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Allgemeine Zeitung. Nr. 151. Augsburg, 30. Mai 1840.

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unfehlbar in völlige Bedeutungslosigkeit zurückfallen, wenn sie nicht muthig vorwärts gehen wollte. In der nächsten Zukunft werden ohne Zweifel noch wichtige Veränderungen unter den vornehmsten Staatsdienern bekannt werden. Vielleicht wünschte Europa der türkischen Regierung aufrichtig Glück zu dem Wege, welchen dieselbe seit mehreren Jahren betreten hatte, und vorzüglich zu der Richtung, welche der berühmte Hattischerif vom 3 Nov. v. J. bezeichnete. In dem Fall wird Europa wohl nicht ohne Besorgniß für die Türkei der nächsten Zukunft entgegen sehen, welche alle diese schönen Neuerungen zu bedrohen scheint. Solche Besorgniß ist aber, fürs erste wenigstens, noch ungegründet. Die Anhänger und Vorkämpfer der aufstrebenden Partei haben bereits mehrfache Beweise gegeben, daß sie das wahre (leider nur wenige) Gute, was ihnen aus Europa und durch Europäer zugekommen ist, wohl zu schätzen wissen; sie kämpfen nur gegen die nichtige Nachäffung äußerer Formen an. Wenn sie an das Regiment kommen, wird zwar Europa keine pomphaften hohlen Floskeln mehr zu lesen erhalten, aber in der Stille dürfte für das Wohl des Staats manches wirklich Gute geschehen. Da Mustapha Pascha, der neue Seraskier, nicht in der Hauptstadt anwesend ist, so ist Achmet Fethi Pascha, der Handelsminister, einstweilen mit der Verwaltung des Kriegsministeriums beauftragt. Gestern und vorgestern sind noch mehrere Absetzungen von und Ernennungen zu Gouverneuren der Provinzen bekannt geworden, doch sind diese ohne Bedeutung.

Aegypten.

Hr. Waghorn, der sich bereits seit eilf Jahren in Aegypten befindet, und schon vor einigen Jahren eine Broschüre über die Stellung Englands zu Mehemed Ali herausgab, hat sich neuerdings wieder über denselben Gegenstand vernehmen lassen. Er ist der Meinung, wenn man Mehemed Ali mit Gewalt zu der verlangten Nachgiebigkeit zwingen wolle, so werde der Kampf schwieriger seyn, als man sich gewöhnlich einbilde; eben so wenig theilt Hr. Waghorn die gewöhnliche Ansicht, daß mit Mehemed Ali's Tode alles, was in Aegypten geschaffen worden, wieder zu Grunde gehen werde. Ueber diese beiden Punkte zu streiten, ist ganz unnütz, da nur der Erfolg darüber entscheiden kann, aber die auf lange Erfahrung sich gründende Meinung eines Mannes, wie Waghorn, verdient jedenfalls Beherzigung. Allein Waghorn spricht auch sehr deutlich die Folgerungen aus, welche aus diesen beiden Vordersätzen zu ziehen sind. Wenn Mehemed Ali's Macht wirklich so solid ist, dann ist es eine Thorheit sich ohne die dringendste Noth mit ihr zu überwerfen; Mehemed Ali ist jetzt die Stütze des türkischen Reichs, wird auch diese gebrochen, dann fällt es ohne unwiederbringlich in die Gewalt Rußlands. Nur eine Versöhnung des Sultans und Mehemed Ali's kann möglicher Weise die Türkei retten. England hat bisher immer eine feindliche Miene gegen ihn angenommen, und scheint geneigt, entschieden feindselig gegen ihn aufzutreten, aber Waghorn fragt: "Will man die türkische Flotte mit Gewalt zurückfordern? Das hieße einen Krieg mit der moslemitischen Bevölkerung Aegyptens beginnen, der nicht so schnell beendigt seyn würde, als Manche glauben. Glaubt man das türkische Reich vor der Besitznahme durch die Russen zu retten, indem man Mehemed Ali durch ein zweites "untoward event" von seiner Höhe herunterstürzt? Würde die Zerstörung der türkischen und ägyptischen Flotte und die Zerstörung Alexandria's die Lage des Sultans verbessern? Im Gegentheil; dieß wäre unter den gegenwärtigen Umständen ein neuer Schlag für seine sinkende Macht." Die Folgerung hieraus ist deutlich: schließt Freundschaft mit Mehemed Ali, damit ihr euch mit ihm auch dem Umsichgreifen Rußlands im türkischen Reiche widersetzen könnt. Es handelt sich für England um den Weg über Aegypten, und um die Frage: soll England diesen Weg auf freundliche Weise durch Uebereinkunft mit Mehemed Ali suchen, oder soll es sich ihn erzwingen? Bis jetzt hat England im letzteren Sinne gehandelt, und Waghorn sucht, so viel an ihm ist, die englische Regierung von dieser Bahn abzubringen, die er den besten Interessen Englands zuwiderlaufend hält, wenn gleich Englands Stolz gekränkt seyn mag, gegen Mehemed Ali mit einemmal eine freundlichere Sprache zu führen.

