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Allgemeine Zeitung. Nr. 135. Augsburg, 14. Mai 1840.

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nur leicht den unendlich ernstern Conflict der Grundsätze verhülle. Sie haben auch nach der persönlichen Seite hin gar bald erkannt, daß Frankreich für den Augenblick keinen zweiten habe wie den Plebejer Thiers, daß er eben der Ausdruck der Epoche sey und daß seine Stellung an der Spitze der Opposition seiner Stellung an der Spitze der Gewalt an Bedeutung nichts nachgeben werde, weil er eben der Opposition erst brachte, was ihr fehlte: Disciplin, einen Feldherrn, einen Schlachtplan. Und sehen Sie nun, wie fein, wie leicht, wie bewußt er seine neue Stellung aufnimmt! Statt die Gewalt als solche zu compromittiren, statt sich mit plumper Ungeduld in eine maßlose Opposition zu stürzen, wartet er zu, schont, was zu schonen ist, läßt die Dinge sich gewähren und verwickeln; er hat das Auge des Moments, er weiß, die Zeit ist noch nicht gekommen. Der Conseilpräsident des 22 Februars wird anscheinend wieder, was er war: ein einfacher Bürger Frankreichs; aber das Auge seines Landes folgt diesem mächtigen Talent in die selbstgewählte Verbannung. Unter dem schönen Himmel Italiens, zu Florenz, wo der erste Meister moderner Geschichtschreibung, Macchiavelli, gelebt und geschrieben, beschäftigt sich der resignirte Reisende mit Darstellung florentinischer und französischer Geschichten. Man muß gestehen, in diesem Exil und seiner Muße liegt ein gewisser Zug von äußerer Würde, der an die classischen Staatsmänner des Alterthums, an die Weise, wie Fox und Canning die Ferien ihres politischen Lebens auszufüllen pflegten, erinnert.

Mittlerweile verwickeln sich die Dinge in Frankreich immer ernster. Graf Mole, ein Staatsmann der Napoleon'schen Schule, ein mittelmäßiger Geist mit attischen Formen, klug, gewandt, gemäßigt, vor allen Dingen durchaus resignirt, keinen andern Willen zu haben, als den seines königlichen Herrn, wird Conseilpräsident und Minister des Auswärtigen; Graf Montalivet, bisheriger Intendant der Civilliste, Minister des Innern. Ein böses Omen - die Nation betrachtet das ganze Ministerium weit mehr als eine Intendanz des Königs, denn als ein Ministerium im parlamentarischen Sinne. Der persönliche Gedanke erreicht in diesem Cabinet seinen reinsten Ausdruck, seine ungemischteste Vertretung; in demselben Augenblick tritt aber auch nach ewigen Gesetzen der dialektische Gegensatz in sein Recht, der Keim der Krisis ist gelegt, die Reaction natürlich, nothwendig, nahe. Dieß Ministerium ist verurtheilt bei der Geburt; es ist gerichtet, nicht durch seine Thaten, sondern durch seine Namen. Selbst die Amnestie, diese große Versöhnungsmaaßregel, die in der Hand einer volksthümlichen Verwaltung eine Waffe von unberechenbarer Bedeutung hätte werden mögen, geht im Ganzen spurlos an der Gleichgültigkeit der öffentlichen Meinung vorüber. Das Parlament grollt, die Presse erhebt sich mit einer seit den Septembergesetzen unerhörten Kühnheit. Da ist es Thiers, der plötzlich als der ordnende Geist der Bewegung hervortritt, der den zerfahrenen Elementen der Opposition erst Halt, Verbindung und Nachdruck gibt, der die alten Eifersuchten beschwört, die alten Feindschaften versöhnt, und eines Tages, zum Erstaunen der Welt, mit Guizot im rechten, mit Odilon Barrot im linken Arm auf dem Schlachtfeld erscheint. Die Bewegung wird nach und nach eine allgemeine; was in der Kammer, was im Lande nicht vollends zum Ballast gehört, was ein Talent, einen Charakter, ein Individuum, kurz eine höhere Bedeutung als die der Null hinter der Ziffer in Anspruch nimmt, eilt sich ihr anzuschließen. Nur die äußersten Enden der Rechten und Linken sondern sich beobachtend ab, weil sie eben an der ganzen Gegenwart nur ein rein negatives schadenfrohes Interesse