Allgemeine Zeitung. Nr. 138. Augsburg, 17. Mai 1840.Wichtigkeit dessen, was so viele derselben aussagen, während man von andern Fundorten überhaupt nur wenig beschriebene Scherben kennt und diese noch dazu wenig mehr enthalten als Töpfernamen und Legionschiffern. Jaumann hat bis jetzt nicht weniger als 79 Topfschriften erhoben, wovon 55 mit dem Griffel, meist sehr sauber, in das fertige Geschirr eingeritzt, 24 mit einem Stempel vor dem Brennen des Gefäßes aufgedrückt sind. Wollte man auch den eingeritzten alle Beweiskraft absprechen, so weisen doch die aufgedrückten und eingebrannten, wie wir uns selbst durch den Augenschein überzeugt, alle Skepsis ab und sind für sich vielsagend genug. - Die Namen Mammillanus, Teurigo, Drappus, Lauro, Felicisa, Matinus, Augustinus, Vitus, Cerialis, Nyxtus etc. sind ohne Zweifel größtentheils Töpfernamen. Artig lauten die Inschriften: Isidi Reginae almae aeternae matri (mit Stempel) und: Jovi optimo maximo, et Junoni Reginae et Genio loci. Jahreszahlen: ab. urbe condita DCCCL (a. 97 nach Chr. im ersten Jahr des Nerva; wahrscheinlich die älteste Inschrift im Zehntland); a. u. c. DCCCCLX (an. 217 nach Chr.) - a. u. c. M. (an. 247 nach Chr. das große Säcularjahr der ewigen Stadt). Auf diesen Scherben kam nun aber nicht nur, wie wir sogleich sehen werden, der vollständige Namen der alten Stadt nach und nach zu Tag, nicht nur erscheinen darauf Duumviri, Triumviri, Seviri Augustales, Praefecti cohortium, Negotiatores, sondern auch Worte, die allerdings, so sehr man sich auch darüber wundern mag, nicht anders gelesen werden können als: praeses urbis, praefectus coloniae, praefectus curiae u. s. w. Wir setzen für die Liebhaber die wichtigsten der auf hohe Magistrate sich beziehenden Scherbenschriften her: PR. CVR. COL. SVML. (mit Stempel aufgedrückt.) - SEP. PRAE. VRB. SV. - IVS. PRAES. C. SVMLOCEN. - IANVS. CVR. COL. SVM. - PRAE. CVR. SVMLOCEN. - PRAEF. COL. SVMLOC. T. CLAVD. SEV. C. AVFIDS. VICTO. (T. Cl. Severus et C. Aufidius Victorinus Consuln i. J. 200.) - PRAEF. COL. SVMLOC. I II AN. (Diese sämmtlich eingeritzt.) Aber wie hieß nun diese Stadt, diese Colonie mit der ganzen Hierarchie römischer Magistrate, deren Boden nach fünfzehn Jahrhunderten ganze Scherbenberge ausstößt? Sumlocene lautete, celtisch sonderbar, ihr Namen, und dieser Namen kam in den letzten Jahren Buchstabe um Buchstabe, Sylbe um Sylbe, auf zahlreichen Topfschriften, geritzten und gestempelten, zum Vorschein. (SV. - SVM. - SVMLOC. - SVMLOCNE. - SVMLOCEN. - .. LOCENNE. - SVMLOCENNE.) Zugleich erklären sich durch diese Entdeckung die Hauptstellen in einigen schon länger bekannten Rottenburger und andern Steinschriften, während diese wiederum die Auffindung des Stadtnamens glücklich bekräftigen. Sonderbar ist der Weg, auf dem dieser völlig verklungene Name ermittelt wurde, noch sonderbarer, wie dadurch der alte Proceß über den Straßenzug der Peutinger'schen Tafel, statt geschlichtet zu werden, sich fast noch mehr verwickelt. Wir geben in aller Kürze den Thatbestand an. Jener Straßenzug verzeichnet von Vindonissa am Rhein (Windisch) bis Reginum (Regensburg) neunzehn Etappen mit meistens gallisch lautenden Ortsnamen. Er setzt bei Vindonissa über den Rhein, zieht sich zwischen Schwarzwald und Bodensee durch und geht nach vier Stationen über einen Fluß, nahe seinem Ursprung, der sich ununterbrochen von links nach rechts, von West nach Ost fortzieht, der sich wenigstens von Regensburg an, das sammt allen weiterhin bekannten Donaustädten an seinem rechten Ufer liegt, bestimmt als die Donau zu erkennen gibt, und bis