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Allgemeine Zeitung. Nr. 167. Augsburg, 15. Juni 1840.

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wenig mehr als eine Schwierigkeit in der Leitung der Kammer, und ihre täglichen Reden und Zeitungsartikel über politische Rechtlichkeit haben zu nichts geführt. Die einzige politische Idee, welche die Partei hatte, war die der Decentralisation, und das Resultat war, daß sie dem diesem System feindlichsten Minister sich anschlossen. - Die Regierung scheint in der Wahl des Erzbischofs von Paris glücklich gewesen zu seyn. Der Abbe Affre war früher Mitglied des erzbischöflichen Raths, und theilte daher mit dem letzten Erzbischof die Unpopularität, in welcher dieser bei der Stadt und der Geistlichkeit hier gestanden war. Aber man wußte nicht, daß Affre die Meinungen des Erzbischofs selten getheilt hatte, und dieser ihn auf alle Art vernachlässigte und kränkte, denn Affre hielt sich gegen das Capitel verpflichtet, nie zu erzählen was im Rath vorkam, und eher die unverdiente Unpopularität zu tragen. Als der Erzbischof sich in dem Streite um das Terrain seines ehemaligen Palastes mit der Stadt in Widerspruch setzte, und durch den Staatsrath dabei verurtheilt wurde, fand er sich durch den Spruch überaus gekränkt, und wünschte in einer öffentlichen Schrift seine Ansprüche zu rechtfertigen. Er selbst war außer Stand sie zu schreiben, und außer Affre fand sich im Rath auch Niemand, der hätte die Feder führen können. Der Erzbischof wagte nun nicht es von diesem zu verlangen, aber Affre that es freiwillig und ließ eine Vertheidigung drucken, welche aller Wahrscheinlichkeit nach ihn auf immer bei dem Stadtrath und bei dem Staatsrath in Ungnade bringen mußte, und ihn seine bischöfliche Carriere kosten konnte; sie war auch wirklich eine der größten Schwierigkeiten, die sich seiner Erhebung auf den erzbischöflichen Stuhl entgegen setzten. Seine Ansichten sind gemäßigt, und weit entfernt von der kleinlichen Feindseligkeit seines Vorgängers gegen die neue Ordnung der Dinge, und seiner Furchtsamkeit bei der geringsten Gefahr. Es war bei der zunehmenden religiösen Tendenz von großer Wichtigkeit, einen Mann von Charakter, der dabei nicht fanatisch ist, zum Erzbischof zu finden. Affre ist streng gallicanisch, während eine eigene Art sentimental ultramontanischen Geistes in einem Theil des Publicums und des Clerus herrscht. Es wäre zu wünschen, daß er seine Stellung benützte, die Studien des französischen Clerus wieder zu heben, denn theologische Studien existiren so gut als gar nicht, und wenn es gelehrte katholische Geistliche in Frankreich gibt, so haben sie wenigstens sich sehr ruhig verhalten. Man hatte unter der Restauration diesen Mangel gefühlt, und wollte eine hohe Schule für theologische Studien zur Bildung von Bischöfen gründen, aber der damalige hohe Clerus hatte wenig Sinn dafür und glaubte, daß die Gunst des Hofes hinreichend sey, der Kirche die Stellung wieder zu geben, welche sie verloren hatte.

