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Allgemeine Zeitung. Nr. 172. Augsburg, 20. Juni 1840.

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größten Feldherrn, das französische Volk seinem Untergang entgegenführt.

"Und wer sagt Ihnen, daß wir dessen nicht ganz bewußt waren, als wir über die zwei Millionen der Leichenfeier votirten?" Diese Worte entschlüpften gestern einem meiner Freunde, einem Deputirten, mit welchem ich, die Galerien des Palais-Royal durchwandelnd, über jenes Votum sprach. Wichtiges und erfreuliches Geständniß! um so mehr, als es aus dem Mund eines Mannes kommt, der nicht zu den blöden Zitterseelen gehört: vielleicht sogar ist bei diesem Gegenstand sein Name von einiger Bedeutung wegen der glorreichen Erinnerungen, die sich daran knüpfen - es ist der Sohn jenes tugendhaften Kriegers, der im Heilausschuß saß und den Sieg organisirte - es ist Hippolyt Carnot. Heilausschuß! comite du salut public! Das Wort klingt noch weit erschütternder, als der Name Napoleon Bonaparte. Dieser ist doch nur ein zahmer Gott des Olymps im Vergleich mit jener wilden Titanenversammlung.

Du sublime au ridicule il n'y a qu'un seul pas. Von Napoleon und dem Heilausschuß muß ich plötzlich zum Ritter Sp...... übergehen, der die armen Pariser mit Briefen bombardirt, um zu jedem Preis das Publicum an seine verschollene Person zu erinnern. Es liegt in diesem Augenblick ein Circular vor mir, das er an alle Zeitungsredactoren schickt, und das keiner drucken will aus Pietät für den gesunden Menschenverstand und Sp......'s alten Namen. Das Lächerliche gränzt hier wieder ans Sublime. Diese peinliche Schwäche, die sich im barockesten Styl ausspricht oder vielmehr ausärgert, ist eben so merkwürdig für den Arzt wie für den Sprachforscher. Ersterer gewahrt hier das traurige Phänomen einer Eitelkeit, die im Gemüth immer wüthender auflodert, je mehr die edleren Geisteskräfte darin erlöschen; der andere aber, der Sprachforscher, sieht, welch ein ergötzlicher Jargon entsteht, wenn ein starrer Italiener, der in Frankreich nothdürftig etwas Französisch gelernt hat, dieses sogenannte Italiener-Französisch während eines fünfundzwanzigjährigen Aufenthalts in Berlin ausbildete, so daß das alte Kauderwälsch mit sarmatischen Barbarismen gar wunderlich gespickt ward. Dieses Circular beginnt mit den Worten: C'est tres probablement une benevole supposition ou un souhait amical jete a loisir dans le camp des nouvellistes de Paris, que l'annonce que je viens de lire dans la Gazette d'Etat de Berlin, et dans les Debats du 16 courant, que l'administration de l'academie royale de musique a arrete de remettre en scene la Vestale! ce dont aucuns desirs ni soucis ne m'ont un seul instant occupe apres mon dernier depart de Paris! Als ob Jemand in der Staatszeitung oder in den Debats aus freiem Antrieb von Hrn. Sp. spräche, und als ob er nicht selbst die ganze Welt mit Briefen tribulirte, um an seine Oper zu erinnern. Das Circular ist vom Februar datirt, ward aber neuerdings wieder hergeschickt, weil Signor Sp. hört, daß man hier sein berühmtestes Werk wieder aufführen wolle, welches nichts als eine Falle sey - eine Falle, die er benutzen will, um hierher berufen zu werden. Nachdem er nämlich gegen seine Feinde pathetisch declamirt hat, setzt er hinzu: Et voila justement le nouveau piege que je crois avoir devine, et ce qui me fait un imperieux devoir de m'opposer, me trouvant absent, a la remise en scene de mes operas sur le theatre de l'academie royale de musique, a moins que je ne sois officiellement engage moi-meme par l'administration, sous la garantie du Ministere de l'Interieur, a me rendre a Paris, pour aider de mes conseils createurs les artistes (la tradition de mes operas etant perdue) pour assister aux repetitions, et contribuer au succes de la ...., puisque c'est d'elle qu'il s'agit. Das ist noch die einzige Stelle in diesen spontinischen Sümpfen, wo fester Boden; die Pfiffigkeit streckt hier ihre länglichten Ohren hervor. Der Mann will durchaus Berlin verlassen, wo er es nicht mehr aushalten kann, seitdem die Meyerbeer'schen Opern dort gegeben werden, und vor einem Jahr kam er auf einige Wochen hierher und lief von Morgen bis Mitternacht zu allen Personen von Einfluß, um seine Berufung nach Paris zu betreiben. Da die meisten Leute hier ihn für längst verstorben hielten, so erschraken sie nicht wenig ob seiner plötzlichen, etwas geisterhaften Erscheinung. Die ränkevolle Behendigkeit dieser todten Gebeine hatte in der That etwas Unheimliches. Hr. Duponchel, der Director der großen Oper, ließ ihn gar nicht vor sich, und rief mit Entsetzen: "Diese intrigante Mumie mag mir vom Leibe bleiben; ich habe bereits genug von den Intriguen der Lebenden zu erdulden!" Und doch hatte Hr. Schl. - denn durch diese gute Seele ließ der Ritter seinen Besuch bei Hrn. Duponchel voraus ankündigen - alle seine glaubwürdige Beredsamkeit aufgeboten, um seinen Empfohlenen im besten Lichte darzustellen. In der Wahl dieser empfehlenden Mittelsperson bekundete Hr. Sp. seinen ganzen Scharfsinn. Er zeigte ihn auch bei andern Gelegenheiten; z. B. wenn er über Jemand raisonnirte, so geschah es gewöhnlich bei dessen intimsten Freunden. Den französischen Schriftstellern erzählte er, daß er in Berlin einen deutschen Schriftsteller festsetzen lassen, der gegen ihn geschrieben. Bei den französischen Sängerinnen beklagte er sich über deutsche Sängerinnen, die sich nicht bei der Berliner Oper engagiren wollten, wenn man ihnen nicht contractlich zugestand, daß sie in keiner Spontinischen Oper zu singen brauchten!