Der englische Globe bemerkt über Waghorns Vorschläge: "Obwohl die Pforte schwerlich im Stande ist, selbst ihre Unabhängigkeit zu behaupten, so kann sie es doch mit der temporären Unterstützung ihrer Verbündeten. Wollten wir aber den Sultan der Hälfte seiner Länder berauben, um für Mehemed Ali ein neues Königthum unter dem Deckmantel "erblicher Regierung" zu stiften, so würden wir die Unabhängigkeit der Türkei ohne Hoffnung auf Wiederherstellung für immer zerstören. Mit einem neuen und mächtigen Nebenbuhler an der einen und noch stärkern Nachbarn an der andern Seite würde der Sultan bald in den Zustand des Hospodars der Wallachei herabsinken. Aus einer solchen Lage der Dinge würde dann alsobald Eifersucht und Streit unter den europäischen Mächten ausbrechen, indem nämlich einige die Türkei wie ein zweites Polen zu behandeln geneigt seyn möchten, die andern aber die Nothwendigkeit erkennen würden, eine solche Theilung auf alle Fälle zu verhindern."

unfehlbar in völlige Bedeutungslosigkeit zurückfallen, wenn sie nicht muthig vorwärts gehen wollte. In der nächsten Zukunft werden ohne Zweifel noch wichtige Veränderungen unter den vornehmsten Staatsdienern bekannt werden. Vielleicht wünschte Europa der türkischen Regierung aufrichtig Glück zu dem Wege, welchen dieselbe seit mehreren Jahren betreten hatte, und vorzüglich zu der Richtung, welche der berühmte Hattischerif vom 3 Nov. v. J. bezeichnete. In dem Fall wird Europa wohl nicht ohne Besorgniß für die Türkei der nächsten Zukunft entgegen sehen, welche alle diese schönen Neuerungen zu bedrohen scheint. Solche Besorgniß ist aber, fürs erste wenigstens, noch ungegründet. Die Anhänger und Vorkämpfer der aufstrebenden Partei haben bereits mehrfache Beweise gegeben, daß sie das wahre (leider nur wenige) Gute, was ihnen aus Europa und durch Europäer zugekommen ist, wohl zu schätzen wissen; sie kämpfen nur gegen die nichtige Nachäffung äußerer Formen an. Wenn sie an das Regiment kommen, wird zwar Europa keine pomphaften hohlen Floskeln mehr zu lesen erhalten, aber in der Stille dürfte für das Wohl des Staats manches wirklich Gute geschehen. Da Mustapha Pascha, der neue Seraskier, nicht in der Hauptstadt anwesend ist, so ist Achmet Fethi Pascha, der Handelsminister, einstweilen mit der Verwaltung des Kriegsministeriums beauftragt. Gestern und vorgestern sind noch mehrere Absetzungen von und Ernennungen zu Gouverneuren der Provinzen bekannt geworden, doch sind diese ohne Bedeutung.

Aegypten.