Nach dem gestrigen Journal von St. Etienne sind die Herzoge von Orleans und Aumale durch diese Stadt gekommen. Vor der Post ausgestiegen, wurden sie von den Autoritäten begrüßt, um welche das Volk aller Classen sich versammelt hatte. Der Prinz bat die Herren sich zu bedecken. "Sie verbinden mich sehr, sagte er huldreich, ich will mit gutem Beispiel vorangehen." Darauf hatte eine zwanglose Unterhaltung zwischen dem Prinzen und den Anwesenden statt, worin von der Expedition, dem Abd-El-Kader, der Tapferkeit, den Gefahren und Beschwerden der Soldaten die Rede war. "An diesen Gefahren sind wir ein wenig selbst Schuld, sagte der Prinz. Wenn der Emir heute über 4000 Mann regelmäßige, nach französischer Weise geübte Truppen gebietet, die wie Franzosen manöuvriren, wenn er außerdem noch 10,000 Araber bei sich hat, welche, aus Furcht fusilirt zu werden, ihm folgen, wenn er die Rolle eines starken und mächtigen Souveräns spielt, so haben wir's nicht besser gewollt. Durch unsere Tractate mit Abd-El-Kader haben wir so zu sagen eine Festung, bloß um uns das Vergnügen zu machen sie zu stürmen, gegen uns erhoben. Wir haben bei den Soldaten Abd-El-Kaders den Zahletat mit einer so großen Regelmäßigkeit ausgefertigt gefunden, als unsere Fourriere nur immer ihn ausfertigen konnten. Aber was noch trauriger ist, wir haben eine große Menge französischer Munition, französischer und englischer Gewehre den Arabern abgenommen. Die englischen Gewehre gehörten den unregelmäßigen, aber die der regelmäßigen Truppen waren alle aus St. Etienne!" Nach dieser "Causerie" sind nach freundlichem Gruße die Prinzen eingestiegen und weiter gefahren.

Der Marschall ist am 2 von Algier wieder ins Feld gerückt. Das Wetter scheint die Expedition zu begünstigen. In den letzten Wochen waren die Araber nicht mehr in den Umgebungen von Algier erschienen, wahrscheinlich weil sie mit ihren Ernten beschäftigt waren. In den östlichen Provinzen ist die Ruhe hergestellt. Die Straße nach Constantine ist wieder ganz sicher. Die Expedition nach der Ebene von Medschana ist geendigt. General Galbois wird am 12 in Constantine und Obrist Lafontaine am 15 in Philippeville zurückerwartet.

Niederlande.

Schon am verwichenen Sonnabend haben sich die Abtheilungen der zweiten Kammer mit dem Vorschlag der HH. van Asch van Wyck, Corver Hooft und van Sytzama beschäftigt, indeß sind bereits so viel Mitglieder abgereist, daß es wohl zu keiner Entscheidung darüber vorerst kommen wird. Der Grund, weßhalb die Mitglieder forteilen, liegt vermuthlich darin, daß man über diesen Punkt des Wahlprincips sich nicht definitiv aussprechen will, ehe die erste Kammer sich über die bereits angenommenen Veränderungen des Grundgesetzes erklärt habe. Mehrere Mitglieder der zweiten Kammer haben ohne Rückhalt die Besorgniß ausgesprochen, die erste Kammer könnte diese Veränderungen, namentlich die Einführung der Ministerverantwortlichkeit verwerfen, und sich deßhalb für die in gedoppelter Anzahl versammelten Generalstaaten ihre Stimme vorbehalten. Die erste Kammer hat die Gesetzesvorschläge an ihre Abtheilungen verwiesen, und man sieht nun ihrer Entscheidung mit Verlangen entgegen. Sobald diese erfolgt ist, soll die gegenwärtige Sitzung der Kammer geschlossen werden.

Deutschland.

Auch die dießjährige Saison nimmt, und zwar um Vieles noch entschiedener als die vorige, schon in ihrem Beginnen die unzweifelhafte Färbung von gutem Ton und Eleganz an, welche das eben so charakteristische als anziehende Kennzeichen Badens nach der neuesten Gestaltung der Verhältnisse ausmacht, den gegenwärtigen Zustand von jenem der früheren Jahre so bedeutend unterscheidet, und dessen Hauptmerkmal darin besteht, daß die mehrfachen nationalen Unterscheidungen fast gar nicht mehr hervortreten, und nur noch sich geltend machen können, und dann freilich um so schärfer gezeichnet in die Augen springen, wo sich, mehr oder weniger Grade unter dem Niveau der eigentlichen Gesellschaft, die Coterien zweiten und dritten Ranges bilden, wie sie jedoch hier nicht mehr theils vorherrschen, theils sich den Rang streitig machen können, wie es wohl ehedem der Fall war, bevor das jetzige so entschiedene Verhältniß eintrat und jenes Uebergewicht zu behaupten vermochte, welches sich überall nur durch die Masse gewinnen läßt. Es gewährt einen eigenthümlich reizenden Anblick, wenn die gute Gesellschaft, statt von der Menge

