat, ihre Bekanntschaft zu machen. Will man sich einen Begriff davon bilden, in welchem Maaße die technischen und industriellen Unternehmungen hier betrieben werden, in welcher Ausdehnung, und mit welchen Kräften – so werfe man vor Allem einen Blick in die Werkstätte,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 179. Augsburg, 27. Juni 1840, S. 1417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_179_18400627/9>, abgerufen am 19.04.2024.