Allgemeine Zeitung. Nr. 135. Augsburg, 14. Mai 1840.aus Constantine an sich ziehen, die Gränzen dieser Provinz in den Rücken nehmen und gegen Westen offensiv vorrücken, langsam, um mit den verschiedenen Stämmen, namentlich mit den vielen, dem Emir feindseligen Elementen in Titteri Verbindungen anzuknüpfen, und wo möglich die Benimesaben zu veranlassen, kräftiger gegen den Emir aufzutreten. Wäre die östliche Division auf der Höhe der mittleren angekommen, so würde diese an der offensiven Bewegung gegen Westen theilnehmen. Den Schluß würde ein Schlag der drei Divisionen gegen Maskara und Tekedemt bilden, wo der Emir einem entscheidenden Kampf, dessen Erfolg nicht zweifelhaft ist, nicht mehr ausweichen könnte. Die gegenwärtig in Afrika befindlichen französischen Streitkräfte genügen für diese Operationen, deren System sich als eine Umgehung vom linken Flügel aus darstellt. Die nothwendige Bedingung einer gehörigen Stütze hinter dem vorgeschobenen Flügel ist in der Provinz Constantine seit dem Frieden an der Tafna geschaffen worden, und es geht daraus hervor, daß das Gouvernement in der Förderung der afrikanischen Sache die Zeit nicht verloren hat." So der Ideengang in dem Aufsatze der helvetischen Militärzeitschrift. Die Ereignisse des Sommers werden zeigen, in wie weit es dem Verfasser gelungen ist, den Plan des Marschalls zu durchschauen. Franz Liszt. Paris, 5 Mai. Wenn Mars ruht, durchzieht Apoll die Länder mit seinem Saitenspiel; wo jener schreckte, verwundete, zerstörte, heilt und belebt der Gott der Künste - entzückt und veredelt er die Herzen der Menschen. Wohl sind auch seine Triumphe nicht frei von Thränen, aber es sind Freudenthränen. Auch vor ihm beugen sich die Besiegten, doch nur überwältigt von edlen Empfindungen. - Gleichwie aber das Leben der Kunst-Heroen entschieden ein schöneres ist als das der Schlachtengewinner, so will uns bedünken, ihre Unsterblichkeit sey nicht minder eine edlere und segensreichere, also mindestens eine eben so verdiente. Schon die Alten, in deren Mythen der Gott der Töne nicht eben eine schlechtere Rolle spielt, als der Gott der Schlachten, scheinen dieser Ansicht gewesen zu seyn. Wir aber holen so weit aus, um ein artiges Gleichniß des genialen George Sand zu rechtfertigen, der von Franz Liszt gesagt haben soll: "Der Napoleon des Fortepiano sey von seinen transalpinischen und transrhenanischen Triumphen nach Paris zurückgekehrt, um neue Feldzüge gegen England und Rußland zu meditiren." In der That, Paris - oder doch die musikalisch-litterarisch-fashionable Welt von Paris - war in großer Bewegung bei der Nachricht von der endlichen Rückkehr des längst Ersehnten. Man verkündigte ein neues Aufleben der schon halb eingeschlafenen musikalischen Saison. Man brannte vor Begierde, nach selbsteigenem Gehör zu beurtheilen, ob Liszt wirklich während seiner dreijährigen Wanderzeit in Italien, Deutschland und Ungarn sein unnachahmliches Spiel noch weiter ausgebildet habe. Allgemein war daher das Bedauern, als man vernahm, er werde, ohne hier Concerte zu geben, nach kurzer Rast seine Reise nach England fortsetzen. Um so größer war aber auch die Freude, als die Nachricht erscholl, der König der Pianisten - so nennt ihn Hector Berlioz im Journal des Debats - dieweil es ihm für dießmal unmöglich, Paris seine Aufwartung zu machen, werde sich die Ehre geben, die Kunsthauptstadt der Welt bei sich zu empfangen und ihr ein musikalisches Fest zu bereiten, ganz nach der Weise der andern Könige - nämlich mit freiem Eintritt. Nun müssen Sie wissen, daß, nicht zu gedenken der Unzahl der musikalischen, litterarischen und fashionablen Notabilitäten von Paris, und ohne insbesondere die Legion der vornehmen Dilettanten auf dem Fortepiano in Berechnung zu bringen, an die fünfzehnhundert Pianisten von Profession in Paris leben, von denen natürlich ein großer Theil um Eintrittskarten sich bewarb und sie auch erhielt. Sollten sie doch nach so langer Abwesenheit ihren König wieder sehen und die neuen Provinzen kennen lernen, die er im Reiche der Kunst erobert; handelte es sich doch um den Ruf und Werth des vollkommensten aller Instrumente, ihres Abgotts, des Piano's selbst, das in nie geahnter Vollkommenheit erscheinen sollte. Dieses Concert war eine matinee musicale, und ward in den eleganten Sälen Erards gegeben. Schon mehrere Stunden vor dem Anfang war Alles so gedrängt voll, daß die fashionablesten Damen, die später kamen, stehen mußten. Als endlich Liszt sich setzte, warf ich einen Blick rings