wenig mehr als eine Schwierigkeit in der Leitung der Kammer, und ihre täglichen Reden und Zeitungsartikel über politische Rechtlichkeit haben zu nichts geführt. Die einzige politische Idee, welche die Partei hatte, war die der Decentralisation, und das Resultat war, daß sie dem diesem System feindlichsten Minister sich anschlossen. – Die Regierung scheint in der Wahl des Erzbischofs von Paris glücklich gewesen zu seyn. Der Abbé Affre war früher Mitglied des erzbischöflichen Raths, und theilte daher mit dem letzten Erzbischof die Unpopularität, in welcher dieser bei der Stadt und der Geistlichkeit hier gestanden war. Aber man wußte nicht, daß Affre die Meinungen des Erzbischofs selten getheilt hatte, und dieser ihn auf alle Art vernachlässigte und kränkte, denn Affre hielt sich gegen das Capitel verpflichtet, nie zu erzählen was im Rath vorkam, und eher die unverdiente Unpopularität zu tragen. Als der Erzbischof sich in dem Streite um das Terrain seines ehemaligen Palastes mit der Stadt in Widerspruch setzte, und durch den Staatsrath dabei verurtheilt wurde, fand er sich durch den Spruch überaus gekränkt, und wünschte in einer öffentlichen Schrift seine Ansprüche zu rechtfertigen. Er selbst war außer Stand sie zu schreiben, und außer Affre fand sich im Rath auch Niemand, der hätte die Feder führen können. Der Erzbischof wagte nun nicht es von diesem zu verlangen, aber Affre that es freiwillig und ließ eine Vertheidigung drucken, welche aller Wahrscheinlichkeit nach ihn auf immer bei dem Stadtrath und bei dem Staatsrath in Ungnade bringen mußte, und ihn seine bischöfliche Carriere kosten konnte; sie war auch wirklich eine der größten Schwierigkeiten, die sich seiner Erhebung auf den erzbischöflichen Stuhl entgegen setzten. Seine Ansichten sind gemäßigt, und weit entfernt von der kleinlichen Feindseligkeit seines Vorgängers gegen die neue Ordnung der Dinge, und seiner Furchtsamkeit bei der geringsten Gefahr. Es war bei der zunehmenden religiösen Tendenz von großer Wichtigkeit, einen Mann von Charakter, der dabei nicht fanatisch ist, zum Erzbischof zu finden. Affre ist streng gallicanisch, während eine eigene Art sentimental ultramontanischen Geistes in einem Theil des Publicums und des Clerus herrscht. Es wäre zu wünschen, daß er seine Stellung benützte, die Studien des französischen Clerus wieder zu heben, denn theologische Studien existiren so gut als gar nicht, und wenn es gelehrte katholische Geistliche in Frankreich gibt, so haben sie wenigstens sich sehr ruhig verhalten. Man hatte unter der Restauration diesen Mangel gefühlt, und wollte eine hohe Schule für theologische Studien zur Bildung von Bischöfen gründen, aber der damalige hohe Clerus hatte wenig Sinn dafür und glaubte, daß die Gunst des Hofes hinreichend sey, der Kirche die Stellung wieder zu geben, welche sie verloren hatte.