nehmen. Gegenüber jenem gewaltigen Triumvirat hat der Hof nur den gewandten Diensteifer der Grafen Mole und Montalivet in die Wagschale zu legen, von höheren Talenten nur Hrn. v. Lamartine, dem ein gewisses trübes Pathos der Ideen nicht abgesprochen werden kann, geradezu aber aller staatsmännische Takt und Verstand, um bindend oder trennend, wie es kommt, in die Gestaltung des Moments einzugreifen. Ein Kampf, heißer und hartnäckiger als das Jahrzehent einen seit den Debatten über die englische Reformbill gesehen, entspinnt sich; wie der Sieg zu schwanken scheint, spricht Thiers das letzte scharfe entscheidende Wort, und die kühne Offenherzigkeit seiner Revelationen gibt dem bisherigen Regime den letzten Stoß. Das Ministerium fällt, es appellirt ans Land, es verliert den Proceß noch einmal, und diese Verurtheilung in letzter Instanz ist um so feierlicher, weil es selbst den tückischen Geist der Wahlurne heraufbeschworen und bearbeitet hat. Ein Ministerium Thiers erscheint unvermeidlich. - Da treibt jene seltsame Ironie, die so charakteristisch durch viele Blätter der französischen Geschichte neuester Zeit geht, noch einmal ihr wunderliches Spiel. Das Ministerium vom 12 Mai ist in der That ein Ministerium der Coalition, man nimmt die Dinge, die Ideen an, aber man nimmt sie nicht an in denjenigen Personen, in denen diese Dinge, diese Ideen zum lebendigsten Bewußtseyn, zum reifsten Ausspruch gekommen sind. Der 12 Mai ist eine Halbheit, eine Verlegenheit von Anfang an, die Perfidie seines Ursprungs wird sich an ihm rächen. In der That, was würde man sagen, wenn gegenwärtig in England eine Toryverwaltung gebildet werden sollte, und man darin die Namen Peel, Stanley, Graham, Lyndhurst durch Inferioritäten derselben Partei ersetzt fände? Man würde sagen, daß einem solchen Ministerium seine eigentliche Seele, seine rechte Lebenskraft gebreche, daß es verurtheilt sey, sich von höheren Intelligenzen ins Schlepptau nehmen zu lassen, statt die Lage selbstständig zu erfüllen und zu beherrschen.

Sieht man nun zunächst auf die Personen, so dürfte es freilich schwer halten, einen durchgreifenden Unterschied zwischen der Zusammensetzung des Ministeriums Thiers und des unmittelbar vorhergehenden Cabinets zu finden. Oder ist die Doctrine der HH. v. Jaubert und Remusat etwa weniger rein, als die des Grafen Duchatel gewesen? Theilen nicht Vivien und Dufaure alle Antecedentien ihres parlamentarischen Lebens? Und was ie edeln Pairs an der Spitze des Cultusministeriums betrifft, sind nicht Villemain und Cousin seit Jahren ihre Wege in der Pairskammer gemeinschaftlich gegangen? Nicht in diesen Specialitäten, aber in den Männern, denen beide Ministerien ihren Namen, ihre Taufe verdanken, liegt der charakteristische Unterschied, die geschichtliche Bedeutung derselben. Nicht darum hatten Kammer und Land das persönliche Regime verworfen, damit ein Soult einem Mole folge und das alte Spiel mit veränderter Rollenbesetzung von neuem beginne; der Gedanke des Parlaments war ein parlamentarisches Ministerium gewesen. Die Krone umging diesen Gedanken, und er wurde nur um so unvermeidlicher; sie acceptirte ihn erst, als er nicht mehr abgelehnt werden konnte. Daher ist die Bildung des Ministeriums Thiers ein Sieg des Parlaments über die Krone, der Abschluß einer alten, der Anfang einer neuen Epoche. Mit seiner eigenthümlichen Schärfe bezeichnete Ihr Pariser Correspondent vor einigen Wochen in zwei Worten die Lage: es habe sich, sagte er, in diesem Kampfe wesentlich gegolten um ein freistehendes Königthum oder um eine eigentliche Parlamentsregierung; im ersten Fall seyen die Kammern nur die Formen der königlichen Regierung, etwa wie anderwärts ein Staatsrath; nur daß es natürlich in Handhabung dieser Formen einer größern Regierungsfeinheit, eines gewissen Lavirens und Diplomatisirens bedürfe, daß man suchen müsse, die Abgeordneten

