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Allgemeine Zeitung. Nr. 131. Augsburg, 10. Mai 1840.

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Anwälte, Notarien oder Gerichtsboten mit der Rechtswissenschaft befassen, schwebt in jeder zweifelhafter Frage, in jeder Schwierigkeit eines Rechtsfalles, der Einklang der oberrichterlichen Erkenntnisse in Frankreich, die Meinung der Koryphäen französischer Rechtslehre als das höchste Orakel vor, nach welchem sie, Aufklärung und Gewißheit suchend, sich hinwenden. Ein großes, lebendiges Spiegelbild dieser französischen Gesetzgebung, wie es aus den mit Fleiß und praktischer Einsicht zusammengestellten Elementen der Quellen und des positiven Buchstabens, der Doctrin der Schriftsteller und der Richtersprüche hervorsteigt, wie es sich im Verlauf der Zeiten aus der ursprünglichen Starrheit herauswindet und durch Sitte, veränderte Sachlage, Deutung und Nothwendigkeit sich ummodelt und anders gestaltet, ein klarer Blick in die tagtägliche Berührung des Gesetzes mit dem Leben und den Erheischungen der Gesellschaft, um derenwillen es geschaffen ist, und die daher stets auf dasselbe einwirken, ist allen den genannten Dienern der Themis ein tiefgefühltes, stets sich erneuerndes Bedürfniß; wir sind überzeugt hier einen Satz auszusprechen, der bei denen volle Sympathie finden wird, die, gleich uns, in jahrelangem Studium des französischen Rechtes in jenen deutschen Ländern gelebt haben.

Von diesem Gesichtspunkte aus möge es uns vergönnt seyn, von einem Werke zu berichten, das in hohem Grade die Bedingungen erfüllt, die wir oben bezeichnet haben, und das sowohl nach dem Namen seines Urhebers, als seinem Plane und seiner Ausführung zu den musterhaften Unternehmungen dieser Art seit den letzten fünfzig Jahren gehört. Wir meinen das Journal du Palais, das sich nicht ohne Selbstgefühl die "älteste und vollständigste Sammlung der französischen, belgischen und piemontesischen Jurisprudenz" nennt, und das in seiner dritten Ausgabe, unter der Leitung von Ledru-Rollin, Advocaten am Cassationshofe und Staatsrathe, erscheint. Hr. Ledru-Rollin ist eine der Zierden des Pariser Barreau, der seinen Stand von der edelste Seite aufgefaßt hat, und der mit gründlichem Wissen, glänzender Beredsamkeit und ernstem, fortgesetztem Studium, die glücklichste Gabe der logischen und treffenden Anordnung, Bedingung aller Klarheit, verbindet. Seine Sammlung trägt das Gepräge des Meisters und dient ihr vor allen andern zur ausgezeichneten Empfehlung.

Das Journal du Palais begreift in 24 großen Octavbänden den Zeitraum von 1791, wo der Cassationshof gebildet und durch Ludwigs XVI eigenhändige Bezeichnung Heraut de Sechelles, damals Generaladvocat am Parlament, zum königlichen Commissär bei dem neuinstallirten obersten Gerichte ernannt wurde, bis zum Jahr 1837. Von diesem letzten Jahre wird die Sammlung der jüngsten Erkenntnisse in monatlichen Heften fortgesetzt, die am Ende eines jeden Jahres zwei Bände bilden. Die Hauptsammlung selbst, mit außerordentlicher Energie betrieben, ist bereits bis zum 17ten Bande (Junius 1823) gelangt, und wird in wenigen Monaten vollendet seyn. An ihrer Spitze steht eine Einleitung, die dem Leser einen Blick in den Plan des Verfassers gestattet, und von dessen philosophischen Ideen über Gesetz, Recht und deren Entstehung und Fortbildung so wie über die neuen Eigenschaften seiner Sammlung Kunde gibt. Hr. Ledru-Rollin hat in dieser gedrungenen, kernigen Skizze der Anfänge des französischen Rechts eine Probe seines Talentes abgelegt, die ihn zum dereinstigen Geschichtschreiber der französischen Rechtsquellen und namentlich der Gewohnheitsrechte beruft. Wer zu einem so nützlichen Werke, das überall fehlt, so sehr befähigt ist, darf sich der Leistung nicht entziehen: das Können wird hier zum Müssen. Das Ende der 24 Bände wird eine eigene dogmatische, doctrinelle Arbeit Ledru-Rollins bilden, die dem Ganzen als Schlußstein dienen soll, und deren hohe Bedeutung aus folgenden nähern Betrachtungen Ihren Lesern deutlich werden wird.