weit hinab nach Dacien die Reichsgränze bildet. Jenseits dieses Flusses, an seinem linken Ufer, ist von der vierten Etappe des fraglichen Straßenzugs an nirgends mehr ein Ort angesetzt, vielmehr sind dort die Namen der barbarischen Anwohner: Alamanni, Armalausi, Marcomanni, Vanduli, angeschrieben. Bekanntlich dreht sich nun der antiquarische Streit darum, ob auch das Flußstück oberhalb Regensburg, oder vielmehr Kehlheim, für die Donau zu nehmen sey, ob die Straße wirklich am angegebenen Punkt die oberste Donau überschreite, und somit alle Stationen derselben, von der 5ten an bis Regensburg, auf dem rechten Flußufer zu suchen seyen; oder aber, ob die Tafel in ihrer wunderlichen Licenz oberhalb Regensburg einen andern Fluß, etwa gar den Neckar meine, und eine Anzahl römischer Städte in unserem Zehntland und vielleicht längs des limes bezeichnen wolle. Die Zahl der Millien, welche die Tafel zwischen Windisch und Regensburg angibt, ist für den geraden Weg längs der Donau unläugbar zu lang, und es ergeben sich bei dieser Voraussetzung auch noch andere wichtige Bedenken. Trotz dem ist wohl gewiß: vor Jaumanns Entdeckungen sprach die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Tafel jene oben erwähnte, von Kaiser Julian durchzogene Straße darstelle, wie sie im vierten Jahrhundert noch nothdürftig in den Händen der Römer war. Kein Kundiger wird noch nach dem dritten Jahrhundert römische Städte am linken Donauufer suchen; dieß thut auch keiner der Forscher, welche die Straße im Bogen durch Schwaben führen, und die Vertheidiger der gegentheiligen Ansicht geben sich vergebliche Mühe, wenn sie so lange beim Beweis verweilen, daß das linke Flußufer im vierten Jahrhundert durchaus wieder barbarisch war; denn dieß ist ja gar nicht der Streitpunkt. Auch zugegeben, daß die Tafel wirklich zunächst aus den Zeiten des Theodosius herrühre, so wimmelt sie ja offenkundig von Interpolationen; sie verzeichnet Vieles, was zu jener Zeit längst nicht mehr zum orbis romanus gehörte, ja von der Erdoberfläche verschwunden war, wie Pompeji, Herculanum und Stabiä. Und warum sollte sie gerade an der obersten Donau streng den Zustand des Reichs angeben, in dem längst der Fluß die Gränze war, während sie z. B. die ganze Provinz Dacien am linken Donauufer aufführt, welche Provinz doch noch früher von den Römern geräumt wurde, als das Zehntland definitiv verloren war? Nach diesem, und bei der ganzen Verfassung der Tafel, welche die Flüsse aufs sonderbarste in einander laufen läßt, und notorisch hin und wieder Straßenstrecken am falschen Ufer ansetzt und nach ihrem System nicht anders kann, sollten diejenigen, welche den Weg von Windisch nach Regensburg geradezu am rechten Donauufer wegziehen, wenigstens so viel zugeben, daß das Gegentheil ganz wohl möglich ist und die Entscheidung von einem glücklichen Fund abhing. Aber das Spiel des Zufalls macht es möglich, daß er an seine eigene Entdeckung nicht glauben kann. Jene fünfte Station, wo die Straße eben über die vermeintliche Donau gegangen ist, heißt Samulocenis, *)*) und dieser Ort, und nur dieser zwischen Augusta Rauracorum und Reginum, ist in der Weise der Tafel durch zwei Thürme als Hauptort bezeichnet, ganz so wie die Städte Augsburg, Straßburg, Mainz, Bonn, Köln. Diese räthselhafte Hauptstadt, von der die ganze auf uns gekommene römische Litteratur schweigt, beschäftigte natürlich die Forscher vorzugsweise; sie wurde ungefähr in der auf der Tafel angegebenen Distanz vom Rhein bei Tuttlingen, bei Donaueschingen, bei Mößkirch gesucht, überall *) Alle Namen der Tafel sind Ablative.