nur leicht den unendlich ernstern Conflict der Grundsätze verhülle. Sie haben auch nach der persönlichen Seite hin gar bald erkannt, daß Frankreich für den Augenblick keinen zweiten habe wie den Plebejer Thiers, daß er eben der Ausdruck der Epoche sey und daß seine Stellung an der Spitze der Opposition seiner Stellung an der Spitze der Gewalt an Bedeutung nichts nachgeben werde, weil er eben der Opposition erst brachte, was ihr fehlte: Disciplin, einen Feldherrn, einen Schlachtplan. Und sehen Sie nun, wie fein, wie leicht, wie bewußt er seine neue Stellung aufnimmt! Statt die Gewalt als solche zu compromittiren, statt sich mit plumper Ungeduld in eine maßlose Opposition zu stürzen, wartet er zu, schont, was zu schonen ist, läßt die Dinge sich gewähren und verwickeln; er hat das Auge des Moments, er weiß, die Zeit ist noch nicht gekommen. Der Conseilpräsident des 22 Februars wird anscheinend wieder, was er war: ein einfacher Bürger Frankreichs; aber das Auge seines Landes folgt diesem mächtigen Talent in die selbstgewählte Verbannung. Unter dem schönen Himmel Italiens, zu Florenz, wo der erste Meister moderner Geschichtschreibung, Macchiavelli, gelebt und geschrieben, beschäftigt sich der resignirte Reisende mit Darstellung florentinischer und französischer Geschichten. Man muß gestehen, in diesem Exil und seiner Muße liegt ein gewisser Zug von äußerer Würde, der an die classischen Staatsmänner des Alterthums, an die Weise, wie Fox und Canning die Ferien ihres politischen Lebens auszufüllen pflegten, erinnert.

Mittlerweile verwickeln sich die Dinge in Frankreich immer ernster. Graf Molé, ein Staatsmann der Napoleon'schen Schule, ein mittelmäßiger Geist mit attischen Formen, klug, gewandt, gemäßigt, vor allen Dingen durchaus resignirt, keinen andern Willen zu haben, als den seines königlichen Herrn, wird Conseilpräsident und Minister des Auswärtigen; Graf Montalivet, bisheriger Intendant der Civilliste, Minister des Innern. Ein böses Omen – die Nation betrachtet das ganze Ministerium weit mehr als eine Intendanz des Königs, denn als ein Ministerium im parlamentarischen Sinne. Der persönliche Gedanke erreicht in diesem Cabinet seinen reinsten Ausdruck, seine ungemischteste Vertretung; in demselben Augenblick tritt aber auch nach ewigen Gesetzen der dialektische Gegensatz in sein Recht, der Keim der Krisis ist gelegt, die Reaction natürlich, nothwendig, nahe. Dieß Ministerium ist verurtheilt bei der Geburt; es ist gerichtet, nicht durch seine Thaten, sondern durch seine Namen. Selbst die Amnestie, diese große Versöhnungsmaaßregel, die in der Hand einer volksthümlichen Verwaltung eine Waffe von unberechenbarer Bedeutung hätte werden mögen, geht im Ganzen spurlos an der Gleichgültigkeit der öffentlichen Meinung vorüber. Das Parlament grollt, die Presse erhebt sich mit einer seit den Septembergesetzen unerhörten Kühnheit. Da ist es Thiers, der plötzlich als der ordnende Geist der Bewegung hervortritt, der den zerfahrenen Elementen der Opposition erst Halt, Verbindung und Nachdruck gibt, der die alten Eifersuchten beschwört, die alten Feindschaften versöhnt, und eines Tages, zum Erstaunen der Welt, mit Guizot im rechten, mit Odilon Barrot im linken Arm auf dem Schlachtfeld erscheint. Die Bewegung wird nach und nach eine allgemeine; was in der Kammer, was im Lande nicht vollends zum Ballast gehört, was ein Talent, einen Charakter, ein Individuum, kurz eine höhere Bedeutung als die der Null hinter der Ziffer in Anspruch nimmt, eilt sich ihr anzuschließen. Nur die äußersten Enden der Rechten und Linken sondern sich beobachtend ab, weil sie eben an der ganzen Gegenwart nur ein rein negatives schadenfrohes Interesse nehmen. Gegenüber jenem gewaltigen Triumvirat hat der Hof nur den gewandten Diensteifer der Grafen Molé und Montalivet in die Wagschale zu