Frankreich besitzt hauptsächlich drei große Sammelwerke seiner Jurisprudenz und die mehr oder minder in der Art des Journal du Palais sind: das große Repertoire de droit, von Merlin (von Douai); die Urtheilssammlung (Recueil des arrets) von Sivey, und die Jurisprudence generale du Royaume von Dalloz, das neueste von allen.

Das erstgenannte, das Repertorium von Merlin, einst unentbehrlich, ist im Laufe der Zeit mehr zu dem Charakter eines historischen Monumentes übergegangen. Seine übermäßige Ausdehnung, die Unsorgfalt seiner Bearbeitung in den Theilen, wo Merlin nicht selbst unmittelbar überwachen konnte, die chaotische Mischung, die sich darin offenbart und die durch den oft nicht sehr lautern Meinungswechsel des Verfassers, durch die Supplementbände und die Questions de droit, noch vermehrt wurde, endlich der allzuhohe Preis eines Werkes, das für sich allein eine kleine Bibliothek bildet, mußten dem dauernden Werthe des Repertoire, seiner allzeit gleichen praktischen Nützlichkeit großen Eintrag thun. Der Wunsch nach einer einfachern Sammlung ward allgemein.

Die Sivey'sche Urtheilssammlung hat den Nachtheil, daß sie außerordentlich theuer und dabei höchst unvollkommen ist - unvollkommen in mehrfacher Beziehung: erstens ist sie eine bloße Zusammenstellung von Urtheilssprüchen nach chronologischer Ordnung, ohne alle Dogmatik und systematische Belehrung; der Urheber der Sammlung hat dabei kein subjectives Verdienst, er sammelt und läßt abdrucken; zweitens ermangelt sie einer bedeutenden Zahl wichtiger Erkenntnisse, die dem Compilator nicht zugänglich waren, während andere werthlose, entbehrliche sich eingeschlichen haben und einen kostbaren Raum verderben.

Die Sammlung von Dalloz, die beiden vorstehenden nachfolgte, bietet einen unverkennbaren Fortschritt insofern dar, als sie die gränzenlose Weitschweifigkeit des Repertoire von Merlin in einem mehr übersichtlich geordneten Rahmen vermeidet, und der trocknen Urtheilsaufzählung von Sivey durch alphabetische Reihenfolge und doctrinelle Bearbeitung entgeht. Aber sie ist in einen andern von ihrem Plan unzertrennlichen Nachtheil verfallen: sie verstümmelt die Jurisprudenz, sie benimmt dem Richterspruche die Einheit, den Zusammenhang, indem sie zu jeder theoretischen Lehre von einem Erkenntniß nur gerade denjenigen Theil herzieht, der ihr Beweis und Argument bildet, so daß ein nämliches Erkenntniß, aus fünf, sechs verschiedenen Entscheidungen bestehend, an fünf, sechs verschiedenen Stellen des Repertoriums vorkommen kann, und nirgendwo sein eigentliches, charakteristisches Bild zeigt, das stets nur aus dem Zusammenwirken der einzelnen Züge erkenntlich ist. Dalloz mag zur schnellen Orientirung in einer Rechtsmaterie als praktischer Schlüssel und Wegweiser consultirt werden, ein vollständiges Monument der französischen Rechtssprechung (Jurisprudence) ist er nicht.

(Beschluß folgt.)

Materielle Fortschritte in Schweden.

