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Allgemeine Zeitung. Nr. 179. Augsburg, 26. Juni 1840.

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Die Universität Heidelberg und die litterarische Kritik.

Die Leselust und Geduld der gebildeten, d. h. der lesenden Stände in Deutschland ist bereits so groß geworden, daß man, um immer neuen Vorrath zur Unterhaltung zu liefern, in der Auswahl des Gegenstandes ziemlich rücksichtslos zu verfahren anfängt. Dinge, die man sonst nur in vertrautem Kreise besprach, werden jetzt ohne Rückhalt Schwarz auf Weiß in die weite Welt geschickt, und nachdem die Kritik sich an Büchern und Kunstwerken hinlängliche Uebung und reichlichen Muth erworben hat, setzt sie ihr Geschäft auch bei den Personen fort, die dem Publicum einiges Interesse einflößen. Wenn gegenwärtig ein bedeutender Mann von einem jungen reisenden Gelehrten besucht wird, so sollte er dem Eintretenden vor Allem die Frage vorlegen: "Wollen Sie vielleicht etwas über mich schreiben?" - und, falls der Besucher nicht völlig genügende Bürgschaft für das "Nein" zu leisten vermag, sich desselben sofort zu entledigen suchen, damit dieser dann doch eine wesenhafte Ursache zu dem hätte, was solche Leute jetzt Kritik nennen. Das sogenannte junge Deutschland hat das Beispiel einer Richtung gegeben, die darauf hinausläuft, statt mit Sachen, sich lieber mit Personen zu beschäftigen, und diese zerfasert in kecken, flüchtigen Pinselstrichen zur Schau zu stellen. Hat man einmal die Scheu vor dieser Veröffentlichung überwunden, so erschließt sich ein weites Feld für die Unterhaltungslitteratur, und es ist vorauszusehen, daß wir noch viele auf demselben aufgelesene Früchte, wären es auch nur Distelköpfe und Holzäpfel, aufgetischt bekommen werden. Wie viel ist noch hierin zu thun! Welche gute Gelegenheit, schlimme Leidenschaften zu befriedigen! Jeder namhafte Arzt, Kanzelredner, Advocat etc. kann von einem jüngern Mitbürger, der litterarische Kritik treibt, nach seinen Gebärden und Handlungen, wahrhaft oder in beliebiger Verzerrung abgeschildert werden. Jede Eigenthümlichkeit, jede wirkliche oder scheinbare Schwäche, jede Schattenseite, die man bisher gern übersah und bescheiden verschwieg, wo man viel Licht erblickte, wird nun von dem jüngeren Geschlechte schonungslos hervorgehoben, welches sich in seinem Uebermuth auf den Richterstuhl gedrängt hat. Schade nur, daß diese verhüllten Richter, die keine Bürgschaft für die Lauterkeit ihrer Absichten und die Richtigkeit ihres Urtheils zu geben haben, gar wenig Vertrauen einflößen können! Keinem aufmerksamen Leser der Zeitungen und Zeitschriften sind die feinen Kunstgriffe unbekannt, mit denen man nun heutzutage einen gewissen Hauptgedanken in einen scheinbar ganz harmlosen Aufsatz, wie bei einem bekannten Spiele das aufgegebene Wort in eine lange Rede, unmerklich einfließen zu lassen sucht. So wird bald Rache oder Neid geübt, bald ein Begünstigter empfohlen oder irgend eine verdeckte Absicht verfolgt. Wer indeß einigemal auf diese Weise irre geleitet worden ist, wird mißtrauisch und findet bald den festen Kern in dem langen Kometenschweife heraus.

