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Allgemeine Zeitung. Nr. 171. Augsburg, 19. Juni 1840.

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um sich über die Veränderungen des Grundgesetzes speciell zu berathen, und so mußte der Weg zu einer theilweisen Veränderung angebahnt werden. Indeß hat man sich auch auf diese Anbahnung beschränkt, eines Theils weil zu einer positiven Veränderung keine Zeit mehr war, andern Theils weil die Mehrzahl der Mitglieder auch nicht dahin zu bringen gewesen wäre, bei dem Mißtrauen, das man immer noch in die Regierung und in die erste Kammer setzt, über eine mäßige positive Veränderung sich definitiv auszusprechen. Ein anderer Grund mußte mitwirken. Ich habe Ihnen vor einiger Zeit von einem Aufruf des Hrn. Donker Curtius gesprochen, der alle Freunde directer Wahlen aufforderte, zur Erreichung derselben alle Kräfte anzustrengen. Das erste Mittel sollte seyn, daß Niemand mehr sein Stimmrecht bei den Wahlen zu den städtischen Behörden und den Provincialstaaten ausübe, sondern sämmtliche unausgefüllte Stimmzettel mit der Forderung um directe Wahlen an die Generalstaaten eingeschickt werden sollten. Dieser gefährliche Vorschlag scheint durch den jetzt gefaßten Beschluß der Generalstaaten beseitigt, indem es jetzt im Interesse aller Freunde directer Wahlen ist, bei der Wahl der Provincialstaaten dahin mitzuwirken, daß die Mehrzahl der Mitglieder einer Veränderung des Wahlgesetzes sich geneigt zeige. Ist dieß der Fall, dann folgt eine Veränderung von selbst.

Schweiz.

Der Cretinismus.

Ihre Schweizer Correspondenten lassen es nicht an Nachrichten über unser politisches Leben und Treiben fehlen, während von den wissenschaftlichen und gemeinnützigen Bestrebungen nur selten Erwähnung geschieht. Diese Lücke wollen wir nun heute durch eine Angelegenheit ausfüllen, welche dieser Tage vor der allgemeinen schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft zu Frauenfeld zur Sprache kam. Außer ihren Verhandlungen über das Armen- und Pönitenzwesen wurde nämlich dieselbe von Dr. Guggenbühl, bekannt durch seine Untersuchung über den "Alpenstich", zur Theilnahme an seinen Bestrebungen für die Tilgung des Cretinismus in Anspruch genommen. Die einfache Thatsache, daß jenes furchtbare Uebel eine gewisse Meeres höhe nicht übersteigt, und das kindliche Alter nur innerhalb einer bestimmten Lebensperiode zu der Entartung disponirt ist, führte zunächst auf den Gedanken der Ortsversetzung als Vorbauungs- und Heilmittel hin. Wirklich sah Dr. Guggenbühl, welcher selbst in einer mit Cretinismus behafteten Gegend längere Zeit gelebt, und alle seine verschiedenen Standorte besucht hat, Fälle gelungener Heilung, welche die Möglichkeit außer allen Zweifel setzen. Sein erster Vorschlag geht demnach dahin, eine Colonie auf einer geeigneten Gebirgshöhe zu begründen, die eine heilende Zufluchtsstätte diesen Unglücklichen gewähren soll. Fellenberg könnte auch hier in seinem einzigen Erziehungsstaate mit einem Muster voranleuchten, da die Ausrottung des Cretinismus ganz wesentlich in das Gebiet der Nationalpädagogik fällt. Von diesem Gesichtspunkt aus entwickelte Dr. Guggenbühl die Ursachen, und wies die Möglichkeit ihrer Besiegung nebst den Mitteln und Wegen dazu nach. Da ein umfassendes Werk über das Ganze erscheinen wird, so können wir diese Punkte hier übergehen, und wünschen nur, daß dasselbe überall, wo der so weitverbreitete Zustand herrscht, gute Früchte tragen möge! Die gemeinnützige Gesellschaft beschloß hierauf, in voller Anerkennung des Eifers des verdienten Arztes, noch die naturforschende Societät mit ins Interesse zu ziehen, um sich dann weiter zu entscheiden. Es war gerade am Vorabend der großen politischen Ereignisse, als der unvergeßliche Paul Usteri vor derselben Versammlung die Sache in Anregung brachte, was aber durch den Tod des hochverdienten Mannes erfolglos blieb. Um so mehr steht jetzt für die Menschheitsangelegenheit zu hoffen, da ein Mann erstanden, der sich dieselbe zur eigentlichen Lebensaufgabe macht. Wenn auch weniger glänzend als Jenners Vertilgung der Pocken oder Bulards angestrebte Bekämpfung der Pest, wird doch die Unternehmung von segensvoller Wirkung für das Wohl der Menschheit seyn.