Das Volksblatt, eine seit dem Anfange dieses Jahres hier erscheinende Zeitung, enthält, unter der Ueberschrift: Beiträge zur Beleuchtung der wirklichen Stellung des Landes, einen längern Aufsatz, der sich durch viele thatsächliche und statistische Angaben bemerklich macht, und woraus wir Folgendes entlehnen: "Beim Reichstage vom J. 1800

Anwälte, Notarien oder Gerichtsboten mit der Rechtswissenschaft befassen, schwebt in jeder zweifelhafter Frage, in jeder Schwierigkeit eines Rechtsfalles, der Einklang der oberrichterlichen Erkenntnisse in Frankreich, die Meinung der Koryphäen französischer Rechtslehre als das höchste Orakel vor, nach welchem sie, Aufklärung und Gewißheit suchend, sich hinwenden. Ein großes, lebendiges Spiegelbild dieser französischen Gesetzgebung, wie es aus den mit Fleiß und praktischer Einsicht zusammengestellten Elementen der Quellen und des positiven Buchstabens, der Doctrin der Schriftsteller und der Richtersprüche hervorsteigt, wie es sich im Verlauf der Zeiten aus der ursprünglichen Starrheit herauswindet und durch Sitte, veränderte Sachlage, Deutung und Nothwendigkeit sich ummodelt und anders gestaltet, ein klarer Blick in die tagtägliche Berührung des Gesetzes mit dem Leben und den Erheischungen der Gesellschaft, um derenwillen es geschaffen ist, und die daher stets auf dasselbe einwirken, ist allen den genannten Dienern der Themis ein tiefgefühltes, stets sich erneuerndes Bedürfniß; wir sind überzeugt hier einen Satz auszusprechen, der bei denen volle Sympathie finden wird, die, gleich uns, in jahrelangem Studium des französischen Rechtes in jenen deutschen Ländern gelebt haben.

Von diesem Gesichtspunkte aus möge es uns vergönnt seyn, von einem Werke zu berichten, das in hohem Grade die Bedingungen erfüllt, die wir oben bezeichnet haben, und das sowohl nach dem Namen seines Urhebers, als seinem Plane und seiner Ausführung zu den musterhaften Unternehmungen dieser Art seit den letzten fünfzig Jahren gehört. Wir meinen das Journal du Palais, das sich nicht ohne Selbstgefühl die „älteste und vollständigste Sammlung der französischen, belgischen und piemontesischen Jurisprudenz“ nennt, und das in seiner dritten Ausgabe, unter der Leitung von Ledru-Rollin, Advocaten am Cassationshofe und Staatsrathe, erscheint. Hr. Ledru-Rollin ist eine der Zierden des Pariser Barreau, der seinen Stand von der edelste Seite aufgefaßt hat, und der mit gründlichem Wissen, glänzender Beredsamkeit und ernstem, fortgesetztem Studium, die glücklichste Gabe der logischen und treffenden Anordnung, Bedingung aller Klarheit, verbindet. Seine Sammlung trägt das Gepräge des Meisters und dient ihr vor allen andern zur ausgezeichneten Empfehlung.

Das Journal du Palais begreift in 24 großen Octavbänden den Zeitraum von 1791, wo der Cassationshof gebildet und durch Ludwigs XVI eigenhändige Bezeichnung Héraut de Séchelles, damals Generaladvocat am Parlament, zum königlichen Commissär bei dem neuinstallirten obersten Gerichte ernannt wurde, bis zum Jahr 1837. Von diesem letzten Jahre wird die Sammlung der jüngsten Erkenntnisse in monatlichen Heften fortgesetzt, die am Ende eines jeden Jahres zwei Bände bilden. Die Hauptsammlung selbst, mit außerordentlicher Energie betrieben, ist bereits bis zum 17ten Bande (Junius 1823) gelangt, und wird in wenigen Monaten vollendet seyn. An ihrer Spitze steht eine Einleitung, die dem Leser einen Blick in den Plan des Verfassers gestattet, und von dessen philosophischen Ideen über Gesetz, Recht und deren Entstehung und Fortbildung so wie über die neuen Eigenschaften seiner Sammlung Kunde gibt. Hr. Ledru-Rollin hat in dieser gedrungenen, kernigen Skizze der Anfänge des französischen Rechts eine Probe seines Talentes abgelegt, die ihn zum dereinstigen Geschichtschreiber der französischen Rechtsquellen und namentlich der Gewohnheitsrechte beruft. Wer zu einem so nützlichen Werke, das überall fehlt, so sehr befähigt ist, darf sich der Leistung nicht entziehen: das Können wird hier zum Müssen. Das Ende der 24 Bände wird eine eigene dogmatische, doctrinelle Arbeit Ledru-Rollins bilden, die dem Ganzen als Schlußstein dienen soll, und deren hohe Bedeutung aus folgenden nähern Betrachtungen Ihren Lesern deutlich werden wird.

