Allgemeine Zeitung. Nr. 141. Augsburg, 20. Mai 1840.und intellectuellen wie materiellen Thätigkeit zu erheben und zu überheben, so mag man wenigstens denen nicht, die das nicht dulden, die Unterhaltung des Haders beilegen, sondern allein denjenigen, die aus Eitelkeit oder Verblendung, aus Unwissenheit und Uebermuth fortdauernd die Stärke, die Ehre und das Glück von Frankreich in demjenigen suchen, in welchem, wenn es zur Entscheidung käme, die Wiederholung alter Calamitäten und eines schmählichen Erfolgs würde gefunden werden, und in welchem schon jetzt die Unmöglichkeit oder doch die Schwierigkeit liegt, zwischen beiden Nationen ein ihrer würdiges Verhältniß aufrecht zu halten. Frankreich. Paris, Anfangs Mai. Nach den lustigen Mühen des Carnevals die Ausruhe der Fastenzeit: und was ist schlafbefördernder als Predigt und Concert; dort geht die heilige Langeweile in seliges Kopfnicken über, hier lullt das Vergnügen in eine Betäubung ein, die leisem Schlummer nahe kommt. Man stellte sich so fortwährend fromm, daß man's endlich wurde, man machte aus Mode so anhaltend Musik, daß man zuletzt Sinn dafür bekam, denn es scheint nicht, daß sich der Mensch lange das Ansehen einer Eigenschaft geben könne, ohne sie wirklich anzunehmen. Die Frage, ob diese Andacht in die Tiefe gehe, mag ich nicht zu bejahen, allein die Gewohnheit des Kirchenbesuchs und der Theilnahme an wenigstens einigen der heiligen Gebräuche hat bei Vielen in eine Art von Pflicht sich umgebildet, wie häufiges Zusammenkommen oft in Liebe oder Freundschaft übergeht. Ich will dem Ohre der meisten Franzosen die Fähigkeit nicht absprechen, selbst jetzt noch, wo musikalische Bildung so sehr verbreitet ist, einen Platzregen von falschen Tönen mit heroischer Gelassenheit zu ertragen, dennoch gewinnen ernste, gediegene Tonwerke täglich größere Zuneigung, und selbst die große, von dem goldnen Pfeil des Schönen so schwer verwundbare Masse gewöhnt sich immer mehr daran, in der Musik etwas Anderes, als eine Trägerin von Spottliedern und Volksballaden, oder die behagliche Begleitung dramatischer Erregungen und ausgelassener Bälle zu sehen. So üben Religion und Musik in diesem Lande der Stürme und der Verwüstung, wo die glühende Lava noch an jeder Ecke liegt, ihre fortschreitende Gewalt; man möchte sagen, sie hätten gleiche Sendung: erheben sie beide doch das Gemüth auf geheimnißvolle, unerklärliche Weise zu den Sternen; sind sie nicht beide Spenderinnen süßen Trostes und Bezwingerinnen roher Herzen? Hat nicht schon das sinnige Alterthum seinen fernen Orpheus zugleich mit der Kunst des Lieds und dem Einblick in die göttlichen Mysterien beschenkt, während heutzutage noch der Hirt der Alpen und Pyrenäen an nichts mit so inniger Verehrung hängt, als an den Melodien und dem Glauben seiner Berge. Obenan unter den geistlichen Rednern steht, dem öffentlichen Urtheile nach, der Abbe Ravignan von der Gesellschaft Jesu. Er gilt in dieser Beziehung für den Berryer der Kanzel, obgleich er sonst durch andere oratorische Eigenschaften, als die des berühmten Deputirten, sich hervorthut. Die Feinde seines Amts nehmen es ihm übel, daß er kein Bossuet sey, und folgern daraus, mit der Religion sey es zu Ende, und ähnliche Dinge, als ob Frankreich nicht fromme Jahrhunderte auch vor dem Erscheinen jenes seltenen Mannes gehabt hätte, der vielleicht dieses Landes größter Dichter ist, und durch den ehernen Geist, wie durch die Gedankengedrängtheit seiner Leichenreden hie und da an Dante, durch sein Geschick, die Begebenheiten zu ordnen und in übersichtlicher