Wichtigkeit dessen, was so viele derselben aussagen, während man von andern Fundorten überhaupt nur wenig beschriebene Scherben kennt und diese noch dazu wenig mehr enthalten als Töpfernamen und Legionschiffern. Jaumann hat bis jetzt nicht weniger als 79 Topfschriften erhoben, wovon 55 mit dem Griffel, meist sehr sauber, in das fertige Geschirr eingeritzt, 24 mit einem Stempel vor dem Brennen des Gefäßes aufgedrückt sind. Wollte man auch den eingeritzten alle Beweiskraft absprechen, so weisen doch die aufgedrückten und eingebrannten, wie wir uns selbst durch den Augenschein überzeugt, alle Skepsis ab und sind für sich vielsagend genug. – Die Namen Mammillanus, Teurigo, Drappus, Lauro, Felicisa, Matinus, Augustinus, Vitus, Cerialis, Nyxtus etc. sind ohne Zweifel größtentheils Töpfernamen. Artig lauten die Inschriften: Isidi Reginae almae aeternae matri (mit Stempel) und: Jovi optimo maximo, et Junoni Reginae et Genio loci. Jahreszahlen: ab. urbe condita DCCCL (a. 97 nach Chr. im ersten Jahr des Nerva; wahrscheinlich die älteste Inschrift im Zehntland); a. u. c. DCCCCLX (an. 217 nach Chr.) – a. u. c. M. (an. 247 nach Chr. das große Säcularjahr der ewigen Stadt). Auf diesen Scherben kam nun aber nicht nur, wie wir sogleich sehen werden, der vollständige Namen der alten Stadt nach und nach zu Tag, nicht nur erscheinen darauf Duumviri, Triumviri, Seviri Augustales, Praefecti cohortium, Negotiatores, sondern auch Worte, die allerdings, so sehr man sich auch darüber wundern mag, nicht anders gelesen werden können als: praeses urbis, praefectus coloniae, praefectus curiae u. s. w. Wir setzen für die Liebhaber die wichtigsten der auf hohe Magistrate sich beziehenden Scherbenschriften her: PR. CVR. COL. SVML. (mit Stempel aufgedrückt.) – SEP. PRAE. VRB. SV. – IVS. PRAES. C. SVMLOCEN. – IANVS. CVR. COL. SVM. – PRAE. CVR. SVMLOCEN. – PRAEF. COL. SVMLOC. T. CLAVD. SEV. C. AVFIDS. VICTO. (T. Cl. Severus et C. Aufidius Victorinus Consuln i. J. 200.) – PRAEF. COL. SVMLOC. I II AN. (Diese sämmtlich eingeritzt.) Aber wie hieß nun diese Stadt, diese Colonie mit der ganzen Hierarchie römischer Magistrate, deren Boden nach fünfzehn Jahrhunderten ganze Scherbenberge ausstößt? Sumlocene lautete, celtisch sonderbar, ihr Namen, und dieser Namen kam in den letzten Jahren Buchstabe um Buchstabe, Sylbe um Sylbe, auf zahlreichen Topfschriften, geritzten und gestempelten, zum Vorschein. (SV. – SVM. – SVMLOC. – SVMLOCNE. – SVMLOCEN. – .. LOCENNE. – SVMLOCENNE.) Zugleich erklären sich durch diese Entdeckung die Hauptstellen in einigen schon länger bekannten Rottenburger und andern Steinschriften, während diese wiederum die Auffindung des Stadtnamens glücklich bekräftigen. Sonderbar ist der Weg, auf dem dieser völlig verklungene Name ermittelt wurde, noch sonderbarer, wie dadurch der alte Proceß über den Straßenzug der Peutinger'schen Tafel, statt geschlichtet zu werden, sich fast noch mehr verwickelt. Wir geben in aller Kürze den Thatbestand an. Jener Straßenzug verzeichnet von Vindonissa am Rhein (Windisch) bis Reginum (Regensburg) neunzehn Etappen mit meistens gallisch lautenden Ortsnamen. Er setzt bei Vindonissa über den Rhein, zieht sich zwischen Schwarzwald und Bodensee durch und geht nach vier Stationen über einen Fluß, nahe seinem Ursprung, der sich ununterbrochen von links nach rechts, von West nach Ost fortzieht, der sich wenigstens von Regensburg an, das sammt allen weiterhin bekannten Donaustädten an seinem rechten Ufer liegt, bestimmt als die Donau zu erkennen gibt, und bis weit hinab nach Dacien die