Allgemeine Zeitung. Nr. 119. Augsburg, 28. April 1840.Und doch wäre dieß eine gar leichte Aufgabe, wozu man bloß des guten Willens bedarf und gesunden Menschenverstandes. Der Stoff, sich zu unterrichten, ist in Masse vorhanden. Abgesehen davon, daß die englisch-chinesischen Zeitungen in vielen Exemplaren nach dem Mutterlande gesendet werden, bringt auch das asiatische Journal regelmäßig die wichtigsten Urkunden und Nachrichten aus den indischen und chinesischen Blättern, wie aus der thätigen Presse des östlichen Archipelagus und Australiens. Ueberdieß wurden ja alle auf China bezüglichen Actenstücke, vom April 1814 bis zum November des Jahrs 1839, einen Folioband von vierhundertfünfzig Seiten umfassend, vor kurzem dem Parlamente vorgelegt. Es kann nicht geläugnet werden, daß die Freigebung des chinesischen Handels von Seite Englands viel zur Beschleunigung der unvermeidlichen Krisis beigetragen hat; es würden, wenn das Privilegium der Compagnie beibehalten worden wäre, der friedliche Handel, wie die beinahe regelmäßig von Zeit zu Zeit erfolgenden Streitigkeiten noch einige Jahre sich hinausgezogen haben. Aber zu einem Bruche hätte es am Ende doch kommen müssen; der freigegebene Verkehr hat ihn nicht hervorgerufen, sondern bloß beschleunigt. Es ward dadurch der im Innern längst fortwuchernde Krankheitsstoff schnell ans Tageslicht gefördert. England, sagt der Globe mit Recht, hat sein Monopol aufgehoben, während China das seinige beibehielt. Der Handel zu Canton ward auf chinesischer Seite nachher wie vorher einzig und allein vermittelst der Sicherheitskaufleute, Pao hing, gemeinhin Hong genannt, fortgeführt. Es strömte der neue gährende Wein in großen Massen in die alten Schläuche, und siehe, sie platzten alsbald mit gewaltigem Geräusch. Wie viel ward nicht seit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts bis auf unsere Zeit über das Cultursystem des östlichen Asiens in allen Sprachen Europa's geschrieben und gedruckt! Wer mag aber diese umfang- und gehaltreichen Werke lesen? So viel auch wissenschaftliche Männer sich Mühe geben, die westliche Welt über China, über seine Verfassung, Religionen und Sitten aufzuklären; es war Alles vergebens. Der Chinese galt und gilt für einen ceremoniösen Alltagsmenschen, dessen bloßes Erscheinen die heiterste Gesellschaft zur Langweile umstimmt. Nur scherzend erwähnt man hier und da des himmlischen Reiches, und daß in einem seiner neuesten statistischen Werke Preußen ein Dorf in Rußland genannt werde, was, nebenbei gesagt, rein erfunden ist. *)*) Und doch geben sich die englischen Blätter die Miene, als wären sie über die innern, wie über die äußern Verhältnisse des chinesischen Reichs vollkommen genau unterrichtet. Es sind nicht alle Leute so aufrichtig, wie unser Rückert, der offen ausspricht: Was in Schauspiel und Roman Mir kam vom Wesen der Chinesen, Das sprach mich doch auch gar nicht an, Ich heb's, aufrichtig, nie gelesen. Frankreich. In den letzten Tagen hatte sich zwischen dem Constitutionnel und dem Journal des Debats, in Folge einer Aeußerung des Hrn. v. Villemain in der Pairskammer, ein langer Streit entsponnen: ob die Einstellung des Marsches der ägyptischen Armee das Resultat der Dazwischenkunft des französischen Abgesandten, Capitän Caille, gewesen. Der ministerielle Constitutionnel hatte dieß verneint. Capitän Caille hat sich nun selbst in den Streit gemischt. In einem Schreiben an das Journal des Debats versichert er, daß allerdings bloß auf seine energischen Vorstellungen hin Ibrahim seiner auf dem Marsche gegen Malatia befindlichen Armee Halt