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Allgemeine Zeitung. Nr. 135. Augsburg, 14. Mai 1840.

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ist. Das angebotene Land für die gedienten Soldaten ist so unbedeutend, daß Niemand daran denken kann, daraus sich selbst geschweige denn noch eine Familie zu ernähren. Käme ein Colonisationsproject im Großen zur Sprache, so würde ein solches große Theilnahme finden, wie denn überhaupt Europa an Uebervölkerung leidet und ein nicht geringer Theil derselben sehnsüchtige Blicke nach einer neuen Heimath wendet. Damit aber ein solches Project zu Stande käme, müßte eine solide europäische Macht dasselbe nähren und schützen.

Unsere Hochschule hat durch die Berufung des Anatomen Henle aus Berlin, welcher den Ruf angenommen, eine Acquisition gemacht, zu der man uns von allen Seiten her Glück wünscht. In kurzem soll nun auch Schönleins Stelle wieder besetzt werden; und wenn wir auch hier keine Hoffnung haben können, einen Gelehrten von solchem Rang und Namen zu gewinnen, so sind doch auch hier die Aussichten recht erfreulich. Der große Spitalbau naht bald seiner Vollendung, das Absonderungshaus ist bereits bezogen.

Algier.

Die Werbungsversuche des Obersten Dell-Hoste für Brasilien haben keinen Fortgang. Alle Zeitungen, selbst die Allgemeine Schweizer Zeitung, sonst dem fremden Dienste hold, sind dagegen, und die größern Kantone haben das Gesuch abgelehnt, unter Bezugnahme auf ihre Verfassungen, die keine neuen Capitulationen gestatten (z. B. Verfassung für die Republik Bern §. 28: "Es soll in Zukunft keine Militärcapitulation mit einem fremden Staate geschlossen werden"). Dennoch würde der Oberst wohl einen Kanton gefunden haben, der die Werbung gestattete, Officiere und Mannschaft würden ihm in hinreichender Zahl zu Gebot stehen, wenn er sich über gehörige Vollmachten und Geldmittel hätte ausweisen können. Allein daran scheint es eben zu fehlen, und - kein Geld, keine Schweizer. Leute, welche zum brasilischen Dienst bereit sind, haben keine höheren Zwecke als den Sold im Auge. Officiere namentlich, denen es darum zu thun ist, den Krieg zu lernen, gehen lieber zu den Franzosen nach Algier. Von solchen gelangen denn Nachrichten und Urtheile hieher, welche keineswegs mit den Klagen zusammenstimmen, die in französischen und deutschen Correspondenzen so häufig gegen die politische und militärische Verwaltung des Marschalls Valee laut werden. Sie schildern ihn zwar als einen finstern und harten Mann, glauben aber, daß er mit Feldherrntalent und mit Energie einen Plan verfolge, der allein geeignet sey, Abd-El-Kaders Herrschaft niederzuwerfen und Algerien dauernd für Frankreich zu gewinnen. Sie lassen sich nicht irre machen durch Colonisten, wenn sie klagen, daß der Marschall zur Rettung ihrer Fermen nicht ins Feld gezogen, noch durch Militärs, wenn sie tadeln, daß der Feldherr nicht alle disponibeln Kräfte an den Punkt entsendet, wo gerade für den Augenblick Gefahr ist - nach Oran. Ein solches, durch eigene Anschauung gewonnenes Urtheil ist im 1sten Heft 1840 der helvetischen Militärzeitschrift niedergelegt, zugleich mit der Skizze eines Operationsplans, dessen Grundzüge eine Erwähnung in doppelter Hinsicht verdienen: einmal zur Berichtigung schiefer Urtheile über den Marschall-Gouverneur, und dann, weil der Verlauf des begonnenen Feldzugs wahrscheinlich zeigen wird, daß der Verfasser des im Anfang Februars geschriebenen Aufsatzes richtig gesehen hat. Jene Grundzüge sind nun in Kürze folgende:
"Abd-El-Kader ist nicht der Mann, und die Eingebornen Algeriens sind, bei der Verschiedenheit der Stämme nicht das Volk, von denen, im Falle Frankreich sich zurückzöge, eine Staatenbildung zu erwarten wäre. Die französische Besetzung Afrika's hat eine weltgeschichtliche Aufgabe: die Verbindung und wechselseitige Erfrischung europäischen und orientalischen Geistes auf diesem Punkte zu lösen. Ein Zurückdrängen der Eingebornen in das Innere wäre darum unzweckmäßig; außerdem aber barbarisch, und auch nachtheilig, weil es die feindlichen Kräfte concentriren würde. In der Umgebung einiger Küstenplätze mag dafür gesorgt werden, daß die europäische Einwanderung überwiege, um hier für den Fall eines allgemeinen Kriegs eine festere Stütze zu haben; im Uebrigen lasse man die Eingebornen wo sie sind. Um sie an Frankreich zu gewöhnen, bedarf es einer angemessenen Behandlungsweise und eines dauernden Schutzes durch bleibende Besitzungen im Innern. Fehlen diese, so wagen die Stämme nicht, es mit Abd-El-Kader zu verderben.