umher: die Gesellschaft war, lange bevor ein Ton erklang, wörtlich ganz Ohr. Man sah deutlich wie die Zuhörer sich zum voraus anstrengten, ihr Gehörorgan weit und weiter aufzuthun, um es in den Stand zu setzen, alle Töne, die erklingen sollten, selbst die feinsten, einzuschlürfen. Der Zweifel über die Neuheit des Spiels war bald verschwunden: donnernder Beifall - erst der Enthusiasten, dann der Ruhigen, dann der Phlegmatiker und Kritiker - Ausruf des Entzückens - allgemeiner Jubel - allgemeine Begeisterung - die elegantesten Damen steigen auf die Bänke, um Liszt und das Zauberspiel seiner Finger zu sehen - "das ist unerhört!" - "das ist kein Piano, so wenig als Paganini's Violine eine Geige" - "ein Orchester von hundert Instrumenten, dazwischen Solos von Flöten, Violinen und allen Instrumenten" - "welche Engelsstimmen! wie aus fernen Welten herüber, und in der Nähe Sturmesbrausen und Donnerrollen und Wellengetöse, und dazwischen das herrliche Glockengeläute vom Kirchthurm und der fromme Orgelton" - "welcher Ausdruck in diesen Schubert'schen Liederu, so hat sie noch kein Sänger vorgetragen" - "welche Melancholie, welcher Reiz in dieser Phantasie, welche hinreißende Leidenschaft" - "hundert Amorettentöne umschwärmen das majestätisch sich entrollende Thema; man weiß nicht woher sie kommen, diese wunderbaren Verzierungen; dabei schwärmt der Baß in tausend Phantasien; man erräth nicht, wie das zugeht -" "doch! - zwei Finger spielen Pianissimo, drei Forte, die andere Hand Mezzo-Forte - das ist unerhört!" Ich gebe Ihnen hier Aeußerungen, wie ich sie während der Pausen von Musikern gehört. Die Maler sprachen von Colorit, Perspective, gesättigtem Ton; die Bildhauer von plastischem Hervortreten, die Architekten von Symmetrie, jonischen und dorischen Säulen und gothischen Verzierungen; die Dichter von poetischen Ideen und Bildern. Was mich aber am meisten in Erstaunen setzte, das war ich selbst. Ich begriff mich gar nicht mehr, daß ich das Alles so begreifen konnte, als hätte ich es selbst gesagt, ja ich überredete mich sogar, ich würde es gesagt haben, hätten es die Andern nicht vor mir gesagt. Während ich sonst oft in den Concerten in die Unart verfalle, meinen Ohren Urlaub zu geben und meine Augen zu promeniren, war es mir jetzt, als wäre mir der musikalische Staar gestochen; ich konnte die ganze Zeit dasitzen und nichts thun als Liszt'sche Töne schlürfen und sie mir auf diese oder jene Weise verbildlichen; ja weiß der Himmel, es träumte mir dabei, ich werde noch in meinen alten Tagen meine musikalische Erziehung machen und Musikberichte schreiben. Das vermag ein Genie. Nachher sagte mir ein bedeutender Künstler, man wisse nicht, solle man mehr über die unerhörte Keckheit des Spiels, oder über die vollendete Sicherheit, mit welcher es ausgeführt werde, oder über die Resultate erstaunen. Die Mechanik, der tiefe Ausdruck, die Feinheit der Nuancen - Alles sey Vollendung. Sein Spiel a livre ouvert sey wirklich erschreckend. Er habe ihm einige sehr schwere Compositionen vorgelegt, die, noch voller Fehler, eben vom Stechen gekommen, und Liszt habe sie nicht nur beim ersten Anblick im schnellsten Tempo abgespielt, sondern auch zugleich alle Fehler berichtigt. Wenn man Liszt mit Paganini vergleicht, so muß man nicht vergessen, auf die Unterschiede zwischen beiden aufmerksam zu machen. Liszt ist nicht bloß Clavierspieler, er ist auch ausgezeichneter Componist; nicht Musiker allein, auch vielseitig gebildeter Litterat, glücklicher Dichter, gewandter und geistreicher Stylist und höchst unterrichteter und angenehmer Gesellschafter und Weltmann; vor Allem aber ein tüchtiger, wohlwollender und guter Mensch, eine durch und durch edle Natur. Allerdings gibt es Leute, die der Meinung sind, seine Compositionen ständen weit hinter seiner Execution zurück; in dieser Beziehung seyen keine großen Fortschritte mehr von ihm zu erwarten. Sehr competente Tonrichter erklären dagegen diese Ansicht für unstichhaltig; es sey unbillig, sagen sie, von einem jungen Manne von 28 Jahren, der bisher seine Hauptkräfte auf die Execution verwendet, zu verlangen, er solle jetzt schon in der Composition in gleichem Grade excelliren, oder ihm die Zukunft als Componist abzusprechen. Ein Mann von solchem Geist und solchen gelehrten Mitteln habe sicherlich auch in dieser Beziehung eine bedeutende Zukunft. Vorläufig werden Liszt's Pelerinages d'un artiste, wovon der erste Band bereits bei Haslinger in Wien gedruckt ist, und demnächst ausgegeben werden soll, das