Nach dem gestrigen Journal von St. Etienne sind die Herzoge von Orleans und Aumale durch diese Stadt gekommen. Vor der Post ausgestiegen, wurden sie von den Autoritäten begrüßt, um welche das Volk aller Classen sich versammelt hatte. Der Prinz bat die Herren sich zu bedecken. „Sie verbinden mich sehr, sagte er huldreich, ich will mit gutem Beispiel vorangehen.“ Darauf hatte eine zwanglose Unterhaltung zwischen dem Prinzen und den Anwesenden statt, worin von der Expedition, dem Abd-El-Kader, der Tapferkeit, den Gefahren und Beschwerden der Soldaten die Rede war. „An diesen Gefahren sind wir ein wenig selbst Schuld, sagte der Prinz. Wenn der Emir heute über 4000 Mann regelmäßige, nach französischer Weise geübte Truppen gebietet, die wie Franzosen manöuvriren, wenn er außerdem noch 10,000 Araber bei sich hat, welche, aus Furcht fusilirt zu werden, ihm folgen, wenn er die Rolle eines starken und mächtigen Souveräns spielt, so haben wir's nicht besser gewollt. Durch unsere Tractate mit Abd-El-Kader haben wir so zu sagen eine Festung, bloß um uns das Vergnügen zu machen sie zu stürmen, gegen uns erhoben. Wir haben bei den Soldaten Abd-El-Kaders den Zahletat mit einer so großen Regelmäßigkeit ausgefertigt gefunden, als unsere Fourriere nur immer ihn ausfertigen konnten. Aber was noch trauriger ist, wir haben eine große Menge französischer Munition, französischer und englischer Gewehre den Arabern abgenommen. Die englischen Gewehre gehörten den unregelmäßigen, aber die der regelmäßigen Truppen waren alle aus St. Etienne!“ Nach dieser „Causerie“ sind nach freundlichem Gruße die Prinzen eingestiegen und weiter gefahren.

Der Marschall ist am 2 von Algier wieder ins Feld gerückt. Das Wetter scheint die Expedition zu begünstigen. In den letzten Wochen waren die Araber nicht mehr in den Umgebungen von Algier erschienen, wahrscheinlich weil sie mit ihren Ernten beschäftigt waren. In den östlichen Provinzen ist die Ruhe hergestellt. Die Straße nach Constantine ist wieder ganz sicher. Die Expedition nach der Ebene von Medschana ist geendigt. General Galbois wird am 12 in Constantine und Obrist Lafontaine am 15 in Philippeville zurückerwartet.

Niederlande.

Schon am verwichenen Sonnabend haben sich die Abtheilungen der zweiten Kammer mit dem Vorschlag der HH. van Asch van Wyck, Corver Hooft und van Sytzama beschäftigt, indeß sind bereits so viel Mitglieder abgereist, daß es wohl zu keiner Entscheidung darüber vorerst kommen wird. Der Grund, weßhalb die Mitglieder forteilen, liegt vermuthlich darin, daß man über diesen Punkt des Wahlprincips sich nicht definitiv aussprechen will, ehe die erste Kammer sich über die bereits angenommenen Veränderungen des Grundgesetzes erklärt habe. Mehrere Mitglieder der zweiten Kammer haben ohne Rückhalt die Besorgniß ausgesprochen, die erste Kammer könnte diese Veränderungen, namentlich die Einführung der Ministerverantwortlichkeit verwerfen, und sich deßhalb für die in gedoppelter Anzahl versammelten Generalstaaten ihre Stimme vorbehalten. Die erste Kammer hat die Gesetzesvorschläge an ihre Abtheilungen verwiesen, und man sieht nun ihrer Entscheidung mit Verlangen entgegen. Sobald diese erfolgt ist, soll die gegenwärtige Sitzung der Kammer geschlossen werden.

Deutschland.

Auch die dießjährige Saison nimmt, und zwar um Vieles noch entschiedener als die vorige, schon in ihrem Beginnen die unzweifelhafte Färbung von gutem Ton und Eleganz an, welche das eben so charakteristische als anziehende Kennzeichen Badens nach der neuesten Gestaltung der Verhältnisse ausmacht, den gegenwärtigen Zustand von jenem der früheren Jahre so bedeutend unterscheidet, und dessen Hauptmerkmal darin besteht, daß die mehrfachen nationalen Unterscheidungen fast gar nicht mehr hervortreten, und nur noch sich geltend machen können, und dann freilich um so schärfer gezeichnet in die Augen springen, wo sich, mehr oder weniger Grade unter dem Niveau der eigentlichen Gesellschaft, die Coterien zweiten und dritten Ranges bilden, wie sie jedoch hier nicht mehr theils vorherrschen, theils sich den Rang streitig machen können, wie es wohl ehedem der Fall war, bevor das jetzige so entschiedene Verhältniß eintrat und jenes Uebergewicht zu behaupten vermochte, welches sich überall nur durch die Masse gewinnen läßt. Es gewährt einen eigenthümlich reizenden Anblick, wenn die gute Gesellschaft, statt von der Menge