Aber er will durchaus hierher; er kann es nicht mehr aushalten in Berlin, wo er, wie er behauptet, durch den Haß seiner Feinde verbannt worden, und wo man ihm dennoch keine Ruhe lasse. Dieser Tage schrieb er an die Redaction der France musicale: seine Feinde begnügten sich nicht, daß sie ihn über den Rhein getrieben, über die Weser, über die Elbe; sie möchten ihn noch weiter verjagen, über die Weichsel, über den Niemen! Er findet große Aehnlichkeit zwischen seinem Schicksal und dem Napoleon'schen. Er dünkt sich ein Genie, wogegen sich alle musikalischen Mächte verschworen. Berlin ist sein Sanct-Helena und Rellstab sein Hudson Lowe. Jetzt aber müsse man seine Gebeine nach Paris zurückkommen lassen und im Invalidenhause der Tonkunst, in der Academie royale de Musique, feierlich beisetzen. - Mir kommen heute solche feierliche Gedanken an Tod und Nachruhm, da man heute meinen armen Sakoski begraben hat, den berühmten Lederkünstler - denn die Benennung Schuster ist zu gering für einen Sakoski. Alle marchands bottiers und fabricants de chaussures von Paris folgten seiner Leiche. Er ward 88 Jahre alt und starb an einer Indigestion. Er lebte weise und glücklich. Wenig bekümmerte er sich um die Köpfe, aber desto mehr um die Füße seiner Zeitgenossen. Möge die Erde dich eben so wenig drücken, wie mich deine Stiefel!

Südamerika.

Nach Briefen von Montevideo vom 11 März (einem alten Datum), welche die englischen Blätter mittheilen, scheinen der französische Admiral und der politische Agent in völlig feindlichem Verhältniß zu einander zu stehen, und zwar weil der Admiral entschlossen ist, zwischen Frankreich und Buenos-Ayres einen Vergleich zu vermitteln. So wie das brittische Paketboot angekommen, hatte sich Admiral Dupotet zu dem brittischen Residenten Mandeville begeben. Begierig, den Erfolg dieser

größten Feldherrn, das französische Volk seinem Untergang entgegenführt.