Diese Betrachtungen sind in uns durch zwei ausführliche Artikel über die Heidelberger Universität rege geworden, deren einer vor einigen Monaten in den von Ruge und Echtermayer herausgegebenen Halle'schen Jahrbüchern, der andere ganz kürzlich in den Brockhaus'schen Blättern für litterarische Unterhaltung erschienen ist. Bei jedem von beiden Aufsätzen hat sich der Verfasser (oder vielmehr die Verfasser, denn es scheinen mehrere geholfen, wenigstens das Material beigetragen zu haben) die nicht leichte Aufgabe gesetzt, nicht bloß das wissenschaftliche und gesellige Leben in Heidelberg im Ganzen, sondern auch das Wirken und die Persönlichkeit der meisten Lehrer insbesondere darzustellen. Es ist ungefähr, als ob eine Gesellschaft anständiger Männer, die auf einem öffentlichen Platze vor zahlreichen Zuschauern ihres Berufs willen versammelt sind, von Einzelnen aus dem dichten Haufen bald mit Zuckerwerk und Blumen, bald, wie es sich gerade trifft, mit Aepfeln, Eiern und Schmutz beworfen würden. Die Verfasser meinen es im Grunde mit der Universität nicht übel; sie wollen dieselbe empfehlen und zu ihrer Erhebung beitragen. Aber sie fangen es damit sonderbar an: sie loben die Anstalt im Ganzen um ihrer zahlreichen berühmten Männer willen, tadeln aber mit wenigen Ausnahmen das Einzelne und mäkeln an den meisten Celebritäten so viel, daß man, wenn dieß Alles wahr wäre, am Ende nicht begreifen könnte, woher denn der Glanz der Universität eigentlich gekommen ist. Es ist bemerkenswerth, daß die Verfasser diesen Widerspruch, in den sie gerathen sind, nicht erkannt haben.

Der Aufschluß hierüber ist aber nicht schwer zu finden. Auf jeder Universität gibt es eine Anzahl jüngerer Docenten, die das Uebergewicht ihrer ehemaligen Lehrer ungern ertragen und darüber ungeduldig werden, daß sie die ersehnte Beförderung noch nicht haben erlangen können. Hiezu gesellen sich andere jüngere Gelehrte, die sich zwar nicht selbst in den Schranken versucht haben, aber doch darüber unzufrieden und verstimmt sind, daß ihre Verdienste im Stillen blieben. So bildet sich eine natürliche Opposition gegen die ältern, meistens vortheilhaft gestellten und in verdientem Ansehen stehenden Professoren. Wir halten es für höchst wahrscheinlich, daß der zweite Aufsatz ganz, und der erste wenigstens theilweise, einer solchen Opposition der jüngeren Generation seinen Ursprung verdanke, ohne damit behaupten zu wollen, daß beide in Heidelberg ganz zu Stande gekommen seyen. *)

Beide Artikel weichen übrigens in manchen Stücken von einander ab. Der Hallische sucht Alles nach der Weise einer bekannten philosophischen Schule zu construiren und leitet den Gesammtcharakter der Universität aus dem süddeutschen, namentlich aus dem pfälzischen Volksleben ab, indeß der Leipziger die Professorenschaft, als welche sich sehr von den Bürgern absondere, nicht eben unter dem Einfluß ihrer Umgebung stehend annimmt. Dieß ist auch das Richtigere, denn ein großer Theil der Lehrer besteht aus Mittel- und Norddeutschen, die in Berlin, Göttingen, Halle und Breslau ganz dieselben seyn würden, wie hier, auch steht Heidelberg mit Fremden aus allen Ländern in so häufigem persönlichem Verkehre daß schon deßhalb ein Localgeist, wie er auf mancher andern, mit dem Lande inniger verwachsenen Universität angetroffen wird, hier nicht wurzeln könnte. Beide Aufsätze stimmen in zwei Hauptpunkten überein, nämlich, daß Heidelberg eine schöne Lage habe und daß daselbst eine allgemeine Abneigung gegen die Philosophie herrsche. Jenes ist freilich vollkommen wahr, aber es ist

*) Unter den Privatdocenten und jüngeren Professoren in H. kennen wir viele ehrenhafte Männer, die man der Mitwirkung zu den erwähnten Artikeln durchaus nicht für fähig halten kann. Man erfährt so eben, daß schon einer der hiesigen Privatdocenten sich mit rühmlicher Entrüstung gegen den Verdacht, an denselben irgend einen Antheil zu haben, bei seiner vorgesetzten Behörde verwahrt hat.
Die Universität Heidelberg und die litterarische Kritik.