befohlen habe. Im Eingang erzählt Hr. Caille, wie Mehemed Ali nach anfänglicher Weigerung ihm einen offenen Brief eingehändigt habe, welcher Ibrahim befahl, alle Feindseligkeiten einzustellen. Uebrigens erklärt Hr. Caille nicht, warum er mit diesem Schreiben, das ihm am 17 Jun. übergeben worden, erst am 20 nach Alexandrette sich auf den Weg gemacht. Am 26 erfuhr der französische Officier in Aleppo den Sieg von Nisib. "Falsche Nachrichten und Hindernisse des Bodens - fährt Hr. Caille in seiner Erzählung fort - verzögerten meine Reise, so daß ich erst am 29 Jun. Abends, fünf Tage nach der Schlacht, bei Ibrahim eintraf. Ich war damals weit entfernt zu glauben (wie der Constitutionnel), daß der ägyptische Obergeneral keine Maaßregeln ergriffen habe, und keine Miene mache, den Taurus zu überschreiten, sondern ich kannte im Gegentheil Ibrahims officielle Versicherung, vorzurücken. Ich fand seine Armee drei Tagmärsche vom Schlachtfeld entfernt, auf dem Wege nach Kleinasien. Wenige Augenblicke nach meiner Ankunft im Lager wurde ich in das Zelt des Siegers von Nisib eingeführt. Die Conferenz dauerte fünf Stunden; trotz all' meiner Vorstellungen erlangte ich aber nicht, was ich mit dem Schreiben des Vicekönigs verlangen zu können mich berechtigt glaubte. Ibrahim sagte mir, daß er nach der Schlacht seine Armee in zwei Corps getheilt habe; das eine solle Koniah, das andere Malatia besetzen. Als ich auf die Befehle seines Vaters hin von ihm forderte, daß er jede Bewegung vorwärts suspendire, antwortete Ibrahim, er könne dieß nicht thun wegen der dreifachen Nothwendigkeit, seine Soldaten zu ernähren, seine Gränzen zu vertheidigen, und jeden neuen Versuch einer Invasion der Feinde durch Vernichtung der bei Koniah und Malatia stehenden türkischen Reservecorps zu hindern. Indessen willigte der Obergeneral doch ein, nicht in eigener Person nach Kleinasien vorzugehen. Er verzichtete auf die Besitznahme von Koniah, beharrte aber auf seinem Plan, Malatia zu besetzen und versicherte, daß ihn nichts in der Welt daran hindern werde. Die Besetzung irgend eines Theiles von Kleinasien war aber eine Gefahr, welcher zuvorzukommen mir meine Mission gebot. Tags darauf ersuchte ich, im Augenblick, wo die Armee sich in Marsch setzte, den Pascha um eine neue Audienz. Meine Vorstellungen wurden dießmal mit lebhafter Ungeduld angehört und die Erklärung gegeben, daß alle Bemühungen den Tags zuvor mitgetheilten Entschluß nicht ändern würden. Ich erinnerte hierauf Ibrahim, daß ich im Namen seines Vaters, im Namen einer Macht spreche, welcher Aegypten viel zu verdanken habe, und wiederholte meine frühern Vorstellungen. Dieß that Wirkung. Ich erhielt das Zugeständniß, daß der Taurus auf keinem Punkt überschritten werden sollte, und daß man sich mit der Besetzung von Marasch und Orsa begnügen werde, um die Bedürfnisse der Armee zu befriedigen und die Vertheidigung der Gränze zu sichern. Ibrahim willigte ein, einen Courier abzufertigen, um dem auf dem Marsche *) Dieß lesen wir in dem Conversationslexikon der Gegenwart. Leipzig 1839. I. 1257. "Ueber das Innere des Reichs wissen wir nur wenig. (!?) Das Sicherste bietet noch immer die 1818 zu Peking erschienene Reichsgeographie, die Neumann nach Europa gebracht und in der Preußen ein Dorf in Rußland genannt wird." Die einzige Notiz, die sich in den, Europäern bekannt gewordenen chinesischen Werken über Preußen vorfindet, ward in einer englischen Uebersetzung mitgetheilt, in der History of the Pirates who infested the chinese sea from 1807 to 1810. Translated by C. F. Neumann. London 1831. XXXVI.