Reichsgränze bildet. Jenseits dieses Flusses, an seinem linken Ufer, ist von der vierten Etappe des fraglichen Straßenzugs an nirgends mehr ein Ort angesetzt, vielmehr sind dort die Namen der barbarischen Anwohner: Alamanni, Armalausi, Marcomanni, Vanduli, angeschrieben. Bekanntlich dreht sich nun der antiquarische Streit darum, ob auch das Flußstück oberhalb Regensburg, oder vielmehr Kehlheim, für die Donau zu nehmen sey, ob die Straße wirklich am angegebenen Punkt die oberste Donau überschreite, und somit alle Stationen derselben, von der 5ten an bis Regensburg, auf dem rechten Flußufer zu suchen seyen; oder aber, ob die Tafel in ihrer wunderlichen Licenz oberhalb Regensburg einen andern Fluß, etwa gar den Neckar meine, und eine Anzahl römischer Städte in unserem Zehntland und vielleicht längs des limes bezeichnen wolle. Die Zahl der Millien, welche die Tafel zwischen Windisch und Regensburg angibt, ist für den geraden Weg längs der Donau unläugbar zu lang, und es ergeben sich bei dieser Voraussetzung auch noch andere wichtige Bedenken. Trotz dem ist wohl gewiß: vor Jaumanns Entdeckungen sprach die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Tafel jene oben erwähnte, von Kaiser Julian durchzogene Straße darstelle, wie sie im vierten Jahrhundert noch nothdürftig in den Händen der Römer war. Kein Kundiger wird noch nach dem dritten Jahrhundert römische Städte am linken Donauufer suchen; dieß thut auch keiner der Forscher, welche die Straße im Bogen durch Schwaben führen, und die Vertheidiger der gegentheiligen Ansicht geben sich vergebliche Mühe, wenn sie so lange beim Beweis verweilen, daß das linke Flußufer im vierten Jahrhundert durchaus wieder barbarisch war; denn dieß ist ja gar nicht der Streitpunkt. Auch zugegeben, daß die Tafel wirklich zunächst aus den Zeiten des Theodosius herrühre, so wimmelt sie ja offenkundig von Interpolationen; sie verzeichnet Vieles, was zu jener Zeit längst nicht mehr zum orbis romanus gehörte, ja von der Erdoberfläche verschwunden war, wie Pompeji, Herculanum und Stabiä. Und warum sollte sie gerade an der obersten Donau streng den Zustand des Reichs angeben, in dem längst der Fluß die Gränze war, während sie z. B. die ganze Provinz Dacien am linken Donauufer aufführt, welche Provinz doch noch früher von den Römern geräumt wurde, als das Zehntland definitiv verloren war? Nach diesem, und bei der ganzen Verfassung der Tafel, welche die Flüsse aufs sonderbarste in einander laufen läßt, und notorisch hin und wieder Straßenstrecken am falschen Ufer ansetzt und nach ihrem System nicht anders kann, sollten diejenigen, welche den Weg von Windisch nach Regensburg geradezu am rechten Donauufer wegziehen, wenigstens so viel zugeben, daß das Gegentheil ganz wohl möglich ist und die Entscheidung von einem glücklichen Fund abhing. Aber das Spiel des Zufalls macht es möglich, daß er an seine eigene Entdeckung nicht glauben kann. Jene fünfte Station, wo die Straße eben über die vermeintliche Donau gegangen ist, heißt Samulocenis, *)*) und dieser Ort, und nur dieser zwischen Augusta Rauracorum und Reginum, ist in der Weise der Tafel durch zwei Thürme als Hauptort bezeichnet, ganz so wie die Städte Augsburg, Straßburg, Mainz, Bonn, Köln. Diese räthselhafte Hauptstadt, von der die ganze auf uns gekommene römische Litteratur schweigt, beschäftigte natürlich die Forscher vorzugsweise; sie wurde ungefähr in der auf der Tafel angegebenen Distanz vom Rhein bei Tuttlingen, bei Donaueschingen, bei Mößkirch gesucht, überall *) Alle Namen der Tafel sind Ablative.