„Und wer sagt Ihnen, daß wir dessen nicht ganz bewußt waren, als wir über die zwei Millionen der Leichenfeier votirten?“ Diese Worte entschlüpften gestern einem meiner Freunde, einem Deputirten, mit welchem ich, die Galerien des Palais-Royal durchwandelnd, über jenes Votum sprach. Wichtiges und erfreuliches Geständniß! um so mehr, als es aus dem Mund eines Mannes kommt, der nicht zu den blöden Zitterseelen gehört: vielleicht sogar ist bei diesem Gegenstand sein Name von einiger Bedeutung wegen der glorreichen Erinnerungen, die sich daran knüpfen – es ist der Sohn jenes tugendhaften Kriegers, der im Heilausschuß saß und den Sieg organisirte – es ist Hippolyt Carnot. Heilausschuß! comité du salut public! Das Wort klingt noch weit erschütternder, als der Name Napoleon Bonaparte. Dieser ist doch nur ein zahmer Gott des Olymps im Vergleich mit jener wilden Titanenversammlung.

Du sublime au ridicule il n'y a qu'un seul pas. Von Napoleon und dem Heilausschuß muß ich plötzlich zum Ritter Sp...... übergehen, der die armen Pariser mit Briefen bombardirt, um zu jedem Preis das Publicum an seine verschollene Person zu erinnern. Es liegt in diesem Augenblick ein Circular vor mir, das er an alle Zeitungsredactoren schickt, und das keiner drucken will aus Pietät für den gesunden Menschenverstand und Sp......'s alten Namen. Das Lächerliche gränzt hier wieder ans Sublime. Diese peinliche Schwäche, die sich im barockesten Styl ausspricht oder vielmehr ausärgert, ist eben so merkwürdig für den Arzt wie für den Sprachforscher. Ersterer gewahrt hier das traurige Phänomen einer Eitelkeit, die im Gemüth immer wüthender auflodert, je mehr die edleren Geisteskräfte darin erlöschen; der andere aber, der Sprachforscher, sieht, welch ein ergötzlicher Jargon entsteht, wenn ein starrer Italiener, der in Frankreich nothdürftig etwas Französisch gelernt hat, dieses sogenannte Italiener-Französisch während eines fünfundzwanzigjährigen Aufenthalts in Berlin ausbildete, so daß das alte Kauderwälsch mit sarmatischen Barbarismen gar wunderlich gespickt ward. Dieses Circular beginnt mit den Worten: C'est très probablement une bénévole supposition ou un souhait amical jeté à loisir dans le camp des nouvellistes de Paris, que l'annonce que je viens de lire dans la Gazette d'Etat de Berlin, et dans les Débats du 16 courant, que l'administration de l'académie royale de musique a arrêté de remettre en scène la Vestale! ce dont aucuns désirs ni soucis ne m'ont un seul instant occupé après mon dernier départ de Paris! Als ob Jemand in der Staatszeitung oder in den Débats aus freiem Antrieb von Hrn. Sp. spräche, und als ob er nicht selbst die ganze Welt mit Briefen tribulirte, um an seine Oper zu erinnern. Das Circular ist vom Februar datirt, ward aber neuerdings wieder hergeschickt, weil Signor Sp. hört, daß man hier sein berühmtestes Werk wieder aufführen wolle, welches nichts als eine Falle sey – eine Falle, die er benutzen will, um hierher berufen zu werden. Nachdem er nämlich gegen seine Feinde pathetisch declamirt hat, setzt er hinzu: Et voilà justement le nouveau piège que je crois avoir déviné, et ce qui me fait un impérieux dévoir de m'opposer, me trouvant absent, à la remise en scène de mes opéras sur le théàtre de l'académie royale de musique, à moins que je ne sois officiellement engagé moi-méme par l'administration, sous la garantie du Ministère de l'Intérieur, à me rendre à Paris, pour aider de mes conseils créateurs les artistes (la tradition de mes opéras étant perdue) pour assister aux répétitions, et contribuer au succès de la ...., puisque c'est d'elle qu'il s'agit. Das ist noch die einzige Stelle in diesen spontinischen Sümpfen, wo fester Boden; die Pfiffigkeit streckt hier ihre länglichten Ohren hervor. Der Mann will durchaus Berlin verlassen, wo er es nicht mehr aushalten kann, seitdem die Meyerbeer'schen Opern dort gegeben werden, und vor einem Jahr kam er auf einige Wochen hierher und lief von Morgen bis Mitternacht zu allen Personen von Einfluß, um seine Berufung nach Paris zu betreiben. Da die meisten Leute hier ihn für längst verstorben hielten, so erschraken sie nicht wenig ob seiner plötzlichen, etwas geisterhaften Erscheinung. Die ränkevolle Behendigkeit dieser todten Gebeine hatte in der That etwas Unheimliches. Hr. Duponchel, der Director der großen Oper, ließ ihn gar nicht vor sich, und rief mit Entsetzen: „Diese intrigante Mumie mag mir vom Leibe bleiben; ich habe bereits genug von den Intriguen der Lebenden zu erdulden!“ Und doch hatte Hr. Schl. – denn durch diese gute Seele ließ der Ritter seinen Besuch bei Hrn. Duponchel voraus ankündigen – alle seine glaubwürdige Beredsamkeit aufgeboten, um seinen Empfohlenen im besten Lichte darzustellen. In der Wahl dieser empfehlenden Mittelsperson bekundete Hr. Sp. seinen ganzen Scharfsinn. Er zeigte ihn auch bei andern Gelegenheiten; z. B. wenn er über Jemand raisonnirte, so geschah es gewöhnlich bei dessen intimsten Freunden. Den französischen Schriftstellern erzählte er, daß er in Berlin einen deutschen Schriftsteller festsetzen lassen, der gegen ihn geschrieben. Bei den französischen Sängerinnen beklagte er sich über deutsche Sängerinnen, die sich nicht bei der Berliner Oper engagiren wollten, wenn man ihnen nicht contractlich zugestand, daß sie in keiner Spontinischen Oper zu singen brauchten!