Frankreich besitzt hauptsächlich drei große Sammelwerke seiner Jurisprudenz und die mehr oder minder in der Art des Journal du Palais sind: das große Répertoire de droit, von Merlin (von Douai); die Urtheilssammlung (Recueil des arrêts) von Sivey, und die Jurisprudence générale du Royaume von Dalloz, das neueste von allen.

Das erstgenannte, das Repertorium von Merlin, einst unentbehrlich, ist im Laufe der Zeit mehr zu dem Charakter eines historischen Monumentes übergegangen. Seine übermäßige Ausdehnung, die Unsorgfalt seiner Bearbeitung in den Theilen, wo Merlin nicht selbst unmittelbar überwachen konnte, die chaotische Mischung, die sich darin offenbart und die durch den oft nicht sehr lautern Meinungswechsel des Verfassers, durch die Supplementbände und die Questions de droit, noch vermehrt wurde, endlich der allzuhohe Preis eines Werkes, das für sich allein eine kleine Bibliothek bildet, mußten dem dauernden Werthe des Répertoire, seiner allzeit gleichen praktischen Nützlichkeit großen Eintrag thun. Der Wunsch nach einer einfachern Sammlung ward allgemein.

Die Sivey'sche Urtheilssammlung hat den Nachtheil, daß sie außerordentlich theuer und dabei höchst unvollkommen ist – unvollkommen in mehrfacher Beziehung: erstens ist sie eine bloße Zusammenstellung von Urtheilssprüchen nach chronologischer Ordnung, ohne alle Dogmatik und systematische Belehrung; der Urheber der Sammlung hat dabei kein subjectives Verdienst, er sammelt und läßt abdrucken; zweitens ermangelt sie einer bedeutenden Zahl wichtiger Erkenntnisse, die dem Compilator nicht zugänglich waren, während andere werthlose, entbehrliche sich eingeschlichen haben und einen kostbaren Raum verderben.

Die Sammlung von Dalloz, die beiden vorstehenden nachfolgte, bietet einen unverkennbaren Fortschritt insofern dar, als sie die gränzenlose Weitschweifigkeit des Repertoire von Merlin in einem mehr übersichtlich geordneten Rahmen vermeidet, und der trocknen Urtheilsaufzählung von Sivey durch alphabetische Reihenfolge und doctrinelle Bearbeitung entgeht. Aber sie ist in einen andern von ihrem Plan unzertrennlichen Nachtheil verfallen: sie verstümmelt die Jurisprudenz, sie benimmt dem Richterspruche die Einheit, den Zusammenhang, indem sie zu jeder theoretischen Lehre von einem Erkenntniß nur gerade denjenigen Theil herzieht, der ihr Beweis und Argument bildet, so daß ein nämliches Erkenntniß, aus fünf, sechs verschiedenen Entscheidungen bestehend, an fünf, sechs verschiedenen Stellen des Repertoriums vorkommen kann, und nirgendwo sein eigentliches, charakteristisches Bild zeigt, das stets nur aus dem Zusammenwirken der einzelnen Züge erkenntlich ist. Dalloz mag zur schnellen Orientirung in einer Rechtsmaterie als praktischer Schlüssel und Wegweiser consultirt werden, ein vollständiges Monument der französischen Rechtssprechung (Jurisprudence) ist er nicht.

(Beschluß folgt.)

Materielle Fortschritte in Schweden.