musikalische Publicum in den Stand setzen, über diese verschiedenen Ansichten ein Urtheil zu fällen. In aus Constantine an sich ziehen, die Gränzen dieser Provinz in den Rücken nehmen und gegen Westen offensiv vorrücken, langsam, um mit den verschiedenen Stämmen, namentlich mit den vielen, dem Emir feindseligen Elementen in Titteri Verbindungen anzuknüpfen, und wo möglich die Benimesaben zu veranlassen, kräftiger gegen den Emir aufzutreten. Wäre die östliche Division auf der Höhe der mittleren angekommen, so würde diese an der offensiven Bewegung gegen Westen theilnehmen. Den Schluß würde ein Schlag der drei Divisionen gegen Maskara und Tekedemt bilden, wo der Emir einem entscheidenden Kampf, dessen Erfolg nicht zweifelhaft ist, nicht mehr ausweichen könnte. Die gegenwärtig in Afrika befindlichen französischen Streitkräfte genügen für diese Operationen, deren System sich als eine Umgehung vom linken Flügel aus darstellt. Die nothwendige Bedingung einer gehörigen Stütze hinter dem vorgeschobenen Flügel ist in der Provinz Constantine seit dem Frieden an der Tafna geschaffen worden, und es geht daraus hervor, daß das Gouvernement in der Förderung der afrikanischen Sache die Zeit nicht verloren hat.“ So der Ideengang in dem Aufsatze der helvetischen Militärzeitschrift. Die Ereignisse des Sommers werden zeigen, in wie weit es dem Verfasser gelungen ist, den Plan des Marschalls zu durchschauen. Franz Liszt. Paris, 5 Mai. Wenn Mars ruht, durchzieht Apoll die Länder mit seinem Saitenspiel; wo jener schreckte, verwundete, zerstörte, heilt und belebt der Gott der Künste – entzückt und veredelt er die Herzen der Menschen. Wohl sind auch seine Triumphe nicht frei von Thränen, aber es sind Freudenthränen. Auch vor ihm beugen sich die Besiegten, doch nur überwältigt von edlen Empfindungen. – Gleichwie aber das Leben der Kunst-Heroen entschieden ein schöneres ist als das der Schlachtengewinner, so will uns bedünken, ihre Unsterblichkeit sey nicht minder eine edlere und segensreichere, also mindestens eine eben so verdiente. Schon die Alten, in deren Mythen der Gott der Töne nicht eben eine schlechtere Rolle spielt, als der Gott der Schlachten, scheinen dieser Ansicht gewesen zu seyn. Wir aber holen so weit aus, um ein artiges Gleichniß des genialen George Sand zu rechtfertigen, der von Franz Liszt gesagt haben soll: „Der Napoleon des Fortepiano sey von seinen transalpinischen und transrhenanischen Triumphen nach Paris zurückgekehrt, um neue Feldzüge gegen England und Rußland zu meditiren.“ In der That, Paris – oder doch die musikalisch-litterarisch-fashionable Welt von Paris – war in großer Bewegung bei der Nachricht von der endlichen Rückkehr des längst Ersehnten. Man verkündigte ein neues Aufleben der schon halb eingeschlafenen musikalischen Saison. Man brannte vor Begierde, nach selbsteigenem Gehör zu beurtheilen, ob Liszt wirklich während seiner dreijährigen Wanderzeit in Italien, Deutschland und Ungarn sein unnachahmliches Spiel noch weiter ausgebildet habe. Allgemein war daher das Bedauern, als man vernahm, er werde, ohne hier Concerte zu geben, nach kurzer Rast seine Reise nach England fortsetzen. Um so größer war aber auch die Freude, als die Nachricht erscholl, der König der Pianisten – so nennt ihn Hector Berlioz im Journal des Débats – dieweil es ihm für dießmal unmöglich, Paris seine Aufwartung zu machen, werde sich die Ehre geben, die Kunsthauptstadt der Welt bei sich zu empfangen und ihr ein musikalisches Fest zu bereiten, ganz nach der Weise der andern Könige – nämlich mit freiem Eintritt. Nun müssen Sie wissen, daß, nicht zu gedenken der Unzahl der musikalischen, litterarischen und fashionablen Notabilitäten von Paris, und ohne insbesondere die Legion der vornehmen Dilettanten auf dem Fortepiano in Berechnung zu bringen, an die fünfzehnhundert Pianisten von Profession in Paris leben, von denen natürlich ein großer Theil um Eintrittskarten sich bewarb und sie auch erhielt. Sollten sie doch nach so langer Abwesenheit ihren König wieder sehen und die neuen Provinzen kennen lernen, die er im Reiche der Kunst erobert; handelte es sich doch um den Ruf und Werth des vollkommensten aller Instrumente, ihres Abgotts, des Piano's selbst, das in nie geahnter Vollkommenheit erscheinen sollte. Dieses Concert war eine matinée musicale, und ward in den eleganten Sälen Erards gegeben. Schon mehrere Stunden vor dem Anfang war Alles so gedrängt voll, daß die fashionablesten Damen, die später kamen, stehen mußten. Als