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Artig lauten die Inschriften: Isidi Reginae almae aeternae matri (mit Stempel) und: Jovi optimo maximo, et Junoni Reginae et Genio loci. <hi rendition="#g">Jahreszahlen</hi>: ab. urbe condita DCCCL (a. 97 nach Chr. im ersten Jahr des Nerva; wahrscheinlich die älteste Inschrift im Zehntland); a. u. c. DCCCCLX (an. 217 nach Chr.) – a. u. c. M. (an. 247 nach Chr. das große Säcularjahr der ewigen Stadt).</p><lb/> <p>Auf diesen Scherben kam nun aber nicht nur, wie wir sogleich sehen werden, der vollständige Namen der alten Stadt nach und nach zu Tag, nicht nur erscheinen darauf Duumviri, Triumviri, Seviri Augustales, Praefecti cohortium, Negotiatores, sondern auch Worte, die allerdings, so sehr man sich auch darüber wundern mag, nicht anders gelesen werden können als: praeses urbis, praefectus coloniae, praefectus curiae u. s. w. Wir setzen für die Liebhaber die wichtigsten der auf hohe Magistrate sich beziehenden Scherbenschriften her: PR. CVR. COL. SVML. (mit Stempel aufgedrückt.) – SEP. PRAE. VRB. SV. – IVS. PRAES. C. SVMLOCEN. – IANVS. CVR. COL. SVM. – PRAE. CVR. SVMLOCEN. – PRAEF. COL. SVMLOC. T. CLAVD. SEV. C. AVFIDS. VICTO. (T. Cl. Severus et C. Aufidius Victorinus Consuln i. J. 200.) – PRAEF. COL. SVMLOC. I <k>I</k>I AN. (Diese sämmtlich eingeritzt.)</p><lb/> <p>Aber wie hieß nun diese Stadt, diese <hi rendition="#g">Colonie</hi> mit der ganzen Hierarchie römischer Magistrate, deren Boden nach fünfzehn Jahrhunderten ganze Scherbenberge ausstößt? <hi rendition="#i">Sumlocene</hi> lautete, celtisch sonderbar, ihr Namen, und dieser Namen kam in den letzten Jahren Buchstabe um Buchstabe, Sylbe um Sylbe, auf zahlreichen Topfschriften, geritzten und gestempelten, zum Vorschein. (SV. – SVM. – SVMLOC. – SVMLOCNE. – SVMLOCEN. – .. LOCENNE. – SVMLOCENNE.) Zugleich erklären sich durch diese Entdeckung die Hauptstellen in einigen schon länger bekannten Rottenburger und andern Steinschriften, während diese wiederum die Auffindung des Stadtnamens glücklich bekräftigen. Sonderbar ist der Weg, auf dem dieser völlig verklungene Name ermittelt wurde, noch sonderbarer, wie dadurch der alte Proceß über den Straßenzug der Peutinger'schen Tafel, statt geschlichtet zu werden, sich fast noch mehr verwickelt. Wir geben in aller Kürze den Thatbestand an.</p><lb/> <p>Jener Straßenzug verzeichnet von Vindonissa am Rhein (Windisch) bis Reginum (Regensburg) neunzehn Etappen mit meistens gallisch lautenden Ortsnamen. Er setzt bei Vindonissa über den Rhein, zieht sich zwischen Schwarzwald und Bodensee durch und geht nach vier Stationen über einen Fluß, nahe seinem Ursprung, der sich ununterbrochen von links nach rechts, von West nach Ost fortzieht, der sich wenigstens von Regensburg an, das sammt allen weiterhin bekannten Donaustädten an seinem <hi rendition="#g">rechten</hi> Ufer liegt, bestimmt als die Donau zu erkennen gibt, und bis weit hinab nach Dacien die Reichsgränze bildet. Jenseits dieses Flusses, an seinem <hi rendition="#g">linken</hi> Ufer, ist von der vierten Etappe des fraglichen Straßenzugs an nirgends mehr ein Ort angesetzt, vielmehr sind dort die Namen der barbarischen Anwohner: Alamanni, Armalausi, Marcomanni, Vanduli, angeschrieben.