Das Volksblatt, eine seit dem Anfange dieses Jahres hier erscheinende Zeitung, enthält, unter der Ueberschrift: Beiträge zur Beleuchtung der wirklichen Stellung des Landes, einen längern Aufsatz, der sich durch viele thatsächliche und statistische Angaben bemerklich macht, und woraus wir Folgendes entlehnen: „Beim Reichstage vom J. 1800

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[1042/0010] Anwälte, Notarien oder Gerichtsboten mit der Rechtswissenschaft befassen, schwebt in jeder zweifelhafter Frage, in jeder Schwierigkeit eines Rechtsfalles, der Einklang der oberrichterlichen Erkenntnisse in Frankreich, die Meinung der Koryphäen französischer Rechtslehre als das höchste Orakel vor, nach welchem sie, Aufklärung und Gewißheit suchend, sich hinwenden. Ein großes, lebendiges Spiegelbild dieser französischen Gesetzgebung, wie es aus den mit Fleiß und praktischer Einsicht zusammengestellten Elementen der Quellen und des positiven Buchstabens, der Doctrin der Schriftsteller und der Richtersprüche hervorsteigt, wie es sich im Verlauf der Zeiten aus der ursprünglichen Starrheit herauswindet und durch Sitte, veränderte Sachlage, Deutung und Nothwendigkeit sich ummodelt und anders gestaltet, ein klarer Blick in die tagtägliche Berührung des Gesetzes mit dem Leben und den Erheischungen der Gesellschaft, um derenwillen es geschaffen ist, und die daher stets auf dasselbe einwirken, ist allen den genannten Dienern der Themis ein tiefgefühltes, stets sich erneuerndes Bedürfniß; wir sind überzeugt hier einen Satz auszusprechen, der bei denen volle Sympathie finden wird, die, gleich uns, in jahrelangem Studium des französischen Rechtes in jenen deutschen Ländern gelebt haben. Von diesem Gesichtspunkte aus möge es uns vergönnt seyn, von einem Werke zu berichten, das in hohem Grade die Bedingungen erfüllt, die wir oben bezeichnet haben, und das sowohl nach dem Namen seines Urhebers, als seinem Plane und seiner Ausführung zu den musterhaften Unternehmungen dieser Art seit den letzten fünfzig Jahren gehört. Wir meinen das Journal du Palais, das sich nicht ohne Selbstgefühl die „älteste und vollständigste Sammlung der französischen, belgischen und piemontesischen Jurisprudenz“ nennt, und das in seiner dritten Ausgabe, unter der Leitung von Ledru-Rollin, Advocaten am Cassationshofe und Staatsrathe, erscheint. Hr. Ledru-Rollin ist eine der Zierden des Pariser Barreau, der seinen Stand von der edelste Seite aufgefaßt hat, und der mit gründlichem Wissen, glänzender Beredsamkeit und ernstem, fortgesetztem Studium, die glücklichste Gabe der logischen und treffenden Anordnung, Bedingung aller Klarheit, verbindet. Seine Sammlung trägt das Gepräge des Meisters und dient ihr vor allen andern zur ausgezeichneten Empfehlung. Das Journal du Palais begreift in 24 großen Octavbänden den Zeitraum von 1791, wo der Cassationshof gebildet und durch Ludwigs XVI eigenhändige Bezeichnung Héraut de Séchelles, damals Generaladvocat am Parlament, zum königlichen Commissär bei dem neuinstallirten obersten Gerichte ernannt wurde, bis zum Jahr 1837. Von diesem letzten Jahre wird die Sammlung der jüngsten Erkenntnisse in monatlichen Heften fortgesetzt, die am Ende eines jeden Jahres zwei Bände bilden. Die Hauptsammlung selbst, mit außerordentlicher Energie betrieben, ist bereits bis zum 17ten Bande (Junius 1823) gelangt, und wird in wenigen Monaten vollendet seyn. An ihrer Spitze steht eine Einleitung, die dem Leser einen Blick in den Plan des Verfassers gestattet, und von dessen philosophischen Ideen über Gesetz, Recht und deren Entstehung und Fortbildung so wie über die neuen Eigenschaften seiner Sammlung Kunde gibt. Hr. Ledru-Rollin hat in dieser gedrungenen, kernigen Skizze der Anfänge des französischen Rechts eine Probe seines Talentes abgelegt, die ihn zum dereinstigen Geschichtschreiber der französischen Rechtsquellen und namentlich