Der Reisende Dr. Tschudy.

Die Allgem. Zeitung hat schon einigemal über den Naturforscher Tschudy aus Glarus berichtet, der vor einigen Jahren, mit viertausend Franken Unterstützung von Sr. Maj. dem König von Preußen und andern ehrenwerthen Männern, auf dem Edmond nach Lima ging, um von da Excursionen in die Cordilleren und das Land zu machen, die gesammelten naturhistorischen Gegenstände aber dem hiesigen Museum zu übersenden. Seitdem ist ein bedeutender Transport angekommen, und ganz vor kurzem trafen gute Nachrichten von ihm hier ein. Er ist noch immer in den Gebirgen Peru's, und da er das ihm mitgegebene Geld aufgezehrt hat, so lebt er jetzt von der Jagd und wartet auf neue Unterstützung, die schon für ihn unterwegs ist. In der Regenzeit hatte er viel zu leiden vom Mangel an Obdach und selbst von Hunger. Dadurch ließ er jedoch seinen Eifer nicht erkalten. Seit seinem letzten Brief hat sich seine Sammlung für unser Museum sehr vermehrt, denn er kündigt siebenzig Säugethiere, mehr denn fünfhundert Vögel, Reptilien, Fische, tausend einhundert Käfer, zweihundert Schmetterlinge und hundert Muschelthiere, mit vielem anderm Merkwürdigen an Pflanzen und selbst an Fossilien an. Die ihm zugesandten Unterstützungen werden Hrn. Tschudy in den Stand setzen, mit seiner reichen Beute sich einzuschiffen und nach Europa zurückzukehren.

Schweden.

Ich kann nicht umhin, einer kleinen Schrift zu erwähnen, die im Augenblick ein gewisses Aufsehen macht und die hiesige Stimmung bezeichnet. Vor einigen Tagen erschien von einem bekannten Novellisten, Namens G. M. Mellin, ein Buch unter dem Titel: "Schwedens letzter Kampf. Ein phantastisches Nachtstück." Es zerfällt in mehrere Tableaux. Das erste schildert die Eroberung Schwedens durch die Russen nach einem hartnäckigen Kampfe; das zweite enthält eine Schilderung des Zustands von Schweden unter russischer Herrschaft, der dritte Abschnitt die Wiedererhebung des Volks und die Erringung nationaler Selbstständigkeit nach blutigem Kampf. Da er den bedeutendsten jetzt lebenden Personen Rollen in dem Nachtstück austheilt, so fehlt es an pikanten Anspielungen und beißenden Ausfällen nicht. Namentlich ist die zweite Abtheilung ironisch ausgefallen, und geschildert, wie einer oder der andere der jetzigen Russomanen unter der russischen Herrschaft zu Macht und Ansehen gelangt. - Am Reichstag schleppen sich die Sachen langsam hin, so daß man kein rechtes Ende absieht. Die Regierung zeigt sich für manche Oppositionsäußerungen im hohem Grade empfindlich, und in dieser Beziehung hat namentlich ein Ausflug, den etliche 20 Reichstagsmitglieder vom Bauernstand nach der Feste Waxholm machten, wo sie den Assessor Crusenstolpe, der wegen Preßvergehen dort gefangen sitzt, besuchten, zu spöttischen und bittern Bemerkungen das Oppositionsblätter Anlaß gegeben.