"Marschall Valee ist der Erste, der in der Organisirung der Provinz Constantine den rechten Weg eingeschlagen hat, nachdem er bei der Erstürmung bewiesen hatte, daß er im rechten Augenblick das Aeußerste zu wagen nicht ansteht. Ungestört in Sitten und Religionsübung, geschützt in ihrem Handel, leben die Einwohner in den beiden Städten Constantine und Bona, jede mit ihrem Bezirke von vier Stunden, in sechs Chalifaten, jeder Stamm unter seinem Kaid, jedes Duar unter seinem Scheik. Die angeseheneren Einwohner erblicken in Frankreichs Herrschaft die Garantie einer bessern Zukunft, und mehrere derselben schicken ihre Söhne in das arabische Institut nach Paris. Zugleich werden von dort aus weitgehende Verbindungen unterhalten, welche nunmehr durch die Besetzung von Biskara eine bedeutendere Ausdehnung erlangen. Die Biskeris handeln weit ins Innere; das Gouvernement schützt die Karawanen ohne besondere Abgaben. In Algier mehrt sich die Zahl der Biskeris und der Benimesaben. Für die Ansiedelungen um Algier hat das Gouvernement viel gethan. Das Haupthinderniß ihres Aufschwungs war bisher die Nähe des Abd-El-Kader'schen Gebiets, acht bis sechzehn Stunden von der Stadt, welches den Räubern sichere Zuflucht gewährte. In der Provinz Oran sind die Franzosen am schwächsten, und fast nur auf einige Küstenpunkte beschränkt.

"Die militärische Aufgabe ist: 1) den Emir zu schlagen und 2) durch Anlegung zweckmäßiger militärischer Linien, wodurch große Landstrecken seinem Einfluß entzogen werden, ihn zu hindern, sich nach der Niederlage wieder aufzurichten. Bedenkt man nun: daß der Sieg gegen die Beduinen im freien Felde leicht, aber nur von geringer Wirkungssphäre ist; daß 7 bis 8000 Franzosen hinreichen, 12 bis 20,000 Arabern, der größten Zahl, die Abd-El-Kader zusammenbringen kann, die Spitze zu bieten; daß jede bedeutende Unternehmung die Provinz, von der sie ausgeht, gegen größere Invasionen schützt: so ergibt sich, daß die Theilung der Kraft durch die Umstände geboten wird. Es könnte demnach aus jeder Provinz eine active Division von 7 bis 8000 Mann hervorbrechen. Die westliche und mittlere würden sich vorerst mehr defensiv verhalten, und von beiden Enden zugleich mit Herstellung einer militärischen Linie beschäftigen, die Mostaganem zum rechten, Belida zum linken Flügelpunkt - und über Miliana ziehend, dem Laufe des Schelif entlang alle sechs bis sieben Stunden einen befestigten Punkt erhielte. Die hiezu erforderlichen würden den Emir im Westen festhalten, und ihm kaum gestatten, seine Hauptkraft zu einem Einfall in die Provinz Algier, noch weniger in Constantine zu verwenden. Die östliche Division würde unterdessen, wenn nicht unmittelbar aus der Provinz Constantine, doch aus dem östlichen Theile von Algier, etwa von Fonduk nach Hamza vorgehen, dort einige Tausend Reiter

ist. Das angebotene Land für die gedienten Soldaten ist so unbedeutend, daß Niemand daran denken kann, daraus sich selbst geschweige denn noch eine Familie zu ernähren. Käme ein Colonisationsproject im Großen zur Sprache, so würde ein solches große Theilnahme finden, wie denn überhaupt Europa an Uebervölkerung leidet und ein nicht geringer Theil derselben sehnsüchtige Blicke nach einer neuen Heimath wendet. Damit aber ein solches Project zu Stande käme, müßte eine solide europäische Macht dasselbe nähren und schützen.