endlich Liszt sich setzte, warf ich einen Blick rings umher: die Gesellschaft war, lange bevor ein Ton erklang, wörtlich ganz Ohr. Man sah deutlich wie die Zuhörer sich zum voraus anstrengten, ihr Gehörorgan weit und weiter aufzuthun, um es in den Stand zu setzen, alle Töne, die erklingen sollten, selbst die feinsten, einzuschlürfen. Der Zweifel über die Neuheit des Spiels war bald verschwunden: donnernder Beifall – erst der Enthusiasten, dann der Ruhigen, dann der Phlegmatiker und Kritiker – Ausruf des Entzückens – allgemeiner Jubel – allgemeine Begeisterung – die elegantesten Damen steigen auf die Bänke, um Liszt und das Zauberspiel seiner Finger zu sehen – „das ist unerhört!“ – „das ist kein Piano, so wenig als Paganini's Violine eine Geige“ – „ein Orchester von hundert Instrumenten, dazwischen Solos von Flöten, Violinen und allen Instrumenten“ – „welche Engelsstimmen! wie aus fernen Welten herüber, und in der Nähe Sturmesbrausen und Donnerrollen und Wellengetöse, und dazwischen das herrliche Glockengeläute vom Kirchthurm und der fromme Orgelton“ – „welcher Ausdruck in diesen Schubert'schen Liederu, so hat sie noch kein Sänger vorgetragen“ – „welche Melancholie, welcher Reiz in dieser Phantasie, welche hinreißende Leidenschaft“ – „hundert Amorettentöne umschwärmen das majestätisch sich entrollende Thema; man weiß nicht woher sie kommen, diese wunderbaren Verzierungen; dabei schwärmt der Baß in tausend Phantasien; man erräth nicht, wie das zugeht –“ „doch! – zwei Finger spielen Pianissimo, drei Forte, die andere Hand Mezzo-Forte – das ist unerhört!“ Ich gebe Ihnen hier Aeußerungen, wie ich sie während der Pausen von Musikern gehört. Die Maler sprachen von Colorit, Perspective, gesättigtem Ton; die Bildhauer von plastischem Hervortreten, die Architekten von Symmetrie, jonischen und dorischen Säulen und gothischen Verzierungen; die Dichter von poetischen Ideen und Bildern. Was mich aber am meisten in Erstaunen setzte, das war ich selbst. Ich begriff mich gar nicht mehr, daß ich das Alles so begreifen konnte, als hätte ich es selbst gesagt, ja ich überredete mich sogar, ich würde es gesagt haben, hätten es die Andern nicht vor mir gesagt. Während ich sonst oft in den Concerten in die Unart verfalle, meinen Ohren Urlaub zu geben und meine Augen zu promeniren, war es mir jetzt, als wäre mir der musikalische Staar gestochen; ich konnte die ganze Zeit dasitzen und nichts thun als Liszt'sche Töne schlürfen und sie mir auf diese oder jene Weise verbildlichen; ja weiß der Himmel, es träumte mir dabei, ich werde noch in meinen alten Tagen meine musikalische Erziehung machen und Musikberichte schreiben. Das vermag ein Genie. Nachher sagte mir ein bedeutender Künstler, man wisse nicht, solle man mehr über die unerhörte Keckheit des Spiels, oder über die vollendete Sicherheit, mit welcher es ausgeführt werde, oder über die Resultate erstaunen. Die Mechanik, der tiefe Ausdruck, die Feinheit der Nuancen – Alles sey Vollendung. Sein Spiel à livre ouvert sey wirklich erschreckend. Er habe ihm einige sehr schwere Compositionen vorgelegt, die, noch voller Fehler, eben vom Stechen gekommen, und Liszt habe sie nicht nur beim ersten Anblick im schnellsten Tempo abgespielt, sondern auch zugleich alle Fehler berichtigt. Wenn man Liszt mit Paganini vergleicht, so muß man nicht vergessen, auf die Unterschiede zwischen beiden aufmerksam zu machen. Liszt ist nicht bloß Clavierspieler, er ist auch ausgezeichneter Componist; nicht Musiker allein, auch vielseitig gebildeter Litterat, glücklicher Dichter, gewandter und geistreicher Stylist und höchst unterrichteter und angenehmer Gesellschafter und Weltmann; vor Allem aber ein tüchtiger, wohlwollender und guter Mensch, eine durch und durch edle Natur. Allerdings gibt es Leute, die der Meinung sind, seine Compositionen ständen weit hinter seiner Execution zurück; in dieser Beziehung seyen keine großen Fortschritte mehr von ihm zu erwarten. Sehr competente Tonrichter erklären dagegen diese Ansicht für unstichhaltig; es sey unbillig, sagen sie, von einem jungen Manne von 28 Jahren, der bisher seine Hauptkräfte auf die Execution verwendet, zu verlangen, er solle jetzt schon in der Composition in gleichem Grade excelliren, oder ihm die Zukunft als Componist abzusprechen. Ein Mann von solchem Geist und solchen gelehrten Mitteln habe sicherlich auch in dieser Beziehung eine bedeutende Zukunft. Vorläufig werden Liszt's Pélérinages d'un artiste, wovon der erste Band bereits bei Haslinger in