legen, von höheren Talenten nur Hrn. v. Lamartine, dem ein gewisses trübes Pathos der Ideen nicht abgesprochen werden kann, geradezu aber aller staatsmännische Takt und Verstand, um bindend oder trennend, wie es kommt, in die Gestaltung des Moments einzugreifen. Ein Kampf, heißer und hartnäckiger als das Jahrzehent einen seit den Debatten über die englische Reformbill gesehen, entspinnt sich; wie der Sieg zu schwanken scheint, spricht Thiers das letzte scharfe entscheidende Wort, und die kühne Offenherzigkeit seiner Revelationen gibt dem bisherigen Regime den letzten Stoß. Das Ministerium fällt, es appellirt ans Land, es verliert den Proceß noch einmal, und diese Verurtheilung in letzter Instanz ist um so feierlicher, weil es selbst den tückischen Geist der Wahlurne heraufbeschworen und bearbeitet hat. Ein Ministerium Thiers erscheint unvermeidlich. – Da treibt jene seltsame Ironie, die so charakteristisch durch viele Blätter der französischen Geschichte neuester Zeit geht, noch einmal ihr wunderliches Spiel. Das Ministerium vom 12 Mai ist in der That ein Ministerium der Coalition, man nimmt die Dinge, die Ideen an, aber man nimmt sie nicht an in denjenigen Personen, in denen diese Dinge, diese Ideen zum lebendigsten Bewußtseyn, zum reifsten Ausspruch gekommen sind. Der 12 Mai ist eine Halbheit, eine Verlegenheit von Anfang an, die Perfidie seines Ursprungs wird sich an ihm rächen. In der That, was würde man sagen, wenn gegenwärtig in England eine Toryverwaltung gebildet werden sollte, und man darin die Namen Peel, Stanley, Graham, Lyndhurst durch Inferioritäten derselben Partei ersetzt fände? Man würde sagen, daß einem solchen Ministerium seine eigentliche Seele, seine rechte Lebenskraft gebreche, daß es verurtheilt sey, sich von höheren Intelligenzen ins Schlepptau nehmen zu lassen, statt die Lage selbstständig zu erfüllen und zu beherrschen.

Sieht man nun zunächst auf die Personen, so dürfte es freilich schwer halten, einen durchgreifenden Unterschied zwischen der Zusammensetzung des Ministeriums Thiers und des unmittelbar vorhergehenden Cabinets zu finden. Oder ist die Doctrine der HH. v. Jaubert und Remusat etwa weniger rein, als die des Grafen Duchatel gewesen? Theilen nicht Vivien und Dufaure alle Antecedentien ihres parlamentarischen Lebens? Und was ie edeln Pairs an der Spitze des Cultusministeriums betrifft, sind nicht Villemain und Cousin seit Jahren ihre Wege in der Pairskammer gemeinschaftlich gegangen? Nicht in diesen Specialitäten, aber in den Männern, denen beide Ministerien ihren Namen, ihre Taufe verdanken, liegt der charakteristische Unterschied, die geschichtliche Bedeutung derselben. Nicht darum hatten Kammer und Land das persönliche Regime verworfen, damit ein Soult einem Molé folge und das alte Spiel mit veränderter Rollenbesetzung von neuem beginne; der Gedanke des Parlaments war ein parlamentarisches Ministerium gewesen. Die Krone umging diesen Gedanken, und er wurde nur um so unvermeidlicher; sie acceptirte ihn erst, als er nicht mehr abgelehnt werden konnte. Daher ist die Bildung des Ministeriums Thiers ein Sieg des Parlaments über die Krone, der Abschluß einer alten, der Anfang einer neuen Epoche. Mit seiner eigenthümlichen Schärfe bezeichnete Ihr Pariser Correspondent vor einigen Wochen in zwei Worten die Lage: es habe sich, sagte er, in diesem Kampfe wesentlich gegolten um ein freistehendes Königthum oder um eine eigentliche Parlamentsregierung; im ersten Fall seyen die Kammern nur die Formen der königlichen Regierung, etwa wie anderwärts ein Staatsrath; nur daß es natürlich in Handhabung dieser Formen einer größern Regierungsfeinheit, eines gewissen Lavirens und Diplomatisirens bedürfe, daß man suchen müsse, die Abgeordneten