Und doch wäre dieß eine gar leichte Aufgabe, wozu man bloß des guten Willens bedarf und gesunden Menschenverstandes. Der Stoff, sich zu unterrichten, ist in Masse vorhanden. Abgesehen davon, daß die englisch-chinesischen Zeitungen in vielen Exemplaren nach dem Mutterlande gesendet werden, bringt auch das asiatische Journal regelmäßig die wichtigsten Urkunden und Nachrichten aus den indischen und chinesischen Blättern, wie aus der thätigen Presse des östlichen Archipelagus und Australiens. Ueberdieß wurden ja alle auf China bezüglichen Actenstücke, vom April 1814 bis zum November des Jahrs 1839, einen Folioband von vierhundertfünfzig Seiten umfassend, vor kurzem dem Parlamente vorgelegt. Es kann nicht geläugnet werden, daß die Freigebung des chinesischen Handels von Seite Englands viel zur Beschleunigung der unvermeidlichen Krisis beigetragen hat; es würden, wenn das Privilegium der Compagnie beibehalten worden wäre, der friedliche Handel, wie die beinahe regelmäßig von Zeit zu Zeit erfolgenden Streitigkeiten noch einige Jahre sich hinausgezogen haben. Aber zu einem Bruche hätte es am Ende doch kommen müssen; der freigegebene Verkehr hat ihn nicht hervorgerufen, sondern bloß beschleunigt. Es ward dadurch der im Innern längst fortwuchernde Krankheitsstoff schnell ans Tageslicht gefördert. England, sagt der Globe mit Recht, hat sein Monopol aufgehoben, während China das seinige beibehielt. Der Handel zu Canton ward auf chinesischer Seite nachher wie vorher einzig und allein vermittelst der Sicherheitskaufleute, Pao hing, gemeinhin Hong genannt, fortgeführt. Es strömte der neue gährende Wein in großen Massen in die alten Schläuche, und siehe, sie platzten alsbald mit gewaltigem Geräusch. Wie viel ward nicht seit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts bis auf unsere Zeit über das Cultursystem des östlichen Asiens in allen Sprachen Europa's geschrieben und gedruckt! Wer mag aber diese umfang- und gehaltreichen Werke lesen? So viel auch wissenschaftliche Männer sich Mühe geben, die westliche Welt über China, über seine Verfassung, Religionen und Sitten aufzuklären; es war Alles vergebens. Der Chinese galt und gilt für einen ceremoniösen Alltagsmenschen, dessen bloßes Erscheinen die heiterste Gesellschaft zur Langweile umstimmt. Nur scherzend erwähnt man hier und da des himmlischen Reiches, und daß in einem seiner neuesten statistischen Werke Preußen ein Dorf in Rußland genannt werde, was, nebenbei gesagt, rein erfunden ist. *)*) Und doch geben sich die englischen Blätter die Miene, als wären sie über die innern, wie über die äußern Verhältnisse des chinesischen Reichs vollkommen genau unterrichtet. Es sind nicht alle Leute so aufrichtig, wie unser Rückert, der offen ausspricht: Was in Schauspiel und Roman Mir kam vom Wesen der Chinesen, Das sprach mich doch auch gar nicht an, Ich heb's, aufrichtig, nie gelesen. Frankreich. In den letzten Tagen hatte sich zwischen dem Constitutionnel und dem Journal des Débats, in Folge einer Aeußerung des Hrn. v. Villemain in der Pairskammer, ein langer Streit entsponnen: ob die Einstellung des Marsches der ägyptischen Armee das Resultat der Dazwischenkunft des französischen Abgesandten, Capitän Caillé, gewesen. Der ministerielle Constitutionnel hatte dieß verneint. Capitän Caillé hat sich nun selbst in den Streit gemischt. In einem Schreiben an das Journal des Débats versichert er, daß allerdings bloß auf seine energischen Vorstellungen hin Ibrahim seiner auf dem Marsche gegen Malatia befindlichen Armee Halt befohlen habe. Im Eingang