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wenig mehr als eine Schwierigkeit in der Leitung der Kammer, und ihre täglichen Reden und Zeitungsartikel über politische Rechtlichkeit haben zu nichts geführt. Die einzige politische Idee, welche die Partei hatte, war die der Decentralisation, und das Resultat war, daß sie dem diesem System feindlichsten Minister sich anschlossen. &#x2013; Die Regierung scheint in der Wahl des Erzbischofs von Paris glücklich gewesen zu seyn. Der Abbé Affre war früher Mitglied des erzbischöflichen Raths, und theilte daher mit dem letzten Erzbischof die Unpopularität, in welcher dieser bei der Stadt und der Geistlichkeit hier gestanden war. Aber man wußte nicht, daß Affre die Meinungen des Erzbischofs selten getheilt hatte, und dieser ihn auf alle Art vernachlässigte und kränkte, denn Affre hielt sich gegen das Capitel verpflichtet, nie zu erzählen was im Rath vorkam, und eher die unverdiente Unpopularität zu tragen. Als der Erzbischof sich in dem Streite um das Terrain seines ehemaligen Palastes mit der Stadt in Widerspruch setzte, und durch den Staatsrath dabei verurtheilt wurde, fand er sich durch den Spruch überaus gekränkt, und wünschte in einer öffentlichen Schrift seine Ansprüche zu rechtfertigen. Er selbst war außer Stand sie zu schreiben, und außer Affre fand sich im Rath auch Niemand, der hätte die Feder führen können. Der Erzbischof wagte nun nicht es von diesem zu verlangen, aber Affre that es freiwillig und ließ eine Vertheidigung drucken, welche aller Wahrscheinlichkeit nach ihn auf immer bei dem Stadtrath und bei dem Staatsrath in Ungnade bringen mußte, und ihn seine bischöfliche Carriere kosten konnte; sie war auch wirklich eine der größten Schwierigkeiten, die sich seiner Erhebung auf den erzbischöflichen Stuhl entgegen setzten. Seine Ansichten sind gemäßigt, und weit entfernt von der kleinlichen Feindseligkeit seines Vorgängers gegen die neue Ordnung der Dinge, und seiner Furchtsamkeit bei der geringsten Gefahr. Es war bei der zunehmenden religiösen Tendenz von großer Wichtigkeit, einen Mann von Charakter, der dabei nicht fanatisch ist, zum Erzbischof zu finden. Affre ist streng gallicanisch, während eine eigene Art sentimental ultramontanischen Geistes in einem Theil des Publicums und des Clerus herrscht. Es wäre zu wünschen, daß er seine Stellung benützte, die Studien des französischen Clerus wieder zu heben, denn theologische Studien existiren so gut als gar nicht, und wenn es gelehrte katholische Geistliche in Frankreich gibt, so haben sie wenigstens sich sehr ruhig verhalten. Man hatte unter der Restauration diesen Mangel gefühlt, und wollte eine hohe Schule für theologische Studien zur Bildung von Bischöfen gründen, aber der damalige hohe Clerus hatte wenig Sinn dafür und glaubte, daß die Gunst des Hofes hinreichend sey, der Kirche die Stellung wieder zu geben, welche sie verloren hatte.</p>
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[1332/0004] wenig mehr als eine Schwierigkeit in der Leitung der Kammer, und ihre täglichen Reden und Zeitungsartikel über politische Rechtlichkeit haben zu nichts geführt. Die einzige politische Idee, welche die Partei hatte, war die der Decentralisation, und das Resultat war, daß sie dem diesem System feindlichsten Minister sich anschlossen. – Die Regierung scheint in der Wahl des Erzbischofs von Paris glücklich gewesen zu seyn. Der Abbé Affre war früher Mitglied des erzbischöflichen Raths, und theilte daher mit dem