Aber er will durchaus hierher; er kann es nicht mehr aushalten in Berlin, wo er, wie er behauptet, durch den Haß seiner Feinde verbannt worden, und wo man ihm dennoch keine Ruhe lasse. Dieser Tage schrieb er an die Redaction der France musicale: seine Feinde begnügten sich nicht, daß sie ihn über den Rhein getrieben, über die Weser, über die Elbe; sie möchten ihn noch weiter verjagen, über die Weichsel, über den Niemen! Er findet große Aehnlichkeit zwischen seinem Schicksal und dem Napoleon'schen. Er dünkt sich ein Genie, wogegen sich alle musikalischen Mächte verschworen. Berlin ist sein Sanct-Helena und Rellstab sein Hudson Lowe. Jetzt aber müsse man seine Gebeine nach Paris zurückkommen lassen und im Invalidenhause der Tonkunst, in der Académie royale de Musique, feierlich beisetzen. – Mir kommen heute solche feierliche Gedanken an Tod und Nachruhm, da man heute meinen armen Sakoski begraben hat, den berühmten Lederkünstler – denn die Benennung Schuster ist zu gering für einen Sakoski. Alle marchands bottiers und fabricants de chaussures von Paris folgten seiner Leiche. Er ward 88 Jahre alt und starb an einer Indigestion. Er lebte weise und glücklich. Wenig bekümmerte er sich um die Köpfe, aber desto mehr um die Füße seiner Zeitgenossen. Möge die Erde dich eben so wenig drücken, wie mich deine Stiefel!

Südamerika.