erzählt Hr. Caillé, wie Mehemed Ali nach anfänglicher Weigerung ihm einen offenen Brief eingehändigt habe, welcher Ibrahim befahl, alle Feindseligkeiten einzustellen. Uebrigens erklärt Hr. Caillé nicht, warum er mit diesem Schreiben, das ihm am 17 Jun. übergeben worden, erst am 20 nach Alexandrette sich auf den Weg gemacht. Am 26 erfuhr der französische Officier in Aleppo den Sieg von Nisib. „Falsche Nachrichten und Hindernisse des Bodens – fährt Hr. Caillé in seiner Erzählung fort – verzögerten meine Reise, so daß ich erst am 29 Jun. Abends, fünf Tage nach der Schlacht, bei Ibrahim eintraf. Ich war damals weit entfernt zu glauben (wie der Constitutionnel), daß der ägyptische Obergeneral keine Maaßregeln ergriffen habe, und keine Miene mache, den Taurus zu überschreiten, sondern ich kannte im Gegentheil Ibrahims officielle Versicherung, vorzurücken. Ich fand seine Armee drei Tagmärsche vom Schlachtfeld entfernt, auf dem Wege nach Kleinasien. Wenige Augenblicke nach meiner Ankunft im Lager wurde ich in das Zelt des Siegers von Nisib eingeführt. Die Conferenz dauerte fünf Stunden; trotz all' meiner Vorstellungen erlangte ich aber nicht, was ich mit dem Schreiben des Vicekönigs verlangen zu können mich berechtigt glaubte. Ibrahim sagte mir, daß er nach der Schlacht seine Armee in zwei Corps getheilt habe; das eine solle Koniah, das andere Malatia besetzen. Als ich auf die Befehle seines Vaters hin von ihm forderte, daß er jede Bewegung vorwärts suspendire, antwortete Ibrahim, er könne dieß nicht thun wegen der dreifachen Nothwendigkeit, seine Soldaten zu ernähren, seine Gränzen zu vertheidigen, und jeden neuen Versuch einer Invasion der Feinde durch Vernichtung der bei Koniah und Malatia stehenden türkischen Reservecorps zu hindern. Indessen willigte der Obergeneral doch ein, nicht in eigener Person nach Kleinasien vorzugehen. Er verzichtete auf die Besitznahme von Koniah, beharrte aber auf seinem Plan, Malatia zu besetzen und versicherte, daß ihn nichts in der Welt daran hindern werde. Die Besetzung irgend eines Theiles von Kleinasien war aber eine Gefahr, welcher zuvorzukommen mir meine Mission gebot. Tags darauf ersuchte ich, im Augenblick, wo die Armee sich in Marsch setzte, den Pascha um eine neue Audienz. Meine Vorstellungen wurden dießmal mit lebhafter Ungeduld angehört und die Erklärung gegeben, daß alle Bemühungen den Tags zuvor mitgetheilten Entschluß nicht ändern würden. Ich erinnerte hierauf Ibrahim, daß ich im Namen seines Vaters, im Namen einer Macht spreche, welcher Aegypten viel zu verdanken habe, und wiederholte meine frühern Vorstellungen. Dieß that Wirkung. Ich erhielt das Zugeständniß, daß der Taurus auf keinem Punkt überschritten werden sollte, und daß man sich mit der Besetzung von Marasch und Orsa begnügen werde, um die Bedürfnisse der Armee zu befriedigen und die Vertheidigung der Gränze zu sichern. Ibrahim willigte ein, einen Courier abzufertigen, um dem auf dem Marsche *) Dieß lesen wir in dem Conversationslexikon der Gegenwart. Leipzig 1839. I. 1257. „Ueber das Innere des Reichs wissen wir nur wenig. (!?) Das Sicherste bietet noch immer die 1818 zu Peking erschienene Reichsgeographie, die Neumann nach Europa gebracht und in der Preußen ein Dorf in Rußland genannt wird.“ Die einzige Notiz, die sich in den, Europäern bekannt gewordenen chinesischen Werken über Preußen vorfindet, ward in einer englischen Uebersetzung mitgetheilt, in der History of the Pirates who infested the chinese sea from 1807 to 1810. Translated by C. F. Neumann. London 1831. XXXVI.