um sich über die Veränderungen des Grundgesetzes speciell zu berathen, und so mußte der Weg zu einer theilweisen Veränderung angebahnt werden. Indeß hat man sich auch auf diese Anbahnung beschränkt, eines Theils weil zu einer positiven Veränderung keine Zeit mehr war, andern Theils weil die Mehrzahl der Mitglieder auch nicht dahin zu bringen gewesen wäre, bei dem Mißtrauen, das man immer noch in die Regierung und in die erste Kammer setzt, über eine mäßige positive Veränderung sich definitiv auszusprechen. Ein anderer Grund mußte mitwirken. Ich habe Ihnen vor einiger Zeit von einem Aufruf des Hrn. Donker Curtius gesprochen, der alle Freunde directer Wahlen aufforderte, zur Erreichung derselben alle Kräfte anzustrengen. Das erste Mittel sollte seyn, daß Niemand mehr sein Stimmrecht bei den Wahlen zu den städtischen Behörden und den Provincialstaaten ausübe, sondern sämmtliche unausgefüllte Stimmzettel mit der Forderung um directe Wahlen an die Generalstaaten eingeschickt werden sollten. Dieser gefährliche Vorschlag scheint durch den jetzt gefaßten Beschluß der Generalstaaten beseitigt, indem es jetzt im Interesse aller Freunde directer Wahlen ist, bei der Wahl der Provincialstaaten dahin mitzuwirken, daß die Mehrzahl der Mitglieder einer Veränderung des Wahlgesetzes sich geneigt zeige. Ist dieß der Fall, dann folgt eine Veränderung von selbst.

Schweiz.

Der Cretinismus.

Ihre Schweizer Correspondenten lassen es nicht an Nachrichten über unser politisches Leben und Treiben fehlen, während von den wissenschaftlichen und gemeinnützigen Bestrebungen nur selten Erwähnung geschieht. Diese Lücke wollen wir nun heute durch eine Angelegenheit ausfüllen, welche dieser Tage vor der allgemeinen schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft zu Frauenfeld zur Sprache kam. Außer ihren Verhandlungen über das Armen- und Pönitenzwesen wurde nämlich dieselbe von Dr. Guggenbühl, bekannt durch seine Untersuchung über den „Alpenstich“, zur Theilnahme an seinen Bestrebungen für die Tilgung des Cretinismus in Anspruch genommen. Die einfache Thatsache, daß jenes furchtbare Uebel eine gewisse Meeres höhe nicht übersteigt, und das kindliche Alter nur innerhalb einer bestimmten Lebensperiode zu der Entartung disponirt ist, führte zunächst auf den Gedanken der Ortsversetzung als Vorbauungs- und Heilmittel hin. Wirklich sah Dr. Guggenbühl, welcher selbst in einer mit Cretinismus behafteten Gegend längere Zeit gelebt, und alle seine verschiedenen Standorte besucht hat, Fälle gelungener Heilung, welche die Möglichkeit außer allen Zweifel setzen. Sein erster Vorschlag geht demnach dahin, eine Colonie auf einer geeigneten Gebirgshöhe zu begründen, die eine heilende Zufluchtsstätte diesen Unglücklichen gewähren soll. Fellenberg könnte auch hier in seinem einzigen Erziehungsstaate mit einem Muster voranleuchten, da die Ausrottung des Cretinismus ganz wesentlich in das Gebiet der Nationalpädagogik fällt. Von diesem Gesichtspunkt aus entwickelte Dr. Guggenbühl die Ursachen, und wies die Möglichkeit ihrer Besiegung nebst den Mitteln und Wegen dazu nach. Da ein umfassendes Werk über das Ganze erscheinen wird, so können wir diese Punkte hier übergehen, und wünschen nur, daß dasselbe überall, wo der so weitverbreitete Zustand herrscht, gute Früchte tragen möge! Die gemeinnützige Gesellschaft beschloß hierauf, in voller Anerkennung des Eifers des verdienten Arztes, noch die naturforschende Societät mit ins Interesse zu ziehen, um sich dann weiter zu entscheiden. Es war gerade am Vorabend der großen politischen Ereignisse, als der unvergeßliche Paul Usteri vor derselben Versammlung die Sache in Anregung brachte, was aber durch den Tod des hochverdienten Mannes erfolglos blieb. Um so mehr steht jetzt für die Menschheitsangelegenheit zu hoffen, da ein Mann erstanden, der sich dieselbe zur eigentlichen Lebensaufgabe macht. Wenn auch weniger glänzend als Jenners Vertilgung der Pocken oder Bulards angestrebte Bekämpfung der Pest, wird doch die Unternehmung von segensvoller Wirkung für das Wohl der Menschheit seyn.