Kürze vorzutragen, an die ersten Geschichtschreiber des Alterthums, und durch kühnen, aber sicheren Blick in die Tiefe menschlicher Verhältnisse manchmal sogar an Shakspeare mahnt, wie denn häufig ein großer Geist, der in einer Spähre auf Mit- und Nachwelt mächtig wirkt, mit den großen Geistern anderer Fächer einzelne Züge der Aehnlichkeit hat. Als Jesuit schickt sich Ravignan in die Zeit wie in die Umstände, er zieht den alten Ideen ein modisches Kleid an, und geht bei den Meistern der neuesten Stylistik in die Schule, lernt von ihnen Zuschnitt und Form, namentlich jene Auffindung verborgener Aehnlichkeiten und jener Annäherung des Entfernten, wofür unsere Epoche so viel Vorliebe hat, weil sie, zum Großen nicht sehr fähig, an das sich gern hält, was sinnig ist. Nach Ravignan kommt der Abbe Cöur, bekanntlich der Prediletto der schreibseligen Mistres Troloppe, die man den Semilasso der Frauen nennen möchte. Auch die Pythia der Gazette (Hr. Genoude) trug seine Orakel auf die Kanzel, allein ihr gesprochenes wie ihr gedrucktes Wort scheint nur auf die zu wirken, die eben an die Pythia glauben. Die Concerte waren dieses Jahr gewiß so zahlreich als je, doch weniger reich als sonst an auffallenden Namen. Batters Violoncell brachte wieder seine Elegien, und man mochte, sah man die Theilnahme, die sein Spiel erweckte, sich fragen, warum gerade die Klage, natürlich nur wenn künstlerischer Sinn sie mäßigt, die menschliche Seele so tief und süß bewege. Wär's, daß der Ausdruck des Schmerzes ein Sinnenkitzel für den gefallenen Menschen ist, und daß, während der Tyrann an dem Gewinsel der gemarterten Opfer sein Wohlgefallen hat, wir weichern Naturen an sanfterem Jammer uns weiden? Oder lieben wir sie darum, weil sie, manch' anderm Freunde unähnlich, uns nicht in den Stunden der Freude sucht, aber in den Tagen der Noth als ächte Freundin uns zur Seite ist und die Last des Schmerzes ohne pedantischen Trost erleichtert? Doch lassen wir die Wissenschaft der Vermuthungen, und erinnern uns, daß die Garcia, Rubini, Lablache und die Italiener alle in den Concerten so gut wie auf der Bühne ihre Wunder übten; sie singen da ein Stück Othello oder Barbier, eine oft gehörte Romanze oder sonst etwas Gewöhnliches, allein das Alte klingt in dem Munde solcher Sänger so frisch und neugeboren, daß man dazu, wie zu Nachtigall und Rose, und sonstigen Gemeinplätzen der Natur, stets mit Entzücken zurückkommt. Die Kanzel hat keinen Abraham a Santa Clara mehr, und der Humor, der jetzt ihr fehlt, ward von den Concerten geerbt. Die komischen Verhältnisse der Mitwelt spinnen sich in Levassers heitern Liedern auf das lustigste und lebendigste ab; wir hören Genrebilder, wie der Maler Biard sie uns zu sehen gibt; halb gesungen, halb gesprochen, geben sie in geschwinder Rede die Einzelheiten, durch das Eingreifen der Melodie den Gesammteindruck des Dargestellten. So schildert Levasser im raschesten Parlando und in mildern Absätzen die Verwicklungen und Zwischenfälle des Dampfschifflebens; am Ende von jedem Absatz fällt die Musik refrainartig ein, und versinnlicht durch täuschende Nachahmung den Gang des Dampfboots und sein rauschendes Hinstreifen durch die Fluth. Diese Lieder sind ein ächt französisches Gewächs, manchmal voll Witz und plebejischer Grazie, höchst dramatisch und, durch die Annahme einer etwas idealeren Form, noch großer Ausbildung fähig. Ganz am Ende, in den letzten Tagen der musikalischen Jahreszeit, kam auch Liszt, als wollt' er sagen, er fürchte die Concurrenz des Frühlings nicht; eine Meinung