letzten Erzbischof die Unpopularität, in welcher dieser bei der Stadt und der Geistlichkeit hier gestanden war. Aber man wußte nicht, daß Affre die Meinungen des Erzbischofs selten getheilt hatte, und dieser ihn auf alle Art vernachlässigte und kränkte, denn Affre hielt sich gegen das Capitel verpflichtet, nie zu erzählen was im Rath vorkam, und eher die unverdiente Unpopularität zu tragen. Als der Erzbischof sich in dem Streite um das Terrain seines ehemaligen Palastes mit der Stadt in Widerspruch setzte, und durch den Staatsrath dabei verurtheilt wurde, fand er sich durch den Spruch überaus gekränkt, und wünschte in einer öffentlichen Schrift seine Ansprüche zu rechtfertigen. Er selbst war außer Stand sie zu schreiben, und außer Affre fand sich im Rath auch Niemand, der hätte die Feder führen können. Der Erzbischof wagte nun nicht es von diesem zu verlangen, aber Affre that es freiwillig und ließ eine Vertheidigung drucken, welche aller Wahrscheinlichkeit nach ihn auf immer bei dem Stadtrath und bei dem Staatsrath in Ungnade bringen mußte, und ihn seine bischöfliche Carriere kosten konnte; sie war auch wirklich eine der größten Schwierigkeiten, die sich seiner Erhebung auf den erzbischöflichen Stuhl entgegen setzten. Seine Ansichten sind gemäßigt, und weit entfernt von der kleinlichen Feindseligkeit seines Vorgängers gegen die neue Ordnung der Dinge, und seiner Furchtsamkeit bei der geringsten Gefahr. Es war bei der zunehmenden religiösen Tendenz von großer Wichtigkeit, einen Mann von Charakter, der dabei nicht fanatisch ist, zum Erzbischof zu finden. Affre ist streng gallicanisch, während eine eigene Art sentimental ultramontanischen Geistes in einem Theil des Publicums und des Clerus herrscht. Es wäre zu wünschen, daß er seine Stellung benützte, die Studien des französischen Clerus wieder zu heben, denn theologische Studien existiren so gut als gar nicht, und wenn es gelehrte katholische Geistliche in Frankreich gibt, so haben sie wenigstens sich sehr ruhig verhalten. Man hatte unter der Restauration diesen Mangel gefühlt, und wollte eine hohe Schule für theologische Studien zur Bildung von Bischöfen gründen, aber der damalige hohe Clerus hatte wenig Sinn dafür und glaubte, daß die Gunst des Hofes hinreichend sey, der Kirche die Stellung wieder zu geben, welche sie verloren hatte. _ Lyon, 8 Jun. Nach dem gestrigen Journal von St. Etienne sind die Herzoge von Orleans und Aumale durch diese Stadt gekommen. Vor der Post ausgestiegen, wurden sie von den Autoritäten begrüßt, um welche das Volk aller Classen sich versammelt hatte. Der Prinz bat die Herren sich zu bedecken. „Sie verbinden mich sehr, sagte er huldreich, ich will mit gutem Beispiel vorangehen.“ Darauf hatte eine zwanglose Unterhaltung zwischen dem Prinzen und den Anwesenden statt, worin von der Expedition, dem Abd-El-Kader, der Tapferkeit, den Gefahren und Beschwerden der Soldaten die Rede war. „An diesen Gefahren sind wir ein wenig selbst Schuld, sagte der Prinz. Wenn der Emir heute über 4000 Mann regelmäßige, nach französischer Weise geübte Truppen gebietet, die wie Franzosen manöuvriren, wenn er außerdem noch 10,000 Araber bei sich hat, welche, aus Furcht fusilirt zu werden, ihm folgen, wenn er die Rolle eines starken und mächtigen Souveräns spielt, so haben wir's nicht besser gewollt. Durch unsere Tractate mit Abd-El-Kader haben wir so zu sagen eine Festung, bloß um uns das Vergnügen zu machen sie zu stürmen, gegen uns erhoben. Wir haben bei den Soldaten Abd-El-Kaders den Zahletat mit einer so großen Regelmäßigkeit ausgefertigt gefunden, als unsere Fourriere nur immer ihn ausfertigen konnten. Aber was noch trauriger ist, wir haben eine große Menge französischer Munition, französischer und englischer Gewehre den Arabern abgenommen. Die englischen Gewehre gehörten den unregelmäßigen, aber die der regelmäßigen Truppen waren alle aus St. Etienne!