Wien gedruckt ist, und demnächst ausgegeben werden soll, das musikalische Publicum in den Stand setzen, über diese verschiedenen Ansichten ein Urtheil zu fällen. In <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0013" n="1077"/> aus Constantine an sich ziehen, die Gränzen dieser Provinz in den Rücken nehmen und gegen Westen offensiv vorrücken, langsam, um mit den verschiedenen Stämmen, namentlich mit den vielen, dem Emir feindseligen Elementen in Titteri Verbindungen anzuknüpfen, und wo möglich die Benimesaben zu veranlassen, kräftiger gegen den Emir aufzutreten. Wäre die östliche Division auf der Höhe der mittleren angekommen, so würde diese an der offensiven Bewegung gegen Westen theilnehmen. Den Schluß würde ein Schlag der drei Divisionen gegen Maskara und Tekedemt bilden, wo der Emir einem entscheidenden Kampf, dessen Erfolg nicht zweifelhaft ist, nicht mehr ausweichen könnte. Die gegenwärtig in Afrika befindlichen französischen Streitkräfte genügen für diese Operationen, deren System sich als eine Umgehung vom linken Flügel aus darstellt. Die nothwendige Bedingung einer gehörigen Stütze hinter dem vorgeschobenen Flügel ist in der Provinz Constantine seit dem Frieden an der Tafna geschaffen worden, und es geht daraus hervor, daß das Gouvernement in der Förderung der afrikanischen Sache die Zeit nicht verloren hat.“</p><lb/> <p>So der Ideengang in dem Aufsatze der helvetischen Militärzeitschrift. 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Man brannte vor Begierde, nach selbsteigenem Gehör zu beurtheilen, ob Liszt wirklich während seiner dreijährigen Wanderzeit in Italien, Deutschland und Ungarn sein unnachahmliches Spiel noch weiter ausgebildet habe.</p><lb/> <p>Allgemein war daher das Bedauern, als man vernahm, er werde, ohne hier Concerte zu geben, nach kurzer Rast seine Reise nach England fortsetzen. Um so größer war aber auch die Freude, als die Nachricht erscholl, der König der Pianisten – so nennt ihn Hector Berlioz im Journal des Débats – dieweil es ihm für dießmal unmöglich, Paris seine Aufwartung zu machen, werde sich die Ehre geben, die Kunsthauptstadt der Welt bei sich zu empfangen und ihr ein musikalisches Fest zu bereiten, ganz nach der Weise der andern Könige – nämlich mit freiem Eintritt. Nun müssen Sie wissen, daß, nicht zu gedenken der Unzahl der musikalischen, litterarischen und fashionablen Notabilitäten von Paris, und ohne insbesondere die Legion der vornehmen Dilettanten auf dem Fortepiano in Berechnung zu bringen, an die fünfzehnhundert Pianisten von Profession in Paris leben, von denen natürlich ein großer Theil um Eintrittskarten sich bewarb und sie auch erhielt. Sollten sie doch nach so langer Abwesenheit ihren König wieder sehen und die neuen Provinzen kennen lernen, die er im Reiche der Kunst erobert; handelte es sich doch um den Ruf und Werth des vollkommensten aller Instrumente, ihres Abgotts, des Piano's selbst, das in nie geahnter Vollkommenheit erscheinen sollte.</p><lb/> <p>Dieses Concert war eine matinée musicale, und ward in den eleganten Sälen Erards gegeben. Schon mehrere Stunden vor dem Anfang war Alles so gedrängt voll, daß die fashionablesten Damen, die später kamen, stehen mußten. 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Der Zweifel über die Neuheit des Spiels war bald verschwunden: donnernder Beifall – erst der Enthusiasten, dann der Ruhigen, dann der Phlegmatiker und Kritiker – Ausruf des Entzückens – allgemeiner Jubel – allgemeine Begeisterung – die elegantesten Damen steigen auf die Bänke, um Liszt und das Zauberspiel seiner Finger zu sehen – „das ist unerhört!“ – „das ist kein Piano, so wenig als Paganini's Violine eine Geige“ – „ein Orchester von hundert Instrumenten, dazwischen Solos von Flöten, Violinen und allen Instrumenten“ – „welche Engelsstimmen! wie aus fernen Welten herüber, und in der Nähe Sturmesbrausen und Donnerrollen und Wellengetöse, und dazwischen das herrliche Glockengeläute vom Kirchthurm und der fromme Orgelton“ – „welcher Ausdruck in diesen Schubert'schen Liederu, so hat sie noch kein Sänger vorgetragen“ – „welche Melancholie, welcher Reiz in dieser Phantasie, welche hinreißende Leidenschaft“ – „hundert Amorettentöne umschwärmen das majestätisch sich entrollende Thema; man weiß nicht woher sie kommen, diese wunderbaren Verzierungen; dabei schwärmt der Baß in tausend Phantasien; man erräth nicht, wie das zugeht –“ „doch! – zwei Finger spielen Pianissimo, drei Forte, die andere Hand Mezzo-Forte – das ist unerhört!