über sein Spiel werden Sie mir erlassen, da ich nur wiederholen könnte, was ich Ihnen vor bald zwei Jahren über ihn geschrieben. Thalberg, Ernst, Beriot ziehen von Stadt zu Stadt, von Land zu Land; sie tragen ihre Kunst durch fast ganz Europa, und wer weiß, ob nicht bald der oder jener von ihnen eines schönen Abends und intellectuellen wie materiellen Thätigkeit zu erheben und zu überheben, so mag man wenigstens denen nicht, die das nicht dulden, die Unterhaltung des Haders beilegen, sondern allein denjenigen, die aus Eitelkeit oder Verblendung, aus Unwissenheit und Uebermuth fortdauernd die Stärke, die Ehre und das Glück von Frankreich in demjenigen suchen, in welchem, wenn es zur Entscheidung käme, die Wiederholung alter Calamitäten und eines schmählichen Erfolgs würde gefunden werden, und in welchem schon jetzt die Unmöglichkeit oder doch die Schwierigkeit liegt, zwischen beiden Nationen ein ihrer würdiges Verhältniß aufrecht zu halten. Frankreich. Paris, Anfangs Mai. Nach den lustigen Mühen des Carnevals die Ausruhe der Fastenzeit: und was ist schlafbefördernder als Predigt und Concert; dort geht die heilige Langeweile in seliges Kopfnicken über, hier lullt das Vergnügen in eine Betäubung ein, die leisem Schlummer nahe kommt. Man stellte sich so fortwährend fromm, daß man's endlich wurde, man machte aus Mode so anhaltend Musik, daß man zuletzt Sinn dafür bekam, denn es scheint nicht, daß sich der Mensch lange das Ansehen einer Eigenschaft geben könne, ohne sie wirklich anzunehmen. Die Frage, ob diese Andacht in die Tiefe gehe, mag ich nicht zu bejahen, allein die Gewohnheit des Kirchenbesuchs und der Theilnahme an wenigstens einigen der heiligen Gebräuche hat bei Vielen in eine Art von Pflicht sich umgebildet, wie häufiges Zusammenkommen oft in Liebe oder Freundschaft übergeht. Ich will dem Ohre der meisten Franzosen die Fähigkeit nicht absprechen, selbst jetzt noch, wo musikalische Bildung so sehr verbreitet ist, einen Platzregen von falschen Tönen mit heroischer Gelassenheit zu ertragen, dennoch gewinnen ernste, gediegene Tonwerke täglich größere Zuneigung, und selbst die große, von dem goldnen Pfeil des Schönen so schwer verwundbare Masse gewöhnt sich immer mehr daran, in der Musik etwas Anderes, als eine Trägerin von Spottliedern und Volksballaden, oder die behagliche Begleitung dramatischer Erregungen und ausgelassener Bälle zu sehen. So üben Religion und Musik in diesem Lande der Stürme und der Verwüstung, wo die glühende Lava noch an jeder Ecke liegt, ihre fortschreitende Gewalt; man möchte sagen, sie hätten gleiche Sendung: erheben sie beide doch das Gemüth auf geheimnißvolle, unerklärliche Weise zu den Sternen; sind sie nicht beide Spenderinnen süßen Trostes und Bezwingerinnen roher Herzen? Hat nicht schon das sinnige Alterthum seinen fernen Orpheus zugleich mit der Kunst des Lieds und dem Einblick in die göttlichen Mysterien beschenkt, während heutzutage noch der Hirt der Alpen und Pyrenäen an nichts mit so inniger Verehrung hängt, als an den Melodien und dem Glauben seiner Berge. Obenan unter den geistlichen Rednern steht, dem öffentlichen Urtheile nach, der Abbé Ravignan von der Gesellschaft Jesu. Er gilt in dieser Beziehung für den Berryer der Kanzel, obgleich er sonst durch andere oratorische Eigenschaften, als die des berühmten Deputirten, sich hervorthut. Die Feinde seines Amts nehmen es ihm übel, daß er kein Bossuet sey, und folgern daraus, mit der Religion sey es zu Ende, und ähnliche Dinge, als ob Frankreich nicht fromme Jahrhunderte auch vor dem