Hr. Waghorn, der sich bereits seit eilf Jahren in Aegypten befindet, und schon vor einigen Jahren eine Broschüre über die Stellung Englands zu Mehemed Ali herausgab, hat sich neuerdings wieder über denselben Gegenstand vernehmen lassen. Er ist der Meinung, wenn man Mehemed Ali mit Gewalt zu der verlangten Nachgiebigkeit zwingen wolle, so werde der Kampf schwieriger seyn, als man sich gewöhnlich einbilde; eben so wenig theilt Hr. Waghorn die gewöhnliche Ansicht, daß mit Mehemed Ali's Tode alles, was in Aegypten geschaffen worden, wieder zu Grunde gehen werde. Ueber diese beiden Punkte zu streiten, ist ganz unnütz, da nur der Erfolg darüber entscheiden kann, aber die auf lange Erfahrung sich gründende Meinung eines Mannes, wie Waghorn, verdient jedenfalls Beherzigung. Allein Waghorn spricht auch sehr deutlich die Folgerungen aus, welche aus diesen beiden Vordersätzen zu ziehen sind. Wenn Mehemed Ali's Macht wirklich so solid ist, dann ist es eine Thorheit sich ohne die dringendste Noth mit ihr zu überwerfen; Mehemed Ali ist jetzt die Stütze des türkischen Reichs, wird auch diese gebrochen, dann fällt es ohne unwiederbringlich in die Gewalt Rußlands. Nur eine Versöhnung des Sultans und Mehemed Ali's kann möglicher Weise die Türkei retten. England hat bisher immer eine feindliche Miene gegen ihn angenommen, und scheint geneigt, entschieden feindselig gegen ihn aufzutreten, aber Waghorn fragt: „Will man die türkische Flotte mit Gewalt zurückfordern? Das hieße einen Krieg mit der moslemitischen Bevölkerung Aegyptens beginnen, der nicht so schnell beendigt seyn würde, als Manche glauben. Glaubt man das türkische Reich vor der Besitznahme durch die Russen zu retten, indem man Mehemed Ali durch ein zweites „untoward event“ von seiner Höhe herunterstürzt? Würde die Zerstörung der türkischen und ägyptischen Flotte und die Zerstörung Alexandria's die Lage des Sultans verbessern? Im Gegentheil; dieß wäre unter den gegenwärtigen Umständen ein neuer Schlag für seine sinkende Macht.“ Die Folgerung hieraus ist deutlich: schließt Freundschaft mit Mehemed Ali, damit ihr euch mit ihm auch dem Umsichgreifen Rußlands im türkischen Reiche widersetzen könnt. Es handelt sich für England um den Weg über Aegypten, und um die Frage: soll England diesen Weg auf freundliche Weise durch Uebereinkunft mit Mehemed Ali suchen, oder soll es sich ihn erzwingen? Bis jetzt hat England im letzteren Sinne gehandelt, und Waghorn sucht, so viel an ihm ist, die englische Regierung von dieser Bahn abzubringen, die er den besten Interessen Englands zuwiderlaufend hält, wenn gleich Englands Stolz gekränkt seyn mag, gegen Mehemed Ali mit einemmal eine freundlichere Sprache zu führen.

Der englische Globe bemerkt über Waghorns Vorschläge: „Obwohl die Pforte schwerlich im Stande ist, selbst ihre Unabhängigkeit zu behaupten, so kann sie es doch mit der temporären Unterstützung ihrer Verbündeten. Wollten wir aber den Sultan der Hälfte seiner Länder berauben, um für Mehemed Ali ein neues Königthum unter dem Deckmantel „erblicher Regierung“ zu stiften, so würden wir die Unabhängigkeit der Türkei ohne Hoffnung auf Wiederherstellung für immer zerstören. Mit einem neuen und mächtigen Nebenbuhler an der einen und noch stärkern Nachbarn an der andern Seite würde der Sultan bald in den Zustand des Hospodars der Wallachei herabsinken. Aus einer solchen Lage der Dinge würde dann alsobald Eifersucht und Streit unter den europäischen Mächten ausbrechen, indem nämlich einige die Türkei wie ein zweites Polen zu behandeln geneigt seyn möchten, die andern aber die Nothwendigkeit erkennen würden, eine solche Theilung auf alle Fälle zu verhindern.“