Die Leselust und Geduld der gebildeten, d. h. der lesenden Stände in Deutschland ist bereits so groß geworden, daß man, um immer neuen Vorrath zur Unterhaltung zu liefern, in der Auswahl des Gegenstandes ziemlich rücksichtslos zu verfahren anfängt. Dinge, die man sonst nur in vertrautem Kreise besprach, werden jetzt ohne Rückhalt Schwarz auf Weiß in die weite Welt geschickt, und nachdem die Kritik sich an Büchern und Kunstwerken hinlängliche Uebung und reichlichen Muth erworben hat, setzt sie ihr Geschäft auch bei den Personen fort, die dem Publicum einiges Interesse einflößen. Wenn gegenwärtig ein bedeutender Mann von einem jungen reisenden Gelehrten besucht wird, so sollte er dem Eintretenden vor Allem die Frage vorlegen: „Wollen Sie vielleicht etwas über mich schreiben?“ – und, falls der Besucher nicht völlig genügende Bürgschaft für das „Nein“ zu leisten vermag, sich desselben sofort zu entledigen suchen, damit dieser dann doch eine wesenhafte Ursache zu dem hätte, was solche Leute jetzt Kritik nennen. Das sogenannte junge Deutschland hat das Beispiel einer Richtung gegeben, die darauf hinausläuft, statt mit Sachen, sich lieber mit Personen zu beschäftigen, und diese zerfasert in kecken, flüchtigen Pinselstrichen zur Schau zu stellen. Hat man einmal die Scheu vor dieser Veröffentlichung überwunden, so erschließt sich ein weites Feld für die Unterhaltungslitteratur, und es ist vorauszusehen, daß wir noch viele auf demselben aufgelesene Früchte, wären es auch nur Distelköpfe und Holzäpfel, aufgetischt bekommen werden. Wie viel ist noch hierin zu thun! Welche gute Gelegenheit, schlimme Leidenschaften zu befriedigen! Jeder namhafte Arzt, Kanzelredner, Advocat etc. kann von einem jüngern Mitbürger, der litterarische Kritik treibt, nach seinen Gebärden und Handlungen, wahrhaft oder in beliebiger Verzerrung abgeschildert werden. Jede Eigenthümlichkeit, jede wirkliche oder scheinbare Schwäche, jede Schattenseite, die man bisher gern übersah und bescheiden verschwieg, wo man viel Licht erblickte, wird nun von dem jüngeren Geschlechte schonungslos hervorgehoben, welches sich in seinem Uebermuth auf den Richterstuhl gedrängt hat. Schade nur, daß diese verhüllten Richter, die keine Bürgschaft für die Lauterkeit ihrer Absichten und die Richtigkeit ihres Urtheils zu geben haben, gar wenig Vertrauen einflößen können! Keinem aufmerksamen Leser der Zeitungen und Zeitschriften sind die feinen Kunstgriffe unbekannt, mit denen man nun heutzutage einen gewissen Hauptgedanken in einen scheinbar ganz harmlosen Aufsatz, wie bei einem bekannten Spiele das aufgegebene Wort in eine lange Rede, unmerklich einfließen zu lassen sucht. So wird bald Rache oder Neid geübt, bald ein Begünstigter empfohlen oder irgend eine verdeckte Absicht verfolgt. Wer indeß einigemal auf diese Weise irre geleitet worden ist, wird mißtrauisch und findet bald den festen Kern in dem langen Kometenschweife heraus.