Erscheinen jenes seltenen Mannes gehabt hätte, der vielleicht dieses Landes größter Dichter ist, und durch den ehernen Geist, wie durch die Gedankengedrängtheit seiner Leichenreden hie und da an Dante, durch sein Geschick, die Begebenheiten zu ordnen und in übersichtlicher Kürze vorzutragen, an die ersten Geschichtschreiber des Alterthums, und durch kühnen, aber sicheren Blick in die Tiefe menschlicher Verhältnisse manchmal sogar an Shakspeare mahnt, wie denn häufig ein großer Geist, der in einer Spähre auf Mit- und Nachwelt mächtig wirkt, mit den großen Geistern anderer Fächer einzelne Züge der Aehnlichkeit hat. Als Jesuit schickt sich Ravignan in die Zeit wie in die Umstände, er zieht den alten Ideen ein modisches Kleid an, und geht bei den Meistern der neuesten Stylistik in die Schule, lernt von ihnen Zuschnitt und Form, namentlich jene Auffindung verborgener Aehnlichkeiten und jener Annäherung des Entfernten, wofür unsere Epoche so viel Vorliebe hat, weil sie, zum Großen nicht sehr fähig, an das sich gern hält, was sinnig ist. Nach Ravignan kommt der Abbé Cöur, bekanntlich der Prediletto der schreibseligen Mistres Troloppe, die man den Semilasso der Frauen nennen möchte. Auch die Pythia der Gazette (Hr. Genoude) trug seine Orakel auf die Kanzel, allein ihr gesprochenes wie ihr gedrucktes Wort scheint nur auf die zu wirken, die eben an die Pythia glauben. Die Concerte waren dieses Jahr gewiß so zahlreich als je, doch weniger reich als sonst an auffallenden Namen. Batters Violoncell brachte wieder seine Elegien, und man mochte, sah man die Theilnahme, die sein Spiel erweckte, sich fragen, warum gerade die Klage, natürlich nur wenn künstlerischer Sinn sie mäßigt, die menschliche Seele so tief und süß bewege. Wär's, daß der Ausdruck des Schmerzes ein Sinnenkitzel für den gefallenen Menschen ist, und daß, während der Tyrann an dem Gewinsel der gemarterten Opfer sein Wohlgefallen hat, wir weichern Naturen an sanfterem Jammer uns weiden? Oder lieben wir sie darum, weil sie, manch' anderm Freunde unähnlich, uns nicht in den Stunden der Freude sucht, aber in den Tagen der Noth als ächte Freundin uns zur Seite ist und die Last des Schmerzes ohne pedantischen Trost erleichtert? Doch lassen wir die Wissenschaft der Vermuthungen, und erinnern uns, daß die Garcia, Rubini, Lablache und die Italiener alle in den Concerten so gut wie auf der Bühne ihre Wunder übten; sie singen da ein Stück Othello oder Barbier, eine oft gehörte Romanze oder sonst etwas Gewöhnliches, allein das Alte klingt in dem Munde solcher Sänger so frisch und neugeboren, daß man dazu, wie zu Nachtigall und Rose, und sonstigen Gemeinplätzen der Natur, stets mit Entzücken zurückkommt. Die Kanzel hat keinen Abraham a Santa Clara mehr, und der Humor, der jetzt ihr fehlt, ward von den Concerten geerbt. Die komischen Verhältnisse der Mitwelt spinnen sich in Levassers heitern Liedern auf das lustigste und lebendigste ab; wir hören Genrebilder, wie der Maler Biard sie uns zu sehen gibt; halb gesungen, halb gesprochen, geben sie in geschwinder Rede die Einzelheiten, durch das Eingreifen der Melodie den Gesammteindruck des Dargestellten. So schildert Levasser im raschesten Parlando und in mildern Absätzen die Verwicklungen und Zwischenfälle des Dampfschifflebens; am Ende von jedem Absatz fällt die Musik refrainartig ein, und versinnlicht durch täuschende Nachahmung den Gang des Dampfboots und sein rauschendes Hinstreifen durch die Fluth. Diese Lieder sind ein ächt französisches Gewächs, manchmal voll Witz und plebejischer Grazie, höchst dramatisch und, durch die Annahme einer etwas idealeren Form, noch großer Ausbildung fähig. Ganz am Ende, in den letzten Tagen der musikalischen Jahreszeit, kam auch Liszt, als wollt' er sagen, er fürchte die Concurrenz des Frühlings nicht; eine Meinung über sein Spiel werden Sie mir erlassen, da ich nur wiederholen könnte, was ich Ihnen vor bald zwei Jahren über ihn geschrieben. 