Unsere Hochschule hat durch die Berufung des Anatomen Henle aus Berlin, welcher den Ruf angenommen, eine Acquisition gemacht, zu der man uns von allen Seiten her Glück wünscht. In kurzem soll nun auch Schönleins Stelle wieder besetzt werden; und wenn wir auch hier keine Hoffnung haben können, einen Gelehrten von solchem Rang und Namen zu gewinnen, so sind doch auch hier die Aussichten recht erfreulich. Der große Spitalbau naht bald seiner Vollendung, das Absonderungshaus ist bereits bezogen.

Algier.

Die Werbungsversuche des Obersten Dell-Hoste für Brasilien haben keinen Fortgang. Alle Zeitungen, selbst die Allgemeine Schweizer Zeitung, sonst dem fremden Dienste hold, sind dagegen, und die größern Kantone haben das Gesuch abgelehnt, unter Bezugnahme auf ihre Verfassungen, die keine neuen Capitulationen gestatten (z. B. Verfassung für die Republik Bern §. 28: „Es soll in Zukunft keine Militärcapitulation mit einem fremden Staate geschlossen werden“). Dennoch würde der Oberst wohl einen Kanton gefunden haben, der die Werbung gestattete, Officiere und Mannschaft würden ihm in hinreichender Zahl zu Gebot stehen, wenn er sich über gehörige Vollmachten und Geldmittel hätte ausweisen können. Allein daran scheint es eben zu fehlen, und – kein Geld, keine Schweizer. Leute, welche zum brasilischen Dienst bereit sind, haben keine höheren Zwecke als den Sold im Auge. Officiere namentlich, denen es darum zu thun ist, den Krieg zu lernen, gehen lieber zu den Franzosen nach Algier. Von solchen gelangen denn Nachrichten und Urtheile hieher, welche keineswegs mit den Klagen zusammenstimmen, die in französischen und deutschen Correspondenzen so häufig gegen die politische und militärische Verwaltung des Marschalls Valée laut werden. Sie schildern ihn zwar als einen finstern und harten Mann, glauben aber, daß er mit Feldherrntalent und mit Energie einen Plan verfolge, der allein geeignet sey, Abd-El-Kaders Herrschaft niederzuwerfen und Algerien dauernd für Frankreich zu gewinnen. Sie lassen sich nicht irre machen durch Colonisten, wenn sie klagen, daß der Marschall zur Rettung ihrer Fermen nicht ins Feld gezogen, noch durch Militärs, wenn sie tadeln, daß der Feldherr nicht alle disponibeln Kräfte an den Punkt entsendet, wo gerade für den Augenblick Gefahr ist – nach Oran. Ein solches, durch eigene Anschauung gewonnenes Urtheil ist im 1sten Heft 1840 der helvetischen Militärzeitschrift niedergelegt, zugleich mit der Skizze eines Operationsplans, dessen Grundzüge eine Erwähnung in doppelter Hinsicht verdienen: einmal zur Berichtigung schiefer Urtheile über den Marschall-Gouverneur, und dann, weil der Verlauf des begonnenen Feldzugs wahrscheinlich zeigen wird, daß der Verfasser des im Anfang Februars geschriebenen Aufsatzes richtig gesehen hat. Jene Grundzüge sind nun in Kürze folgende:
„Abd-El-Kader ist nicht der Mann, und die Eingebornen Algeriens sind, bei der Verschiedenheit der Stämme nicht das Volk, von denen, im Falle Frankreich sich zurückzöge, eine Staatenbildung zu erwarten wäre. Die französische Besetzung Afrika's hat eine weltgeschichtliche Aufgabe: die Verbindung und wechselseitige Erfrischung europäischen und orientalischen Geistes auf diesem Punkte zu lösen. Ein Zurückdrängen der Eingebornen in das Innere wäre darum unzweckmäßig; außerdem aber barbarisch, und auch nachtheilig, weil es die feindlichen Kräfte concentriren würde. In der Umgebung einiger Küstenplätze mag dafür gesorgt werden, daß die europäische Einwanderung überwiege, um hier für den Fall eines allgemeinen Kriegs eine festere Stütze zu haben; im Uebrigen lasse man die Eingebornen wo sie sind. Um sie an Frankreich zu gewöhnen, bedarf es einer angemessenen Behandlungsweise und eines dauernden Schutzes durch bleibende Besitzungen im Innern. Fehlen diese, so wagen die Stämme nicht, es mit Abd-El-Kader zu verderben.