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[1208/0008] unfehlbar in völlige Bedeutungslosigkeit zurückfallen, wenn sie nicht muthig vorwärts gehen wollte. In der nächsten Zukunft werden ohne Zweifel noch wichtige Veränderungen unter den vornehmsten Staatsdienern bekannt werden. Vielleicht wünschte Europa der türkischen Regierung aufrichtig Glück zu dem Wege, welchen dieselbe seit mehreren Jahren betreten hatte, und vorzüglich zu der Richtung, welche der berühmte Hattischerif vom 3 Nov. v. J. bezeichnete. In dem Fall wird Europa wohl nicht ohne Besorgniß für die Türkei der nächsten Zukunft entgegen sehen, welche alle diese schönen Neuerungen zu bedrohen scheint. Solche Besorgniß ist aber, fürs erste wenigstens, noch ungegründet. Die Anhänger und Vorkämpfer der aufstrebenden Partei haben bereits mehrfache Beweise gegeben, daß sie das wahre (leider nur wenige) Gute, was ihnen aus Europa und durch Europäer zugekommen ist, wohl zu schätzen wissen; sie kämpfen nur gegen die nichtige Nachäffung äußerer Formen an. Wenn sie an das Regiment kommen, wird zwar Europa keine pomphaften hohlen Floskeln mehr zu lesen erhalten, aber in der Stille dürfte für das Wohl des Staats manches wirklich Gute geschehen. Da Mustapha Pascha, der neue Seraskier, nicht in der Hauptstadt anwesend ist, so ist Achmet Fethi Pascha, der Handelsminister, einstweilen mit der Verwaltung des Kriegsministeriums beauftragt. Gestern und vorgestern sind noch mehrere Absetzungen von und Ernennungen zu Gouverneuren der Provinzen bekannt geworden, doch sind diese ohne Bedeutung. Aegypten. Hr. Waghorn, der sich bereits seit eilf Jahren in Aegypten befindet, und schon vor einigen Jahren eine Broschüre über die Stellung Englands zu Mehemed Ali herausgab, hat sich neuerdings wieder über denselben Gegenstand vernehmen lassen. Er ist der Meinung, wenn man Mehemed Ali mit Gewalt zu der verlangten Nachgiebigkeit zwingen wolle, so werde der Kampf schwieriger seyn, als man sich gewöhnlich einbilde; eben so wenig theilt Hr. Waghorn die gewöhnliche Ansicht, daß mit Mehemed Ali's Tode alles, was in Aegypten geschaffen worden, wieder zu Grunde gehen werde. Ueber diese beiden Punkte zu streiten, ist ganz unnütz, da nur der Erfolg darüber entscheiden kann, aber die auf lange Erfahrung sich gründende Meinung eines Mannes, wie Waghorn, verdient jedenfalls Beherzigung. Allein Waghorn spricht auch sehr deutlich die Folgerungen aus, welche aus diesen beiden Vordersätzen zu ziehen sind. Wenn Mehemed Ali's Macht wirklich so solid ist, dann ist es eine Thorheit sich ohne die dringendste Noth mit ihr zu überwerfen; Mehemed Ali ist jetzt die Stütze des türkischen Reichs, wird auch diese gebrochen, dann fällt es ohne unwiederbringlich in die Gewalt Rußlands. Nur eine Versöhnung des Sultans und Mehemed Ali's kann möglicher Weise die Türkei retten. England hat bisher immer eine feindliche Miene gegen ihn angenommen, und scheint geneigt, entschieden feindselig gegen ihn aufzutreten, aber Waghorn fragt: „Will man die türkische Flotte mit Gewalt zurückfordern? Das hieße einen Krieg mit der moslemitischen Bevölkerung Aegyptens beginnen, der nicht so schnell beendigt seyn würde, als Manche glauben. Glaubt man das türkische Reich vor der Besitznahme durch die Russen zu retten, indem man Mehemed Ali durch ein zweites „untoward event“ von seiner Höhe herunterstürzt? Würde die Zerstörung der türkischen und ägyptischen Flotte und die Zerstörung Alexandria's die Lage des Sultans verbessern? Im Gegentheil; dieß wäre unter den gegenwärtigen Umständen ein neuer Schlag für seine sinkende Macht.“ Die Folgerung hieraus ist deutlich: schließt Freundschaft mit Mehemed Ali, damit ihr euch mit ihm auch dem Umsichgreifen Rußlands im türkischen Reiche widersetzen könnt. Es handelt sich für England um den Weg über Aegypten, und um die Frage: soll England diesen Weg auf freundliche Weise durch Uebereinkunft mit Mehemed Ali suchen, oder soll es sich ihn erzwingen? Bis jetzt hat England im letzteren Sinne gehandelt, und Waghorn sucht, so viel an ihm ist, die englische Regierung von dieser Bahn abzubringen, die er den besten Interessen Englands zuwiderlaufend hält, wenn gleich Englands Stolz gekränkt seyn mag, gegen Mehemed Ali mit einemmal eine freundlichere Sprache zu führen. Der englische Globe bemerkt über Waghorns Vorschläge: „Obwohl die Pforte schwerlich im Stande ist, selbst ihre Unabhängigkeit zu behaupten, so kann sie es doch mit der temporären Unterstützung ihrer Verbündeten. Wollten wir aber den Sultan der Hälfte seiner Länder berauben, um für Mehemed Ali ein neues Königthum unter dem Deckmantel „erblicher Regierung“ zu stiften, so würden wir die Unabhängigkeit der Türkei ohne Hoffnung auf Wiederherstellung für immer zerstören. Mit einem neuen und mächtigen Nebenbuhler an der einen und noch stärkern Nachbarn an der andern Seite würde der Sultan bald in den Zustand des Hospodars der Wallachei herabsinken. Aus einer solchen Lage der Dinge würde dann alsobald Eifersucht und Streit unter den europäischen Mächten ausbrechen, indem nämlich einige die Türkei wie ein zweites Polen zu behandeln geneigt seyn möchten, die andern aber die Nothwendigkeit erkennen würden, eine solche Theilung auf alle Fälle zu verhindern.“

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 151. Augsburg, 30. Mai 1840, S. 1208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_151_18400530/8>, abgerufen am 27.04.2024.