</p><lb/> <p>Bekanntlich dreht sich nun der antiquarische Streit darum, ob auch das Flußstück oberhalb Regensburg, oder vielmehr Kehlheim, für die Donau zu nehmen sey, ob die Straße wirklich am angegebenen Punkt die oberste Donau überschreite, und somit alle Stationen derselben, von der 5ten an bis Regensburg, auf dem <hi rendition="#g">rechten</hi> Flußufer zu suchen seyen; oder aber, ob die Tafel in ihrer wunderlichen Licenz oberhalb Regensburg einen andern Fluß, etwa gar den Neckar meine, und eine Anzahl römischer Städte in unserem Zehntland und vielleicht längs des limes bezeichnen wolle. Die Zahl der Millien, welche die Tafel zwischen Windisch und Regensburg angibt, ist für den geraden Weg längs der Donau unläugbar zu lang, und es ergeben sich bei dieser Voraussetzung auch noch andere wichtige Bedenken. Trotz dem ist wohl gewiß: vor Jaumanns Entdeckungen sprach die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Tafel jene oben erwähnte, von Kaiser Julian durchzogene Straße darstelle, wie sie im vierten Jahrhundert noch nothdürftig in den Händen der Römer war. Kein Kundiger wird noch nach dem dritten Jahrhundert römische Städte am linken Donauufer suchen; dieß thut auch keiner der Forscher, welche die Straße im Bogen durch Schwaben führen, und die Vertheidiger der gegentheiligen Ansicht geben sich vergebliche Mühe, wenn sie so lange beim Beweis verweilen, daß das linke Flußufer im vierten Jahrhundert durchaus wieder barbarisch war; denn dieß ist ja gar nicht der Streitpunkt.</p><lb/> <p>Auch zugegeben, daß die Tafel wirklich zunächst aus den Zeiten des Theodosius herrühre, so wimmelt sie ja offenkundig von Interpolationen; sie verzeichnet Vieles, was zu jener Zeit längst nicht mehr zum orbis romanus gehörte, ja von der Erdoberfläche verschwunden war, wie Pompeji, Herculanum und Stabiä. Und warum sollte sie gerade an der obersten Donau streng den Zustand des Reichs angeben, in dem längst der Fluß die Gränze war, während sie z. B. die ganze Provinz Dacien am linken Donauufer aufführt, welche Provinz doch noch früher von den Römern geräumt wurde, als das Zehntland definitiv verloren war? Nach diesem, und bei der ganzen Verfassung der Tafel, welche die Flüsse aufs sonderbarste in einander laufen läßt, und notorisch hin und wieder Straßenstrecken am falschen Ufer ansetzt und nach ihrem System nicht anders kann, sollten diejenigen, welche den Weg von Windisch nach Regensburg geradezu am rechten Donauufer wegziehen, wenigstens so viel zugeben, daß das Gegentheil ganz wohl möglich ist und die Entscheidung von einem glücklichen Fund abhing. 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Wichtigkeit dessen, was so viele derselben aussagen, während man von andern Fundorten überhaupt nur wenig beschriebene Scherben kennt und diese noch dazu wenig mehr enthalten als Töpfernamen und Legionschiffern. Jaumann hat bis jetzt nicht weniger als 79 Topfschriften erhoben, wovon 55 mit dem Griffel, meist sehr sauber, in das fertige Geschirr eingeritzt, 24 mit einem Stempel vor dem Brennen des Gefäßes aufgedrückt sind. Wollte man auch den eingeritzten alle Beweiskraft absprechen, so weisen doch die aufgedrückten und eingebrannten, wie wir uns selbst durch den Augenschein überzeugt, alle Skepsis ab und sind für sich vielsagend genug. – Die Namen Mammillanus, Teurigo, Drappus, Lauro, Felicisa, Matinus, Augustinus, Vitus, Cerialis, Nyxtus etc. sind ohne Zweifel größtentheils Töpfernamen. Artig lauten die Inschriften: Isidi Reginae almae aeternae matri (mit Stempel) und: Jovi optimo maximo, et Junoni Reginae et Genio loci. Jahreszahlen: ab. urbe condita DCCCL (a. 97 nach Chr. im ersten Jahr des Nerva; wahrscheinlich die älteste Inschrift im Zehntland); a. u. c. DCCCCLX (an. 217 nach Chr.) – a. u. c. M. (an. 247 nach Chr. das große Säcularjahr der ewigen Stadt).