Diese Betrachtungen sind in uns durch zwei ausführliche Artikel über die Heidelberger Universität rege geworden, deren einer vor einigen Monaten in den von Ruge und Echtermayer herausgegebenen Halle'schen Jahrbüchern, der andere ganz kürzlich in den Brockhaus'schen Blättern für litterarische Unterhaltung erschienen ist. Bei jedem von beiden Aufsätzen hat sich der Verfasser (oder vielmehr die Verfasser, denn es scheinen mehrere geholfen, wenigstens das Material beigetragen zu haben) die nicht leichte Aufgabe gesetzt, nicht bloß das wissenschaftliche und gesellige Leben in Heidelberg im Ganzen, sondern auch das Wirken und die Persönlichkeit der meisten Lehrer insbesondere darzustellen. Es ist ungefähr, als ob eine Gesellschaft anständiger Männer, die auf einem öffentlichen Platze vor zahlreichen Zuschauern ihres Berufs willen versammelt sind, von Einzelnen aus dem dichten Haufen bald mit Zuckerwerk und Blumen, bald, wie es sich gerade trifft, mit Aepfeln, Eiern und Schmutz beworfen würden. Die Verfasser meinen es im Grunde mit der Universität nicht übel; sie wollen dieselbe empfehlen und zu ihrer Erhebung beitragen. Aber sie fangen es damit sonderbar an: sie loben die Anstalt im Ganzen um ihrer zahlreichen berühmten Männer willen, tadeln aber mit wenigen Ausnahmen das Einzelne und mäkeln an den meisten Celebritäten so viel, daß man, wenn dieß Alles wahr wäre, am Ende nicht begreifen könnte, woher denn der Glanz der Universität eigentlich gekommen ist. Es ist bemerkenswerth, daß die Verfasser diesen Widerspruch, in den sie gerathen sind, nicht erkannt haben.

Der Aufschluß hierüber ist aber nicht schwer zu finden. Auf jeder Universität gibt es eine Anzahl jüngerer Docenten, die das Uebergewicht ihrer ehemaligen Lehrer ungern ertragen und darüber ungeduldig werden, daß sie die ersehnte Beförderung noch nicht haben erlangen können. Hiezu gesellen sich andere jüngere Gelehrte, die sich zwar nicht selbst in den Schranken versucht haben, aber doch darüber unzufrieden und verstimmt sind, daß ihre Verdienste im Stillen blieben. So bildet sich eine natürliche Opposition gegen die ältern, meistens vortheilhaft gestellten und in verdientem Ansehen stehenden Professoren. Wir halten es für höchst wahrscheinlich, daß der zweite Aufsatz ganz, und der erste wenigstens theilweise, einer solchen Opposition der jüngeren Generation seinen Ursprung verdanke, ohne damit behaupten zu wollen, daß beide in Heidelberg ganz zu Stande gekommen seyen. *)

Beide Artikel weichen übrigens in manchen Stücken von einander ab. Der Hallische sucht Alles nach der Weise einer bekannten philosophischen Schule zu construiren und leitet den Gesammtcharakter der Universität aus dem süddeutschen, namentlich aus dem pfälzischen Volksleben ab, indeß der Leipziger die Professorenschaft, als welche sich sehr von den Bürgern absondere, nicht eben unter dem Einfluß ihrer Umgebung stehend annimmt. Dieß ist auch das Richtigere, denn ein großer Theil der Lehrer besteht aus Mittel- und Norddeutschen, die in Berlin, Göttingen, Halle und Breslau ganz dieselben seyn würden, wie hier, auch steht Heidelberg mit Fremden aus allen Ländern in so häufigem persönlichem Verkehre daß schon deßhalb ein Localgeist, wie er auf mancher andern, mit dem Lande inniger verwachsenen Universität angetroffen wird, hier nicht wurzeln könnte. Beide Aufsätze stimmen in zwei Hauptpunkten überein, nämlich, daß Heidelberg eine schöne Lage habe und daß daselbst eine allgemeine Abneigung gegen die Philosophie herrsche. Jenes ist freilich vollkommen wahr, aber es ist