der Gewohnheitsrechte beruft. Wer zu einem so nützlichen Werke, das überall fehlt, so sehr befähigt ist, darf sich der Leistung nicht entziehen: das Können wird hier zum Müssen. Das Ende der 24 Bände wird eine eigene dogmatische, doctrinelle Arbeit Ledru-Rollins bilden, die dem Ganzen als Schlußstein dienen soll, und deren hohe Bedeutung aus folgenden nähern Betrachtungen Ihren Lesern deutlich werden wird. Frankreich besitzt hauptsächlich drei große Sammelwerke seiner Jurisprudenz und die mehr oder minder in der Art des Journal du Palais sind: das große Répertoire de droit, von Merlin (von Douai); die Urtheilssammlung (Recueil des arrêts) von Sivey, und die Jurisprudence générale du Royaume von Dalloz, das neueste von allen. Das erstgenannte, das Repertorium von Merlin, einst unentbehrlich, ist im Laufe der Zeit mehr zu dem Charakter eines historischen Monumentes übergegangen. Seine übermäßige Ausdehnung, die Unsorgfalt seiner Bearbeitung in den Theilen, wo Merlin nicht selbst unmittelbar überwachen konnte, die chaotische Mischung, die sich darin offenbart und die durch den oft nicht sehr lautern Meinungswechsel des Verfassers, durch die Supplementbände und die Questions de droit, noch vermehrt wurde, endlich der allzuhohe Preis eines Werkes, das für sich allein eine kleine Bibliothek bildet, mußten dem dauernden Werthe des Répertoire, seiner allzeit gleichen praktischen Nützlichkeit großen Eintrag thun. Der Wunsch nach einer einfachern Sammlung ward allgemein. Die Sivey'sche Urtheilssammlung hat den Nachtheil, daß sie außerordentlich theuer und dabei höchst unvollkommen ist – unvollkommen in mehrfacher Beziehung: erstens ist sie eine bloße Zusammenstellung von Urtheilssprüchen nach chronologischer Ordnung, ohne alle Dogmatik und systematische Belehrung; der Urheber der Sammlung hat dabei kein subjectives Verdienst, er sammelt und läßt abdrucken; zweitens ermangelt sie einer bedeutenden Zahl wichtiger Erkenntnisse, die dem Compilator nicht zugänglich waren, während andere werthlose, entbehrliche sich eingeschlichen haben und einen kostbaren Raum verderben. Die Sammlung von Dalloz, die beiden vorstehenden nachfolgte, bietet einen unverkennbaren Fortschritt insofern dar, als sie die gränzenlose Weitschweifigkeit des Repertoire von Merlin in einem mehr übersichtlich geordneten Rahmen vermeidet, und der trocknen Urtheilsaufzählung von Sivey durch alphabetische Reihenfolge und doctrinelle Bearbeitung entgeht. Aber sie ist in einen andern von ihrem Plan unzertrennlichen Nachtheil verfallen: sie verstümmelt die Jurisprudenz, sie benimmt dem Richterspruche die Einheit, den Zusammenhang, indem sie zu jeder theoretischen Lehre von einem Erkenntniß nur gerade denjenigen Theil herzieht, der ihr Beweis und Argument bildet, so daß ein nämliches Erkenntniß, aus fünf, sechs verschiedenen Entscheidungen bestehend, an fünf, sechs verschiedenen Stellen des Repertoriums vorkommen kann, und nirgendwo sein eigentliches, charakteristisches Bild zeigt, das stets nur aus dem Zusammenwirken der einzelnen Züge erkenntlich ist. Dalloz mag zur schnellen Orientirung in einer Rechtsmaterie als praktischer Schlüssel und Wegweiser consultirt werden, ein vollständiges Monument der französischen Rechtssprechung (Jurisprudence) ist er nicht. (Beschluß folgt.) Materielle Fortschritte in Schweden. _ Stockholm, 25 April. Das Volksblatt, eine seit dem Anfange dieses Jahres hier erscheinende Zeitung, enthält, unter der Ueberschrift: Beiträge zur Beleuchtung der wirklichen Stellung des Landes, einen längern Aufsatz, der sich durch viele thatsächliche und statistische Angaben bemerklich macht, und woraus wir Folgendes entlehnen: „Beim Reichstage vom J. 1800

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 131. Augsburg, 10. Mai 1840, S. 1042. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_131_18400510/10>, abgerufen am 03.05.2024.