Auf diesen Scherben kam nun aber nicht nur, wie wir sogleich sehen werden, der vollständige Namen der alten Stadt nach und nach zu Tag, nicht nur erscheinen darauf Duumviri, Triumviri, Seviri Augustales, Praefecti cohortium, Negotiatores, sondern auch Worte, die allerdings, so sehr man sich auch darüber wundern mag, nicht anders gelesen werden können als: praeses urbis, praefectus coloniae, praefectus curiae u. s. w. Wir setzen für die Liebhaber die wichtigsten der auf hohe Magistrate sich beziehenden Scherbenschriften her: PR. CVR. COL. SVML. (mit Stempel aufgedrückt.) – SEP. PRAE. VRB. SV. – IVS. PRAES. C. SVMLOCEN. – IANVS. CVR. COL. SVM. – PRAE. CVR. SVMLOCEN. – PRAEF. COL. SVMLOC. T. CLAVD. SEV. C. AVFIDS. VICTO. (T. Cl. Severus et C. Aufidius Victorinus Consuln i. J. 200.) – PRAEF. COL. SVMLOC. I II AN. (Diese sämmtlich eingeritzt.)
Aber wie hieß nun diese Stadt, diese Colonie mit der ganzen Hierarchie römischer Magistrate, deren Boden nach fünfzehn Jahrhunderten ganze Scherbenberge ausstößt? Sumlocene lautete, celtisch sonderbar, ihr Namen, und dieser Namen kam in den letzten Jahren Buchstabe um Buchstabe, Sylbe um Sylbe, auf zahlreichen Topfschriften, geritzten und gestempelten, zum Vorschein. (SV. – SVM. – SVMLOC. – SVMLOCNE. – SVMLOCEN. – .. LOCENNE. – SVMLOCENNE.) Zugleich erklären sich durch diese Entdeckung die Hauptstellen in einigen schon länger bekannten Rottenburger und andern Steinschriften, während diese wiederum die Auffindung des Stadtnamens glücklich bekräftigen. Sonderbar ist der Weg, auf dem dieser völlig verklungene Name ermittelt wurde, noch sonderbarer, wie dadurch der alte Proceß über den Straßenzug der Peutinger'schen Tafel, statt geschlichtet zu werden, sich fast noch mehr verwickelt. Wir geben in aller Kürze den Thatbestand an.
Jener Straßenzug verzeichnet von Vindonissa am Rhein (Windisch) bis Reginum (Regensburg) neunzehn Etappen mit meistens gallisch lautenden Ortsnamen. Er setzt bei Vindonissa über den Rhein, zieht sich zwischen Schwarzwald und Bodensee durch und geht nach vier Stationen über einen Fluß, nahe seinem Ursprung, der sich ununterbrochen von links nach rechts, von West nach Ost fortzieht, der sich wenigstens von Regensburg an, das sammt allen weiterhin bekannten Donaustädten an seinem rechten Ufer liegt, bestimmt als die Donau zu erkennen gibt, und bis weit hinab nach Dacien die Reichsgränze bildet. Jenseits dieses Flusses, an seinem linken Ufer, ist von der vierten Etappe des fraglichen Straßenzugs an nirgends mehr ein Ort angesetzt, vielmehr sind dort die Namen der barbarischen Anwohner: Alamanni, Armalausi, Marcomanni, Vanduli, angeschrieben.