“ Ich gebe Ihnen hier Aeußerungen, wie ich sie während der Pausen von <hi rendition="#g">Musikern</hi> gehört. Die Maler sprachen von Colorit, Perspective, gesättigtem Ton; die Bildhauer von plastischem Hervortreten, die Architekten von Symmetrie, jonischen und dorischen Säulen und gothischen Verzierungen; die Dichter von poetischen Ideen und Bildern. Was mich aber am meisten in Erstaunen setzte, das war ich selbst. Ich begriff mich gar nicht mehr, daß ich das Alles so begreifen konnte, als hätte ich es selbst gesagt, ja ich überredete mich sogar, ich würde es gesagt haben, hätten es die Andern nicht vor mir gesagt. Während ich sonst oft in den Concerten in die Unart verfalle, meinen Ohren Urlaub zu geben und meine Augen zu promeniren, war es mir jetzt, als wäre mir der musikalische Staar gestochen; ich konnte die ganze Zeit dasitzen und nichts thun als Liszt'sche Töne schlürfen und sie mir auf diese oder jene Weise verbildlichen; ja weiß der Himmel, es träumte mir dabei, ich werde noch in meinen alten Tagen meine musikalische Erziehung machen und Musikberichte schreiben. Das vermag ein Genie. Nachher sagte mir ein bedeutender Künstler, man wisse nicht, solle man mehr über die unerhörte Keckheit des Spiels, oder über die vollendete Sicherheit, mit welcher es ausgeführt werde, oder über die Resultate erstaunen. Die Mechanik, der tiefe Ausdruck, die Feinheit der Nuancen – Alles sey Vollendung. Sein Spiel à livre ouvert sey wirklich erschreckend. Er habe ihm einige sehr schwere Compositionen vorgelegt, die, noch voller Fehler, eben vom Stechen gekommen, und Liszt habe sie nicht nur beim ersten Anblick im schnellsten Tempo abgespielt, sondern auch zugleich alle Fehler berichtigt.</p><lb/> <p>Wenn man Liszt mit Paganini vergleicht, so muß man nicht vergessen, auf die Unterschiede zwischen beiden aufmerksam zu machen. Liszt ist nicht bloß Clavierspieler, er ist auch ausgezeichneter Componist; nicht Musiker allein, auch vielseitig gebildeter Litterat, glücklicher Dichter, gewandter und geistreicher Stylist und höchst unterrichteter und angenehmer Gesellschafter und Weltmann; vor Allem aber ein tüchtiger, wohlwollender und guter Mensch, eine durch und durch edle Natur. Allerdings gibt es Leute, die der Meinung sind, seine Compositionen ständen weit hinter seiner Execution zurück; in dieser Beziehung seyen keine großen Fortschritte mehr von ihm zu erwarten. Sehr competente Tonrichter erklären dagegen diese Ansicht für unstichhaltig; es sey unbillig, sagen sie, von einem jungen Manne von 28 Jahren, der bisher seine Hauptkräfte auf die Execution verwendet, zu verlangen, er solle jetzt schon in der Composition in gleichem Grade excelliren, oder ihm die Zukunft als Componist abzusprechen. Ein Mann von solchem Geist und solchen gelehrten Mitteln habe sicherlich auch in dieser Beziehung eine bedeutende Zukunft. Vorläufig werden Liszt's Pélérinages d'un artiste, wovon der erste Band bereits bei Haslinger in Wien gedruckt ist, und demnächst ausgegeben werden soll, das musikalische Publicum in den Stand setzen, über diese verschiedenen Ansichten ein Urtheil zu fällen. In<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1077/0013]
aus Constantine an sich ziehen, die Gränzen dieser Provinz in den Rücken nehmen und gegen Westen offensiv vorrücken, langsam, um mit den verschiedenen Stämmen, namentlich mit den vielen, dem Emir feindseligen Elementen in Titteri Verbindungen anzuknüpfen, und wo möglich die Benimesaben zu veranlassen, kräftiger gegen den Emir aufzutreten. Wäre die östliche Division auf der Höhe der mittleren angekommen, so würde diese an der offensiven Bewegung gegen Westen theilnehmen. Den Schluß würde ein Schlag der drei Divisionen gegen Maskara und Tekedemt bilden, wo der Emir einem entscheidenden Kampf, dessen Erfolg nicht zweifelhaft ist, nicht mehr ausweichen könnte. Die gegenwärtig in Afrika befindlichen französischen Streitkräfte genügen für diese Operationen, deren System sich als eine Umgehung vom linken Flügel aus darstellt. Die nothwendige Bedingung einer gehörigen Stütze hinter dem vorgeschobenen Flügel ist in der Provinz Constantine seit dem Frieden an der Tafna geschaffen worden, und es geht daraus hervor, daß das Gouvernement in der Förderung der afrikanischen Sache die Zeit nicht verloren hat.“
So der Ideengang in dem Aufsatze der helvetischen Militärzeitschrift. Die Ereignisse des Sommers werden zeigen, in wie weit es dem Verfasser gelungen ist, den Plan des Marschalls zu durchschauen.