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Capitän Caillé hat sich nun selbst in den Streit gemischt. In einem Schreiben an das Journal des Débats versichert er, daß allerdings bloß auf seine energischen Vorstellungen hin Ibrahim seiner auf dem Marsche gegen Malatia befindlichen Armee Halt befohlen habe. Im Eingang erzählt Hr. Caillé, wie Mehemed Ali nach anfänglicher Weigerung ihm einen offenen Brief eingehändigt habe, welcher Ibrahim befahl, alle Feindseligkeiten einzustellen. Uebrigens erklärt Hr. Caillé nicht, warum er mit diesem Schreiben, das ihm am 17 Jun. übergeben worden, erst am 20 nach Alexandrette sich auf den Weg gemacht. Am 26 erfuhr der französische Officier in Aleppo den Sieg von Nisib. „Falsche Nachrichten und Hindernisse des Bodens – fährt Hr. Caillé in seiner Erzählung fort – verzögerten meine Reise, so daß ich erst am 29 Jun. Abends, fünf Tage nach der Schlacht, bei Ibrahim eintraf. Ich war damals weit entfernt zu glauben (wie der Constitutionnel), daß der ägyptische Obergeneral keine Maaßregeln ergriffen habe, und keine Miene mache, den Taurus zu überschreiten, sondern ich kannte im Gegentheil Ibrahims officielle Versicherung, vorzurücken. Ich fand seine Armee drei Tagmärsche vom Schlachtfeld entfernt, auf dem Wege nach Kleinasien. Wenige Augenblicke nach meiner Ankunft im Lager wurde ich in das Zelt des Siegers von Nisib eingeführt. Die Conferenz dauerte fünf Stunden; trotz all' meiner Vorstellungen erlangte ich aber nicht, was ich mit dem Schreiben des Vicekönigs verlangen zu können mich berechtigt glaubte. Ibrahim sagte mir, daß er nach der Schlacht seine Armee in zwei Corps getheilt habe; das eine solle Koniah, das andere Malatia besetzen. Als ich auf die Befehle seines Vaters hin von ihm forderte, daß er jede Bewegung vorwärts suspendire, antwortete Ibrahim, er könne dieß nicht thun wegen der dreifachen Nothwendigkeit, seine Soldaten zu ernähren, seine Gränzen zu vertheidigen, und jeden neuen Versuch einer Invasion der Feinde durch Vernichtung der bei Koniah und Malatia stehenden türkischen Reservecorps zu hindern. Indessen willigte der Obergeneral doch ein, nicht in eigener Person nach Kleinasien vorzugehen. Er verzichtete auf die Besitznahme von Koniah, beharrte aber auf seinem Plan, Malatia zu besetzen und versicherte, daß ihn nichts in der Welt daran hindern werde. Die Besetzung irgend eines Theiles von Kleinasien war aber eine Gefahr, welcher zuvorzukommen mir meine Mission gebot. Tags darauf ersuchte ich, im Augenblick, wo die Armee sich in Marsch setzte, den Pascha um eine neue Audienz. Meine Vorstellungen wurden dießmal mit lebhafter Ungeduld angehört und die Erklärung gegeben, daß alle Bemühungen den Tags zuvor mitgetheilten Entschluß nicht ändern würden. Ich erinnerte hierauf Ibrahim, daß ich