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Man stellte sich so fortwährend fromm, daß man's endlich wurde, man machte aus Mode so anhaltend Musik, daß man zuletzt Sinn dafür bekam, denn es scheint nicht, daß sich der Mensch lange das Ansehen einer Eigenschaft geben könne, ohne sie wirklich anzunehmen. Die Frage, ob diese Andacht in die Tiefe gehe, mag ich nicht zu bejahen, allein die Gewohnheit des Kirchenbesuchs und der Theilnahme an wenigstens einigen der heiligen Gebräuche hat bei Vielen in eine Art von Pflicht sich umgebildet, wie häufiges Zusammenkommen oft in Liebe oder Freundschaft übergeht. Ich will dem Ohre der meisten Franzosen die Fähigkeit nicht absprechen, selbst jetzt noch, wo musikalische Bildung so sehr verbreitet ist, einen Platzregen von falschen Tönen mit heroischer Gelassenheit zu ertragen, dennoch gewinnen ernste, gediegene Tonwerke täglich größere Zuneigung, und selbst die große, von dem goldnen Pfeil des Schönen so schwer verwundbare Masse gewöhnt sich immer mehr daran, in der Musik etwas Anderes, als eine Trägerin von Spottliedern und Volksballaden, oder die behagliche Begleitung dramatischer Erregungen und ausgelassener Bälle zu sehen. So üben Religion und Musik in diesem Lande der Stürme und der Verwüstung, wo die glühende Lava noch an jeder Ecke liegt, ihre fortschreitende Gewalt; man möchte sagen, sie hätten gleiche Sendung: erheben sie beide doch das Gemüth auf geheimnißvolle, unerklärliche Weise zu den Sternen; sind sie nicht beide Spenderinnen süßen Trostes und Bezwingerinnen roher Herzen? Hat nicht schon das sinnige Alterthum seinen fernen Orpheus zugleich mit der Kunst des Lieds und dem Einblick in die göttlichen Mysterien beschenkt, während heutzutage noch der Hirt der Alpen und Pyrenäen an nichts mit so inniger Verehrung hängt, als an den Melodien und dem Glauben seiner Berge.</p><lb/> <p>Obenan unter den geistlichen Rednern steht, dem öffentlichen Urtheile nach, der Abbé Ravignan von der Gesellschaft Jesu. Er gilt in dieser Beziehung für den Berryer der Kanzel, obgleich er sonst durch andere oratorische Eigenschaften, als die des berühmten Deputirten, sich hervorthut. Die Feinde seines Amts nehmen es ihm übel, daß er kein Bossuet sey, und folgern daraus, mit der Religion sey es zu Ende, und ähnliche Dinge, als ob Frankreich nicht fromme Jahrhunderte auch vor dem Erscheinen jenes seltenen Mannes gehabt hätte, der vielleicht dieses Landes größter Dichter ist, und durch den ehernen Geist, wie durch die Gedankengedrängtheit seiner Leichenreden hie und da an Dante, durch sein Geschick, die Begebenheiten zu ordnen und in übersichtlicher Kürze vorzutragen, an die ersten Geschichtschreiber des Alterthums, und durch kühnen, aber sicheren Blick in die Tiefe menschlicher Verhältnisse manchmal sogar an Shakspeare mahnt, wie denn häufig ein großer Geist, der in einer Spähre auf Mit- und Nachwelt mächtig wirkt, mit den großen Geistern anderer Fächer einzelne Züge der Aehnlichkeit hat. Als Jesuit schickt sich Ravignan in die Zeit wie in die Umstände, er zieht den alten Ideen ein modisches Kleid an, und geht bei den Meistern der neuesten Stylistik