*) Unter den Privatdocenten und jüngeren Professoren in H. kennen wir viele ehrenhafte Männer, die man der Mitwirkung zu den erwähnten Artikeln durchaus nicht für fähig halten kann. Man erfährt so eben, daß schon einer der hiesigen Privatdocenten sich mit rühmlicher Entrüstung gegen den Verdacht, an denselben irgend einen Antheil zu haben, bei seiner vorgesetzten Behörde verwahrt hat.
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[1409/0009] Die Universität Heidelberg und die litterarische Kritik. _ Heidelberg, 18 Junius. Die Leselust und Geduld der gebildeten, d. h. der lesenden Stände in Deutschland ist bereits so groß geworden, daß man, um immer neuen Vorrath zur Unterhaltung zu liefern, in der Auswahl des Gegenstandes ziemlich rücksichtslos zu verfahren anfängt. Dinge, die man sonst nur in vertrautem Kreise besprach, werden jetzt ohne Rückhalt Schwarz auf Weiß in die weite Welt geschickt, und nachdem die Kritik sich an Büchern und Kunstwerken hinlängliche Uebung und reichlichen Muth erworben hat, setzt sie ihr Geschäft auch bei den Personen fort, die dem Publicum einiges Interesse einflößen. Wenn gegenwärtig ein bedeutender Mann von einem jungen reisenden Gelehrten besucht wird, so sollte er dem Eintretenden vor Allem die Frage vorlegen: „Wollen Sie vielleicht etwas über mich schreiben?“ – und, falls der Besucher nicht völlig genügende Bürgschaft für das „Nein“ zu leisten vermag, sich desselben sofort zu entledigen suchen, damit dieser dann doch eine wesenhafte Ursache zu dem hätte, was solche Leute jetzt Kritik nennen. Das sogenannte junge Deutschland hat das Beispiel einer Richtung gegeben, die darauf hinausläuft, statt mit Sachen, sich lieber mit Personen zu beschäftigen, und diese zerfasert in kecken, flüchtigen Pinselstrichen zur Schau zu stellen. Hat man einmal die Scheu vor dieser Veröffentlichung überwunden, so erschließt sich ein weites Feld für die Unterhaltungslitteratur, und es ist vorauszusehen, daß wir noch viele auf demselben aufgelesene Früchte, wären es auch nur Distelköpfe und Holzäpfel, aufgetischt bekommen werden. Wie viel ist noch hierin zu thun! Welche gute Gelegenheit, schlimme Leidenschaften zu befriedigen! Jeder namhafte Arzt, Kanzelredner, Advocat etc. kann von einem jüngern Mitbürger, der litterarische Kritik treibt, nach seinen Gebärden und Handlungen, wahrhaft oder in beliebiger Verzerrung abgeschildert werden. Jede Eigenthümlichkeit, jede wirkliche oder scheinbare Schwäche, jede Schattenseite, die man bisher gern übersah und bescheiden verschwieg, wo man viel Licht erblickte, wird nun von dem jüngeren Geschlechte schonungslos hervorgehoben, welches sich in seinem Uebermuth auf den Richterstuhl gedrängt hat. Schade nur, daß diese verhüllten Richter, die keine Bürgschaft für die Lauterkeit ihrer Absichten und die Richtigkeit ihres Urtheils zu geben haben, gar wenig Vertrauen einflößen können! Keinem aufmerksamen Leser der Zeitungen und Zeitschriften sind die feinen Kunstgriffe unbekannt, mit denen man nun heutzutage einen gewissen Hauptgedanken in einen scheinbar ganz harmlosen Aufsatz, wie bei einem bekannten Spiele das aufgegebene Wort in eine lange Rede, unmerklich einfließen zu lassen sucht. So wird bald Rache oder Neid geübt, bald ein Begünstigter empfohlen oder irgend eine verdeckte Absicht verfolgt. Wer indeß einigemal auf diese Weise irre geleitet worden ist, wird mißtrauisch und findet bald den festen Kern in dem langen Kometenschweife heraus. Diese Betrachtungen sind in uns durch zwei ausführliche Artikel über die Heidelberger Universität rege geworden, deren einer vor einigen Monaten in den von Ruge und Echtermayer herausgegebenen Halle'schen Jahrbüchern, der andere ganz kürzlich in den Brockhaus'schen Blättern für litterarische Unterhaltung erschienen ist. Bei jedem