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nur leicht den unendlich ernstern Conflict der Grundsätze verhülle. Sie haben auch nach der persönlichen Seite hin gar bald erkannt, daß Frankreich für den Augenblick keinen zweiten habe wie den Plebejer Thiers, daß er eben der Ausdruck der Epoche sey und daß seine Stellung an der Spitze der Opposition seiner Stellung an der Spitze der Gewalt an Bedeutung nichts nachgeben werde, weil er eben der Opposition erst brachte, was ihr fehlte: Disciplin, einen Feldherrn, einen Schlachtplan. Und sehen Sie nun, wie fein, wie leicht, wie bewußt er seine neue Stellung aufnimmt! Statt die Gewalt als solche zu compromittiren, statt sich mit plumper Ungeduld in eine maßlose Opposition zu stürzen, wartet er zu, schont, was zu schonen ist, läßt die Dinge sich gewähren und verwickeln; er hat das Auge des Moments, er weiß, die Zeit ist noch nicht gekommen. Der Conseilpräsident des 22 Februars wird anscheinend wieder, was er war: ein einfacher Bürger Frankreichs; aber das Auge seines Landes folgt diesem mächtigen Talent in die selbstgewählte Verbannung. Unter dem schönen Himmel Italiens, zu Florenz, wo der erste Meister moderner Geschichtschreibung, Macchiavelli, gelebt und geschrieben, beschäftigt sich der resignirte Reisende mit Darstellung florentinischer und französischer Geschichten. Man muß gestehen, in diesem Exil und seiner Muße liegt ein gewisser Zug von äußerer Würde, der an die classischen Staatsmänner des Alterthums, an die Weise, wie Fox und Canning die Ferien ihres politischen Lebens auszufüllen pflegten, erinnert.</p><lb/>
          <p>Mittlerweile verwickeln sich die Dinge in Frankreich immer ernster. Graf Molé, ein Staatsmann der Napoleon'schen Schule, ein mittelmäßiger Geist mit attischen Formen, klug, gewandt, gemäßigt, vor allen Dingen durchaus resignirt, keinen andern Willen zu haben, als den seines königlichen Herrn, wird Conseilpräsident und Minister des Auswärtigen; Graf Montalivet, bisheriger Intendant der Civilliste, Minister des Innern. Ein böses Omen &#x2013; die Nation betrachtet das ganze Ministerium weit mehr als eine Intendanz des Königs, denn als ein Ministerium im parlamentarischen Sinne. Der persönliche Gedanke erreicht in diesem Cabinet seinen reinsten Ausdruck, seine ungemischteste Vertretung; in demselben Augenblick tritt aber auch nach ewigen Gesetzen der dialektische Gegensatz in sein Recht, der Keim der Krisis ist gelegt, die Reaction natürlich, nothwendig, nahe. Dieß Ministerium ist verurtheilt bei der Geburt; es ist gerichtet, nicht durch seine Thaten, sondern durch seine Namen. Selbst die Amnestie, diese große Versöhnungsmaaßregel, die in der Hand einer volksthümlichen Verwaltung eine Waffe von unberechenbarer Bedeutung hätte werden mögen, geht im Ganzen spurlos an der Gleichgültigkeit der öffentlichen Meinung vorüber. Das Parlament grollt, die Presse erhebt sich mit einer seit den Septembergesetzen unerhörten Kühnheit. Da ist es Thiers, der plötzlich als der ordnende Geist der Bewegung hervortritt, der den zerfahrenen Elementen der Opposition erst Halt, Verbindung und Nachdruck gibt, der die alten Eifersuchten beschwört, die alten Feindschaften versöhnt, und eines Tages, zum Erstaunen der Welt, mit Guizot im rechten, mit Odilon Barrot im linken Arm auf dem Schlachtfeld erscheint. Die Bewegung wird nach und nach eine allgemeine; was in der Kammer, was im Lande nicht vollends zum Ballast gehört, was ein Talent, einen Charakter, ein Individuum, kurz eine höhere Bedeutung als die der Null hinter der Ziffer in Anspruch nimmt, eilt sich ihr anzuschließen. Nur die äußersten Enden der Rechten und Linken sondern sich beobachtend ab, weil sie eben an der ganzen Gegenwart nur ein rein negatives schadenfrohes Interesse nehmen. Gegenüber jenem gewaltigen Triumvirat hat der Hof nur den gewandten Diensteifer der Grafen Molé und Montalivet in die Wagschale zu legen, von höheren Talenten nur Hrn. v. Lamartine, dem ein