„Marschall Valée ist der Erste, der in der Organisirung der Provinz Constantine den rechten Weg eingeschlagen hat, nachdem er bei der Erstürmung bewiesen hatte, daß er im rechten Augenblick das Aeußerste zu wagen nicht ansteht. Ungestört in Sitten und Religionsübung, geschützt in ihrem Handel, leben die Einwohner in den beiden Städten Constantine und Bona, jede mit ihrem Bezirke von vier Stunden, in sechs Chalifaten, jeder Stamm unter seinem Kaid, jedes Duar unter seinem Scheik. Die angeseheneren Einwohner erblicken in Frankreichs Herrschaft die Garantie einer bessern Zukunft, und mehrere derselben schicken ihre Söhne in das arabische Institut nach Paris. Zugleich werden von dort aus weitgehende Verbindungen unterhalten, welche nunmehr durch die Besetzung von Biskara eine bedeutendere Ausdehnung erlangen. Die Biskeris handeln weit ins Innere; das Gouvernement schützt die Karawanen ohne besondere Abgaben. In Algier mehrt sich die Zahl der Biskeris und der Benimesaben. Für die Ansiedelungen um Algier hat das Gouvernement viel gethan. Das Haupthinderniß ihres Aufschwungs war bisher die Nähe des Abd-El-Kader'schen Gebiets, acht bis sechzehn Stunden von der Stadt, welches den Räubern sichere Zuflucht gewährte. In der Provinz Oran sind die Franzosen am schwächsten, und fast nur auf einige Küstenpunkte beschränkt.

„Die militärische Aufgabe ist: 1) den Emir zu schlagen und 2) durch Anlegung zweckmäßiger militärischer Linien, wodurch große Landstrecken seinem Einfluß entzogen werden, ihn zu hindern, sich nach der Niederlage wieder aufzurichten. Bedenkt man nun: daß der Sieg gegen die Beduinen im freien Felde leicht, aber nur von geringer Wirkungssphäre ist; daß 7 bis 8000 Franzosen hinreichen, 12 bis 20,000 Arabern, der größten Zahl, die Abd-El-Kader zusammenbringen kann, die Spitze zu bieten; daß jede bedeutende Unternehmung die Provinz, von der sie ausgeht, gegen größere Invasionen schützt: so ergibt sich, daß die Theilung der Kraft durch die Umstände geboten wird. Es könnte demnach aus jeder Provinz eine active Division von 7 bis 8000 Mann hervorbrechen. Die westliche und mittlere würden sich vorerst mehr defensiv verhalten, und von beiden Enden zugleich mit Herstellung einer militärischen Linie beschäftigen, die Mostaganem zum rechten, Belida zum linken Flügelpunkt – und über Miliana ziehend, dem Laufe des Schelif entlang alle sechs bis sieben Stunden einen befestigten Punkt erhielte. Die hiezu erforderlichen würden den Emir im Westen festhalten, und ihm kaum gestatten, seine Hauptkraft zu einem Einfall in die Provinz Algier, noch weniger in Constantine zu verwenden. Die östliche Division würde unterdessen, wenn nicht unmittelbar aus der Provinz Constantine, doch aus dem östlichen Theile von Algier, etwa von Fonduk nach Hamza vorgehen, dort einige Tausend Reiter