Der Reisende Dr. Tschudy.

Die Allgem. Zeitung hat schon einigemal über den Naturforscher Tschudy aus Glarus berichtet, der vor einigen Jahren, mit viertausend Franken Unterstützung von Sr. Maj. dem König von Preußen und andern ehrenwerthen Männern, auf dem Edmond nach Lima ging, um von da Excursionen in die Cordilleren und das Land zu machen, die gesammelten naturhistorischen Gegenstände aber dem hiesigen Museum zu übersenden. Seitdem ist ein bedeutender Transport angekommen, und ganz vor kurzem trafen gute Nachrichten von ihm hier ein. Er ist noch immer in den Gebirgen Peru's, und da er das ihm mitgegebene Geld aufgezehrt hat, so lebt er jetzt von der Jagd und wartet auf neue Unterstützung, die schon für ihn unterwegs ist. In der Regenzeit hatte er viel zu leiden vom Mangel an Obdach und selbst von Hunger. Dadurch ließ er jedoch seinen Eifer nicht erkalten. Seit seinem letzten Brief hat sich seine Sammlung für unser Museum sehr vermehrt, denn er kündigt siebenzig Säugethiere, mehr denn fünfhundert Vögel, Reptilien, Fische, tausend einhundert Käfer, zweihundert Schmetterlinge und hundert Muschelthiere, mit vielem anderm Merkwürdigen an Pflanzen und selbst an Fossilien an. Die ihm zugesandten Unterstützungen werden Hrn. Tschudy in den Stand setzen, mit seiner reichen Beute sich einzuschiffen und nach Europa zurückzukehren.

Schweden.

Ich kann nicht umhin, einer kleinen Schrift zu erwähnen, die im Augenblick ein gewisses Aufsehen macht und die hiesige Stimmung bezeichnet. Vor einigen Tagen erschien von einem bekannten Novellisten, Namens G. M. Mellin, ein Buch unter dem Titel: „Schwedens letzter Kampf. Ein phantastisches Nachtstück.“ Es zerfällt in mehrere Tableaux. Das erste schildert die Eroberung Schwedens durch die Russen nach einem hartnäckigen Kampfe; das zweite enthält eine Schilderung des Zustands von Schweden unter russischer Herrschaft, der dritte Abschnitt die Wiedererhebung des Volks und die Erringung nationaler Selbstständigkeit nach blutigem Kampf. Da er den bedeutendsten jetzt lebenden Personen Rollen in dem Nachtstück austheilt, so fehlt es an pikanten Anspielungen und beißenden Ausfällen nicht. Namentlich ist die zweite Abtheilung ironisch ausgefallen, und geschildert, wie einer oder der andere der jetzigen Russomanen unter der russischen Herrschaft zu Macht und Ansehen gelangt. – Am Reichstag schleppen sich die Sachen langsam hin, so daß man kein rechtes Ende absieht. Die Regierung zeigt sich für manche Oppositionsäußerungen im hohem Grade empfindlich, und in dieser Beziehung hat namentlich ein Ausflug, den etliche 20 Reichstagsmitglieder vom Bauernstand nach der Feste Waxholm machten, wo sie den Assessor Crusenstolpe, der wegen Preßvergehen dort gefangen sitzt, besuchten, zu spöttischen und bittern Bemerkungen das Oppositionsblätter Anlaß gegeben.