Bekanntlich dreht sich nun der antiquarische Streit darum, ob auch das Flußstück oberhalb Regensburg, oder vielmehr Kehlheim, für die Donau zu nehmen sey, ob die Straße wirklich am angegebenen Punkt die oberste Donau überschreite, und somit alle Stationen derselben, von der 5ten an bis Regensburg, auf dem rechten Flußufer zu suchen seyen; oder aber, ob die Tafel in ihrer wunderlichen Licenz oberhalb Regensburg einen andern Fluß, etwa gar den Neckar meine, und eine Anzahl römischer Städte in unserem Zehntland und vielleicht längs des limes bezeichnen wolle. Die Zahl der Millien, welche die Tafel zwischen Windisch und Regensburg angibt, ist für den geraden Weg längs der Donau unläugbar zu lang, und es ergeben sich bei dieser Voraussetzung auch noch andere wichtige Bedenken. Trotz dem ist wohl gewiß: vor Jaumanns Entdeckungen sprach die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Tafel jene oben erwähnte, von Kaiser Julian durchzogene Straße darstelle, wie sie im vierten Jahrhundert noch nothdürftig in den Händen der Römer war. Kein Kundiger wird noch nach dem dritten Jahrhundert römische Städte am linken Donauufer suchen; dieß thut auch keiner der Forscher, welche die Straße im Bogen durch Schwaben führen, und die Vertheidiger der gegentheiligen Ansicht geben sich vergebliche Mühe, wenn sie so lange beim Beweis verweilen, daß das linke Flußufer im vierten Jahrhundert durchaus wieder barbarisch war; denn dieß ist ja gar nicht der Streitpunkt.
Auch zugegeben, daß die Tafel wirklich zunächst aus den Zeiten des Theodosius herrühre, so wimmelt sie ja offenkundig von Interpolationen; sie verzeichnet Vieles, was zu jener Zeit längst nicht mehr zum orbis romanus gehörte, ja von der Erdoberfläche verschwunden war, wie Pompeji, Herculanum und Stabiä. Und warum sollte sie gerade an der obersten Donau streng den Zustand des Reichs angeben, in dem längst der Fluß die Gränze war, während sie z. B. die ganze Provinz Dacien am linken Donauufer aufführt, welche Provinz doch noch früher von den Römern geräumt wurde, als das Zehntland definitiv verloren war? Nach diesem, und bei der ganzen Verfassung der Tafel, welche die Flüsse aufs sonderbarste in einander laufen läßt, und notorisch hin und wieder Straßenstrecken am falschen Ufer ansetzt und nach ihrem System nicht anders kann, sollten diejenigen, welche den Weg von Windisch nach Regensburg geradezu am rechten Donauufer wegziehen, wenigstens so viel zugeben, daß das Gegentheil ganz wohl möglich ist und die Entscheidung von einem glücklichen Fund abhing. Aber das Spiel des Zufalls macht es möglich, daß er an seine eigene Entdeckung nicht glauben kann.
Jene fünfte Station, wo die Straße eben über die vermeintliche Donau gegangen ist, heißt Samulocenis, *) *) und dieser Ort, und nur dieser zwischen Augusta Rauracorum und Reginum, ist in der Weise der Tafel durch zwei Thürme als Hauptort bezeichnet, ganz so wie die Städte Augsburg, Straßburg, Mainz, Bonn, Köln. Diese räthselhafte Hauptstadt, von der die ganze auf uns gekommene römische Litteratur schweigt, beschäftigte natürlich die Forscher vorzugsweise; sie wurde ungefähr in der auf der Tafel angegebenen Distanz vom Rhein bei Tuttlingen, bei Donaueschingen, bei Mößkirch gesucht, überall
*) Alle Namen der Tafel sind Ablative.
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