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[1076/0012] ist. Das angebotene Land für die gedienten Soldaten ist so unbedeutend, daß Niemand daran denken kann, daraus sich selbst geschweige denn noch eine Familie zu ernähren. Käme ein Colonisationsproject im Großen zur Sprache, so würde ein solches große Theilnahme finden, wie denn überhaupt Europa an Uebervölkerung leidet und ein nicht geringer Theil derselben sehnsüchtige Blicke nach einer neuen Heimath wendet. Damit aber ein solches Project zu Stande käme, müßte eine solide europäische Macht dasselbe nähren und schützen. Unsere Hochschule hat durch die Berufung des Anatomen Henle aus Berlin, welcher den Ruf angenommen, eine Acquisition gemacht, zu der man uns von allen Seiten her Glück wünscht. In kurzem soll nun auch Schönleins Stelle wieder besetzt werden; und wenn wir auch hier keine Hoffnung haben können, einen Gelehrten von solchem Rang und Namen zu gewinnen, so sind doch auch hier die Aussichten recht erfreulich. Der große Spitalbau naht bald seiner Vollendung, das Absonderungshaus ist bereits bezogen. Algier. _ Vom Jura, 3 Mai. Die Werbungsversuche des Obersten Dell-Hoste für Brasilien haben keinen Fortgang. Alle Zeitungen, selbst die Allgemeine Schweizer Zeitung, sonst dem fremden Dienste hold, sind dagegen, und die größern Kantone haben das Gesuch abgelehnt, unter Bezugnahme auf ihre Verfassungen, die keine neuen Capitulationen gestatten (z. B. Verfassung für die Republik Bern §. 28: „Es soll in Zukunft keine Militärcapitulation mit einem fremden Staate geschlossen werden“). Dennoch würde der Oberst wohl einen Kanton gefunden haben, der die Werbung gestattete, Officiere und Mannschaft würden ihm in hinreichender Zahl zu Gebot stehen, wenn er sich über gehörige Vollmachten und Geldmittel hätte ausweisen können. Allein daran scheint es eben zu fehlen, und – kein Geld, keine Schweizer. Leute, welche zum brasilischen Dienst bereit sind, haben keine höheren Zwecke als den Sold im Auge. Officiere namentlich, denen es darum zu thun ist, den Krieg zu lernen, gehen lieber zu den Franzosen nach Algier. Von solchen gelangen denn Nachrichten und Urtheile hieher, welche keineswegs mit den Klagen zusammenstimmen, die in französischen und deutschen Correspondenzen so häufig gegen die politische und militärische Verwaltung des Marschalls Valée laut werden. Sie schildern ihn zwar als einen finstern und harten Mann, glauben aber, daß er mit Feldherrntalent und mit Energie einen Plan verfolge, der allein geeignet sey, Abd-El-Kaders Herrschaft niederzuwerfen und Algerien dauernd für Frankreich zu gewinnen. Sie lassen sich nicht irre machen durch Colonisten, wenn sie klagen, daß der Marschall zur Rettung ihrer Fermen nicht ins Feld gezogen, noch durch Militärs, wenn sie tadeln, daß der Feldherr nicht alle disponibeln Kräfte an den Punkt entsendet, wo gerade für den Augenblick Gefahr ist – nach Oran. Ein solches, durch eigene Anschauung gewonnenes Urtheil ist im 1sten Heft 1840 der helvetischen Militärzeitschrift niedergelegt, zugleich mit der Skizze eines Operationsplans, dessen Grundzüge eine Erwähnung in doppelter Hinsicht verdienen: einmal zur Berichtigung schiefer Urtheile über den Marschall-Gouverneur, und dann, weil der Verlauf des begonnenen Feldzugs wahrscheinlich zeigen wird, daß der Verfasser des im Anfang Februars geschriebenen Aufsatzes richtig gesehen hat. Jene Grundzüge sind nun in Kürze folgende: „Abd-El-Kader ist nicht der Mann, und die Eingebornen Algeriens sind, bei der Verschiedenheit der Stämme nicht das Volk, von denen, im Falle Frankreich sich zurückzöge, eine Staatenbildung zu erwarten wäre. Die französische Besetzung Afrika's hat eine weltgeschichtliche Aufgabe: die Verbindung und