Nach Briefen von Montevideo vom 11 März (einem alten Datum), welche die englischen Blätter mittheilen, scheinen der französische Admiral und der politische Agent in völlig feindlichem Verhältniß zu einander zu stehen, und zwar weil der Admiral entschlossen ist, zwischen Frankreich und Buenos-Ayres einen Vergleich zu vermitteln. So wie das brittische Paketboot angekommen, hatte sich Admiral Dupotet zu dem brittischen Residenten Mandeville begeben. Begierig, den Erfolg dieser

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[1371/0011] größten Feldherrn, das französische Volk seinem Untergang entgegenführt. „Und wer sagt Ihnen, daß wir dessen nicht ganz bewußt waren, als wir über die zwei Millionen der Leichenfeier votirten?“ Diese Worte entschlüpften gestern einem meiner Freunde, einem Deputirten, mit welchem ich, die Galerien des Palais-Royal durchwandelnd, über jenes Votum sprach. Wichtiges und erfreuliches Geständniß! um so mehr, als es aus dem Mund eines Mannes kommt, der nicht zu den blöden Zitterseelen gehört: vielleicht sogar ist bei diesem Gegenstand sein Name von einiger Bedeutung wegen der glorreichen Erinnerungen, die sich daran knüpfen – es ist der Sohn jenes tugendhaften Kriegers, der im Heilausschuß saß und den Sieg organisirte – es ist Hippolyt Carnot. Heilausschuß! comité du salut public! Das Wort klingt noch weit erschütternder, als der Name Napoleon Bonaparte. Dieser ist doch nur ein zahmer Gott des Olymps im Vergleich mit jener wilden Titanenversammlung. Du sublime au ridicule il n'y a qu'un seul pas. Von Napoleon und dem Heilausschuß muß ich plötzlich zum Ritter Sp...... übergehen, der die armen Pariser mit Briefen bombardirt, um zu jedem Preis das Publicum an seine verschollene Person zu erinnern. Es liegt in diesem Augenblick ein Circular vor mir, das er an alle Zeitungsredactoren schickt, und das keiner drucken will aus Pietät für den gesunden Menschenverstand und Sp......'s alten Namen. Das Lächerliche gränzt hier wieder ans Sublime. Diese peinliche Schwäche, die sich im barockesten Styl ausspricht oder vielmehr ausärgert, ist eben so merkwürdig für den Arzt wie für den Sprachforscher. Ersterer gewahrt hier das traurige Phänomen einer Eitelkeit, die im Gemüth immer wüthender auflodert, je mehr die edleren Geisteskräfte darin erlöschen; der andere aber, der Sprachforscher, sieht, welch ein ergötzlicher Jargon entsteht, wenn ein starrer Italiener, der in Frankreich nothdürftig etwas Französisch gelernt hat, dieses sogenannte Italiener-Französisch während eines fünfundzwanzigjährigen Aufenthalts in Berlin ausbildete, so daß das alte Kauderwälsch mit sarmatischen Barbarismen gar wunderlich gespickt ward. Dieses Circular beginnt mit den Worten: C'est très probablement une bénévole supposition ou un souhait amical jeté à loisir dans le camp des nouvellistes de Paris, que l'annonce que je viens de lire dans la Gazette d'Etat de Berlin, et dans les Débats du 16 courant, que l'administration de l'académie royale de musique a arrêté de remettre en scène la Vestale! ce dont aucuns désirs ni soucis ne m'ont un seul instant occupé après mon dernier départ de Paris! Als ob Jemand in der Staatszeitung oder in den Débats aus freiem Antrieb von Hrn. Sp. spräche, und als ob er nicht selbst die ganze Welt mit Briefen tribulirte, um an seine Oper zu erinnern. Das Circular ist vom Februar datirt, ward aber neuerdings wieder hergeschickt, weil Signor Sp. hört, daß man hier sein berühmtestes Werk wieder aufführen wolle, welches nichts als eine Falle sey – eine Falle, die er benutzen will, um hierher berufen zu werden. Nachdem er nämlich gegen seine Feinde pathetisch declamirt hat, setzt er hinzu: Et voilà justement le nouveau piège que je crois avoir déviné, et ce qui me fait un impérieux dévoir de m'opposer, me trouvant absent, à la remise en scène de mes opéras sur le théàtre de l'académie royale de musique, à moins que je ne sois officiellement engagé moi-méme par l'administration, sous la garantie