“ Nach dieser „Causerie“ sind nach freundlichem Gruße die Prinzen eingestiegen und weiter gefahren. _ Toulon, 9 Jun. Der Marschall ist am 2 von Algier wieder ins Feld gerückt. Das Wetter scheint die Expedition zu begünstigen. In den letzten Wochen waren die Araber nicht mehr in den Umgebungen von Algier erschienen, wahrscheinlich weil sie mit ihren Ernten beschäftigt waren. In den östlichen Provinzen ist die Ruhe hergestellt. Die Straße nach Constantine ist wieder ganz sicher. Die Expedition nach der Ebene von Medschana ist geendigt. General Galbois wird am 12 in Constantine und Obrist Lafontaine am 15 in Philippeville zurückerwartet. Niederlande. _ Vom Niederrhein, 9 Jun. Schon am verwichenen Sonnabend haben sich die Abtheilungen der zweiten Kammer mit dem Vorschlag der HH. van Asch van Wyck, Corver Hooft und van Sytzama beschäftigt, indeß sind bereits so viel Mitglieder abgereist, daß es wohl zu keiner Entscheidung darüber vorerst kommen wird. Der Grund, weßhalb die Mitglieder forteilen, liegt vermuthlich darin, daß man über diesen Punkt des Wahlprincips sich nicht definitiv aussprechen will, ehe die erste Kammer sich über die bereits angenommenen Veränderungen des Grundgesetzes erklärt habe. Mehrere Mitglieder der zweiten Kammer haben ohne Rückhalt die Besorgniß ausgesprochen, die erste Kammer könnte diese Veränderungen, namentlich die Einführung der Ministerverantwortlichkeit verwerfen, und sich deßhalb für die in gedoppelter Anzahl versammelten Generalstaaten ihre Stimme vorbehalten. Die erste Kammer hat die Gesetzesvorschläge an ihre Abtheilungen verwiesen, und man sieht nun ihrer Entscheidung mit Verlangen entgegen. Sobald diese erfolgt ist, soll die gegenwärtige Sitzung der Kammer geschlossen werden. Deutschland. _ Baden-Baden, 8 Jun. Auch die dießjährige Saison nimmt, und zwar um Vieles noch entschiedener als die vorige, schon in ihrem Beginnen die unzweifelhafte Färbung von gutem Ton und Eleganz an, welche das eben so charakteristische als anziehende Kennzeichen Badens nach der neuesten Gestaltung der Verhältnisse ausmacht, den gegenwärtigen Zustand von jenem der früheren Jahre so bedeutend unterscheidet, und dessen Hauptmerkmal darin besteht, daß die mehrfachen nationalen Unterscheidungen fast gar nicht mehr hervortreten, und nur noch sich geltend machen können, und dann freilich um so schärfer gezeichnet in die Augen springen, wo sich, mehr oder weniger Grade unter dem Niveau der eigentlichen Gesellschaft, die Coterien zweiten und dritten Ranges bilden, wie sie jedoch hier nicht mehr theils vorherrschen, theils sich den Rang streitig machen können, wie es wohl ehedem der Fall war, bevor das jetzige so entschiedene Verhältniß eintrat und jenes Uebergewicht zu behaupten vermochte, welches sich überall nur durch die Masse gewinnen läßt. Es gewährt einen eigenthümlich reizenden Anblick, wenn die gute Gesellschaft, statt von der Menge

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 167. Augsburg, 15. Juni 1840, S. 1332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_167_18400615/4>, abgerufen am 26.04.2024.