Franz Liszt.
_ Paris, 5 Mai. Wenn Mars ruht, durchzieht Apoll die Länder mit seinem Saitenspiel; wo jener schreckte, verwundete, zerstörte, heilt und belebt der Gott der Künste – entzückt und veredelt er die Herzen der Menschen. Wohl sind auch seine Triumphe nicht frei von Thränen, aber es sind Freudenthränen. Auch vor ihm beugen sich die Besiegten, doch nur überwältigt von edlen Empfindungen. – Gleichwie aber das Leben der Kunst-Heroen entschieden ein schöneres ist als das der Schlachtengewinner, so will uns bedünken, ihre Unsterblichkeit sey nicht minder eine edlere und segensreichere, also mindestens eine eben so verdiente. Schon die Alten, in deren Mythen der Gott der Töne nicht eben eine schlechtere Rolle spielt, als der Gott der Schlachten, scheinen dieser Ansicht gewesen zu seyn. Wir aber holen so weit aus, um ein artiges Gleichniß des genialen George Sand zu rechtfertigen, der von Franz Liszt gesagt haben soll: „Der Napoleon des Fortepiano sey von seinen transalpinischen und transrhenanischen Triumphen nach Paris zurückgekehrt, um neue Feldzüge gegen England und Rußland zu meditiren.“ In der That, Paris – oder doch die musikalisch-litterarisch-fashionable Welt von Paris – war in großer Bewegung bei der Nachricht von der endlichen Rückkehr des längst Ersehnten. Man verkündigte ein neues Aufleben der schon halb eingeschlafenen musikalischen Saison. Man brannte vor Begierde, nach selbsteigenem Gehör zu beurtheilen, ob Liszt wirklich während seiner dreijährigen Wanderzeit in Italien, Deutschland und Ungarn sein unnachahmliches Spiel noch weiter ausgebildet habe.
Allgemein war daher das Bedauern, als man vernahm, er werde, ohne hier Concerte zu geben, nach kurzer Rast seine Reise nach England fortsetzen. Um so größer war aber auch die Freude, als die Nachricht erscholl, der König der Pianisten – so nennt ihn Hector Berlioz im Journal des Débats – dieweil es ihm für dießmal unmöglich, Paris seine Aufwartung zu machen, werde sich die Ehre geben, die Kunsthauptstadt der Welt bei sich zu empfangen und ihr ein musikalisches Fest zu bereiten, ganz nach der Weise der andern Könige – nämlich mit freiem Eintritt. Nun müssen Sie wissen, daß, nicht zu gedenken der Unzahl der musikalischen, litterarischen und fashionablen Notabilitäten von Paris, und ohne insbesondere die Legion der vornehmen Dilettanten auf dem Fortepiano in Berechnung zu bringen, an die fünfzehnhundert Pianisten von Profession in Paris leben, von denen natürlich ein großer Theil um Eintrittskarten sich bewarb und sie auch erhielt. Sollten sie doch nach so langer Abwesenheit ihren König wieder sehen und die neuen Provinzen kennen lernen, die er im Reiche der Kunst erobert; handelte es sich doch um den Ruf und Werth des vollkommensten aller Instrumente, ihres Abgotts, des Piano's selbst, das in nie geahnter Vollkommenheit erscheinen sollte.