im Namen seines Vaters, im Namen einer Macht spreche, welcher Aegypten viel zu verdanken habe, und wiederholte meine frühern Vorstellungen. Dieß that Wirkung. Ich erhielt das Zugeständniß, daß der Taurus auf keinem Punkt überschritten werden sollte, und daß man sich mit der Besetzung von Marasch und Orsa begnügen werde, um die Bedürfnisse der Armee zu befriedigen und die Vertheidigung der Gränze zu sichern. Ibrahim willigte ein, einen Courier abzufertigen, um dem auf dem Marsche<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0948/0012]
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Es kann nicht geläugnet werden, daß die Freigebung des chinesischen Handels von Seite Englands viel zur Beschleunigung der unvermeidlichen Krisis beigetragen hat; es würden, wenn das Privilegium der Compagnie beibehalten worden wäre, der friedliche Handel, wie die beinahe regelmäßig von Zeit zu Zeit erfolgenden Streitigkeiten noch einige Jahre sich hinausgezogen haben. Aber zu einem Bruche hätte es am Ende doch kommen müssen; der freigegebene Verkehr hat ihn nicht hervorgerufen, sondern bloß beschleunigt. Es ward dadurch der im Innern längst fortwuchernde Krankheitsstoff schnell ans Tageslicht gefördert. England, sagt der Globe mit Recht, hat sein Monopol aufgehoben, während China das seinige beibehielt. Der Handel zu Canton ward auf chinesischer Seite nachher wie vorher einzig und allein vermittelst der Sicherheitskaufleute, Pao hing, gemeinhin Hong genannt, fortgeführt. Es strömte der neue gährende Wein in großen Massen in die alten Schläuche, und siehe, sie platzten alsbald mit gewaltigem Geräusch.
Wie viel ward nicht seit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts bis auf unsere Zeit über das Cultursystem des östlichen Asiens in allen Sprachen Europa's geschrieben und gedruckt! Wer mag aber diese umfang- und gehaltreichen Werke lesen? So viel auch wissenschaftliche Männer sich Mühe geben, die westliche Welt über China, über seine Verfassung, Religionen und Sitten aufzuklären; es war Alles vergebens. Der Chinese galt und gilt für einen ceremoniösen Alltagsmenschen, dessen bloßes Erscheinen die heiterste Gesellschaft zur Langweile umstimmt. Nur scherzend erwähnt man hier und da des himmlischen Reiches, und daß in einem seiner neuesten statistischen Werke Preußen ein Dorf in Rußland genannt werde, was, nebenbei gesagt, rein erfunden ist. *) *) Und doch geben sich die englischen Blätter die Miene, als wären sie über die innern, wie über die äußern Verhältnisse des chinesischen Reichs vollkommen genau unterrichtet. Es sind nicht alle Leute so aufrichtig, wie unser Rückert, der offen ausspricht:
Was in Schauspiel und Roman
Mir kam vom Wesen der Chinesen,
Das sprach mich doch auch gar nicht an,
Ich heb's, aufrichtig, nie gelesen.
Frankreich.