in die Schule, lernt von ihnen Zuschnitt und Form, namentlich jene Auffindung verborgener Aehnlichkeiten und jener Annäherung des Entfernten, wofür unsere Epoche so viel Vorliebe hat, weil sie, zum Großen nicht sehr fähig, an das sich gern hält, was sinnig ist. Nach Ravignan kommt der Abbé Cöur, bekanntlich der Prediletto der schreibseligen Mistres Troloppe, die man den Semilasso der Frauen nennen möchte. Auch die Pythia der Gazette (Hr. Genoude) trug seine Orakel auf die Kanzel, allein ihr gesprochenes wie ihr gedrucktes Wort scheint nur auf die zu wirken, die eben an die Pythia glauben.</p><lb/> <p>Die Concerte waren dieses Jahr gewiß so zahlreich als je, doch weniger reich als sonst an auffallenden Namen. Batters Violoncell brachte wieder seine Elegien, und man mochte, sah man die Theilnahme, die sein Spiel erweckte, sich fragen, warum gerade die Klage, natürlich nur wenn künstlerischer Sinn sie mäßigt, die menschliche Seele so tief und süß bewege. Wär's, daß der Ausdruck des Schmerzes ein Sinnenkitzel für den gefallenen Menschen ist, und daß, während der Tyrann an dem Gewinsel der gemarterten Opfer sein Wohlgefallen hat, wir weichern Naturen an sanfterem Jammer uns weiden? Oder lieben wir sie darum, weil sie, manch' anderm Freunde unähnlich, uns nicht in den Stunden der Freude sucht, aber in den Tagen der Noth als ächte Freundin uns zur Seite ist und die Last des Schmerzes ohne pedantischen Trost erleichtert? Doch lassen wir die Wissenschaft der Vermuthungen, und erinnern uns, daß die Garcia, Rubini, Lablache und die Italiener alle in den Concerten so gut wie auf der Bühne ihre Wunder übten; sie singen da ein Stück Othello oder Barbier, eine oft gehörte Romanze oder sonst etwas Gewöhnliches, allein das Alte klingt in dem Munde solcher Sänger so frisch und neugeboren, daß man dazu, wie zu Nachtigall und Rose, und sonstigen Gemeinplätzen der Natur, stets mit Entzücken zurückkommt. Die Kanzel hat keinen Abraham a Santa Clara mehr, und der Humor, der jetzt ihr fehlt, ward von den Concerten geerbt. Die komischen Verhältnisse der Mitwelt spinnen sich in Levassers heitern Liedern auf das lustigste und lebendigste ab; wir hören Genrebilder, wie der Maler Biard sie uns zu sehen gibt; halb gesungen, halb gesprochen, geben sie in geschwinder Rede die Einzelheiten, durch das Eingreifen der Melodie den Gesammteindruck des Dargestellten. So schildert Levasser im raschesten Parlando und in mildern Absätzen die Verwicklungen und Zwischenfälle des Dampfschifflebens; am Ende von jedem Absatz fällt die Musik refrainartig ein, und versinnlicht durch täuschende Nachahmung den Gang des Dampfboots und sein rauschendes Hinstreifen durch die Fluth. Diese Lieder sind ein ächt französisches Gewächs, manchmal voll Witz und plebejischer Grazie, höchst dramatisch und, durch die Annahme einer etwas idealeren Form, noch großer Ausbildung fähig. Ganz am Ende, in den letzten Tagen der musikalischen Jahreszeit, kam auch Liszt, als wollt' er sagen, er fürchte die Concurrenz des Frühlings nicht; eine Meinung über sein Spiel werden Sie mir erlassen, da ich nur wiederholen könnte, was ich Ihnen vor bald zwei Jahren über ihn geschrieben. 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und intellectuellen wie materiellen Thätigkeit zu erheben und zu überheben, so mag man wenigstens denen nicht, die das nicht dulden, die Unterhaltung des Haders beilegen, sondern allein denjenigen, die aus Eitelkeit oder Verblendung, aus Unwissenheit und Uebermuth fortdauernd die Stärke, die Ehre und das Glück von Frankreich in demjenigen suchen, in welchem, wenn es zur Entscheidung käme, die Wiederholung alter Calamitäten und eines schmählichen Erfolgs würde gefunden werden, und in welchem schon jetzt die Unmöglichkeit oder doch die Schwierigkeit liegt, zwischen beiden Nationen ein ihrer würdiges Verhältniß aufrecht zu halten.