von beiden Aufsätzen hat sich der Verfasser (oder vielmehr die Verfasser, denn es scheinen mehrere geholfen, wenigstens das Material beigetragen zu haben) die nicht leichte Aufgabe gesetzt, nicht bloß das wissenschaftliche und gesellige Leben in Heidelberg im Ganzen, sondern auch das Wirken und die Persönlichkeit der meisten Lehrer insbesondere darzustellen. Es ist ungefähr, als ob eine Gesellschaft anständiger Männer, die auf einem öffentlichen Platze vor zahlreichen Zuschauern ihres Berufs willen versammelt sind, von Einzelnen aus dem dichten Haufen bald mit Zuckerwerk und Blumen, bald, wie es sich gerade trifft, mit Aepfeln, Eiern und Schmutz beworfen würden. Die Verfasser meinen es im Grunde mit der Universität nicht übel; sie wollen dieselbe empfehlen und zu ihrer Erhebung beitragen. Aber sie fangen es damit sonderbar an: sie loben die Anstalt im Ganzen um ihrer zahlreichen berühmten Männer willen, tadeln aber mit wenigen Ausnahmen das Einzelne und mäkeln an den meisten Celebritäten so viel, daß man, wenn dieß Alles wahr wäre, am Ende nicht begreifen könnte, woher denn der Glanz der Universität eigentlich gekommen ist. Es ist bemerkenswerth, daß die Verfasser diesen Widerspruch, in den sie gerathen sind, nicht erkannt haben. Der Aufschluß hierüber ist aber nicht schwer zu finden. Auf jeder Universität gibt es eine Anzahl jüngerer Docenten, die das Uebergewicht ihrer ehemaligen Lehrer ungern ertragen und darüber ungeduldig werden, daß sie die ersehnte Beförderung noch nicht haben erlangen können. Hiezu gesellen sich andere jüngere Gelehrte, die sich zwar nicht selbst in den Schranken versucht haben, aber doch darüber unzufrieden und verstimmt sind, daß ihre Verdienste im Stillen blieben. So bildet sich eine natürliche Opposition gegen die ältern, meistens vortheilhaft gestellten und in verdientem Ansehen stehenden Professoren. Wir halten es für höchst wahrscheinlich, daß der zweite Aufsatz ganz, und der erste wenigstens theilweise, einer solchen Opposition der jüngeren Generation seinen Ursprung verdanke, ohne damit behaupten zu wollen, daß beide in Heidelberg ganz zu Stande gekommen seyen. *) Beide Artikel weichen übrigens in manchen Stücken von einander ab. Der Hallische sucht Alles nach der Weise einer bekannten philosophischen Schule zu construiren und leitet den Gesammtcharakter der Universität aus dem süddeutschen, namentlich aus dem pfälzischen Volksleben ab, indeß der Leipziger die Professorenschaft, als welche sich sehr von den Bürgern absondere, nicht eben unter dem Einfluß ihrer Umgebung stehend annimmt. Dieß ist auch das Richtigere, denn ein großer Theil der Lehrer besteht aus Mittel- und Norddeutschen, die in Berlin, Göttingen, Halle und Breslau ganz dieselben seyn würden, wie hier, auch steht Heidelberg mit Fremden aus allen Ländern in so häufigem persönlichem Verkehre daß schon deßhalb ein Localgeist, wie er auf mancher andern, mit dem Lande inniger verwachsenen Universität angetroffen wird, hier nicht wurzeln könnte. Beide Aufsätze stimmen in zwei Hauptpunkten überein, nämlich, daß Heidelberg eine schöne Lage habe und daß daselbst eine allgemeine Abneigung gegen die Philosophie herrsche. Jenes ist freilich vollkommen wahr, aber es ist *) Unter den Privatdocenten und jüngeren Professoren in H. kennen wir viele ehrenhafte Männer, die man der Mitwirkung zu den erwähnten Artikeln durchaus nicht für fähig halten kann. Man erfährt so eben, daß schon einer der hiesigen Privatdocenten sich mit rühmlicher Entrüstung gegen den Verdacht, an denselben irgend einen Antheil zu haben, bei seiner vorgesetzten Behörde verwahrt hat.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 179. Augsburg, 26. Juni 1840, S. 1409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_178_18400626/9>, abgerufen am 25.11.2024.