du Ministère de l'Intérieur, à me rendre à Paris, pour aider de mes conseils créateurs les artistes (la tradition de mes opéras étant perdue) pour assister aux répétitions, et contribuer au succès de la ...., puisque c'est d'elle qu'il s'agit. Das ist noch die einzige Stelle in diesen spontinischen Sümpfen, wo fester Boden; die Pfiffigkeit streckt hier ihre länglichten Ohren hervor. Der Mann will durchaus Berlin verlassen, wo er es nicht mehr aushalten kann, seitdem die Meyerbeer'schen Opern dort gegeben werden, und vor einem Jahr kam er auf einige Wochen hierher und lief von Morgen bis Mitternacht zu allen Personen von Einfluß, um seine Berufung nach Paris zu betreiben. Da die meisten Leute hier ihn für längst verstorben hielten, so erschraken sie nicht wenig ob seiner plötzlichen, etwas geisterhaften Erscheinung. Die ränkevolle Behendigkeit dieser todten Gebeine hatte in der That etwas Unheimliches. Hr. Duponchel, der Director der großen Oper, ließ ihn gar nicht vor sich, und rief mit Entsetzen: „Diese intrigante Mumie mag mir vom Leibe bleiben; ich habe bereits genug von den Intriguen der Lebenden zu erdulden!“ Und doch hatte Hr. Schl. – denn durch diese gute Seele ließ der Ritter seinen Besuch bei Hrn. Duponchel voraus ankündigen – alle seine glaubwürdige Beredsamkeit aufgeboten, um seinen Empfohlenen im besten Lichte darzustellen. In der Wahl dieser empfehlenden Mittelsperson bekundete Hr. Sp. seinen ganzen Scharfsinn. Er zeigte ihn auch bei andern Gelegenheiten; z. B. wenn er über Jemand raisonnirte, so geschah es gewöhnlich bei dessen intimsten Freunden. Den französischen Schriftstellern erzählte er, daß er in Berlin einen deutschen Schriftsteller festsetzen lassen, der gegen ihn geschrieben. Bei den französischen Sängerinnen beklagte er sich über deutsche Sängerinnen, die sich nicht bei der Berliner Oper engagiren wollten, wenn man ihnen nicht contractlich zugestand, daß sie in keiner Spontinischen Oper zu singen brauchten! Aber er will durchaus hierher; er kann es nicht mehr aushalten in Berlin, wo er, wie er behauptet, durch den Haß seiner Feinde verbannt worden, und wo man ihm dennoch keine Ruhe lasse. Dieser Tage schrieb er an die Redaction der France musicale: seine Feinde begnügten sich nicht, daß sie ihn über den Rhein getrieben, über die Weser, über die Elbe; sie möchten ihn noch weiter verjagen, über die Weichsel, über den Niemen! Er findet große Aehnlichkeit zwischen seinem Schicksal und dem Napoleon'schen. Er dünkt sich ein Genie, wogegen sich alle musikalischen Mächte verschworen. Berlin ist sein Sanct-Helena und Rellstab sein Hudson Lowe. Jetzt aber müsse man seine Gebeine nach Paris zurückkommen lassen und im Invalidenhause der Tonkunst, in der Académie royale de Musique, feierlich beisetzen. – Mir kommen heute solche feierliche Gedanken an Tod und Nachruhm, da man heute meinen armen Sakoski begraben hat, den berühmten Lederkünstler – denn die Benennung Schuster ist zu gering für einen Sakoski. Alle marchands bottiers und fabricants de chaussures von Paris folgten seiner Leiche. Er ward 88 Jahre alt und starb an einer Indigestion. Er lebte weise und glücklich. Wenig bekümmerte er sich um die Köpfe, aber desto mehr um die Füße seiner Zeitgenossen. Möge die Erde dich eben so wenig drücken, wie mich deine Stiefel! Südamerika. Nach Briefen von Montevideo vom 11 März (einem alten Datum), welche die englischen Blätter mittheilen, scheinen der französische Admiral und der politische Agent in völlig feindlichem Verhältniß zu einander zu stehen, und zwar weil der Admiral entschlossen ist, zwischen Frankreich und Buenos-Ayres einen Vergleich zu vermitteln. So wie das brittische Paketboot angekommen, hatte sich Admiral Dupotet zu dem brittischen Residenten Mandeville begeben. Begierig, den Erfolg dieser

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 172. Augsburg, 20. Juni 1840, S. 1371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_172_18400620/11>, abgerufen am 24.11.2024.