gewisses trübes Pathos der Ideen nicht abgesprochen werden kann, geradezu aber aller staatsmännische Takt und Verstand, um bindend oder trennend, wie es kommt, in die Gestaltung des Moments einzugreifen. Ein Kampf, heißer und hartnäckiger als das Jahrzehent einen seit den Debatten über die englische Reformbill gesehen, entspinnt sich; wie der Sieg zu schwanken scheint, spricht Thiers das letzte scharfe entscheidende Wort, und die kühne Offenherzigkeit seiner Revelationen gibt dem bisherigen Regime den letzten Stoß. Das Ministerium fällt, es appellirt ans Land, es verliert den Proceß noch einmal, und diese Verurtheilung in letzter Instanz ist um so feierlicher, weil es selbst den tückischen Geist der Wahlurne heraufbeschworen und bearbeitet hat. Ein Ministerium Thiers erscheint unvermeidlich. &#x2013; Da treibt jene seltsame Ironie, die so charakteristisch durch viele Blätter der französischen Geschichte neuester Zeit geht, noch einmal ihr wunderliches Spiel. Das Ministerium vom 12 Mai ist in der That ein Ministerium der Coalition, man nimmt die Dinge, die Ideen an, aber man nimmt sie nicht an in denjenigen Personen, in denen diese Dinge, diese Ideen zum lebendigsten Bewußtseyn, zum reifsten Ausspruch gekommen sind. Der 12 Mai ist eine Halbheit, eine Verlegenheit von Anfang an, die Perfidie seines Ursprungs wird sich an ihm rächen. In der That, was würde man sagen, wenn gegenwärtig in England eine Toryverwaltung gebildet werden sollte, und man darin die Namen Peel, Stanley, Graham, Lyndhurst durch Inferioritäten derselben Partei ersetzt fände? Man würde sagen, daß einem solchen Ministerium seine eigentliche Seele, seine rechte Lebenskraft gebreche, daß es verurtheilt sey, sich von höheren Intelligenzen ins Schlepptau nehmen zu lassen, statt die Lage selbstständig zu erfüllen und zu beherrschen.</p><lb/>
          <p>Sieht man nun zunächst auf die Personen, so dürfte es freilich schwer halten, einen durchgreifenden Unterschied zwischen der Zusammensetzung des Ministeriums Thiers und des unmittelbar vorhergehenden Cabinets zu finden. Oder ist die Doctrine der HH. v. Jaubert und Remusat etwa weniger rein, als die des Grafen Duchatel gewesen? Theilen nicht Vivien und Dufaure alle Antecedentien ihres parlamentarischen Lebens? Und was ie edeln Pairs an der Spitze des Cultusministeriums betrifft, sind nicht Villemain und Cousin seit Jahren ihre Wege in der Pairskammer gemeinschaftlich gegangen? Nicht in diesen Specialitäten, aber in den Männern, denen beide Ministerien ihren Namen, ihre Taufe verdanken, liegt der charakteristische Unterschied, die geschichtliche Bedeutung derselben. Nicht darum hatten Kammer und Land das persönliche Regime verworfen, damit ein Soult einem Molé folge und das alte Spiel mit veränderter Rollenbesetzung von neuem beginne; der Gedanke des Parlaments war ein parlamentarisches Ministerium gewesen. Die Krone umging diesen Gedanken, und er wurde nur um so unvermeidlicher; sie acceptirte ihn erst, als er nicht mehr abgelehnt werden konnte. Daher ist die Bildung des Ministeriums Thiers ein Sieg des Parlaments über die Krone, der Abschluß einer alten, der Anfang einer neuen Epoche. Mit seiner eigenthümlichen Schärfe bezeichnete Ihr Pariser Correspondent <bibl>&#x2640;</bibl> vor einigen Wochen in zwei Worten die Lage: es habe sich, sagte er, in diesem Kampfe wesentlich gegolten um ein freistehendes Königthum oder um eine eigentliche Parlamentsregierung; im ersten Fall seyen die Kammern nur die Formen der königlichen Regierung, etwa wie anderwärts ein Staatsrath; nur daß es natürlich in Handhabung dieser Formen einer größern Regierungsfeinheit, eines gewissen Lavirens und Diplomatisirens bedürfe, daß man suchen müsse, die Abgeordneten<lb/></p>