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[1366/0014] um sich über die Veränderungen des Grundgesetzes speciell zu berathen, und so mußte der Weg zu einer theilweisen Veränderung angebahnt werden. Indeß hat man sich auch auf diese Anbahnung beschränkt, eines Theils weil zu einer positiven Veränderung keine Zeit mehr war, andern Theils weil die Mehrzahl der Mitglieder auch nicht dahin zu bringen gewesen wäre, bei dem Mißtrauen, das man immer noch in die Regierung und in die erste Kammer setzt, über eine mäßige positive Veränderung sich definitiv auszusprechen. Ein anderer Grund mußte mitwirken. Ich habe Ihnen vor einiger Zeit von einem Aufruf des Hrn. Donker Curtius gesprochen, der alle Freunde directer Wahlen aufforderte, zur Erreichung derselben alle Kräfte anzustrengen. Das erste Mittel sollte seyn, daß Niemand mehr sein Stimmrecht bei den Wahlen zu den städtischen Behörden und den Provincialstaaten ausübe, sondern sämmtliche unausgefüllte Stimmzettel mit der Forderung um directe Wahlen an die Generalstaaten eingeschickt werden sollten. Dieser gefährliche Vorschlag scheint durch den jetzt gefaßten Beschluß der Generalstaaten beseitigt, indem es jetzt im Interesse aller Freunde directer Wahlen ist, bei der Wahl der Provincialstaaten dahin mitzuwirken, daß die Mehrzahl der Mitglieder einer Veränderung des Wahlgesetzes sich geneigt zeige. Ist dieß der Fall, dann folgt eine Veränderung von selbst. Schweiz. Der Cretinismus. _ Bern. Ihre Schweizer Correspondenten lassen es nicht an Nachrichten über unser politisches Leben und Treiben fehlen, während von den wissenschaftlichen und gemeinnützigen Bestrebungen nur selten Erwähnung geschieht. Diese Lücke wollen wir nun heute durch eine Angelegenheit ausfüllen, welche dieser Tage vor der allgemeinen schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft zu Frauenfeld zur Sprache kam. Außer ihren Verhandlungen über das Armen- und Pönitenzwesen wurde nämlich dieselbe von Dr. Guggenbühl, bekannt durch seine Untersuchung über den „Alpenstich“, zur Theilnahme an seinen Bestrebungen für die Tilgung des Cretinismus in Anspruch genommen. Die einfache Thatsache, daß jenes furchtbare Uebel eine gewisse Meeres höhe nicht übersteigt, und das kindliche Alter nur innerhalb einer bestimmten Lebensperiode zu der Entartung disponirt ist, führte zunächst auf den Gedanken der Ortsversetzung als Vorbauungs- und Heilmittel hin. Wirklich sah Dr. Guggenbühl, welcher selbst in einer mit Cretinismus behafteten Gegend längere Zeit gelebt, und alle seine verschiedenen Standorte besucht hat, Fälle gelungener Heilung, welche die Möglichkeit außer allen Zweifel setzen. Sein erster Vorschlag geht demnach dahin, eine Colonie auf einer geeigneten Gebirgshöhe zu begründen, die eine heilende Zufluchtsstätte diesen Unglücklichen gewähren soll. Fellenberg könnte auch hier in seinem einzigen Erziehungsstaate mit einem Muster voranleuchten, da die Ausrottung des Cretinismus ganz wesentlich in das Gebiet der Nationalpädagogik fällt. Von diesem Gesichtspunkt aus entwickelte Dr. Guggenbühl die Ursachen, und wies die Möglichkeit ihrer Besiegung nebst den Mitteln und Wegen dazu nach. Da ein umfassendes Werk über das Ganze erscheinen wird, so können wir diese Punkte hier übergehen, und wünschen nur, daß dasselbe überall, wo der so weitverbreitete Zustand herrscht, gute Früchte tragen möge! Die gemeinnützige Gesellschaft beschloß hierauf, in voller Anerkennung des Eifers des verdienten Arztes, noch die naturforschende Societät mit ins Interesse zu ziehen, um sich dann weiter zu entscheiden. Es war gerade am