Frankreich.
_ Paris, Anfangs Mai. Nach den lustigen Mühen des Carnevals die Ausruhe der Fastenzeit: und was ist schlafbefördernder als Predigt und Concert; dort geht die heilige Langeweile in seliges Kopfnicken über, hier lullt das Vergnügen in eine Betäubung ein, die leisem Schlummer nahe kommt. Man stellte sich so fortwährend fromm, daß man's endlich wurde, man machte aus Mode so anhaltend Musik, daß man zuletzt Sinn dafür bekam, denn es scheint nicht, daß sich der Mensch lange das Ansehen einer Eigenschaft geben könne, ohne sie wirklich anzunehmen. Die Frage, ob diese Andacht in die Tiefe gehe, mag ich nicht zu bejahen, allein die Gewohnheit des Kirchenbesuchs und der Theilnahme an wenigstens einigen der heiligen Gebräuche hat bei Vielen in eine Art von Pflicht sich umgebildet, wie häufiges Zusammenkommen oft in Liebe oder Freundschaft übergeht. Ich will dem Ohre der meisten Franzosen die Fähigkeit nicht absprechen, selbst jetzt noch, wo musikalische Bildung so sehr verbreitet ist, einen Platzregen von falschen Tönen mit heroischer Gelassenheit zu ertragen, dennoch gewinnen ernste, gediegene Tonwerke täglich größere Zuneigung, und selbst die große, von dem goldnen Pfeil des Schönen so schwer verwundbare Masse gewöhnt sich immer mehr daran, in der Musik etwas Anderes, als eine Trägerin von Spottliedern und Volksballaden, oder die behagliche Begleitung dramatischer Erregungen und ausgelassener Bälle zu sehen. So üben Religion und Musik in diesem Lande der Stürme und der Verwüstung, wo die glühende Lava noch an jeder Ecke liegt, ihre fortschreitende Gewalt; man möchte sagen, sie hätten gleiche Sendung: erheben sie beide doch das Gemüth auf geheimnißvolle, unerklärliche Weise zu den Sternen; sind sie nicht beide Spenderinnen süßen Trostes und Bezwingerinnen roher Herzen? Hat nicht schon das sinnige Alterthum seinen fernen Orpheus zugleich mit der Kunst des Lieds und dem Einblick in die göttlichen Mysterien beschenkt, während heutzutage noch der Hirt der Alpen und Pyrenäen an nichts mit so inniger Verehrung hängt, als an den Melodien und dem Glauben seiner Berge.
Obenan unter den geistlichen Rednern steht, dem öffentlichen Urtheile nach, der Abbé Ravignan von der Gesellschaft Jesu. Er gilt in dieser Beziehung für den Berryer der Kanzel, obgleich er sonst durch andere oratorische Eigenschaften, als die des berühmten Deputirten, sich hervorthut. Die Feinde seines Amts nehmen es ihm übel, daß er kein Bossuet sey, und folgern daraus, mit der Religion sey es zu Ende, und ähnliche Dinge, als ob Frankreich nicht fromme Jahrhunderte auch vor dem Erscheinen jenes seltenen Mannes gehabt hätte, der vielleicht dieses Landes größter Dichter ist, und durch den ehernen Geist, wie durch die Gedankengedrängtheit seiner Leichenreden hie und da an Dante, durch sein Geschick, die Begebenheiten zu ordnen und in übersichtlicher Kürze vorzutragen, an die ersten Geschichtschreiber des Alterthums, und durch kühnen, aber sicheren Blick in die Tiefe menschlicher Verhältnisse manchmal sogar an Shakspeare mahnt, wie denn häufig ein großer Geist, der in einer Spähre auf Mit- und Nachwelt mächtig wirkt, mit den großen Geistern anderer Fächer einzelne Züge der Aehnlichkeit hat. Als Jesuit schickt