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[1074/0010] nur leicht den unendlich ernstern Conflict der Grundsätze verhülle. Sie haben auch nach der persönlichen Seite hin gar bald erkannt, daß Frankreich für den Augenblick keinen zweiten habe wie den Plebejer Thiers, daß er eben der Ausdruck der Epoche sey und daß seine Stellung an der Spitze der Opposition seiner Stellung an der Spitze der Gewalt an Bedeutung nichts nachgeben werde, weil er eben der Opposition erst brachte, was ihr fehlte: Disciplin, einen Feldherrn, einen Schlachtplan. Und sehen Sie nun, wie fein, wie leicht, wie bewußt er seine neue Stellung aufnimmt! Statt die Gewalt als solche zu compromittiren, statt sich mit plumper Ungeduld in eine maßlose Opposition zu stürzen, wartet er zu, schont, was zu schonen ist, läßt die Dinge sich gewähren und verwickeln; er hat das Auge des Moments, er weiß, die Zeit ist noch nicht gekommen. Der Conseilpräsident des 22 Februars wird anscheinend wieder, was er war: ein einfacher Bürger Frankreichs; aber das Auge seines Landes folgt diesem mächtigen Talent in die selbstgewählte Verbannung. Unter dem schönen Himmel Italiens, zu Florenz, wo der erste Meister moderner Geschichtschreibung, Macchiavelli, gelebt und geschrieben, beschäftigt sich der resignirte Reisende mit Darstellung florentinischer und französischer Geschichten. Man muß gestehen, in diesem Exil und seiner Muße liegt ein gewisser Zug von äußerer Würde, der an die classischen Staatsmänner des Alterthums, an die Weise, wie Fox und Canning die Ferien ihres politischen Lebens auszufüllen pflegten, erinnert. Mittlerweile verwickeln sich die Dinge in Frankreich immer ernster. Graf Molé, ein Staatsmann der Napoleon'schen Schule, ein mittelmäßiger Geist mit attischen Formen, klug, gewandt, gemäßigt, vor allen Dingen durchaus resignirt, keinen andern Willen zu haben, als den seines königlichen Herrn, wird Conseilpräsident und Minister des Auswärtigen; Graf Montalivet, bisheriger Intendant der Civilliste, Minister des Innern. Ein böses Omen – die Nation betrachtet das ganze Ministerium weit mehr als eine Intendanz des Königs, denn als ein Ministerium im parlamentarischen Sinne. Der persönliche Gedanke erreicht in diesem Cabinet seinen reinsten Ausdruck, seine ungemischteste Vertretung; in demselben Augenblick tritt aber auch nach ewigen Gesetzen der dialektische Gegensatz in sein Recht, der Keim der Krisis ist gelegt, die Reaction natürlich, nothwendig, nahe. Dieß Ministerium ist verurtheilt bei der Geburt; es ist gerichtet, nicht durch seine Thaten, sondern durch seine Namen. Selbst die Amnestie, diese große Versöhnungsmaaßregel, die in der Hand einer volksthümlichen Verwaltung eine Waffe von unberechenbarer Bedeutung hätte werden mögen, geht im Ganzen spurlos an der Gleichgültigkeit der öffentlichen Meinung vorüber. Das Parlament grollt, die Presse erhebt sich mit einer seit den Septembergesetzen unerhörten Kühnheit. Da ist es Thiers, der plötzlich als der ordnende Geist der Bewegung hervortritt, der den zerfahrenen Elementen der Opposition erst Halt, Verbindung und Nachdruck gibt, der die alten Eifersuchten beschwört, die alten Feindschaften versöhnt, und eines Tages, zum Erstaunen der Welt, mit Guizot im rechten, mit Odilon Barrot im linken Arm auf dem Schlachtfeld erscheint. Die Bewegung wird nach und nach eine allgemeine; was in der Kammer, was im Lande nicht vollends zum Ballast gehört, was ein Talent, einen Charakter, ein Individuum, kurz eine höhere Bedeutung als die der Null hinter der Ziffer in Anspruch nimmt, eilt sich ihr anzuschließen. Nur die äußersten Enden der Rechten und Linken sondern sich beobachtend ab, weil sie eben an der ganzen Gegenwart nur ein rein negatives schadenfrohes Interesse nehmen. Gegenüber jenem gewaltigen Triumvirat hat der Hof nur den gewandten Diensteifer der Grafen Molé und Montalivet in die Wagschale zu legen, von höheren Talenten nur Hrn. v. Lamartine, dem ein gewisses trübes