Vorabend der großen politischen Ereignisse, als der unvergeßliche Paul Usteri vor derselben Versammlung die Sache in Anregung brachte, was aber durch den Tod des hochverdienten Mannes erfolglos blieb. Um so mehr steht jetzt für die Menschheitsangelegenheit zu hoffen, da ein Mann erstanden, der sich dieselbe zur eigentlichen Lebensaufgabe macht. Wenn auch weniger glänzend als Jenners Vertilgung der Pocken oder Bulards angestrebte Bekämpfung der Pest, wird doch die Unternehmung von segensvoller Wirkung für das Wohl der Menschheit seyn. Der Reisende Dr. Tschudy. _ Vom Neuchateler See, 12 Jun. Die Allgem. Zeitung hat schon einigemal über den Naturforscher Tschudy aus Glarus berichtet, der vor einigen Jahren, mit viertausend Franken Unterstützung von Sr. Maj. dem König von Preußen und andern ehrenwerthen Männern, auf dem Edmond nach Lima ging, um von da Excursionen in die Cordilleren und das Land zu machen, die gesammelten naturhistorischen Gegenstände aber dem hiesigen Museum zu übersenden. Seitdem ist ein bedeutender Transport angekommen, und ganz vor kurzem trafen gute Nachrichten von ihm hier ein. Er ist noch immer in den Gebirgen Peru's, und da er das ihm mitgegebene Geld aufgezehrt hat, so lebt er jetzt von der Jagd und wartet auf neue Unterstützung, die schon für ihn unterwegs ist. In der Regenzeit hatte er viel zu leiden vom Mangel an Obdach und selbst von Hunger. Dadurch ließ er jedoch seinen Eifer nicht erkalten. Seit seinem letzten Brief hat sich seine Sammlung für unser Museum sehr vermehrt, denn er kündigt siebenzig Säugethiere, mehr denn fünfhundert Vögel, Reptilien, Fische, tausend einhundert Käfer, zweihundert Schmetterlinge und hundert Muschelthiere, mit vielem anderm Merkwürdigen an Pflanzen und selbst an Fossilien an. Die ihm zugesandten Unterstützungen werden Hrn. Tschudy in den Stand setzen, mit seiner reichen Beute sich einzuschiffen und nach Europa zurückzukehren. Schweden. _ Stockholm, 2 Jun. Ich kann nicht umhin, einer kleinen Schrift zu erwähnen, die im Augenblick ein gewisses Aufsehen macht und die hiesige Stimmung bezeichnet. Vor einigen Tagen erschien von einem bekannten Novellisten, Namens G. M. Mellin, ein Buch unter dem Titel: „Schwedens letzter Kampf. Ein phantastisches Nachtstück.“ Es zerfällt in mehrere Tableaux. Das erste schildert die Eroberung Schwedens durch die Russen nach einem hartnäckigen Kampfe; das zweite enthält eine Schilderung des Zustands von Schweden unter russischer Herrschaft, der dritte Abschnitt die Wiedererhebung des Volks und die Erringung nationaler Selbstständigkeit nach blutigem Kampf. Da er den bedeutendsten jetzt lebenden Personen Rollen in dem Nachtstück austheilt, so fehlt es an pikanten Anspielungen und beißenden Ausfällen nicht. Namentlich ist die zweite Abtheilung ironisch ausgefallen, und geschildert, wie einer oder der andere der jetzigen Russomanen unter der russischen Herrschaft zu Macht und Ansehen gelangt. – Am Reichstag schleppen sich die Sachen langsam hin, so daß man kein rechtes Ende absieht. Die Regierung zeigt sich für manche Oppositionsäußerungen im hohem Grade empfindlich, und in dieser Beziehung hat namentlich ein Ausflug, den etliche 20 Reichstagsmitglieder vom Bauernstand nach der Feste Waxholm machten, wo sie den Assessor Crusenstolpe, der wegen Preßvergehen dort gefangen sitzt, besuchten, zu spöttischen und bittern Bemerkungen das Oppositionsblätter Anlaß gegeben.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 171. Augsburg, 19. Juni 1840, S. 1366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_171_18400619/14>, abgerufen am 30.03.2024.