Dieses Concert war eine matinée musicale, und ward in den eleganten Sälen Erards gegeben. Schon mehrere Stunden vor dem Anfang war Alles so gedrängt voll, daß die fashionablesten Damen, die später kamen, stehen mußten. Als endlich Liszt sich setzte, warf ich einen Blick rings umher: die Gesellschaft war, lange bevor ein Ton erklang, wörtlich ganz Ohr. Man sah deutlich wie die Zuhörer sich zum voraus anstrengten, ihr Gehörorgan weit und weiter aufzuthun, um es in den Stand zu setzen, alle Töne, die erklingen sollten, selbst die feinsten, einzuschlürfen. Der Zweifel über die Neuheit des Spiels war bald verschwunden: donnernder Beifall – erst der Enthusiasten, dann der Ruhigen, dann der Phlegmatiker und Kritiker – Ausruf des Entzückens – allgemeiner Jubel – allgemeine Begeisterung – die elegantesten Damen steigen auf die Bänke, um Liszt und das Zauberspiel seiner Finger zu sehen – „das ist unerhört!“ – „das ist kein Piano, so wenig als Paganini's Violine eine Geige“ – „ein Orchester von hundert Instrumenten, dazwischen Solos von Flöten, Violinen und allen Instrumenten“ – „welche Engelsstimmen! wie aus fernen Welten herüber, und in der Nähe Sturmesbrausen und Donnerrollen und Wellengetöse, und dazwischen das herrliche Glockengeläute vom Kirchthurm und der fromme Orgelton“ – „welcher Ausdruck in diesen Schubert'schen Liederu, so hat sie noch kein Sänger vorgetragen“ – „welche Melancholie, welcher Reiz in dieser Phantasie, welche hinreißende Leidenschaft“ – „hundert Amorettentöne umschwärmen das majestätisch sich entrollende Thema; man weiß nicht woher sie kommen, diese wunderbaren Verzierungen; dabei schwärmt der Baß in tausend Phantasien; man erräth nicht, wie das zugeht –“ „doch! – zwei Finger spielen Pianissimo, drei Forte, die andere Hand Mezzo-Forte – das ist unerhört!“ Ich gebe Ihnen hier Aeußerungen, wie ich sie während der Pausen von Musikern gehört. Die Maler sprachen von Colorit, Perspective, gesättigtem Ton; die Bildhauer von plastischem Hervortreten, die Architekten von Symmetrie, jonischen und dorischen Säulen und gothischen Verzierungen; die Dichter von poetischen Ideen und Bildern. Was mich aber am meisten in Erstaunen setzte, das war ich selbst. Ich begriff mich gar nicht mehr, daß ich das Alles so begreifen konnte, als hätte ich es selbst gesagt, ja ich überredete mich sogar, ich würde es gesagt haben, hätten es die Andern nicht vor mir gesagt. Während ich sonst oft in den Concerten in die Unart verfalle, meinen Ohren Urlaub zu geben und meine Augen zu promeniren, war es mir jetzt, als wäre mir der musikalische Staar gestochen; ich konnte die ganze Zeit dasitzen und nichts thun als Liszt'sche Töne schlürfen und sie mir auf diese oder jene Weise verbildlichen; ja weiß der Himmel, es träumte mir dabei, ich werde noch in meinen alten Tagen meine musikalische Erziehung machen und Musikberichte schreiben. Das vermag ein Genie. Nachher sagte mir ein bedeutender Künstler, man wisse nicht, solle man mehr über die unerhörte Keckheit des Spiels, oder über die vollendete Sicherheit, mit welcher es ausgeführt werde, oder über die Resultate erstaunen. Die Mechanik, der tiefe Ausdruck, die Feinheit der Nuancen – Alles sey Vollendung. Sein Spiel à livre ouvert sey wirklich erschreckend. Er habe ihm einige sehr schwere Compositionen vorgelegt, die, noch voller Fehler, eben vom Stechen gekommen, und Liszt habe sie nicht nur beim ersten Anblick im schnellsten Tempo abgespielt, sondern auch zugleich alle Fehler berichtigt.
Wenn man Liszt mit Paganini vergleicht, so muß man nicht vergessen, auf die Unterschiede zwischen beiden aufmerksam zu machen. Liszt ist nicht bloß Clavierspieler, er ist auch ausgezeichneter Componist; nicht Musiker allein, auch vielseitig gebildeter Litterat, glücklicher Dichter, gewandter und geistreicher Stylist und höchst unterrichteter und angenehmer Gesellschafter und Weltmann; vor Allem aber ein tüchtiger, wohlwollender und guter Mensch, eine durch und durch edle Natur. Allerdings gibt es Leute, die der Meinung sind, seine Compositionen ständen weit hinter seiner Execution zurück; in dieser Beziehung seyen keine großen Fortschritte mehr von ihm zu erwarten. Sehr competente Tonrichter erklären dagegen diese Ansicht für unstichhaltig; es sey unbillig, sagen sie, von einem jungen Manne von 28 Jahren, der bisher seine Hauptkräfte auf die Execution verwendet, zu verlangen, er solle jetzt schon in der Composition in gleichem Grade excelliren, oder ihm die Zukunft als Componist abzusprechen. Ein Mann von solchem Geist und solchen gelehrten Mitteln habe sicherlich auch in dieser Beziehung eine bedeutende Zukunft. Vorläufig werden Liszt's Pélérinages d'un artiste, wovon der erste Band bereits bei Haslinger in Wien gedruckt ist, und demnächst ausgegeben werden soll, das musikalische Publicum in den Stand setzen, über diese verschiedenen Ansichten ein Urtheil zu fällen. In
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