sich Ravignan in die Zeit wie in die Umstände, er zieht den alten Ideen ein modisches Kleid an, und geht bei den Meistern der neuesten Stylistik in die Schule, lernt von ihnen Zuschnitt und Form, namentlich jene Auffindung verborgener Aehnlichkeiten und jener Annäherung des Entfernten, wofür unsere Epoche so viel Vorliebe hat, weil sie, zum Großen nicht sehr fähig, an das sich gern hält, was sinnig ist. Nach Ravignan kommt der Abbé Cöur, bekanntlich der Prediletto der schreibseligen Mistres Troloppe, die man den Semilasso der Frauen nennen möchte. Auch die Pythia der Gazette (Hr. Genoude) trug seine Orakel auf die Kanzel, allein ihr gesprochenes wie ihr gedrucktes Wort scheint nur auf die zu wirken, die eben an die Pythia glauben.
Die Concerte waren dieses Jahr gewiß so zahlreich als je, doch weniger reich als sonst an auffallenden Namen. Batters Violoncell brachte wieder seine Elegien, und man mochte, sah man die Theilnahme, die sein Spiel erweckte, sich fragen, warum gerade die Klage, natürlich nur wenn künstlerischer Sinn sie mäßigt, die menschliche Seele so tief und süß bewege. Wär's, daß der Ausdruck des Schmerzes ein Sinnenkitzel für den gefallenen Menschen ist, und daß, während der Tyrann an dem Gewinsel der gemarterten Opfer sein Wohlgefallen hat, wir weichern Naturen an sanfterem Jammer uns weiden? Oder lieben wir sie darum, weil sie, manch' anderm Freunde unähnlich, uns nicht in den Stunden der Freude sucht, aber in den Tagen der Noth als ächte Freundin uns zur Seite ist und die Last des Schmerzes ohne pedantischen Trost erleichtert? Doch lassen wir die Wissenschaft der Vermuthungen, und erinnern uns, daß die Garcia, Rubini, Lablache und die Italiener alle in den Concerten so gut wie auf der Bühne ihre Wunder übten; sie singen da ein Stück Othello oder Barbier, eine oft gehörte Romanze oder sonst etwas Gewöhnliches, allein das Alte klingt in dem Munde solcher Sänger so frisch und neugeboren, daß man dazu, wie zu Nachtigall und Rose, und sonstigen Gemeinplätzen der Natur, stets mit Entzücken zurückkommt. Die Kanzel hat keinen Abraham a Santa Clara mehr, und der Humor, der jetzt ihr fehlt, ward von den Concerten geerbt. Die komischen Verhältnisse der Mitwelt spinnen sich in Levassers heitern Liedern auf das lustigste und lebendigste ab; wir hören Genrebilder, wie der Maler Biard sie uns zu sehen gibt; halb gesungen, halb gesprochen, geben sie in geschwinder Rede die Einzelheiten, durch das Eingreifen der Melodie den Gesammteindruck des Dargestellten. So schildert Levasser im raschesten Parlando und in mildern Absätzen die Verwicklungen und Zwischenfälle des Dampfschifflebens; am Ende von jedem Absatz fällt die Musik refrainartig ein, und versinnlicht durch täuschende Nachahmung den Gang des Dampfboots und sein rauschendes Hinstreifen durch die Fluth. Diese Lieder sind ein ächt französisches Gewächs, manchmal voll Witz und plebejischer Grazie, höchst dramatisch und, durch die Annahme einer etwas idealeren Form, noch großer Ausbildung fähig. Ganz am Ende, in den letzten Tagen der musikalischen Jahreszeit, kam auch Liszt, als wollt' er sagen, er fürchte die Concurrenz des Frühlings nicht; eine Meinung über sein Spiel werden Sie mir erlassen, da ich nur wiederholen könnte, was ich Ihnen vor bald zwei Jahren über ihn geschrieben. Thalberg, Ernst, Beriot ziehen von Stadt zu Stadt, von Land zu Land; sie tragen ihre Kunst durch fast ganz Europa, und wer weiß, ob nicht bald der oder jener von ihnen eines schönen Abends
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