Pathos der Ideen nicht abgesprochen werden kann, geradezu aber aller staatsmännische Takt und Verstand, um bindend oder trennend, wie es kommt, in die Gestaltung des Moments einzugreifen. Ein Kampf, heißer und hartnäckiger als das Jahrzehent einen seit den Debatten über die englische Reformbill gesehen, entspinnt sich; wie der Sieg zu schwanken scheint, spricht Thiers das letzte scharfe entscheidende Wort, und die kühne Offenherzigkeit seiner Revelationen gibt dem bisherigen Regime den letzten Stoß. Das Ministerium fällt, es appellirt ans Land, es verliert den Proceß noch einmal, und diese Verurtheilung in letzter Instanz ist um so feierlicher, weil es selbst den tückischen Geist der Wahlurne heraufbeschworen und bearbeitet hat. Ein Ministerium Thiers erscheint unvermeidlich. – Da treibt jene seltsame Ironie, die so charakteristisch durch viele Blätter der französischen Geschichte neuester Zeit geht, noch einmal ihr wunderliches Spiel. Das Ministerium vom 12 Mai ist in der That ein Ministerium der Coalition, man nimmt die Dinge, die Ideen an, aber man nimmt sie nicht an in denjenigen Personen, in denen diese Dinge, diese Ideen zum lebendigsten Bewußtseyn, zum reifsten Ausspruch gekommen sind. Der 12 Mai ist eine Halbheit, eine Verlegenheit von Anfang an, die Perfidie seines Ursprungs wird sich an ihm rächen. In der That, was würde man sagen, wenn gegenwärtig in England eine Toryverwaltung gebildet werden sollte, und man darin die Namen Peel, Stanley, Graham, Lyndhurst durch Inferioritäten derselben Partei ersetzt fände? Man würde sagen, daß einem solchen Ministerium seine eigentliche Seele, seine rechte Lebenskraft gebreche, daß es verurtheilt sey, sich von höheren Intelligenzen ins Schlepptau nehmen zu lassen, statt die Lage selbstständig zu erfüllen und zu beherrschen. Sieht man nun zunächst auf die Personen, so dürfte es freilich schwer halten, einen durchgreifenden Unterschied zwischen der Zusammensetzung des Ministeriums Thiers und des unmittelbar vorhergehenden Cabinets zu finden. Oder ist die Doctrine der HH. v. Jaubert und Remusat etwa weniger rein, als die des Grafen Duchatel gewesen? Theilen nicht Vivien und Dufaure alle Antecedentien ihres parlamentarischen Lebens? Und was ie edeln Pairs an der Spitze des Cultusministeriums betrifft, sind nicht Villemain und Cousin seit Jahren ihre Wege in der Pairskammer gemeinschaftlich gegangen? Nicht in diesen Specialitäten, aber in den Männern, denen beide Ministerien ihren Namen, ihre Taufe verdanken, liegt der charakteristische Unterschied, die geschichtliche Bedeutung derselben. Nicht darum hatten Kammer und Land das persönliche Regime verworfen, damit ein Soult einem Molé folge und das alte Spiel mit veränderter Rollenbesetzung von neuem beginne; der Gedanke des Parlaments war ein parlamentarisches Ministerium gewesen. Die Krone umging diesen Gedanken, und er wurde nur um so unvermeidlicher; sie acceptirte ihn erst, als er nicht mehr abgelehnt werden konnte. Daher ist die Bildung des Ministeriums Thiers ein Sieg des Parlaments über die Krone, der Abschluß einer alten, der Anfang einer neuen Epoche. Mit seiner eigenthümlichen Schärfe bezeichnete Ihr Pariser Correspondent ♀ vor einigen Wochen in zwei Worten die Lage: es habe sich, sagte er, in diesem Kampfe wesentlich gegolten um ein freistehendes Königthum oder um eine eigentliche Parlamentsregierung; im ersten Fall seyen die Kammern nur die Formen der königlichen Regierung, etwa wie anderwärts ein Staatsrath; nur daß es natürlich in Handhabung dieser Formen einer größern Regierungsfeinheit, eines gewissen Lavirens und Diplomatisirens bedürfe, daß man suchen müsse, die Abgeordneten

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 135. Augsburg, 14. Mai 1840, S. 1074. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_135_18400514/10>, abgerufen am 28.04.2024.