wechselseitige Erfrischung europäischen und orientalischen Geistes auf diesem Punkte zu lösen. Ein Zurückdrängen der Eingebornen in das Innere wäre darum unzweckmäßig; außerdem aber barbarisch, und auch nachtheilig, weil es die feindlichen Kräfte concentriren würde. In der Umgebung einiger Küstenplätze mag dafür gesorgt werden, daß die europäische Einwanderung überwiege, um hier für den Fall eines allgemeinen Kriegs eine festere Stütze zu haben; im Uebrigen lasse man die Eingebornen wo sie sind. Um sie an Frankreich zu gewöhnen, bedarf es einer angemessenen Behandlungsweise und eines dauernden Schutzes durch bleibende Besitzungen im Innern. Fehlen diese, so wagen die Stämme nicht, es mit Abd-El-Kader zu verderben. „Marschall Valée ist der Erste, der in der Organisirung der Provinz Constantine den rechten Weg eingeschlagen hat, nachdem er bei der Erstürmung bewiesen hatte, daß er im rechten Augenblick das Aeußerste zu wagen nicht ansteht. Ungestört in Sitten und Religionsübung, geschützt in ihrem Handel, leben die Einwohner in den beiden Städten Constantine und Bona, jede mit ihrem Bezirke von vier Stunden, in sechs Chalifaten, jeder Stamm unter seinem Kaid, jedes Duar unter seinem Scheik. Die angeseheneren Einwohner erblicken in Frankreichs Herrschaft die Garantie einer bessern Zukunft, und mehrere derselben schicken ihre Söhne in das arabische Institut nach Paris. Zugleich werden von dort aus weitgehende Verbindungen unterhalten, welche nunmehr durch die Besetzung von Biskara eine bedeutendere Ausdehnung erlangen. Die Biskeris handeln weit ins Innere; das Gouvernement schützt die Karawanen ohne besondere Abgaben. In Algier mehrt sich die Zahl der Biskeris und der Benimesaben. Für die Ansiedelungen um Algier hat das Gouvernement viel gethan. Das Haupthinderniß ihres Aufschwungs war bisher die Nähe des Abd-El-Kader'schen Gebiets, acht bis sechzehn Stunden von der Stadt, welches den Räubern sichere Zuflucht gewährte. In der Provinz Oran sind die Franzosen am schwächsten, und fast nur auf einige Küstenpunkte beschränkt. „Die militärische Aufgabe ist: 1) den Emir zu schlagen und 2) durch Anlegung zweckmäßiger militärischer Linien, wodurch große Landstrecken seinem Einfluß entzogen werden, ihn zu hindern, sich nach der Niederlage wieder aufzurichten. Bedenkt man nun: daß der Sieg gegen die Beduinen im freien Felde leicht, aber nur von geringer Wirkungssphäre ist; daß 7 bis 8000 Franzosen hinreichen, 12 bis 20,000 Arabern, der größten Zahl, die Abd-El-Kader zusammenbringen kann, die Spitze zu bieten; daß jede bedeutende Unternehmung die Provinz, von der sie ausgeht, gegen größere Invasionen schützt: so ergibt sich, daß die Theilung der Kraft durch die Umstände geboten wird. Es könnte demnach aus jeder Provinz eine active Division von 7 bis 8000 Mann hervorbrechen. Die westliche und mittlere würden sich vorerst mehr defensiv verhalten, und von beiden Enden zugleich mit Herstellung einer militärischen Linie beschäftigen, die Mostaganem zum rechten, Belida zum linken Flügelpunkt – und über Miliana ziehend, dem Laufe des Schelif entlang alle sechs bis sieben Stunden einen befestigten Punkt erhielte. Die hiezu erforderlichen würden den Emir im Westen festhalten, und ihm kaum gestatten, seine Hauptkraft zu einem Einfall in die Provinz Algier, noch weniger in Constantine zu verwenden. Die östliche Division würde unterdessen, wenn nicht unmittelbar aus der Provinz Constantine, doch aus dem östlichen Theile von Algier, etwa von Fonduk nach Hamza vorgehen, dort einige Tausend Reiter

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 135. Augsburg, 14. Mai 1840, S. 1076. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_135_18400514/12>, abgerufen am 28.04.2024.