In den letzten Tagen hatte sich zwischen dem Constitutionnel und dem Journal des Débats, in Folge einer Aeußerung des Hrn. v. Villemain in der Pairskammer, ein langer Streit entsponnen: ob die Einstellung des Marsches der ägyptischen Armee das Resultat der Dazwischenkunft des französischen Abgesandten, Capitän Caillé, gewesen. Der ministerielle Constitutionnel hatte dieß verneint. Capitän Caillé hat sich nun selbst in den Streit gemischt. In einem Schreiben an das Journal des Débats versichert er, daß allerdings bloß auf seine energischen Vorstellungen hin Ibrahim seiner auf dem Marsche gegen Malatia befindlichen Armee Halt befohlen habe. Im Eingang erzählt Hr. Caillé, wie Mehemed Ali nach anfänglicher Weigerung ihm einen offenen Brief eingehändigt habe, welcher Ibrahim befahl, alle Feindseligkeiten einzustellen. Uebrigens erklärt Hr. Caillé nicht, warum er mit diesem Schreiben, das ihm am 17 Jun. übergeben worden, erst am 20 nach Alexandrette sich auf den Weg gemacht. Am 26 erfuhr der französische Officier in Aleppo den Sieg von Nisib. „Falsche Nachrichten und Hindernisse des Bodens – fährt Hr. Caillé in seiner Erzählung fort – verzögerten meine Reise, so daß ich erst am 29 Jun. Abends, fünf Tage nach der Schlacht, bei Ibrahim eintraf. Ich war damals weit entfernt zu glauben (wie der Constitutionnel), daß der ägyptische Obergeneral keine Maaßregeln ergriffen habe, und keine Miene mache, den Taurus zu überschreiten, sondern ich kannte im Gegentheil Ibrahims officielle Versicherung, vorzurücken. Ich fand seine Armee drei Tagmärsche vom Schlachtfeld entfernt, auf dem Wege nach Kleinasien. Wenige Augenblicke nach meiner Ankunft im Lager wurde ich in das Zelt des Siegers von Nisib eingeführt. Die Conferenz dauerte fünf Stunden; trotz all' meiner Vorstellungen erlangte ich aber nicht, was ich mit dem Schreiben des Vicekönigs verlangen zu können mich berechtigt glaubte. Ibrahim sagte mir, daß er nach der Schlacht seine Armee in zwei Corps getheilt habe; das eine solle Koniah, das andere Malatia besetzen. Als ich auf die Befehle seines Vaters hin von ihm forderte, daß er jede Bewegung vorwärts suspendire, antwortete Ibrahim, er könne dieß nicht thun wegen der dreifachen Nothwendigkeit, seine Soldaten zu ernähren, seine Gränzen zu vertheidigen, und jeden neuen Versuch einer Invasion der Feinde durch Vernichtung der bei Koniah und Malatia stehenden türkischen Reservecorps zu hindern. Indessen willigte der Obergeneral doch ein, nicht in eigener Person nach Kleinasien vorzugehen. Er verzichtete auf die Besitznahme von Koniah, beharrte aber auf seinem Plan, Malatia zu besetzen und versicherte, daß ihn nichts in der Welt daran hindern werde. Die Besetzung irgend eines Theiles von Kleinasien war aber eine Gefahr, welcher zuvorzukommen mir meine Mission gebot. Tags darauf ersuchte ich, im Augenblick, wo die Armee sich in Marsch setzte, den Pascha um eine neue Audienz. Meine Vorstellungen wurden dießmal mit lebhafter Ungeduld angehört und die Erklärung gegeben, daß alle Bemühungen den Tags zuvor mitgetheilten Entschluß nicht ändern würden. Ich erinnerte hierauf Ibrahim, daß ich im Namen seines Vaters, im Namen einer Macht spreche, welcher Aegypten viel zu verdanken habe, und wiederholte meine frühern Vorstellungen. Dieß that Wirkung. Ich erhielt das Zugeständniß, daß der Taurus auf keinem Punkt überschritten werden sollte, und daß man sich mit der Besetzung von Marasch und Orsa begnügen werde, um die Bedürfnisse der Armee zu befriedigen und die Vertheidigung der Gränze zu sichern. Ibrahim willigte ein, einen Courier abzufertigen, um dem auf dem Marsche
*) Dieß lesen wir in dem Conversationslexikon der Gegenwart. Leipzig 1839. I. 1257. „Ueber das Innere des Reichs wissen wir nur wenig. (!?) Das Sicherste bietet noch immer die 1818 zu Peking erschienene Reichsgeographie, die Neumann nach Europa gebracht und in der Preußen ein Dorf in Rußland genannt wird.“ Die einzige Notiz, die sich in den, Europäern bekannt gewordenen chinesischen Werken über Preußen vorfindet, ward in einer englischen Uebersetzung mitgetheilt, in der History of the Pirates who infested the chinese sea from 1807 to 1810. Translated by C. F. Neumann. London 1831. XXXVI.
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
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